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Kampf um die Arbeitszeit

HINTERGRUND

Welche Rolle spielt die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Überarbeitung der Arbeitszeitrichtlinie? Ist die zu erwartende Aushöhlung der derzeit geltenden arbeitsrechtlichen Mindeststandards unvermeidlich?

Die europäische Richtlinie 93/104/EG sieht Mindeststandards zum Schutz von Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer vor. Die Richtlinie sieht eine Höchstarbeitszeit von durchschnittlich 48 Wochenstunden einschließlich der Überstunden, Ruhezeiten und Pausen sowie einen bezahlten Jahresurlaub vor, um für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer zu sorgen.

Was ist die Arbeitszeitrichtlinie?

Sie findet Anwendung auf alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche. Durch eine Änderung im Jahr 2000 wurde ihr Anwendungsbereich ausgedehnt auf die Bereiche Straßen-, Luft-, See- und Schienenverkehr, Binnenschiff-Fahrt, Seefischerei, andere Tätigkeiten auf See sowie Tätigkeiten der Ärzte in der Ausbildung, die von der Richtlinie ausgenommen waren. Die Maßnahmen zur Anwendung dieser neuen Bestimmungen wurden von den Mitgliedstaaten umgesetzt.

Einige Arbeitnehmergruppen sind nach wir vor von der Richtlinie ausgenommen wie z. B. leitende Angestellte oder sonstige Personen mit selbständiger Handlungsbefugnis, Arbeitskräfte, die Familienangehörige sind und Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die im liturgischen Bereich von Kirchen oder Religionsgemeinschaften beschäftigt sind.

Warum Überarbeitung?

Die Richtlinie sah an zwei Stellen eine Überprüfung vor Ablauf von sieben Jahren vor, ab der für die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten festgesetzten Frist, also vor dem 23. November 2003.

Es handelt sich dabei um die Abweichungen vom Bezugszeitraum für die Anwendung des Artikels 6 (wöchentliche Höchstarbeitszeit 48 Stunden im Durchschnitt) und um die Möglichkeit, diesen Artikel 6 nicht anzuwenden, wenn der Arbeitnehmer sich bereit erklärt hat, eine derartige Arbeit auszuführen (generell bekannt als Opt-Out und nachstehend so bezeichnet).

Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) von 2003 (Rechtssachen SIMAP und JAEGER in der Regel auch PFEIFFER) hatte massive Auswirkungen auf die nationalstaatlichen Arbeitszeitregelungen. In diesen beiden Rechtssachen ging es um die Anrechnung des Bereitschaftsdienstes von Ärzten in Form persönlicher Anwesenheit im Krankenhaus als Arbeitszeit. Einige nationalstaatliche - wie z. B. auch die österreichischen - Arbeitszeitregelungen waren plötzlich mit dem EU-Recht nicht mehr vereinbar. Vor diesem Hintergrund hat die Kommission ein Konsultationsverfahren eingeleitet, in dem zunächst die Frage gestellt wurde, ob die geltenden Rechtsvorschriften geändert werden müssen. Insbesondere vier Regelungsbereiche wurden genauer diskutiert. Die Anwendung des Opt-Out, die Länge der zur Berechnung der Arbeitszeit angelegten Bezugszeiträume, die Definition der Arbeitszeit infolge der Rechtsprechung des EuGH und die Nutzung der Richtlinie als Instrument für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Regelungsvorschlag der Kommission

In einem zweiten Schritt hat die Kommission einen ersten Regelungsvorschlag vorgelegt, der in der Folge in mehreren Ratsarbeitsgruppensitzungen diskutiert wurde. Hinsichtlich des Opt-Out (das heißt, dass die Arbeitszeithöchstgrenze von wöchentlich durchschnittlich 48 Stunden nicht gelten soll) wurde vorgeschlagen, dass grundsätzlich die Tarifvertragsparteien sich einigen sollten, und wo dies nicht möglich sei, sollte dies durch Einzelvereinbarung ermöglicht werden. Weiters sollten die Mitgliedsstaaten und nicht mehr ausschließlich die Tarifvertragspartner den Bezugszeitraum auf zwölf Monate ausdehnen können, und schließlich wurde eine neue Definition von aktiver und inaktiver Zeit des Bereitschaftsdienstes (= Arbeitsbereitschaft) vorgeschlagen, wobei die inaktive Zeit nicht in die Arbeitszeit eingerechnet werden sollte. Eine Konkretisierung, wie die Richtlinie als Instrument zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie eingesetzt werden könnte, wurde nicht vorgenommen.

Die Rolle Österreichs

In den Ratsarbeitsgruppensitzungen hat sich Österreich von Anfang an auffallend deutlich an der Ausrichtung Großbritanniens orientiert. Dies insbesondere in Bezug auf das Opt-Out und die Ausdehnung der Bezugszeiträume. Das ist insofern besonders ärgerlich, da der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit zuständig ist. Von einer ausgewogenen Haltung kann hier wohl nicht mehr ausgegangen werden, wenn sogar die Kommission in ihrer ersten Mitteilung vom 30. 12. 2003 feststellt, dass bei der Umsetzung der Richtlinie nur das Vereinigte Königreich die Möglichkeit des Opt-Out genutzt hat, dass es dort zu einer verbreiteten Übung geworden ist, die Opt-Out-Vereinbarung bei Unterzeichnung des Arbeitsvertrags vorzulegen und »man mit Fug und Recht annehmen kann, dass dann, wenn eine Opt-Out-Vereinbarung gleichzeitig mit dem Arbeitsvertrag unterzeichnet werden muss, die (von der Richtlinie in diesem Zusammenhang geforderte) Wahlfreiheit des Arbeitnehmers durch die Situation, in der er sich in diesem Augenblick befindet, beeinträchtigt ist«.

Ausdehnung der Bezugszeiträume

Eine ebenso eindeutig wirtschaftslastige Position nahm Österreich in Hinblick auf die Ausdehnung der Bezugszeiträume ein. Indem den Mitgliedstaaten eine Regelungsbefugnis ohne sozialpartnerschaftliche Einigung eingeräumt werden soll, werden Gewerkschaft und Arbeitnehmerinteressen deutlich geschwächt. Die Ratsarbeitsgruppe hat sich mit Unterstützung Österreichs darauf geeinigt, dass die Ausdehnung der Bezugszeiträume Sache des Gesetzgebers und nicht der Tarifvertragsparteien sein soll.

Nun könnte man natürlich anmerken, dass die Einigung in der Ratsarbeitsgruppe noch nicht die Einigung im Ministerrat und schon gar nicht zwischen Kommission und Parlament bedeutet, dennoch muss man natürlich sehen, in welche Richtung das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit die Diskussion zu lenken versucht.

Die wirkliche Tragweite dieser Positionierung wird schließlich sehr deutlich, wenn der Zusammenhang zur österreichischen Arbeitszeitdebatte deutlich gemacht wird. Hier seien nur einige öffentliche Äußerungen seitens der Wirtschaftskammer herausgegriffen, um zu zeigen, wie mit unzulässigen Schlussfolgerungen versucht wird, die Diskussion zur Änderung der Arbeitszeitrichtlinie für die nationale Debatte um die Arbeitszeitflexibilisierung zu funktionalisieren.

Die WKÖ behauptet:

In einer Presseaussendung vom 3. 3. 2005 behauptete Leitl:
»EU-Bemühen um Flexibilisierung der Arbeitszeit bestätigt Arbeitgeber-Linie in Österreich.«

Das »EU-Bemühen um Flexibilisierung der Arbeitszeit« gibt es nicht. Es gibt eine Position der Kommission und eine des Parlaments, und die sind sehr unterschiedlich.

Das EU-Parlament hat sehr deutlich die Zielrichtung der Richtlinie wieder in den Vordergrund gestellt, nämlich, dass es um den Gesundheitsschutz und die Sicherheit der ArbeitnehmerInnen geht und damit ein Opt-Out auf Einzelvertragsebene nicht vereinbar ist sowie dass die Verlängerung der Bezugszeiträume branchenspezifisch sinnvoller ist als auf Gesetzesebene.

Arbeitszeitflexibilisierungsintention?

In derselben Presseaussendung vom
3. 3. 2005 wird weiters behauptet, »dass auch Brüssel vorschlägt, den Durchrechnungszeitraum für flexible Arbeitszeiten auf zwölf Monate auszudehnen, beweist einmal mehr, dass die österreichische Wirtschaft mit ihren Forderungen nach einer Lockerung der rigiden Arbeitszeitregelung voll und ganz auf dem richtigen Weg ist (...) Die EU-Vorschläge bedeuten eine wichtige Unterstützung für die Verhandlungen in Österreich«, so Leitl, der abschließend hinzufügt: »Ich gehe davon aus, dass wir die Brüsseler Vorgaben in Österreich noch vor Ablauf dieses Jahres sozialpartnerschaftlich realisieren können. Wir Arbeitgebervertreter werden jedenfalls alles tun, damit auch in Österreich dieses gesamteuropäische Ziel, die Arbeitszeiten flexibler zu gestalten, erreicht und damit ein wichtiger Beitrag zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Österreich geleistet werden kann.«

Kommissionsvorschlag

Der Kommissionsvorschlag ermöglicht eine Ausdehnung der Durchrechnungszeiträume, schlägt eine solche aber keineswegs vor. Außerdem geht es bei der EU-Arbeitszeitrichtlinie ausschließlich um die Definition von Höchstarbeitszeitgrenzen und nicht um die von der österreichischen Wirtschaft angestrebte Lohnsenkung über Änderungen der Regelungen betreffend die Normalarbeitszeit und Überstundenentlohnung. Diesbezüglich äußert sich der Richtlinienvorschlag der Kommission überhaupt nicht.

Verlagerungsintention von KV zu BV?

Leitl äußert in derselben Presseaussendung vom 3. 3. 2005 schließlich noch, die Wirtschaftsseite werde nun alles daransetzen, dieses Mehr an Flexibilität gemeinsam mit den Sozialpartnern vor allem auf kollektivvertraglicher und einzelbetrieblicher Ebene umzusetzen: »Wir wollen jedem einzelnen Betrieb die Möglichkeit geben, flexibel auf Auftragseingänge reagieren zu können. Das ist im Interesse des Standortes Österreich, im Interesse der höheren Wettbewerbsfähigkeit und infolgedessen auch im Interesse der Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen.«

Dass das Interesse der WKÖ an sozialpartnerschaftlichen Lösungen - gerade seit der Arbeitszeit-Richtlinien-Diskussion - enden wollend ist, zeigt sich an diversen Kollektivvertragsverhandlungen Arbeitszeit betreffend, die im Lichte der Arbeitszeitrichtliniendiskussion nur sehr zögerlich vor sich gehen oder abgebrochen werden, da anscheinend ein Ausgang der Debatte im Sinne der Wirtschaft erhofft wird. Die 178 von den 300 Kollektivverträgen, die Flexibilisierungsbestimmungen enthalten, wurden weitgehend davor abgeschlossen.

Arbeitsmarktflexibilität ist nicht gleich Arbeitszeitflexibilität

Leitl weist in der Wirtschaftsbundhomepage1) darauf hin, dass nicht nur die Wirtschaftsforscher flexiblere Arbeitszeiten wegen ihrer positiven Effekte befürworten, sondern auch die EU. So fordere etwa der Bericht der EU-Taskforce »Beschäftigung« unter Vorsitz des Sozialdemokraten Wim Kok ebenfalls mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt, zitiert Leitl aus dem Bericht »Jobs, Jobs, Jobs«: »Damit die Volkswirtschaften in der EU besser auf den Wandel reagieren können, ist ein hohes Maß an Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt notwendig, insbesondere durch moderne Arbeitsorganisation und eine Vielzahl von tarifvertraglichen Regelungen und Arbeitsmodellen (...)«

Arbeitsmarktflexibilität ist keineswegs gleichzusetzen mit Arbeitszeitflexibilität. Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Arbeitszeitregulationen und wirtschaftlicher Prosperität war bislang wissenschaftlich nicht nachzuweisen. Alle seriösen Wissenschaftler weisen auf die Komplexität hin.

Aber jedenfalls bedarf Arbeitsmarktflexibilität anderer Maßnahmen als
einer weitergehenden Flexibilisierung des jetzt schon äußerst flexiblen österreichischen Arbeitszeitrechts. Für mehr Arbeitsmarktflexibilität bedarf es vielmehr spezifischer Bildungsmaßnahmen und Organisationsformen der Arbeitsvermittlung.

 

1) www.wirtschaftsbund.at»Widerstand gegen flexiblere Arbeitszeit verhindert zusätzliches Wirtschaftswachstum«, am 9. 9. 2004

R E S Ü M E E

Wie soll es weitergehen?

Beim Rat am 2. 6. 2005 wurde ein weiterer Kommissionsvorschlag vorgelegt. Dieser stellte eine massive Aufweichung des am 11. 5. 2005 zustande gekommenen parteiübergreifenden Vorschlags des Europäischen Parlaments dar. Trotzdem konnten sich die Minister der Mitgliedsstaaten nicht darauf einigen, weil der Bundesminister Österreichs zusammen mit einigen osteuropäischen Staaten, Italien und Deutschland den »Hardliner« Großbritannien vor allem in Sachen Opt-Out unterstützte.

Da es sich bei dem von der Kommission eingeleiteten Diskussionsprozess um ein so genanntes »Mitentscheidungsverfahren« von Rat und Europäischem Parlament handelt, müssen diese beiden Institutionen einen Kompromiss finden. Da dies nach den Vorgängen in der ersten Hälfte des Jahres nicht besonders aussichtsreich scheint, stellt sich die Frage, ob das Weiterbestehen der derzeit geltenden Richtlinie eventuell die bessere Lösung wäre als eine allenfalls zu erwartende Aushöhlung der derzeit geltenden arbeitszeitrechtlichen Mindeststandards.

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