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Die Zukunft gestalten, nicht erdulden!

SCHWERPUNKT

Arbeit & Wirtschaft - Interview Siegfried Sorz spricht mit Fritz Verzetnitsch

Arbeit&Wirtschaft: Der ÖGB ist älter als die Zweite Republik, um 12 Tage. Wenn auch die Lage für die lohnabhängig arbeitenden Menschen jetzt besonders schwierig ist, so denke ich doch, dass wir mit Stolz zurückblicken können auf 60 Jahre Österreichischer Gewerkschaftsbund.
Fritz Verzetnitsch: Es hat nichts mit Selbstbeweihräucherung zu tun, sondern ist ein Leistungsbeweis für die Generationen seit dieser Gründungszeit: Nämlich die Grundziele der Gewerkschaftsbewegung jeden Tag ernst zu nehmen, im Betrieb, in Diskussionen, in Verhandlungen mit den Kollektivvertragsparteien, mit der Politik, die soziale, wirtschaftliche und auch kulturelle Interessenslage der arbeitenden Menschen immer als Ziel vor Augen zu haben. Das beginnt in der Frage der Arbeitszeit, von der 48-Stunden-Woche, der Samstagsarbeit generell bis heute im Prinzip auch unter der 40-Stunden-Woche, das beginnt beim Urlaub, beim Einkommen, bei sozialrechtlichen Verbesserungen. Denke nur an Entwicklungen der letzten Zeit, wenn es um die Abfertigung Neu geht oder um die Frage des »ArbeitnehmerInnenschutzes«. Da sind wohl Erfolge erreicht worden. Aber der größte Erfolg, den ich persönlich für die Gewerkschaftsbewegung sehe, sind die jährlich zu verhandelnden Kollektivverträge, die ja nicht nur einen Einkommenszuwachs für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeuten, sondern darüber hinaus auch sozialrechtliche Besserstellungen bringen. Ich zähle dazu aber auch das Engagement der Gewerkschaftsbewegung, in der Frage der beruflichen Bildung immer wieder Fortschritte zu erzielen. Darüber hinaus auch eine Herausforderung, die auch die wandelnden Aufgaben der Gewerkschaften darstellt. Zum Beispiel innerhalb der letzten 60 Jahre vor allem gegen Ende dieser Zeitspanne der verstärkte Einsatz der Gewerkschaften, internationale Tätigkeit nicht nur zum Studium der unterschiedlichen Systeme kennen zu lernen, sondern in der Mitarbeit, ob das nun die Interregios sind, also die Arbeitsgemeinschaften der Gewerkschaften über die Grenzen hinweg, oder ob das direkte Bildungsmaßnahmen sind, die die österreichische Gewerkschaftsbewegung in Verbindung mit anderen Gewerkschaften Mittel- und Osteuropas vornimmt. Ob es die Mitarbeit im Europäischen Gewerkschaftsbund ist, ob es die direkte Beteiligung an Konferenzen, Tagungen, aber auch Verhandlungen auf europäischer Ebene zur gleichwertigen Ordnung der sozialen Grundrechte anlangt. Überall dort sind Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter tätig.

Vielleicht dabei insofern nicht gerade erfolgreich, wenn es darum geht, die gemeinsamen erfolgreichen Ziele auch in der Öffentlichkeit bewusst zu machen. Vor allem in einer Zeit, wo innerhalb von 30 Sekunden die Welt erklärt werden soll, haben es Gewerkschaften oft schwer, die täglichen Erfolge, die erreicht werden, auch tatsächlich an den Mann und an die Frau zu bringen.

Was zurzeit stattfindet, nennen Kritiker eine Enteignung des sozialen Eigentums. Einerseits geht es um die Erhaltung und den Ausbau des Sozialstaats und um ein gerecht finanziertes Gemeinwesen. Andererseits wohl auch um eine neue Art der Solidarität, wo man nicht mehr Arbeitnehmer gegeneinander ausspielen kann.
Ich weiß nicht, ob man Arbeitnehmer gegeneinander ausspielen kann. In einer Zeit, wo man mit Schlagwörtern wie: »Ist es sozial gerecht, dass manche in Frühpension gehen können und andere bis 65 arbeiten müssen?« oder wie das der Finanzminister anlässlich seiner Budgetrede für mich bemerkenswert wahrscheinlich unbewusst zum Ausdruck gebracht hat: »Ja, wir haben ein Problem mit der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer, das ist uns bewusst, daher haben wir als ersten Schritt das Pensionsantrittsalter hinaufgesetzt.« Nachzulesen in der Budgetrede des Finanzministers. Es zeigt sich hier sehr deutlich, dass man direkt am Problem vorbeiredet. Das gilt für die gesamte Arbeitsmarktpolitik in unserem Lande, dass sie eher beurteilt und besprochen wird als dass aktives Handeln angesagt ist. Wenn zum Beispiel als Faktum bekannt ist, dass 13.000 Jugendliche zurzeit ohne einen Hauptschulabschluss in der Arbeitslosenstatistik registriert sind, dann sollte das meiner Meinung nach eine der wesentlichsten Herausforderungen sein gerade für diese betroffenen Menschen, den Hauptschulabschluss nachzuholen. Das ist als Herausforderung zu sehen und nicht nur zu kommentieren. Unter dem Titel »Wir müssen den Sozialstaat neu ordnen« wird der Eindruck erweckt, dass wir uns diesen Sozialstaat nicht mehr leisten können. Dabei fällt völlig unter den Tisch, dass durch Veränderungen in der Arbeitswelt - mehr Teilzeitbeschäftigte, mehr geringfügig Beschäftigte statt Vollzeitarbeitsplätze - natürlich auch die Beitragsleistung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch der Unternehmer für die Sicherung der sozialen Netze zurückgeht und daher eine Debatte über wertschöpfungsbezogene Abgaben ein absolutes Muss für die Zukunft darstellt. Man muss viel mehr auf diese Kernpunkte eingehen und nach Lösungen suchen und sie herbeiführen als nur einen Zustand beschreiben.

Schwerpunkt unserer letzten Ausgaben waren die Löhne. Da haben Experten der Arbeiterkammer nachgewiesen, dass die Profite zwar kräftig gestiegen sind, während die Einkommen im selben Prozentsatz gesunken sind. Also zehn Prozent plus/minus. Auch der zuletzt bereits abgeschmetterte Versuch mit der Änderung des Arbeitszeitgesetzes ging ja in die selbe Richtung, weil die Leute noch mehr arbeiten sollen ums selbe Geld, was ja eine Einkommensminderung bedeutet. KV-Verhandlungen werden nicht einfach sein. Diese Experten haben nachgewiesen, dass die Profite nicht zur Schaffung von Arbeitsplätzen investiert wurden, sondern in die Finanzmärkte geflossen sind. Uns wird immer eingeredet »Haltet noch ein bisschen still, dann können wir endlich Arbeitsplätze schaffen«, aber das geschieht nicht.
Ich glaube, dass hier einfach vieles nicht so rund läuft, wie es eigentlich laufen sollte. Es gibt innerhalb der Gewerkschaftsbewegung kaum jemand, der z. B. die Lissabonner Ziele, wie sie originär formuliert worden sind, als schlecht empfindet, wenn es darum geht, mehr Wachstum, mehr Beschäftigung im Sinne einer nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung zu fordern. Auch bei dem zweiten Schwerpunkt auf der europäischen Ebene, nämlich dem Stabilitäts-, Wachstums- und Beschäftigungspakt, vergisst man meistens das dritte Kapitel in diesem Zusammenhang zu erwähnen - eben die Beschäftigung. Da gibt es kaum jemand, der dagegen spricht. Unrund zu laufen beginnt es dort, wo nach wie vor die Frage der Geldmachtstabilität ausschließlich im Vordergrund steht, ohne die Zusammenhänge auch entsprechend darzustellen. Es ist doch seltsam, dass Wirtschaftswissenschafter und Finanzmarktexperten in Europa immer wieder betonen, dass im Vergleich zu anderen Kontinenten vor allem die Nachfrage das größte Problem ist. Also die Kaufkraft, das Geld im Geldbörsl oder auf dem Konto von Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer. Es ist nicht so, dass Europa an Geldmangel leidet. Wir haben genügend Geld im Umlauf. Die Frage ist nur, ob es in den richtigen Händen ist. Jene, die über große Einkommen verfügen, die einen Reichtum haben, investieren kaum in produktive Investments, sondern wie erwähnt in Finanzkapital. Jene, die große Einkommen haben, investieren, kaufen nicht in dem Ausmaß, wie es für die Belebung der europäischen Wirtschaft notwendig wäre, sondern veranlagen das. Daher ist es wesentlich notwendiger, wenn man Wachstum haben möchte, dass die Binnennachfrage und damit die Kaufkraft der Leute gefördert wird. Wenn man immer wieder darauf hinweist, dass Löhne in anderen Kontinenten billiger sind, dann ist das ein Wettbewerb, den man nie gewinnen kann. Es mag schon zum Nachdenken anregen, warum eigentlich Manager, aber auch Politiker nicht bereit sind, zu den Bedingungen asiatischer oder mittel- und osteuropäischer Länder selbst zu leben. Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern werden diese aber zugemutet. So kann die Welt sich nicht in Weiterentwicklung bewegen, wenn man einen solchen Weg geht.

Die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie noch nie. Mir hat man vorgerechnet, wenn man alle einbezieht, die herausfallen aus der Statistik, weil sie in Fortbildungs- und sonstigen Maßnahmen sind, haben wir weit über 400.000 Arbeitslose. Jedenfalls sind es zu viele, und die Gegenmaßnahmen sind eigentlich eher flau.
Ich sehe da drei große Herausforderungen. Erstens nimmt das industrielle Arbeitsvolumen insgesamt ab und nicht zu. Produktivitätssteigerung führt nicht automatisch dazu, dass es mehr Beschäftigungen gibt. Der einzige Sektor, wo zusätzliche Arbeitsplätze in größerer Zahl zu erwarten sind, ist im so genannten Dienstleistungssektor und hier vor allem im Gesundheits- bzw. Betreuungsbereich. Da stößt man aber wieder an die in der Gesellschaft derzeit nicht vorhandene Bereitschaft, hier auch entsprechend Mittel zur Verfügung zu stellen. Wir haben es dort entweder mit Niedriglöhnen zu tun oder aber mit der allgemeinen politischen Diskussion: »Wir können uns die Sozialsysteme nicht leisten.« Da gibt es ein Spannungsfeld.

Der zweite Schwerpunkt ist die Frage: Welches Wachstum haben wir eigentlich? Da hat man sich im Jahr 2000 auf die Lissabonner Ziele geeinigt, dass vor allem in Hinblick auf die Entwicklung Europas die osteuropäischen Länder bis hin zur Ukraine eigentlich eine große Wachstumsreserve darstellen und dass damit sich auch die Möglichkeit bieten würde, neue Märkte zu eröffnen. Wer aber neue Märkte unter dem Titel »Geiz ist geil« erringen will, der wird sicherlich da nicht sehr erfolgreich für die Zukunft agieren können.

Dritter Schwerpunkt ist die Frage Forschung, Entwicklung, Bildung. Ich bin überzeugt davon, dass gerade Österreich hier eine gute Ausgangschance hätte, durch die kleinbetriebliche Struktur - nämlich fast 90 Prozent der österreichischen Unternehmen haben weniger als zehn Beschäftigte - in Verbindung mit einer sinnvollen Netzwerkmatrix zwischen Forschung, Entwicklung und dieser Struktur in der Nischenpolitik sehr erfolgreich zu sein. Man merkt ja, dass es immer wieder Unternehmen in unserem Lande gelingt, mit verschiedenen Produkten große Erfolge zu erzielen. Hier müsste eigentlich mehr getan werden. Das schließt aber auch mit ein, dass man eben nicht in dem derzeitigen Bildungsstand verharren kann und die unselige Linie fortsetzt, indem man sagt, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben nicht die ausreichende Bildung, wir müssen uns von ihnen trennen, sie werden arbeitslos. Man übergibt sie sozusagen wieder der Allgemeinheit, um den Bildungsstandard herbeizuführen, der für die heutige Wirtschaft notwendig ist, um gleichzeitig dann diesen Personen vorzuwerfen, dass sie über zu wenig Praxis in den Betrieben zu verfügen. Es wäre wesentlich sinnvoller, wenn in einem Wirtschaftsbereich erkennbar ist, dass er keine Zukunft hat, dass man, bevor man diese Leute arbeitslos macht, am Ort selbst versucht, noch während einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis auf neue Herausforderungen einzugehen. Es ist ja nicht so, dass wir die Fachkenntnisse haben verrotten lassen. Wenn man sich ansieht, wie hoch die Zahl der derzeit Arbeitslosen ist, die zumindest über einen Lehrabschluss, also über eine Fachausbildung verfügen, muss man sich trotzdem die Frage stellen, inwieweit diese Fachausbildung mit den Herausforderungen der Wirtschaft übereinstimmt. Wenn man jedes Jahr - und das seit fast 30 Jahren - feststellen kann, dass die Berufssparte der Einzelhandelskaufleute, der Friseurinnen und Friseure, der Automechaniker und Automechanikerinnen die absoluten Renner sind, aber die Wirtschaft sich in völlig andere Wissensbereiche entwickelt, dann muss man sich auch die Frage stellen: Bilden wir hier nicht am Bedarf vorbei zukünftige Arbeitslose aus? Daher glaube ich, dass eben diese Verbindung Forschung, Entwicklung, Bildung ein sehr wesentlicher Faktor ist. Wie gesagt, 13.000 Jugendliche ohne Hauptschulabschluss sind eine Herausforderung, die bewältigbar ist.

Ich höre da aber auch heraus, dass es schon ganz wichtig wäre, dass die Kollektivabschlüsse, die ja die Gewerkschaften tätigen, nicht unter der Inflationsrate sind, dass man die Kaufkraft der Arbeitnehmer stärkt.
Das ist absolut richtig. Es ist ja nicht nur im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, dass sie ihren gerechten Anteil am gemeinsam erarbeiteten wirtschaftlichen Erfolg haben, es muss auch im Interesse der Unternehmer sein. Ich kann dieses Gejammer über die fehlende Binnennachfrage nicht mehr hören, wenn gleichzeitig von derselben Wirtschaft die Forderung nach Vorsicht und Zurückhaltung bei den Löhnen erhoben wird. Wenn man sich Lohnpolitik nicht nur in Österreich, sondern in Europa insgesamt ansieht, kann man ja mit Fug und Recht behaupten, dass die Gewerkschaften in der Erkenntnis, dass natürlich die Lohnstückkosten einen ganz wesentlichen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit haben, versucht haben, hier immer eine Lohnpolitik, die sich an verschiedenen Pfeilern orientiert, zu erhalten: Nämlich einerseits die Inflationsrate, andrerseits die Produktivität und die Leistbarkeit einer Branche nachhaltig zu beeinflussen. Das hat ja dazu geführt, dass in mehr als den letzten zehn Jahren im Durchschnitt gesehen die Lohnpolitik in Europa sich so darstellt, dass sie etwa einen Prozentpunkt unter dem Produktivitätswachstum gelegen ist. Das größte Problem ist eigentlich, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer permanent Vorleistungen erbringen, aber die Wirtschaft diese Vorleistungen nicht honoriert, sondern dann noch argumentiert, wir brauchen die Gewinne, um für schlechte Zeiten vorzubeugen. Hier kann nicht nur einseitig belastet werden. Hier muss man sich, auch wenn das etwas literarisch klingt, die Frage stellen: Wer kann denn tatsächlich zur besseren Finanzierung der sozialen und gesellschaftlichen Notwendigkeiten beitragen? Können das immer nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Oder muss es hier nicht wieder zu einer gerechteren Verteilung kommen zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Arbeitgebern?

Es kommt aber in einigen Bereichen so weit, dass es wirklich Erpressungen gibt, wenn die Unternehmen sagen, entweder ihr verzichtet auf Lohnteile oder wir siedeln in den Osten, wo es eben billiger ist. Das ist eigentlich eine ziemlich kalte Erpressung.
Ja, aber da kann man meiner Meinung nach nur mit einem sehr alten Spruch antworten: »Autos kaufen keine Autos.« Genau um dasselbe geht es hier. Wer Konsumenten in Europa haben will, muss diesen Konsumenten auch die Möglichkeit geben, hier unter fairen Bedingungen zu arbeiten und auch ein Einkommen zu haben, mit dem man auskommen kann. Sonst stört man in Wirklichkeit den Markt. Wenn das als wirtschaftspolitisches Ziel gesehen wird, immer sich an dem Billigsten zu orientieren, dann behaupte ich, das ist einmal rund um die Welt und man kommt wieder reumütig in das eigene Land zurück. Polemisch hat einmal im Zusammenhang mit dieser Debatte der derzeitige bayrische Ministerpräsident gesagt: »O. K., wenn ihr schon abwandert, dann wandert gleich auch mit und lebt unter diesen Lebensbedingungen, die dort sind!«

Es ist die Frage, ob sich diese Probleme partnerschaftlich lösen lassen, wie es sich früher bewährt hat, oder ob man jetzt, so wie es schon geschieht, eben drüberfährt.
Da leben wir in einem sehr großen Spannungsfeld. Ganz egal wo man hinkommt, jeder sagt, es müssen partnerschaftliche Lösungen gefunden werden. Mitbestimmung, Bürgerbeteiligung ist in aller Munde. Aber sie hört seltsamerweise immer deutlicher in einigen Bereichen auf. Denken wir nur an den Konflikt in der Bank Austria, wo das Unternehmen einseitig den Kollektivvertragswechsel begangen hat, ohne Rücksicht zu nehmen auf die direkten Betroffenheiten. Wir alle wissen noch nicht, wie das rein rechtlich ausgeht. Aber ich glaube, dass der Beweis absolut geliefert werden kann, nicht nur aus gewerkschaftlicher Sicht, sondern auch mit internationalen Studien der Arbeitgeber und der Politik belegt: Überall dort, wo partnerschaftliche Lösungen gefunden werden, ist die nachhaltige Wirkung wesentlich deutlicher spürbar als eine so genannte Pendeluhrpolitik.

Denn wenn das Pendel einmal in die eine Richtung ausschlägt und heute sich Arbeitgeberführer gar nicht mehr scheuen zu sagen, jetzt haben wir die Gunst der Stunde, die schlägt für uns aus, dann sollte man denen klar und deutlich zurufen und ihnen ins Stammbuch schreiben: »Das Pendel schlägt auch mal zurück!« Wie dann die Wirtschaftspolitik aussehen wird, das wird sich weisen. Ich bin persönlich eher ein Anhänger einer ausgewogenen und vor allem nachhaltigen Politik und nicht einer, die von den Zufälligkeiten des Tages oder der Finanzmärkte abhängt. Wer als Kreuzritter sich dem Finanzkapital anschließen will, der soll nie verkennen, dass er in Wirklichkeit letztendlich auch überbleibt, denn das Finanzkapital wandert überall hin, wo es irgendwo Profite sieht. Aber es ist nicht das Kapital, das auf Nachhaltigkeit besonderen Wert legt, sondern in Quartalsberichten sich ermüdet.

Wie ist das dann mit Bündnispartnern?
Da gilt der alte Satz: Wir beurteilen jeden danach, was er bereit ist für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu tun. Aber eines will und kann ich nicht akzeptieren, dass man Bündnispartner als Just-in-time-Instrumente benützt. Wenn es einem genehm ist, ruft man sie her und dann, wenn sie unangenehm werden, versucht man durch Gesetzesänderungen oder sonstige politische Maßnahmen wieder abzudrängen. Das ist wie in einer Familie. Wer immer nur glaubt, dass der Lebenspartner oder die Kinder voll bereit sind, in einer Familie mitzuwirken und sie dann aber immer nur holt, wenn er sie tatsächlich braucht, der wird schnell draufkommen, dass er das Kaffeehäferl selbst in die Hand nehmen muss. Es wird ihm niemand mehr abwaschen.

Wenn wir jetzt alle diese Probleme und auch diese Lösungsansätze aufgezählt haben, jetzt noch einmal meine abschließende Frage: Wie siehst du unsere Zukunft?
Überhaupt nicht pessimistisch. Denn die Zukunft kommt. Sie wird so gewiss sein, wie die Menschheit sich weiterentwickelt. Die Frage ist nur, wie sie kommt. Da sind die Gewerkschaften nach wie vor nicht ein Modell des vergangenen Jahrhunderts, sondern, wenn ich an Teilzeitbeschäftigte denke, an so genannte Atypische, die immer mehr zu typischen Arbeitsformen werden, wenn ich an die Herausforderung der neuen Technologien denke, die menschlich eingesetzt werden sollen und nicht nur ganz bestimmten Verwertungsinteressen dienen sollen, wenn ich daran denke, dass es sich einfach lohnt, in dieser Welt die Arbeitsbedingungen nach wie vor menschlicher zu machen und gesünder, dann haben wir Herausforderungen genug. Wir müssen sie nur anpacken. Denn wenn wir sie nicht anpacken, dann packen sie andere vielleicht gegen uns an.

Kollege Verzetnitsch, wir danken für das Gespräch.

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