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Reform des Stabilitätspakts | Alter Wein in neuen Schläuchen

SCHWERPUNKT KURSWECHSEL

Bereits im Jahr 2001 gelangte das konservative britische Wirtschaftsjournal »Economist« zur Ansicht, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt zu verschrotten sei. Unmittelbar vor der Einigung auf eine Neuregelung bekräftige der »Economist« sein Urteil, indem er meinte, dass ein rasches Verschrotten besser sei, als daran herumzupfuschen.

Im Vorfeld der Einigung lagen die Meinungen zur Flexibilisierung des Stabilitäts- und Wachstumspakts weit auseinander: Auf der einen Seite
die Hardliner - wie Finanzminister Grasser -, die strikt am Pakt festhalten wollten, am anderen Extrem die Finanzminister der großen Staaten wie Deutschland und Frankreich, gegen die seit Jahren ein Verfahren wegen Überschreitung der Defizitgrenze von 3% des BIP läuft, und die daher auf eine Aufweichung der Regeln drängten. Am 20. März war es dann so weit. Der Ecofin-Rat hat sich nach vielen Verhandlungsrunden auf die seit langem erwarteten Änderungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts geeinigt. Der Europäische Rat hat diese Änderungen zwei Tage später unverändert angenommen. Hier die Details und eine kritische Einschätzung der Reform des Stabilitätspakts.

Europa krankt am Stabilitätspakt

Mit der Einführung der Währungsunion wurde der Stabilitäts- und Wachstumspakt eingeführt, um zu verhindern, dass die Mitgliedstaaten der Union über zu hohe Budgetdefizite inflationäre Spannungen und einen Druck auf die Zinsen auslösen. Fortan sollten also alle Staaten ausgeglichene öffentliche Haushalte oder Budgetüberschusse haben.

Dieser Pakt und seine immer schärfer werdende Auslegung haben wesentlich dazu beigetragen, dass Europa nach dem Einbruch der Weltwirtschaft in den Jahren 2001 bis 2003 in einer lange dauernden und hartnäckigen wirtschaftlichen Stagnation steckt. Zwar kam es in keinem einzelnen Kalenderjahr zu einem Rückgang der realen Wirtschaftsleistung, aber die ausgeprägte Wachstumsabschwächung über einen Zeitraum von drei Jahren brachte höhere Wohlfahrtsverluste mit sich als die großen Rezessionen der Nachkriegszeit. Die durch den Pakt erzwungenen Ausgabenkürzungen der öffentlichen Hand haben zu einer deutlichen Verschlechterung der Erwartungen von Haushalten und Unternehmen geführt. Ergebnis war und ist eine markante Schwäche der Binnennachfrage im Euro-Raum. Das größte Aggregat der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, der Konsum der privaten Haushalte, blieb in den Jahren 2001 bis 2003 mit einem durchschnittlichen Wachstum von real 1,2% mehr als einen Prozentpunkt unter den langjährigen Vergleichsdaten. Der starke Einbruch der Ausrüstungs- und der Bauinvestitionen hatte wesentlichen Einfluss auf die Wirtschaftskrise.

Gleichzeitig waren die EU-Staaten aufgrund des Diktats des Stabilitätspakts nicht in der Lage, durch eine Ausweitung der öffentlichen Investitionen gegenzusteuern. Diese sind immer noch der zuverlässigste Hebel, um wirksame Wachstums- und Beschäftigungseffekte auszulösen.

Aufgrund dieser Wachstumsschwäche ist die EU daher heute weit davon entfernt, bis 2010 zum stärksten Wirtschaftsraum der Welt zu werden. Viele ihrer ehrgeizigen Lissabon-Zielvorgaben (unter anderem 70 Prozent Gesamtbeschäftigung bis 2010) wird sie verfehlen. Europa verliert damit sowohl gegenüber den USA als auch Asien an Boden. Lissabon droht - so Wim Kok in seiner Zwischenbilanz zur Lissabon-Strategie - zu einem »Synonym für verpasste Chancen und nicht eingelöste Versprechen« zu werden.

Stabilitätspakt weist Fehlkonzeptionen auf

Im Grunde ist der Stabilitätspakt doppelt »gescheitert«: Erstens hat er zu Ausmaß und Dauer der Stagnation beigetragen, und zweitens konnte er einen markanten Anstieg der Budgetdefizite in vielen Mitgliedstaaten nicht verhindern. Mehr als ein Drittel der 25 EU-Mitgliedstaaten wiesen 2004 übermäßige Defizite aus - darunter mit Deutschland und Frankreich die größten nationalen Volkswirtschaften der EU. Es schien also höchste Zeit, die grundsätzlichen Fehlkonzeptionen des Paktes zu ändern. Ein erster Konstruktionsfehler ist die durch den Pakt erzwungene einseitige Ausrichtung der Budgetpolitik auf den Budgetsaldo. Der Zwang zu ausgeglichenen Haushalten erlaubt keine ausreichende Gegensteuerung in wirtschaftlich schlechten Zeiten. Umgekehrt stehen in guten Zeiten die Türen für Steuersenkungen und Ausgabenerhöhungen weit offen. Es bestehen keinerlei Anreize, die Budgets dann zu sanieren, wenn die Steuereinnahmen wieder reichlich in die Staatskassen fließen und die Arbeitslosigkeit sinkt. Durch dieses hartnäckige Festhalten an der fiskalischen Nachhaltigkeit werden andere Ziele der Budgetpolitik, wie die Stabilisierung der Konjunktur, die Förderung des Wachstums, die Verringerung der Arbeitslosigkeit und die ausreichende Bereitstellung von Infrastrukturinvestitionen und verteilungspolitische Ziele hintangestellt. Darin liegt ein zweiter Mangel. Er ist also nur ein Stabilitäts- und kein Wachstumspakt. Drittens schließlich wird der Steuerunterbietungswettlauf im Bereich der Unternehmens- und Kapitalsteuern völlig ausgeblendet.

Die wichtigsten Inhalte der Einigung

Es sind vor allem zwei Bereiche, in denen es zu Änderungen kommt. Die Neuregelungen zielen erstens darauf ab, möglichst zu verhindern, dass es überhaupt zu einer Überschreitung der 3%Grenze kommt (Stärkung des präventiven Arms) und zweitens auf Änderungen im Verfahren für den Fall der Überschreitung der
3%Grenze.

Stärkung des präventiven Arms

Das mittelfristige Haushaltsziel - bisher ausgeglichene Budgets bzw. Budgetüberschüsse - wird neu geregelt. Wegen der wirtschaftlichen und budgetären Unterschiedlichkeit der EU-25 und der zu erwartenden demographischen Veränderungen werden zukünftig länderspezifische wirtschaftliche Charakteristika Berücksichtigung finden. Das sind u. a. die Höhe der Schulden, das Wachstumspotenzial und die Nachhaltigkeit.

Das mittelfristige Haushaltsziel wird für Länder mit niedrigem Schuldenstand und hohem Wachstumspotenzial auf minus 1% des BIP korrigiert. Für Länder mit hohen Schulden und geringem Wachstumspotenzial ändert sich hingegen nichts. Ferner wird betont, dass nachhaltige öffentliche Finanzen langfristig Schuldenquoten auf einem vernünftigen Niveau bedingen.

Für Länder, die dieses mittelfristige Haushaltsziel noch nicht erreicht haben, wird festgelegt, dass sie ihr Budgetdefizit jährlich durchschnittlich um 0,5% des BIP senken müssen. In wirtschaftlich guten Zeiten sollte ein rascherer Abbau des Defizits erfolgen. Damit wird mehr Budgetdisziplin im Konjunkturaufschwung gefordert.

Vom mittelfristigen Haushaltsziel dürfen Staaten auch dann abweichen, wenn große Strukturreformen durchgeführt werden. Unter Strukturreformen werden insbesondere Pensionsreformen verstanden, bei denen ein Umstieg auf ein Pensionssystem mit Kapitaldeckungsverfahren erfolgt.

Mit der Neufestlegung des mittelfristigen Haushaltsziels wird ein dreifaches Ziel verfolgt:

  • Erzielen eines ausreichenden Sicherheitsabstands zur 3%-Defizit-Grenze.
  • Sicherstellung einer raschen Erreichung der Nachhaltigkeit der Budgetpolitik.
  • Zulassen budgetärer Handlungsspielräume, insbesondere des Bedarfs an öffentlichen Investitionen.

Änderungen beim Defizitverfahren

Zunächst wird bekräftigt, dass die Grenzwerte von 3% des BIP für Budgetdefizite und 60% des BIP für die Staatsverschuldung unverändert Geltung haben. Kam es bisher zu einer Überschreitung der 3%-Grenze, dann sah das Verfahren wegen eines übermäßigen Defizits vor, dass die Rückkehr unter diese Grenze umgehend, im Normalfall innerhalb eines Jahres, erfolgen soll.

Dieses Leitprinzip bleibt aufrecht. Neu hingegen ist, dass weitergehende Ausnahmen als bisher zugelassen werden.

Die 3%-Grenze durfte bisher überschritten werden, wenn ein schwerwiegender wirtschaftlicher Abschwung vorlag. Während dafür bisher ein Rückgang des realen BIP von 2% erforderlich war, reicht nun eine negative Wachstumsrate. Darüber hinaus werden weitere Ausnahmetatbestände aufgezählt, die bei der Beurteilung eines übermäßigen Defizits Berücksichtigung finden sollen. Dazu gehören:

  • Maßnahmen zur Erfüllung der Lissabon Agenda sowie Budgetausgaben für F&E und Innovationen;
  • generell die Qualität der öffentlichen Finanzen und öffentliche Investitionen;
  • budgetäre Anstrengungen zur Erhöhung und Aufrechterhaltung eines hohen Niveaus an finanziellen Beiträgen zur Förderung der internationalen Solidarität und zur Erreichung von europäischen Zielen der Politik, insbesondere die Vereinigung von Europa, sofern sie für einen Mitgliedstaat nachteilige Wachstumseffekte und budgetäre Belastungen mit sich bringen. Hierunter fallen vermutlich nicht nur die Kosten für die deutsche Wiedervereinigung, sondern auch die Umstellungskosten der osteuropäischen Volkswirtschaften. Explizit genannt werden beide jedoch nicht.
  • Pensionsreformen mit einem Umstieg auf ein Mehrsäulensystem mit einer verpflichtenden, voll kapitalgedeckten Säule.

Das allumfassende Prinzip bleibt dabei jedoch, dass vor Berücksichtigung dieser Ausnahmetatbestände die 3%-Grenze nur vorübergehend überschritten werden darf und das Defizit nahe am Referenzwert von 3% des BIP bleiben muss. Intern war von 3,5% die Rede.

Erweitert werden schließlich die Fristen für die Rückkehr zu Defiziten unterhalb der 3%-Grenze auf drei Jahre und im Fall einer unerwarteten Verschlechterung der Wirtschaftslage sogar auf fünf Jahre.

Kritik am »Stabilitätspakt neu«

Wer hat sich nun bei den Änderungen durchgesetzt, die Hardliner oder Flexibilisierer? Die Änderungen zeigen, dass eher die Hardliner, die Grassers also, zu den Verlierern im Verhandlungsprozess gehören. Aber reicht das, was die Flexibilisierer herausgeholt haben aus, um die Wachstumsschwäche in Europa zu überwinden? Wurden die Fehlkonzeptionen des Pakts beseitigt? Ist damit der seit Jahren andauernde Streit über die Einhaltung der 3%-Defizit-Grenze aus der Welt? Die Antwort auf alle drei Fragen muss letztlich trotz einiger positiver Ansätze (Neudefinition des schwerwiegenden wirtschaftlichen Abschwungs, Ausnahmetatbestände, Verlängerungen der Fristen zum Defizitabbau) »leider nein« lauten. Warum nicht?

  1. Trotz der vorgesehenen Änderungen wirkt der Pakt in unterschiedlichen Situationen nach wie vor nicht symmetrisch. Durch das Festhalten am Referenzwert von 3% für das Defizit werden im Konjunkturabschwung trotz der vorgesehenen Aufweichungen durch Ausnahmetatbestände (Ausgaben für F&E, Ausgaben für die Einigung von Europa etc.) und einer Fristerstreckung beim Abbau übermäßiger Defizite nach wie vor falsche Anreize gesetzt. Die vorgesehenen Änderungen machen zwar eine Überschreitung der 3%-Grenze möglich, sie sind jedoch sehr schwammig formuliert. Das Ausmaß der Lockerung im Hinblick auf Dauer und Ausmaß der möglichen Überschreitung des Referenzwertes wird daher entscheidend von deren Interpretation abhängen. Diesbezüglich ist ein Tauziehen zwischen der Europäischen Kommission und dem Rat sowie auch innerhalb des Rates zu erwarten. Die unklaren Regelungen begünstigen daher eine Fortdauer des Streits. Umgekehrt fehlen nach wie vor Anreize zur Konsolidierung in wirtschaftlich guten Zeiten.
  2. Die neue Festlegung des mittelfristigen Haushaltsziels ist ebenso wie der Anpassungspfad zu diesem Ziel noch imer sehr rigide festgelegt. Der Ecofin-Rat hat also aus den Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit nichts gelernt. Erleichterungen sind nur für Staaten mit niedrigen Schuldenquoten und hohem Wachstumspotenzial vorgesehen, d. h. also vor allem die neuen Mitgliedstaaten im Osten. Deutschland und Frankreich haben davon gar nichts.
  3. Die öffentlichen Investitionen werden zwar sowohl bei der Festlegung des mittelfristigen Haushaltsziels als auch bei den Ausnahmetatbeständen erwähnt, die »goldene Finanzierungsregel« wird jedoch explizit nicht verankert. Diese würde es erlauben, öffentliche Investitionen über Schulden zu finanzieren, ohne dass diese auf das Defizit angerechnet werden. Die Unvereinbarkeit von Lissabon Agenda und des Pakts wird daher verlängert.
  4. Auch die einseitige Ausrichtung des Pakts auf die fiskalische Nachhaltigkeit bleibt weitgehend erhalten, andere Ziele der Fiskalpolitik bleiben nach wie vor ausgeblendet.
  5. Völlig abzulehnen ist die Berücksichtigung von Pensionsreformen mit einer verpflichtenden kapitalgedeckten Säule bei der Festlegung des mittelfristigen Haushaltsziels und beim Verfahren eines übermäßigen Defizits. Die internationalen Erfahrungen mit kapitalgedeckten Pensionssystemen geben dafür keinerlei Anlass

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Z U S A M M E N F A S S U N G

Der »Stabilitätspakt neu« setzt daher nach wie vor vorrangig auf Stabilität, er wird durch die Neuregelungen zu keinem Wachstumspakt. Da die Fehlkonzeptionen weitgehend bestehen bleiben, reicht das Ausmaß der Flexibilisierung nicht aus, um das zentrale Problem der europäischen Wirtschaft, die schwache Binnennachfrage, zu beheben. Es zeigt sich einmal mehr, dass es nicht der richtige Weg ist, über eine Entschärfung des Pakts nachzudenken, weil die zugrunde liegenden Regeln ökonomisch falsch sind. Damit schließt sich der Kreis zu den Empfehlungen des »Economist«: »Verschrottet den Stabilitätspakt!«

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