topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/

Folkepension und Flexibilisierung Dänemark als neues sozialpolitisches Vorzeigemodell?

SCHWERPUNKT

Mit großer Sorge blickten viele ausländische Beobachter im Feber 2005 auf das skandinavische Land. Zum ersten Mal war mit Anders Fogh Rasmussen ein politisch rechts stehender Regierungschef von den Wählern im Amt bestätigt worden.

Einige Kommentatoren fürchteten bereits das Ende des nordischen Wohlfahrtsstaates. Doch während die von den Rechtspopulisten tolerierte Koalition aus Rechtsliberalen und Konservativen in der Ausländer- und Außenpolitik einen stramm rechten Kurs fährt, hegt sie kaum Ambitionen, das erfolgreiche dänische Sozialmodell auszuhöhlen. »Hinsichtlich der Sozialpolitik ist die neue Regierung sogar sehr sozialdemokratisch orientiert«, meint der dänische Politologe Christoffer Green-Pedersen von der Universität Aarhus im Interview mit »Arbeit&Wirtschaft«. »Der Regierungswechsel zeigte nur geringe Auswirkungen«, pflichtet ihm sein österreichischer Kollege Marcel Fink vom Institut für Staatswissenschaften bei: »Die Mehrzahl der getroffenen Maßnahmen hatte wenig inhaltliche Auswirkungen. Sie bezogen sich primär auf administrative Belange, wie zum Beispiel in der aktiven Arbeitsmarktpolitik.«

Dänemark schneidet mittlerweile bei fast allen sozialpolitischen Indikatoren besser ab als sein Nachbarland Schweden, das immer noch als Prototyp des universalen Wohlfahrtsstaates angesehen wird. So gibt es in Dänemark etwa keine Selbstbehalte bei Arztbesuchen, eine erwerbsarbeitsunabhängige Grundrente (die »Folkepension«) für alle in Höhe von 1279 Euro, eine Ersatzrate beim Krankengeld von bis zu 100 Prozent sowie Arbeitslosengeld in der Höhe von 90 Prozent des Letztbezuges.

Kündigungsschutz unbekannt

Vor knapp zehn Jahren sah die Entwicklung des dänischen Wohlfahrtsstaates noch weitaus düsterer aus. Die Wirtschaft im skandinavischen Raum steckte in einer schweren Krise, die Arbeitslosigkeit war auf ein Rekordniveau gestiegen. Die Regierung des sozialdemokratischen Premierministers Poul Nyrup Rasmussen (1993 bis 2001) antwortete Mitte der Neunzigerjahre mit einer radikalen Umorientierung der dänischen Arbeitsmarktpolitik. Die Bezugsperiode von Arbeitslosengeld wurde von neun Jahren auf ein Jahr heruntergeschraubt. Bei aktiver Teilnahme an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen kann der Anspruch auf die Leistung auf weitere drei Jahre verlängert werden. Leistungen für Arbeitslose werden gestrichen, wenn diese ein Jobangebot nicht annehmen. Die Höhe des Arbeitslosengeldes wurde dagegen nicht angetastet. Auch hielt man das traditionell sehr hohe Einkommensniveau aufrecht. Zwischen 1994 und 1998 wurde zur weiteren Entlastung des Arbeitsmarktes ein zeitlich befristetes »Sabbat-Programm« durchgeführt. Personen über 25 durften zwischen 13 und 52 Wochen Sabbaturlaub machen, während ihre Arbeitgeber einen arbeitslosen Stellvertreter einstellen mussten.

Der dänische Arbeitsmarkt wurde alsbald zu einem der flexibelsten in Europa. Ein Kündigungsschutz ist de facto unbekannt. Der Erfolg lässt sich dennoch nicht leugnen: »Diese Maßnahmen haben in erheblichem Ausmaß zum Rückgang der Arbeitslosigkeit und einem besser funktionierenden Arbeitsmarkt beigetragen«, erklärt Christoffer Green-Pedersen. Die Arbeitslosigkeit konnte bis 2001 tatsächlich von 15% auf vier Prozent gesenkt werden. Mittlerweile gibt es in Dänemark mehr Job- und Weiterbildungsangebote für Arbeitslose als irgendwo sonst in Europa.

Arbeitslosenversicherung freiwillig

Wie in Schweden, Finnland und Belgien ist auch in Dänemark die Arbeitslosenversicherung freiwillig. Zurzeit sind zirka 80% der dänischen Arbeitskräfte in einer der meist von den Gewerkschaften verwalteten Arbeitslosenkassen versichert. Teils organisieren sich diese nach Branchen und Berufen, teils nach Erwerbsstatus. So gibt es eigene Kassen für Arbeiter, Angestellte und Selbständige. Die eingezahlten Beiträge decken dabei nur zirka ein Drittel der Kosten ab, den Rest steuert der Staat aus dem allgemeinen Steueraufkommen bei. Voraussetzung für den Bezug von Arbeitslosengeld ist eine einjährige Mitgliedschaft in einer der derzeit 39 Kassen und mindestens 52 Wochen Erwerbstätigkeit innerhalb der letzten drei Jahre. Die Leistungssätze werden mit 90% des Bruttolohns aus den letzten zwölf Monaten Arbeitsentgelt berechnet. Die Höchstgrenze betrug im Jahr 2005 440 Euro wöchentlich.

Mit Ausnahme der Journalistengewerkschaft schreibt keine dänische Einzelgewerkschaft ihren Mitgliedern die Mitgliedschaft in der von ihr verwalteten Arbeitslosenkasse vor. Umgekehrt ist auch die Mitgliedschaft in einer gewerkschaftlichen Arbeitslosenkasse nicht an eine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft gebunden. »Die überwiegend gewerkschaftliche Verwaltung der Arbeitslosenversicherung ist aber nach wie vor ein wesentlicher Schlüssel der gewerkschaftlichen Organisationsfähigkeit«, führt Marcel Fink aus: »Daran hat auch die Etablierung nicht gewerkschaftlicher Arbeitslosenfonds wenig verändert.« »Neu ist nur, dass es nichtgewerkschaftliche Arbeitslosenkassen gibt, die ziemlich erfolgreich sind«, erklärt Christoffer Green-Pedersen.

Generalstreik

Die Macht des dänischen Gewerkschaftsdachverbandes LO ist mit einem Organisationsgrad von 80% auch nach seiner Entkoppelung von der Sozialdemokratischen Partei ungebrochen. 1995 war die gegenseitige Vertretung in den Vorständen und die gewerkschaftliche Parteienunterstützung für die Sozialdemokraten aufgehoben worden. Drei Jahre später rebellierte die Gewerkschaftsbasis sogar gegen die sozialdemokratisch geführte Regierung.

Gegen den ausdrücklichen Wunsch der Gewerkschaftsspitze votierten die Mitglieder für einen Generalstreik. Die zusätzlichen Belastungen durch einen flexibilisierten Arbeitsmarkt sollten zumindest teilweise durch eine sechste Urlaubswoche ausgeglichen werden. Am Generalstreik beteiligten sich an die 500.000 Arbeitnehmer. Dänemark wurde fast zwei Wochen lang lahm gelegt: Flug- und Bahnverkehr kamen zum Erliegen, die Schulen blieben geschlossen. Zwar konnte die Forderung einer sechsten Urlaubswoche für alle nicht durchgesetzt werden, doch erkämpften die Streikenden zwei zusätzliche Feiertage und drei weitere Urlaubstage für Familien.

Links von der Sozialdemokratie

Von 2001 an wird Dänemark vom rechtsliberalen Premierminister Anders Fogh Rasmussen regiert. Er teilt mit seinem Amtsvorgänger nicht nur den gleichen Nachnamen, sondern gab wie dieser die Garantie ab, keine signifikanten Einsparungen im Bereich der Sozialpolitik zu initiieren. Das erscheint durchaus glaubhaft. Zum einen hat sich Rasmussen bereits mit seinem allzu freundschaftlichen Verhältnis zu George Bush und der Entsendung dänischer Truppen in den Irakkrieg den Unmut großer Teile der Bevölkerung zugezogen. Zum anderen haben die Dänen bei der Wahl 2005 neben den Sozialdemokraten noch drei weitere Linksparteien ins Parlament gewählt: Die Radikalen, die Einheitsliste und die Sozialistische Volkspartei. Zusammen vereinigen diese links von der Sozialdemokratie stehenden politischen Kräfte fast 19% der Wählerstimmen auf sich. Gemeinsam mit den Sozialdemokraten und den Gewerkschaften bilden sie so einen starken Block zur Erhaltung des dänischen Wohlfahrtsstaates.

Im internationalen Vergleich brilliert die dänische Sozialpolitik neben ihrem System der Arbeitslosenkassen vor allem mit dem Alterssicherungsmodell und dem Gesundheitssystem. Jeder, der mindestens drei Jahre lang seinen Wohnsitz in Dänemark hatte (bei Ausländern sind es zehn Jahre), ist berechtigt, mit 65 Jahren eine steuerfinanzierte Volksrente zu beziehen. Die volle Rentenhöhe wird aber erst bei einem Aufenthalt von mindestens 40 Jahren ausbezahlt. Der Grundbetrag der vollen Volksrente betrug 2005 jährlich 7650 Euro. Zusätzlich gibt es beim Nichtvorhandensein zusätzlicher Pensionseinkünfte eine Rentenzulage von 7701 Euro. Während erstere Säule erst bei zusätzlichen Erwerbseinkünften von etwa 32.500 Euro anteilsmäßig gekürzt wird, ist dies bei zweiterer bereits bei Einkünften ab rund 7170 Euro der Fall. Einfacher ausgedrückt: Insgesamt betrug die monatliche Grundrente für Alleinstehende im Jahr 2005 1279 Euro.

 

 Vergleich Schweden - Dänemark (Stand 2005)
 1  Schweden    Dänemark
 Karenztage bei Krankheit  1  0
 Verhältnis Krankengeld zu Letztbezug  80%  100%
 Selbstbehalt bei Arztbesuchen    max. EUR 99  0
 Grundrente (Alleinstehende)   EUR 781     EUR 1279
 Ersatzrate/Arbeitslosigkeit    80%  90%

Quelle: MISSOC Tabellen 2005   

 

Zusatzrente

Die dritte Säule des dänischen Pensionsmodells bildet eine kapitalgedeckte Zusatzrente von höchstens 3000 Euro jährlich. Diese Versicherungsleistung ist wie in Österreich an Erwerbstätigkeit gekoppelt. Die Beitragsleistungen sind jedoch von der Dauer der Erwerbstätigkeit und den geleisteten Arbeitstunden abhängig und nicht vom Verdienst! Die Höhe des Einkommens während des Erwerbslebens ist für die öffentliche Pension Dänemarks vollkommen unerheblich.

Gesundheitssystem

Das öffentliche Gesundheitssystem ist steuerfinanziert und umfasst die gesamte Bevölkerung. Einzige Voraussetzung stellt ein mindestens sechswöchiger Aufenthalt dar. Selbstbehalte für ärztliche Behandlung oder Aufenthalten in Krankenhäusern sind in Dänemark mit Ausnahme zahnärztlichen Leistungen unbekannt.

Beim Krankengeld gibt es keine Karenztage, die ersten beiden Wochen des Krankenstandes müssen aber vom Arbeitgeber bezahlt werden. Die maximale Bezugsdauer ist in der Regel auf 52 Wochen beschränkt. Ist zu erwarten, dass die Erwerbsfähigkeit des Krankengeldbeziehers wieder hergestellt werden kann, ist eine Verlängerung möglich. Die Höhe des Krankengeldes ist bis zu einer Höchstgrenze von 439 Euro pro Woche (2005) mit dem Letzteinkommen ident. So wird kleineren Einkommensbeziehern eine Lohnersatzrate von 100% ermöglicht.

Steuern

Das hohe dänische Sozialleistungsniveau ist nur mit entsprechender Finanzierungsstruktur denkbar. Zum einen werden, genau umgekehrt wie hierzulande, zwei Drittel der Sozialleistungen steuerfinanziert, zum anderen beträgt der Eingangssteuersatz bei der Einkommensteuer durchschnittlich 38%. Und das ohne Freibetragsgrenzen wie etwa in Schweden oder auch in unserem Land. Der Höchststeuersatz von 59% in der höchsten Einkommensteuerklasse ist EuropaSpitze. Bei den Körperschaftsteuersätzen, sowohl den nominalen (30 gegenüber 25% in Österreich) als auch den effektiven, liegt Dänemark im guten europäischen Mittelfeld. Auch die Mehrwertsteuer hat mit 25% deutlich höhere Einnahmen zur Folge als sie der österreichische Satz von 20% ermöglicht. Haupteinnahmequelle ist und bleibt in Dänemark aber die Einkommensteuer, die dem dänischen Staatshaushalt knapp die Hälfte seiner Steuereinnahmen bringt.

Vorbild?

Ist nun Dänemark hinsichtlich sozialer Gerechtigkeit Vorbild für andere europäische Staaten? Bei Indikatoren wie Altersarmut, Krankenversicherungsschutz oder Einkommensverteilung schneidet Dänemark offensichtlich deutlich besser ab als etwa Österreich. Wirft man darüber hinaus einen genaueren Blick auf die einzelnen Politikfelder, so merkt man, dass Dänemark unter den EU-Staaten die Nase vorn hat. Das gilt sowohl für Sozialausgaben für Arbeitslosigkeit, aktive und passive Arbeitsmarktpolitik, als auch für Aufwendungen für Familien. Nur bei den Ausgaben für Alterssicherung liegt Dänemark im Mittelfeld, während Österreich den Spitzenplatz einnimmt.

Durch den auch finanziell weitaus günstigeren universellen Grundsicherungsaspekt in der Altersvorsorge scheint Dänemark für einen stark ausdifferenzierten Arbeitsmarkt besser gerüstet zu sein als Länder mit einem erwerbsarbeitsorientierten Alterssicherungssystem. »Der Schlüssel zum Erfolg liegt unter anderem in einer gut abgestimmten gesamtwirtschaftlichen Steuerungspolitik. Diese zeigt sich auch in einer wenig zurückhaltenden Lohnpolitik«, resümiert Marcel Fink. »Das dänische Beispiel zeigt uns, dass eine so genannte aktivierende Arbeitsmarktpolitik und ein hoher Absicherungsgrad durch Sozialleistungen kein Widerspruch sein müssen!

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum