topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/

Das Europäische Sozialmodell

SCHWERPUNKT

Gibt es nicht, sagen die einen. Es gibt vier Modelle, das »skandinavische«, das »mediterrane«, das »kontinentale« und das »angelsächsische«. Gibt es doch, sagen die anderen. Denn wenn der Lissabon-Prozess umgesetzt wird, muss es ein »europäisches sozio-ökonomisches Modell«, also ein »Europäisches Sozialmodell« geben.

Beide haben Recht. Die Analytiker, die genau beschreiben was abläuft und die Sozialethiker, die meinen, dass Sozialpolitik als Teil der Gesellschaftspolitik entweder europäisch gedacht wird oder aber dass die Integration Europas an der wesentlichsten Problemstellung, nämlich der berühmten sozialen Frage, scheitern wird.

Die Staaten der Europäischen Union haben sich einhellig im Jahr 2000 dafür entschieden, dass die EU in zehn Jahren zum größten und stärksten, wettbewerbsfähigsten, wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen ist, der mit sozialem Zusammenhalt ausgestattet sein muss und der eine Beschäftigungsquote von 70 Prozent erreichen wird. Ein engagiertes Ziel, allerdings kein utopisches, wie Wissenschafter bestätigen.

Beschäftigte für »soziales Europa«

Die Europäische Union hat ohne Zweifel zur Weiterentwicklung des europäischen Sozialmodells beigetragen - auch wenn es immer wieder Zweifel daran gibt, worin dieses Europäische Modell besteht.

Es sollen jene Punkte herausgestrichen werden, die für die österreichischen GewerkschafterInnen besonders wichtig sind, denn die Verwirklichung eines sozialen Europas hat für sie schon immer eine zentrale Rolle gespielt. Ein ganz wesentlicher Grund und eine herausragende Motivation für den Beitritt Österreichs zur EU war die Chance, das soziale Europa mitgestalten zu können. Die Gewerkschaften in Österreich haben den EU-Beitritt massiv unterstützt. So hat der Autor als ÖGB-Vizepräsident selbst innerhalb von zwei Jahren vor dem Beitritt an 200 Diskussionsveranstaltungen zum EU-Beitritt teilgenommen.

Für viele Österreicherinnen und Österreicher ist ein »Europäisches Sozialmodell« noch immer die Hoffnung, die sie an die EU knüpfen. Dabei sind folgende Elemente besonders wichtig:

1. Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit als prioritäres Anliegen der Menschen
Mit dem Lissabon-Prozess hat sich die EU ehrgeizige Ziele gesetzt. Um die bis 2010 angestrebte Beschäftigungsquote von 70 Prozent zu erreichen, wären in der erweiterten Union noch 20 Millionen Arbeitsplätze zu schaffen. Von diesem Ziel ist man noch weit entfernt. Die Menschen in Europa wollen aber gerade die Lissabon-Ziele erreichen.

Die Strategie, Europa zum wettbewerbsfähigsten, wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, ist genau das, was die Menschen wollen und die größte Hoffnung an die Union.

Kombilohn

Verschiedene Modelle der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit werden von den Regierungen Europas angewendet. Ein Modell ist typisch für die Tatsache, dass »gut gemeint, oft das Gegenteil von gut ist«. Das sind die Modelle der Lohnsubventionen aus Steuermitteln oder dem so genannten Kombilohn.

Wird ein Kombilohn richtig verwendet, kann er - gezielt eingesetzt - dort sinnvoll sein, wo Betrieben geholfen werden soll, »Katastrophen« durchzustehen oder Managementfehler zu überleben, wenn der Betrieb an sich gesund und zukunftsträchtig ist. Kombilohn kann auch Sinn machen, wenn dadurch Arbeit im nicht marktfähigen Bereich erzeugt und gesellschaftlich notwendige Arbeit geschaffen wird.

Die Gewerkschaft ist aber gegen die Schaffung eines permanenten zweiten Arbeitsmarktes, wenn mit Lohnsubventionen dem ersten Arbeitsmarkt unfaire Konkurrenz entsteht. Außerdem ist die Gefahr groß, dass »teure« Arbeit durch »billige, subventionierte« ersetzt wird.

2. Viel sinnvoller ist eine kräftige Investition in Bildungssysteme, in Qualifikation und Weiterbildung.
Ein zweites Element des »Europäischen Sozialmodells« ist Bildung und Qualifikation. Da können die Staaten Europas viel voneinander lernen. Eine Folge qualitativer Bildungssysteme ist ja nicht nur eine größere Leistungsfähigkeit der Menschen um damit Produktivitätssteigerungen zu erreichen. Vielmehr ist klar, dass durch wissensbasierte Systeme mehr Chancengerechtigkeit und Chancengleichheit entsteht - auch zwischen Frau und Mann - wie es schon erklärtes Ziel der EU in den Gründungsverträgen war.

Ziel eines erfolgreichen Bildungsprozesses ist ein menschenwürdiges Europa, in dem der Mensch nicht bloß auf seine Arbeitskraft reduziert wird, sondern als »Gesamtkunstwerk«, als Original und nicht als Kopie, als Individualist und soziales Wesen gesehen wird. Wenn klar ist, dass wir als soziale Wesen aufeinander angewiesen sind und kooperieren müssen, drängt das nächste Element des EU-Sozialmodells ans Licht.

3. Die Mitbestimmung
Mit dem Europäischen Betriebsrat und der Mitbestimmung in der Europäischen Aktiengesellschaft oder den Bestimmungen zur Verschmelzung von Unternehmen sind Rahmenbedingungen geschaffen worden, die es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ermöglichen, auf Handlungsweisen der Unternehmen zu reagieren.

Aber alle diese Mitbestimmungssysteme müssen ausgebaut und sinnvoller gestaltet werden, denn Mitbestimmung und Mitwirkung sind Konstanten der Humanität, nicht bloß lästige Zugeständnisse, damit die Arbeitnehmer »Ruhe geben«.

Wenn Menschen aufeinander angewiesen sind - und darüber besteht kein Zweifel - dann entsteht daraus das Recht, jene Dinge mitzubestimmen, die die Menschen unmittelbar betreffen.

    * Mitbestimmung im Betrieb
    * Mitbestimmung im Unternehmen und im Konzern
    * Mitbestimmung in der Region
    * Mitbestimmung im Staat.

Dazu braucht man auch Systeme und Instrumente der Mitbestimmung gegenüber dem Staat, wie das in Österreich die Kammern sind.

4. Ein weiteres Element eines europäischen Sozialmodells ist die soziale Sicherheit durch staatlich garantierte Systeme.
Wirtschaftswachstum und Qualität des sozialen Schutzes gehen Hand in Hand und es war und ist erklärtes Ziel des europäischen Sozialmodells, die soziale Sicherheit in den Wechselfällen des Lebens zu stärken. Da gibt es in der EU unterschiedliche Phantasien und unterschiedliche Schulen (Anglikanisches Modell, skandinavisches Modell, Modell der Mittelmeerländer, Modell der Mitteleuropäer, osteuropäisches Modell).

Vorrang haben muss das so genannte Umlageverfahren, die erste Säule in staatlichen Wohlfahrtssystemen. Immer öfter hört man, das Umlageverfahren, wonach Beiträge einbezahlt und sofort wieder in Leistungen umgesetzt werden, sei nicht finanzierbar. Man benötige dringend und immer mehr kapitalstockgedeckte Systeme.Diese Auffassung wird von Experten für grundlegend falsch gehalten. Das zeigt sich am Beispiel der Pensionsfinanzierung:

Jede Erwerbsgeneration muss, egal welches Verfahren angewendet wird, Konsumverzicht leisten, um die junge und die ältere Generation zu ernähren. Wenn die Lebenserwartung der Älteren steigt, muss bei konstanten Beiträgen das Leistungsniveau gesenkt werden oder man erhöht zur Finanzierung eines gleichbleibenden Leistungsniveaus die Beiträge.

Das gilt für das Umlagesystem und das Kapitaldeckungssystem. Damit ist bei beiden Systemen eine grundsätzliche Abhängigkeit davon gegeben, dass die Erwerbstätigen Konsumverzicht leisten, um Mittel für die Versorgung der älteren Generation aufzubringen.

Schaut man sich die Sache genau an, dann sieht man aber die Überlegenheit und die Anpassungsfähigkeit des Umlageverfahrens, denn hier gibt es nur zwei Komponenten zu beachten:

1. Belastungsquotenrisiko
2. Verteilungskosten der Leistungen

Im Kapitaldeckungsverfahren allerdings gibt es viele Kosten und Risikopositionen

    * Abschlusskosten
    * Veranlagungskosten
    * Verteilungskosten
    * Währungsrisiko
    * Veranlagungsrisiko
    * Belastungsquotenrisiko

Das Umlageverfahren ist anpassungsfähig und sicher, daher allen anderen Systemen überlegen. Geschäft ist es keines, für niemanden.

5. Soziale Marktwirtschaft funktioniert nur, wenn Angebot und Nachfrage auf allen Ebenen funktionieren und daher braucht die Marktwirtschaft Regeln, sie braucht aber auch Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände zu ihrem Funktionieren.
Wesentliches Element des europäischen Sozialmodells ist die Wirtschafts- und Sozialpartnerschaft. Sie funktioniert besser als ihr Ruf, ist aber auf EU-Ebene noch ausbaufähig. Nachhaltige Systeme sozialer Sicherheit und wirtschaftlicher Entwicklung beruhen immer auf kooperativen Modellen der Sozialpartner.

Parlamente sind in politischen Fragen kompetent, in ökonomischen Fragen ist die Sozialpartnerschaft kompetenter, das wurde oft bewiesen. In allen Systemen sind Systemlogik und Fachwissen gefragt sowie die Klarheit, dass es eine Konfliktlage zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gibt, die man auch am Verhandlungstisch bewältigen kann. Soziale Sicherheit kostet Geld, schafft aber Sicherheit, Zufriedenheit und Wohlergehen. Wir müssen uns zu neuen Methoden der Finanzierung durchringen.

Lieblingsthema Globalisierung

Die gemeinsamen europäischen Wertvorstellungen von Solidarität, Gleichheit, sozialer Gerechtigkeit, Internationalismus und der Glaube, dass das soziale und das Wirtschaftsleben den menschlichen Bedürfnissen entsprechend gestaltet werden sollten, stimmen stark mit den Werten überein, die der Gewerkschaftsbewegung zugrunde liegen.

Das europäische Sozialmodell sollte sich nicht auf Europa beschränken. Die EU sollte ihre sozialen Werte in allen Handels- und Entwicklungsverhandlungen voll Vertrauen befürworten und sicherstellen, dass europäische Unternehmen diese Standards auch außerhalb der Union anwenden.

Die Herausforderungen der Globalisierung zu meistern und sie im Sinne der arbeitenden Menschen gestalten heißt daher, den Sozialstaat nicht abzubauen, sondern ihn weiter zu entwickeln. Nur so kann ein Rückfall in engstirnigen Nationalismus und Protektionismus verhindert werden.

Nicht alles was schief geht, ist Folge der Globalisierung und nicht jeder Managementfehler, der ein Unternehmen in Grund und Boden fährt, hat die Globalisierung im Hintergrund. Und natürlich tun alle gut daran, sich von dem alten Spruch zu verabschieden: »Wenn die liebe Sonne lacht, hat’s das eigene Land gemacht, gibt es Regen, Sturm und Schnee, war es sicher die EG.« Die negativen Referenden in Frankreich und in den Niederlanden waren ein Weckruf auch für ein soziales Europa.

Alle sollten sich daher dieser Verantwortung bewusst sein.

Was noch zu tun ist

Es muss gelingen, das »sozio-ökonomische Modell Europa« zu entwickeln, das die Erfahrungen der Vergangenheit verwertet, sich aber in neue Gassen bewegt. Dabei ist ein humanistisches Menschenbild nötig, in dem der Mensch nicht nur auf seine Arbeitskraft reduziert wird, die als »Humankapital« am Markt zu handeln ist.

Alle wirtschaftspolitischen Maßnahmen müssen davon ausgehen, dass der Mensch das Subjekt und nicht Objekt der Wirtschaft ist und die Wirtschaft der Gesellschaft zu dienen hat.

Dass die Wirtschaft nicht Selbstzweck ist, wissen auch die so genannten Neoliberalen. Wer das nicht mehr weiß, sind die Anhänger eines »Pekuniarismus«, die ohne jede Moral alles in Geld bewerten und die Sucht nach dem schnellen Geld ausleben.

Ein neues »sozio-ökonomisches Europa« braucht wieder Moral in Wirtschaft und Gesellschaft. Dann wird möglich, dass die Vision einer Entwicklung weltweiter Gerechtigkeit, Friede und Nachhaltigkeit Wirklichkeit wird. Eine globale Partnerschaft (Global-Marshall-Plan), die eine »win-win«-Situation für alle schafft, könnte faire Entwicklungschancen für die ganze Welt bewirken. Man müsste nur eines tun, um sicher über die Runden zu kommen: Man sollte sich nicht Menschen anvertrauen, die so eine dicke Haut haben, dass sie auch ohne Rückgrat aufrecht stehen können.

Sondern jenen Menschen, die genau überlegen, ehe sie etwas tun. Denn jeder Plan, den man nicht ändern kann, ist schlecht.

 

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum