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Standpunkt | »Kapitalismus, Heuschrecken ...«

MEINUNGEN

Der Kapitalismus, die Heuschrecken und die Wortakrobatik

Die Entrüstung war groß, als der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering die Wirtschaft kritisierte und zwischen guten und bösen Kapitalisten unterschied:

»Ökonomie zielt bestenfalls indirekt auf das Sozialwesen Mensch, sie kalkuliert die Menschen zwar ein, aber nur in Funktionen: als Größe der Produktion, als Verbraucher oder als Ware auf dem Arbeitsmarkt. Diese abstrakte Logik schlägt sich konkret im Handeln von bestimmten Finanzunternehmen nieder: Die international forcierten Profit-Maximierungs-Strategien gefährden auf Dauer unsere Demokratie … Unsere Kritik gilt der international wachsenden Macht des Kapitals und der totalen Ökonomisierung eines kurzatmigen Profithandelns. Denn dadurch geraten einzelne Menschen und die Zukunftsfähigkeit ganzer Unternehmen und Regionen aus dem Blick. Und die Handlungsfähigkeit der Staaten wird rücksichtslos reduziert.«

Das sagte Müntefering am 13. April. Am 17. April schrieb er in der deutschen »Bild am Sonntag«: »Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten. Sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter. Gegen diese Form des Kapitalismus kämpfen wir.« Ein paar Tage später verstärkte er noch: weil Arbeitnehmer entlassen werden und durch billige ausländische Scheinselbständige ersetzt werden. Unternehmer siedeln »wegen weniger Prozent zusätzlicher Gewinne ins Ausland und lassen ihre Arbeitnehmer mit deren Familien im Stich.« Das »große Geld mit kurzfristigen Profitinteressen« kauft sich in Deutschland ein. Unternehmerethik und soziale Marktwirtschaft hat damit nichts zu tun, sondern das ist »marktradikal und asozial«.

Damit löste Müntefering eine Diskussion aus und einen Sturm im neoliberalen Blätterwald, der in dem Vorwurf gipfelte, der Heuschreckenvergleich stamme aus dem Vokabular des Antisemitismus. Dies scheint mir ziemlich abstrus, denn wenn man alle Metaphern, die von den Nazis je in den Mund genommen wurden, nicht mehr verwenden wollte, wären wir in unserer Ausdrucksmöglichkeit verarmt. (Die »Lingua Tertii Imperii«, die »Sprache des Dritten Reiches« - das gleichnamige Standardwerk von Victor Klemperer ist zu empfehlen - zeichnete sich vor allem durch ständige Wiederholung aus, die zu einer unterschwelligen Beeinflussung führt: »Worte können sein wie Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.«) Die Vorwürfe an Müntefering kamen von zornigen Neoliberalen und sollten wohl von der eigentlichen Diskussion und von den Argumenten ablenken: Es geht um die neoliberale Verhöhnung des Sozialen im Staat.

Und da wiederum ist es doch so, dass der sich Sozialdemokrat nennende Gerhard Schröder und sein Bruder im Geiste Tony Blair in Europa als die treuesten Knechte jenes Kapitals verschrien sind, das jetzt so heftig kritisiert wird.

Appelle an die moralische und gesellschaftliche Verantwortung des Kapitals sind ungefähr so, als wollte man ein Raubtier dazu bringen, künftig Gras zu fressen: »Leeres Wort, der Armen Rechte, leeres Wort, der Reichen Pflicht …« heißt es nicht zu Unrecht in dem alten Arbeiterlied. Was in unserem Staat (und in unserem Europa) an Sozialem noch vorhanden ist, wird tagtäglich von den Neoliberalen verhöhnt.

Wenn also das Soziale wieder im Mittelpunkt unserer Gesellschaft stehen soll, muss man die politischen, die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen. Alles andere ist nur Wortakrobatik.

Zuletzt noch ein Wort zum Kapital vom Verfasser des »Kapitals« (Sie wissen, wen ich meine):

»Kapital hat einen horror vor Abwesenheit von Profit … Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.«

Siegfried Sorz

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