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Die neuen Mitgliedstaaten | Fairness und Kooperation sind gefragt

HINTERGRUND

2005 ist ein Jahr mit vielen Jubiläen. Neben allen innerösterreichischen Feierlichkeiten sollten wir dabei nicht auf die Welt rundherum vergessen. So ist es nun ein Jahr her, dass zehn neue Länder der Europäischen Union beigetreten sind.

Acht dieser neuen Mitglieder sind so genannte Transformations- bzw. Reformstaaten - vor nunmehr 15 Jahren sind aus planwirtschaftlich geführten Ländern westlich-kapitalistische geworden. In ungeheurer Geschwindigkeit fanden und finden hier Entwicklungen statt, die nicht nur für die Länder selbst, sondern auch für die gesamte Europäische Union und nicht zuletzt für Österreich von größter Bedeutung sind. Diese Entwicklungen sollen hier näher beschrieben werden und der Frage nachgegangen werden, welche Auswirkung sie auf das Europäische Sozialmodell haben.

Der Transformationsprozess

1989/90 fiel in den mittel- und osteuropäischen Ländern (MOEL) der Startschuss zu einem unvorstellbar tief greifenden Umbau von planwirtschaftlich organisierten Wirtschaften zu Marktwirtschaften. Dieser Transformationsprozess begann als erstes mit einem dramatischen Wirtschaftseinbruch. Erst in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre konnten die meisten Länder das Wohlstandsniveau vom Ende der Achtzigerjahre wieder erreichen (das ohnehin nicht sehr berauschend gewesen war).

In vielen Fällen wurde die Transformation von westlichen Beratern begleitet, die hier eine weite Spielwiese sahen, neoliberale und radikal-kapitalistische Elemente einzuführen. So war einer der ersten Vorschläge die absolute Preisliberalisierung. Dadurch sollten Märkte erzeugt werden und die Staaten zu Budgetdisziplin erzogen werden.

Fehlendes kapitalistisches Denken

Nicht berücksichtigt wurde dabei, dass es an formellen Institutionen wie z. B. einem ausreichenden Rechtssystem fehlte. Ebenso fehlte es aber auch an informellen Institutionen - die Leute waren nicht an marktwirtschaftliche Mechanismen gewöhnt, ihnen fehlte das kapitalistische Denken, sie wussten nicht, wie man sich Informationen beschaffen kann, etc. Außerdem übersahen die Berater, dass die Wirtschaft nicht von vielen kleinen Unternehmen gekennzeichnet war. Nur unter Bedingungen vollständigen Wettbewerbs kann Preisliberalisierung zu optimalen Ergebnissen führen.

In den MOEL gab es aber vor allem monopolistische Unternehmen - diese hatten die Marktmacht, so dass sie aufgrund der Preisliberalisierung nun die Preise nach ihrem Gutdünken gestalten konnten.

Dies führte einerseits zu hoher Inflation, andererseits zogen sich aber auch viele aus dem formellen Marktgeschehen zurück. Im besten Fall bedeutete dies eine Zunahme von Tauschhandel und Eigenproduktion, im schlechtesten Fall aber Schwarzmarkt, Korruption und Kriminalität.

Schmerzhafte Reformen

Die Regierungen machten sich an das harte und sehr undankbare Werk, die Wirtschaft und ihre Rahmenbedingungen zu reformieren (sehr häufig wurden Regierungen abgewählt, wobei aber auch die jeweils neu gewählten Regierungen, egal von welcher Couleur, die schmerzhaften Reformen weiter vorantrieben).

Und so konnte tatsächlich das Wirtschaftswunder eintreten, dass sich ab Mitte bis Ende der Neunzigerjahre die Wirtschaften deutlich erholten und Wachstumsraten aufwiesen, die klar über jenen der EU-15-Länder lagen. Für ÖkonomInnen ist dabei interessant, dass die gewählten Rezepte (ordnungspolitische bzw. institutionelle Entscheidungen) durchaus unterschiedlich waren und in unterschiedlichem Tempo vorangetrieben wurden. Es gibt aber keinen klar erkennbaren Zusammenhang zwischen den gewählten Rezepten und dem wirtschaftlichen Erfolg.

Getragen wurde der wirtschaftliche Aufschwung in hohem Ausmaß durch steigende Exporte und zunehmende ausländische Direktinvestitionen. Die Verflechtung mit der EU nahm sehr stark zu. Güter wurden ausgetauscht und ausländische Unternehmen gründeten Niederlassungen in den MOEL (siehe Tabelle 1: »Außenhandelsverflechtung 1995-2002«).

1
Außenhandelsverflechtung 1995-2002
  Warenexporte in % des BIP Warenimporte in % des BIP Ausländische Direkt-investitionsströme im Inland, in % des BIP
  1995 2002 1995 2002 1995 2002
EU-15 8,3% 6,5% 7,8% 10,1% 6,8% 12,4%
Tschechien 38,8% 51,9% 45,4% 54,9% 16,2% 47,1%
Estland 45,2% 49,5% 62,6% 65,6% 23,8% 54,0%
Lettland 26,7% 27,6% 40,1% 43,9% 21,1% 27,2%
Litauen 43,0% 42,9% 53,2% 51,6% 10,9% 25,6%
Ungarn 29,0% 53,4% 34,3% 56,6% n. a. 50,1%
Polen 18,4% 24,4% 19,6% 28,1% 9,7% 22,6%
Slowenien 41,8% 47,2% 46,3% 48,5% 11,6% 16,9%
Slowakei 44,5% 59,5% 45,2% 68,0% 9,1% 32,2%
Quelle: EUROSTAT; eigene Berechnungen

Kranker Arbeitsmarkt

Was sich allerdings bis heute nicht erholt hat und wo es auch kaum Zeichen dafür gibt, dass es in absehbarer Zeit zu einer Verbesserung kommen wird, ist der Arbeitsmarkt. Hierbei gibt es drei Problembereiche:

  • schlechtere Arbeitsbedingungen
  • gesunkene Erwerbsbeteiligung
  • steigende Arbeitslosigkeit

Im Kommunismus hatte man Arbeitsverträge mit dem Staat. Die Beschäftigung wurde künstlich hoch gehalten. Mit dem Übergang zu radikal-kapitalistischen Systemen wurden nicht ausreichende arbeitsrechtliche Bedingungen geschaffen. Die Arbeitsplatzsicherheit und die Arbeitsbedingungen verschlechterten sich dramatisch: Hire-and-fire-Praktiken wurden gang und gäbe, und es kam zu einer Machtverschiebung weg von den Gewerkschaften hin zu einigen wenigen Managern. Die Gewerkschaften bekamen weder politische Unterstützung von Seiten des Staates noch waren sie von den ausländischen Investoren gerne gesehen.

Arbeitslosigkeit

Der oben beschriebene Zusammenbruch und die Zunahme des informellen Bereichs spiegelte sich in drastisch fallender Erwerbsbeteiligung wieder. Insbesondere Frauen zogen sich in hohem Ausmaß vom offiziellen Arbeitsmarkt zurück (siehe Tabelle 2: »Arbeitsmarkt 2003«). Die Erwerbsbeteiligung von Frauen im Kommunismus war im internationalen Vergleich sehr hoch gewesen, wenn auch auf bestimmte Sektoren konzentriert. Mit dem Umbau zur Marktwirtschaft sank diese Erwerbsbeteiligung, Lohnunterschiede nahmen stark zu und die Unterschiede zu den Männern sowohl in den sektoralen als vor allem auch in den beruflichen Positionen wurden ebenfalls tendenziell größer.

2
Arbeitsmarkt 2003
  Erwerbsquote Erwerbsquote Frauen Erwerbsquote Älterer Arbeits-
losigkeit 2004
Jugend-
arbeits-
losigkeit
Langzeit-arbeits-losigkeit
EU-25 63,00% 55,10% 40,20% 9,00% 18,40% 4,00%
Tschechien 64,70% 56,30% 42,30% 8,30% 18,60% 3,80%
Estland 62,90% 59,00% 52,30% 9,20% 23,40% 4,60%
Lettland 61,80% 57,90% 44,10% 9,80% 17,90% 4,30%
Litauen 61,10% 58,40% 44,70% 10,80% 26,90% 6,10%
Ungarn 57,00% 50,90% 28,90% 5,90% 13,50% 2,40%
Polen 51,20% 46,00% 26,90% 18,90% 41,20% 10,70%
Slowakei 57,70% 52,20% 24,60% 18,00% 33,80% 11,10%
Slowenien 62,60% 57,60% 23,50% 6,00% 15,70% 3,40%
Quelle: Eurostat

Und schließlich stieg und steigt trotz wachsender Wirtschaft die Arbeitslosigkeit. Dies liegt daran, dass das Produktivitätswachstum in den MOEL besonders hoch ist. Von einem sehr niedrigen Niveau machen sie einen rasanten Aufholprozess durch. Die ökonomische Logik bestätigt sich hier: Wenn das Produktivitätswachstum höher ist als das Wirtschaftswachstum, verschärft sich die Arbeitslosigkeit (es wird zur Produktion selbst einer steigenden Gütermenge immer weniger Arbeitskraft benötigt). Es erfolgt eine starke Umverteilung zugunsten der Gewinne.

Armut steigt, Lebenserwartung nicht

Und so geht es den Menschen in diesen Ländern trotz ihrer erstaunlichen Wachstumsperformance zu einem großen Teil bis heute nicht besonders gut. Der Zusammenbruch ließ in den ersten Jahren nach 1990 die Armut hochgehen, die Einkommensungleichheiten steigen und die Lebenserwartung sinkt. Vor allem nahmen die Unterschiede zwischen den Regionen sehr stark zu: Die Hauptstädte entwickelten sich zu Zentren des neuen Wohlstandes, die peripheren Regionen verarmten. Der Gesundheitszustand der Bevölkerung verschlechterte sich, Obdachlosigkeit nahm zu, die sozialen Bedingungen für Kinder wurden deutlich schlechter. Auch die Zunahme der mehr als zweifelhaften, wenn nicht sogar oft erzwungenen Beschäftigung in der Sexindustrie ist ein deutliches Anzeichen für Verarmung und Auseinanderdriften von Arm und Reich.

Es gab und gibt keine sozialen Sicherungssysteme, die diese Entwicklung abfangen können. Im Kommunismus war die soziale Sicherheit stark mit dem Arbeitsplatz verbunden. Da dieser ja garantiert war, gab es kaum soziale Risiken im westlichen Sinn. Außerdem gab es sehr viele soziale Sachleistungen (Kinder-, Alten-, Krankenbetreuung, …). Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus waren diese nicht mehr leistbar und wurden auch nicht durch Geldleistungen ersetzt, da diese weder von Arbeitgeber noch von Arbeitnehmerseite finanzierbar gewesen wären.

Gesundheitswesen, Pensionssystem

Die sozialen Sicherungssysteme wurden statt dessen auf Druck der Berater von Währungsfonds und Weltbank stark nach angloamerikanischem Muster ausgerichtet (im Fachjargon spricht man hier von »liberalen« Sozialmodellen im Gegensatz zu »sozialdemokratischen« Sozialmodellen wie in Skandinavien oder »konservativen« Sozialmodellen wie in Österreich und Deutschland). Mindestsicherung steht dabei im Vordergrund, die Sozialsysteme sind nur auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtet. Umverteilung findet wenig statt und die Arbeitswilligkeit ist unbedingte Voraussetzung. Dies betrifft Arbeitslosenversicherung ebenso wie Gesundheitswesen und Familienleistungen. Die Pensionssysteme sind zu einem großen Teil privatisiert bzw. auf Drei-Säulen-Modelle ausgerichtet.

Daseinsvorsorge privatisiert

Die Beitrags- und Steuerausfälle Anfang der Neunzigerjahre gepaart mit den neoliberalen Einflüsterungen führten also dazu, dass sich in allen MOEL der Staat weitestgehend aus seiner aktiven Rolle zurückzog. Die öffentlichen Ausgaben und Investitionen nicht nur in die soziale, sondern auch in die öffentliche Infrastruktur fielen dramatisch. Die so genannten öffentlichen Dienstleistungen (auch Daseinsvorsorge genannt) wurden in hohem Ausmaß privatisiert - ein Prozess, der auch sehr stark von der Europäischen Union unterstützt wurde (siehe auch weiter unten).

Reformstaat ist nicht gleich Reformstaat

Der beschriebene Transformationsprozess stellte sich in den verschiedenen Reformstaaten sehr unterschiedlich dar. Dies beginnt bei unterschiedlichen Praktiken der Privatisierung (Ungarn beispielsweise orientierte sich an der deutschen Treuhandanstalt, Estland verkaufte an ausländische Großinvestoren, Tschechien und Litauen setzten auf Privatisierungen über die Börse, etc.).

Die Wachstumsentwicklung gestaltete sich ebenfalls recht unterschiedlich: Einerseits ist dies auf ein unterschiedliches Ausgangsniveau zurückzuführen. Polen, die Slowakei und die baltischen Staaten haben einen sehr großen Aufholprozess, ihre Wachstumsraten sind daher besonders hoch. Slowenien, das vom höchsten Anfangsniveau ausging, hat zwar ein stetiges, aber im Vergleich zu den anderen neuen Mitgliedstaaten (NMS) moderates Wachstum. Auch die eher wohlhabenderen Länder Tschechien und Ungarn wachsen nicht übermäßig schnell.

Auch die Arbeitslosigkeit stellt sich unterschiedlich dar - Slowenien, Ungarn und Tschechien wiederum haben landesweite Arbeitslosenquoten, die unter oder nahe dem EU-Durchschnitt liegen, in Polen und der Slowakei ist sie mehr als doppelt so hoch. Hinzu kommen noch sehr starke regionale Unterschiede - vier der europäischen Regionen mit der höchsten Arbeitslosigkeit liegen in Polen.

Die Bedeutung des Außenhandels und der dabei verfolgten Politik ist ebenfalls von Land zu Land verschieden. Dies zeigt sich in unterschiedlichen Wechselkursregimes (von flexiblen Kursen über Managed Floating bis hin zu festen Wechselkursen) und an unterschiedlichen Steuer- und Subventionsanreizen für ausländische Investoren. Dementsprechend trägt die Außenhandelsverflechtung auch in unterschiedlichem Ausmaß zur Wachstumsperformance bei.

Der EU-Beitritt

Mitte der Neunzigerjahre stellten die MOEL ihre Beitrittsansuchen an die Europäische Union.

Die Anreize dafür sahen sie vor allem in der dadurch gegebenen Öffnung zum riesigen europäischen Markt, in der Möglichkeit der Mitentscheidung und auch in den Transferzahlungen.

Wie auch alle anderen Neubeitritte zur EU mussten sie zunächst schrittweise den Acquis Communitaire übernehmen - das Regelwerk der EU. In mancher Hinsicht bedeutete das ein Einbremsen des Liberalisierungsprozesses - es kam zu Reregulierungen, im Umwelt- und teilweise im Sozialbereich, im Wettbewerbs- und Subventionsrecht. Neue Ämter und Behörden entstanden ebenso wie eine Verwaltungselite.

Auf diese konzentriert sich das ExpertInnenwissen, womit wiederum notwendiges Know-how von den wohlfahrtsstaatlichen Institutionen abgezogen wird.

US-amerikanische Berater

In anderer Hinsicht bedeutete der Beitrittsprozess lediglich, dass die bislang US-amerikanischen Berater (bzw. Weltbank und Währungsfonds) von den Binnenmarkt-Priestern der Europäischen Union abgelöst wurden. Dies betrifft insbesondere die bereits oben erwähnten öffentlichen Dienstleistungen.

Zu einem sehr großen Teil sind diese heute privatisiert - Energiesektor, Telekommunikation, Personennah- und -fernverkehr sind in den meisten Ländern bereits in privater Hand, Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen folgen.

Dies hat alle in diesem Zusammenhang immer wieder diskutierten Konsequenzen: teilweise Verbilligung von Leistungen, häufig aber Einschränkung des allgemeinen Zugangs, unterschiedliche Qualität für unterschiedliche Zahlungsfähigkeit und negative Effekte auf Verteilung und Beschäftigung.

Kaltstart und kontraktiver Impuls

Die Europäische Union hat sowohl den Transformations- als auch den Beitrittsprozess mit verschiedenen Programmen unterstützt. Mit dem Beitritt selbst am 1. Mai 2004 ist also im Endeffekt nicht sehr viel Neues passiert. Einige Schutzbestimmungen fielen weg, ansonsten war die Öffnung bereits in den vergangenen Jahren erfolgt bzw. verlängern Übergangsfristen noch den Beitrittsprozess über das Jahr 2004 hinaus.

Änderungen dürfte es allerdings im Subventionswesen geben - die EU-Wettbewerbspolitik legt ein enges Korsett an die Industriepolitik. Es ist anzunehmen, dass sich der Zustrom an ausländischen Investoren dadurch verlangsamen dürfte, da ihnen nicht mehr solche Zugeständnisse wie vor dem Beitritt gemacht werden können.

Der nächste Schritt könnte (und sollte nach dem Willen der Regierungen) der Beitritt zur Währungsunion sein. Dafür müssten aber die strengen Konvergenzkriterien übernommen werden. Diese sind neben den in Österreich viel diskutierten Defizit- und Schuldenkriterien Wechselkursstabilität und niedrige Inflation.

KritikerInnen fürchten hier ein Abwürgen des Wachstums: Schnell wachsende Wirtschaften haben im allgemeinen höhere Inflationsraten. Diese sind notwendig, damit auch weniger produktive Sektoren und vor allem auch die Lohneinkommen am steigenden Wohlstand profitieren können.

Ebenso ist es günstig, sich über flexible Wechselkurse noch einen gewissen Anpassungsspielraum zu erhalten, insbesondere, wenn die Wirtschaftsstrukturen noch nicht sehr angeglichen sind. Der bekannte deutsche Volkswirt Hans-Werner Sinn, der nicht gerade als Kapitalismuskritiker bezeichnet werden kann, spricht hier von der Gefahr eines »Kaltstartes« - der Beitritt zur Währungsunion bzw. das strikte Einhalten der Konvergenzkriterien bedeutete einen stark kontraktiven Impuls für die wachsenden Wirtschaften Mittel- und Osteuropas.

Das wäre nicht nur wirtschaftlich, sondern vor allem auch politisch hoch riskant. Die Bevölkerung steht, wie bereits ausgeführt, ohnehin abwartend skeptisch dem Transformations- und Beitrittsprozess gegenüber.

Die Einschätzung der allgemeinen Lebenssituation wird deutlich schlechter als im EU-15 Durchschnitt gesehen (siehe Tabelle 3: »Eurobarometer«), nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten sieht den Beitritt zur EU als nutzbringend.

3
Eurobarometer
  allgemeine Lebenssituation Hat Beitritt Nutzen gebracht?    
  zufrieden unzufrieden ja nein
EU-15 84 16 53 35
Tschechien 78 21 42 41
Estland 70 30 56 31
Lettland 55 44 51 36
Litauen 54 44 78 9
Ungarn 50 49 48 33
Polen 71 28 55 30
Slowenien 90 10 58 28
Slowakei 59 40 62 25
Quelle: Eurostat

WIE SOLL ES WEITERGEHEN

Die Antwort auf die Frage, wie es weitergehen soll, ist alles andere als trivial. Zu unterschiedlich sind die zu lösenden Probleme. Einigermaßen sicher scheint aber zu sein, dass ohne Kooperation, und zwar aller Seiten, der Beitrittsprozess für alle Beteiligten negative Konsequenzen haben dürfte.

Der Wachstumsprozess der NMS muss als Chance für die EU begriffen werden. Dafür darf er aber nicht abgewürgt werden. Die NMS sind an den Umverteilungsmechanismen der Union zu beteiligen, sie wiederum müssen Umwelt- und Sozialauflagen einhalten.

Die Reformstaaten dürfen nicht einfach die verlängerte Werkbank der EU-15 werden. Diese Länder waren ehemals im »Ostblock« Produzenten von vergleichsweise Qualitätsprodukten mit einer relativ hoch qualifizierten Bevölkerung (bis heute ist der Anteil jener mit Sekundärabschlüssen in den neuen Mitgliedstaaten deutlich höher als in den EU-15-Ländern). Die Empfehlungen der EU zur Strukturpolitik zeigen ein sehr schlechtes Zusammenpassen der Ausbildungen mit den Anforderungen des Arbeitsmarktes - es kann vermutet werden, dass es sich hier häufig um ein Überqualifizierungsproblem handelt.

Auch die Unternehmen, insbesondere die ausländischen Investoren, sind hier stark gefordert: Die hohen Produktivitätszuwächse müssen auch in die Taschen der ArbeitnehmerInnen wandern.

Ganz wesentlich wird sein, dass die gesamte Makropolitik Europas, allen voran der Stabilitätspakt und die Politik der EZB modifiziert werden. Wenn das Wachstum in den EU-15 wieder anspringt, wird dadurch auch der Spielraum für die NMS größer.

In diesem Zusammenhang muss es als unverantwortlich bezeichnet werden, wenn die EU beispielsweise Ungarn im Strukturreport 2004 empfiehlt, Lohnmoderation zu üben, um seinen Wettbewerbsvorteil zu erhalten. Ein Lohndumping- und Steuerwettbewerb nach unten gefährdet massiv das Europäische Sozialmodell.

Der nächste Schritt im Transformationsprozess muss also auch für die NMS heißen, dass die Wohlstandszuwächse durch stabile Sozialsysteme und eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik an alle verteilt werden.

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