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Vier Jahre schwarz-blaue Sozialpolitik - Ein Schaustück in zwei Akten

HINTERGRUND

Nahezu fünf Jahre sind seit dem Amtsantritt der »Wenderegierung« von ÖVP und FPÖ in Österreich vergangen. Was hat sich in dieser Zeit in der Sozialpolitik verändert? Was kann aus Sicht einer Arbeitnehmerinteressensvertretung positiv eingeschätzt werden und was lehnen wir grundsätzlich ab? Welche Rolle spielen ArbeitnehmerInnen und ihre Interessen in der Sozialpolitik der Bundesregierung? Und ganz wichtig: Auf welchem ideologischen Hintergrund bauen Maßnahmen und Ziele der gegenwärtigen Sozialpolitik auf?

Einleitend ist wichtig, auf die »günstigen Rahmenbedingungen« für die Politikgestaltung der ÖVP-FPÖ-Regierung ab 2000 hinzuweisen.

Im europäischen Kontext der Maastricht-Kriterien und des Wirtschafts- und Stabilitätspakts wurde das Ziel der österreichischen Regierung, ein Nulldefizit anzustreben, in Brüssel begrüßt, es lagen somit ideologisch höchst willkommene Argumente vor, um Kürzungspolitik und Gürtel-enger-Schnallen als »europäisch« darstellen zu können.

Umverteilung

Denn in Wirklichkeit ist es nicht vorrangig ums Sparen gegangen, sondern immer wieder ganz klar um Umverteilungspolitik hin zur Regierungsklientel: Wurden auf der einen Seite Sozialleistungen gekürzt, wurden auf der anderen Seite Leistungen (Familien, Selbständige) ausgedehnt.

Die Regierungsübernahme erfolgte in einer Zeit günstiger Beschäftigung- und Wirtschaftslage. Dem Wirtschaftsabschwung ab 2001 konnte und wollte die Regierung nicht steuernd entgegentreten. Die Folge Rekordarbeitslosigkeit wurde nicht nur hingenommen, sondern durch die selbst zu verantwortende Erhöhung des Arbeitskräftepotentials verschärft.

Unter dem Motto »Speed kills« setzte die neue Bundesregierung sehr schnell nach Amtsantritt mehrere einschneidende Maßnahmen.

Erster Akt: 2000-2002
Vorrang für Wirtschaftsinteressen 1) Stopp den Rechten von Arbeitnehmern

Schon die Neuordnung der Ministerien - die Zusammenlegung der Ressorts von Arbeit und Wirtschaft, bisher mit Absicht nicht gemeinsam verwaltet - und die Entkoppelung des Sozialressorts von Arbeitsweltbelangen, ließen erkennen, welch ideologischer Hintergrund hinter diesem Ansinnen stand. So erklärte sich Minister Bartenstein selbst zum Standortminister: Standorterhalt und nicht Arbeitnehmerinteressen sind wichtig. Auf eine eigene Frauenministerin wurde verzichtet. Die nebenzuständige Frauenministerin Maria Rauch-Kallat2) brachte außer Lob jeglicher Regierungsaktivitäten keine einzige Initiative zu gleichstellungsrelevanten Themen zustande.

Im ersten Gesetzeswerk der neuen Regierung wurde ihr Politikstil unmittelbar spürbar. Obwohl es sich um Kernmaterien des Arbeitsrechts handelte, wurden ÖGB und AK nicht zu Sozialpartnergesprächen eingeladen.

Das ARÄG (Arbeitsrechts-Änderungsgesetz) wurde als Umsetzung der langjährigen Forderung des ÖGB nach arbeitsrechtlicher Gleichbehandlung von ArbeiterInnen und Angestellten dargestellt. Tatsächlich wurden bloß die Entgeltfortzahlungsfristen angeglichen3). Seither kein Wort mehr über weitere Anpassungen.

Die kleine Rechtsangleichung aber wurde der Wirtschaft versüßt: Klare Verschlechterungen brachten die Einführung der Urlaubsaliquotierung, die Abschaffung des Postensuchtages bei Selbstkündigung, die Auflösung des Entgeltfortzahlungsfonds, die Beseitigung des Hausbesorgergesetzes. Schwerwiegende Folgen zeigen sich etwa nach der Abschaffung des Entgeltfortzahlungsfonds: Kranke Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in KMUs werden vermehrt gekündigt. Ohne Rückerstattung müssen Einzelunternehmen die Krankenstandskosten tragen, was sich viele nicht leisten können oder wollen.

Keine soziale Realität

Die Etablierung eines Rechts, todkranke Angehörige über eine Karenzierung vom Arbeitsverhältnis begleiten (in Kraft seit 1. 7. 2002) zu können (Familienhospizkarenz), ist ein richtiger und menschlicher Ansatz. Aber er kennt bezeichnenderweise keine soziale Realität: Menschen mit geringem Einkommen können sich die unbezahlte Karenz nicht leisten.

EU-Vorgaben entsprechend wurde das Frauennachtarbeitsverbot aufgehoben und eine geschlechtsneutrale Nachtarbeitsregelung wurde Gesetz. Auch hier das gleiche Bild: die Forderungen nach Begleitmaßnahmen zur gesundheitsschädlichen Nachtarbeit wurden nicht erfüllt. Ausschließlich den Wirtschaftsinteressen wurde nachgekommen.

Die Pensionsreform des Jahres 2000 mutet aus heutiger Sicht wie ein Testballon4) für die nachfolgende Pensionsreform 2003 an. Ihr Inhalt: die Anhebung des Pensionszutrittsalters um eineinhalb Jahre, Abschlagserhöhung bei Pensionsantritt vor 60/65, Witwen/Witwerpensionskürzung, sofortige Abschaffung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Erwerbsfähigkeit.

Beweggrund für die überfallsartige Pensionsreform 2000 war die Kürzung der Budgetzuschüsse zu den Pensionen, um das Hauptziel der Regierung - das Nulldefizit - leichter erreichen zu können. Dass es der Regierung nicht darum gegangen ist, auf sozial verträgliche Weise einen längeren Verbleib im Erwerbsleben anzustoßen, ist daran ersichtlich, dass die wenigen beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitischen Begleitmaßnahmen5) der Situation unangemessen waren. Besonders deutlich wird dies an den Folgen der Abschaffung der vorzeitigen Alters-pension wegen geminderter Erwerbsfähigkeit. Auf diese Pensionsart waren fast ausschließlich schlecht qualifizierte Hilfsarbeiter mit Gesundheitsproblemen angewiesen. Viele dieser ohnehin schwer belasteten Gruppe warten nun 4,5 Jahre länger auf die Pension.

Provokationen

Die Langzeitbetrachtung der Folgen der Pensionsreform 2000 belegt: die Stabilisierung der Beschäftigung konnte nur unter enormen Mitteleinsatz der Arbeitslosenversicherung (Altersteilzeit!) erreicht werden. Die Arbeitslosigkeit Älterer ist deutlich angestiegen. Die Pensionsreform 2000 ist zu einem Gutteil für das rasante Ansteigen der Jugendarbeitslosigkeit verantwortlich.

Als provokativ wird von vielen ASVG-Versicherten die Ausdehnung der Vorruhestandsregelungen für Beamte ab 55 empfunden. Hinter diesen Golden-Handshake-Regelungen steckt wiederum das Budgetkonsolidierungsziel. Zur Erreichung der Zielgrößen beim Personalabbau im öffentlichen Dienst bedarf es großangelegter Frühpensionierungen, die immer noch billiger scheinen als die Weiterbeschäftigung der Betroffenen.

Die Einlösung von Wahlversprechen, endlich »treffsichere Sozialpolitik zu realisieren und gegen vermeintlichen Missbrauch von Sozialleistungen aufzutreten, sollte im Rahmen des »Treffsicherheitspakets« der Bundesregierung gelingen.

Dabei ist die ideologische Zielsetzung besonders beachtenswert: Unfinanzierbarkeit, Treffsicherheit und Missbrauch werden in eine Zusammenhangskette gestellt: Würden nur diejenigen Leistungen erhalten, »die sie wirklich brauchen«, wären die Finanzierungsprobleme verschwunden - so die jahrzehntelang getrommelte Sozialstaatssicht.

Sozialstaat am Scheideweg

Dabei steht der Sozialstaat tatsächlich am Scheideweg. Soll die Absicherung individueller Risiken solidarisch getragen werden? Ist es die Aufgabe des Sozialstaats, soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit herzustellen? Wenn ja, dann braucht es einen starken Sozialstaat, der umverteilt, der alle solidarisch in Rechte und Pflichten einbezieht. Oder sollen nur die Ärmsten vom Staat unterstützt werden? Sollen und können Menschen eigenverantwortlich für ihre soziale Sicherheit sorgen? Wenn ja, dann ist die Aufgabe des Staates, Anti-Armutspolitik zu machen und für ein Mindestmaß an gleichen Startchancen zu sorgen, sich darüber hinaus aber nicht in die sozialen Belange der Gesellschaft einzumischen.

Die Treffsicherheits-Gruppe der Regierung kam zum Schluss, dass neben Über- auch Unterversorgung vorliegt. Die Regierung reagierte darauf mit Kürzungen in deutlich höherem Ausmaß als angekündigt6). Die Besteuerung der Unfallrenten, die Einschränkung der beitragsfreien Mitversicherung in der Krankenversicherung, die Kürzung der Familienzuschläge bei Arbeitslosigkeit, Verschlechterungen beim Bezug von Arbeitslosenleistungen sowie die Einführung von Studiengebühren sind die zentralen Elemente des Treffsicherheitspakets.

Treffsicher

Die Folgen dieser Maßnahmen wurden heftig kritisiert. Besonders Arbeitslose mit Familie mussten bei ohnehin geringem Arbeitslosengeld empfindliche Schmälerungen der Existenzsicherung hinnehmen.

Ein bezeichnendes Schicksal hat die Besteuerung der Unfallrenten erlitten. Aufgrund massiver Proteste von UnfallrentnerInnen war bald klar, dass von Überversorgung wohl keine Rede sein kann. So sah sich die Regierung gezwungen, für Härtefälle eine Härteklausel vorzusehen, die eine Rückerstattung bereits einbehaltener Steuer vorsah. Neu zuerkannte Unfallrenten sollten aber wieder voll besteuert werden. Dann hat der Verfassungsgerichtshof die Unfallrentenbesteuerung für 2001 und 2002 als verfassungswidrig aufgehoben: es ist keine Besteuerung vorzunehmen. 2003 wiederum lebte die Unfallrentenbesteuerung für ein Jahr wieder voll auf, um schließlich 2004 nicht mehr zur Anwendung zu kommen.

Die Einführung des Kinderbetreuungsgeldes 2002 bezeichnet die Regierung selbst gerne als familienpolitischen Meilenstein. Das Karenzgeld, das bisher nur erwerbstätigen Eltern zustand, wurde durch ein Erziehungsgeld für alle Familien mit Kleinkindern ersetzt. Arbeitnehmerinnen erhalten kaum mehr Geld als bisher. Hausfrauen, Studierende und Selbständige7) erhalten neu eine Geldleistung. Dass die Regierung mit der Neuregelung nicht eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie für erwerbstätige Eltern beabsichtigte, ist daran ersichtlich, dass die Dauer des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld ungleich der Länge der Karenzzeit vom Arbeitsverhältnis ist. Zwar dürfen alle während des Kindergeldbezuges nun dazuverdienen, was aber in der Regel mit dem Verlust des Kündigungsschutzes verbunden ist.

Kindergärten?

Das Kinderbetreuungsgeld ist sehr teuer und manövrierte den Financier FLAF schon 2003 in die roten Zahlen. Keine Finanzmittel gibt es daher für den Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen oder die Ausweitung der Wiedereinstiegshilfen. Nach zweijähriger Erfahrung mit dem Kinderbetreuungsgeld wissen wir: zwar nimmt der überwiegende Teil der Mütter Kinderbetreuungsgeld in voller Länge in Anspruch - auch weil geeignete Kinderbetreuungseinrichtungen fehlen -, die Rückkehr in die Arbeitswelt ist aber deutlich schwerer geworden. Die Arbeitslosigkeit von Wiedereinstiegerinnen ist deutlich gestiegen8).

Die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung ließ derartige Bemühungen schmerzlich vermissen. Angetreten in einer günstigen Arbeitsmarktsituation hat die Regierung ein aktives Gegensteuern gegen die sich verschlechternde Beschäftigungslage unterlassen und aus eigener Kraft zur Verschärfung beigetragen. Auf der einen Seite wurden dem AMS stetig Mittel fürs Budget entzogen, auf der anderen Seite wurde durch die Pensionsreform 2000 und die Ausweitung der Saisonierkontingente das Arbeitskräftepotential deutlich ausgeweitet. Die Folge war eine seither stetig steigende Arbeitslosigkeit auf ein bisher unbekanntes Rekordniveau.

Größte Lehrstellenkrise

Besonders negative Auswirkungen zeitigte diese Politik auf die Arbeitsmarktlage Jugendlicher. Auf die sich verschlechternde Lehrstellensituation wurde nur zögerlich mit der Aufstockung der Plätze im Auffangnetz für lehrstellensuchende Jugendliche reagiert: Jahr für Jahr war die Zahl der Plätze unterdimensioniert. Mit Hilfe der neuen Lehrausbildungsprämie für Unternehmen, einer leichteren Auflösbarkeit von Lehrverträgen und einer Lohnnebenkostensenkung für Lehrlinge wurden 2002 neue Versuche zur Verbesserung der Lehrstellensituation gestartet. Erfolge dieser wirtschaftsfreundlichen Regelungen sind nicht ersichtlich. Im Gegenteil: im Jahr 2004 befinden wir uns in der größten Lehrstellenkrise seit Jahrzehnten.

Mit der Einladung an ÖGB und AK, an Sozialpartnergesprächen zur Neuregelung der Abfertigung sowie des Arbeitnehmerschutzes teilzunehmen, wurde die aktive Mitwirkung nach zweijähriger Blockade wieder angefragt. Die »heiße Kartoffel« Abfertigung wurde überhaupt zur Erarbeitung an die Sozialpartner delegiert, die Sozialpartnereinigung schließlich von der Regierung großteils übernommen.

Dass vom Ziel, den Einfluss der Gewerkschaften zurückzudrängen, nicht abgegangen wurde, wurde evident, als die Regierung die Zusammensetzung der Führungsgremien im Hauptverband der Sozialversicherungsträger gesetzlich änderte (»Lex Sallmutter«).

Österreichs Gewerkschaften haben eine lange Tradition maßgeblicher Mitwirkung bei der Verwaltung der Sozialversicherung.

Weil eine regierungsparteienkonforme Einflussnahme mit Hilfe der bislang bestehenden Beschickungsregelungen nicht zu erreichen war, hat die Regierung 2001 den Hauptverband im Sinne eines Aufsichtsratsmodells mit klarer Entmachtung der ArbeitnehmerInnenvertretungen restrukturiert9).

Gesundheitspolitk

Kritik an der Gesundheitspolitik der Bundesregierung entzündete sich vor allem an der Einführung neuer Selbstbehalte (z. B. Ambulanzgebühr 2001).

Die Ambulanzgebühr erlebte ein der Unfallrentenbesteuerung nicht unähnliches Schicksal. Nach mehrmaliger Abänderung wegen dauernder Kritik wurde die Ambulanzgebühr vom VfGH aufgehoben.

Dass für Selbständige die Mindestbeitragsgrundlage zur Krankenversicherung ab 2003 deutlich herabgesetzt und ihre Versehrtenrente deutlich angehoben wurde, muss erneut in die Rubrik Klientelpolitik eingeordnet werden. Der Arbeitgeberbeitrag zur KV der Arbeiter wurde mit 2003 abgesenkt.

Dazu wurden Zuschüsse zur Entgeltfortzahlung nach Unfällen in KMUs beschlossen. Diese Regelung kann als indirekter Reparaturversuch nach der Abschaffung des EFZG-Fonds verstanden werden.

Die Verbesserungen für Selbständige und Unternehmen bei den Krankenversicherungsbeiträgen sind unausgewogen und angesichts der angespannten Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung wirklich unverständlich.

Zweiter Akt: 2003-2004
Am Kurs festhalten - Ständige Reparatur von Härten durch Almosengabe

Angesichts einer sich dramatisch verschlechternden Wirtschaftslage nahm die Regierung Schüssel II im Regierungsprogramm Abstand vom Nulldefizit. Jedoch sollte die Abgabenquote bis 2006 gesenkt und das Budgetdefizit auf konstantem Niveau gehalten werden. Dies bedeutet im Wesentlichen die Fortsetzung des eingeschlagenen Kurses, weiterhin geprägt von einer markanten Ungleichverteilung von Lasten und Begünstigungen.

Zum zentralen Thema der Jahre 2003/2004 hat sich zweifellos die Pension entwickelt. Um die Pensionsreform 2003 ist eine der wichtigsten politischen Auseinandersetzungen in der 2. Republik entstanden.
Die wesentlichen Inhalte der Reform sind den meisten Interessierten noch in bester Erinnerung: Abschaffung aller vorzeitigen Alterspensionen, umfangreiche Kürzung der Pensionshöhe, usw.

Wären die Regierungspläne nach dem Begutachtungsentwurf umgesetzt worden, hätte dies Pensionskürzungen für Junge bis zu 50 Prozent im Vergleich zu heute bedeutet. Eine lebensstandardsichernde Alterssicherung aus der öffentlichen Pensionsversicherung wäre damit abgeschafft gewesen.

Streik

Nachdem die Kritik von ÖGB und AK an den Regierungsabsichten ohne Reaktion blieb, war es unumgänglich, das Nein der ArbeitnehmerInnen drastisch zum Ausdruck zu bringen. Der massive Widerstand über Großdemonstration und Streik erreichte schließlich eine deutliche Abmilderung der Härten der Reform. Ein Verlustdeckel von 10 Prozent soll die Pensionseinbußen begrenzen, ein Härtefonds allzu große Härten (zumindest im ersten Jahr) abfedern.

ÖGB und AK lehnen trotz dieses erreichten Erfolge die Pensionsreform als unzumutbare Verschlechterung ab. Der politische Druck führte später zu Verhandlungen über die Harmonisierung der Pensionen, bei der ÖGB und AK im Unterschied zu vorangegangenen Regierungsprojekten eine entscheidende Rolle spielten. Die Verhandlungen sind auf gutem Weg letztlich doch an überzogenen Forderungen der Regierung (übergebührliche Abschlagserhöhung bei Pensionsantritt vor 65, kein Pensionskorridor für Frauen etc.) gescheitert.

Arbeitsmarktpolitische Begleitmaßnahmen zur Pensionsreform wurden anlässlich der Verschärfung der Situation nicht breit ausgeweitet, sondern im Gegenteil deutlich eingeschränkt. Altersteilzeit wird faktisch abgeschafft. Der schwache Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wurde weiter beschnitten. Über die Senkung der Lohnnebenkosten für Ältere wird eine Umverteilungsaktion zugunsten von Arbeitgebern eingeleitet, wobei nennenswerte Beschäftigungseffekte nicht zu erwarten sind.

Große Empörung entstand im Jänner 2004, als erstmals für hunderttausende Pensionistinnen und Pensionisten echte Nettopensionsverluste spürbar wurden. Der Vergleich der ÖVP-Abgeordneten Silvia Fuhrmann, dass es sich ohnehin nur um den Wert von zwei Wurstsemmeln drehen würde, war Öl ins Feuer des öffentlichen Protests. Die Regierung musste unter Druck schließlich nachbessern: alle Pensionen unter 780 monatlich erhalten 2004 einen Ausgleich. Mit Juli 2003 wurden die Ladenöffnungszeiten nach mehreren Fehlversuchen ausgeweitet. Damit engst verbunden sind weitere Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen von Handelsangestellten10). Kopfschütteln erzeugt dabei der Umstand, dass trotz Gesprächsbereitschaft der Gewerkschaften keine Bereitschaft bestand, die Interessen der Handelsangestellten zu berücksichtigen. Eine WIFO-Studie11) belegt, dass atypische Beschäftigung und sinkende Einkommen im Handel normal geworden sind.

Mit 2005 wird mit der Einführung eines generellen Selbstbehalts in der Krankenversicherung ein weiterer Schritt in Richtung Krankensteuer gesetzt. Positiv ist 2004 die Angleichung der Beitragssätze in der KV für Arbeiter und Angestellte.

Familienfreundlich

Eine sehr alte Forderung von ÖGB und AK ist eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch ein Recht auf Elternteilzeit. Ab Juli 2004 wird diesem Anliegen nun immerhin zum Teil Rechnung getragen: Weil dieses Recht aber nur für Arbeitnehmer in Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten und nach dreijähriger Beschäftigungsdauer durchsetzbar ist, bleibt die Mehrzahl der erwerbstätigen Eltern von dieser familienfreundlichen Regelung ausgeschlossen. Die Erhöhung der Familienbeihilfe ab 2003 setzt die geldleistungsorientierte Familienpolitik der Regierung fort.

In der vorangegangenen Legislaturperiode war die Regierung mit ihrem Wunsch nach Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen in der Arbeitslosenversicherung nicht durchgekommen. Basierend auf einem Sozialpartnerkompromiss löst ab 2005 künftig ein Entgeltschutz den aktuell schwachen Berufsschutz ab. Zwar waren die ursprünglichen Reformpläne wesentlich drastischer, der Druck auf Arbeitsuchende wird dennoch weiter steigen. Die angekündigte Einbeziehung selbständig Erwerbstätiger in die Arbeitslosenversicherung, ein wichtiger Schritt der sozialen Sicherheit für viele atypisch Beschäftigte, kommt nun nicht.

1) 1999 hat die Wirtschaftskammer ihr Forderungsprogramm an die Bundesregierung »Besser wirtschaften - Die Zukunft gestalten Check-List« vorgelegt. Dies wird nun Punkt für Punkt im Sozialbereich umgesetzt.

2) Desgleichen ihr Vorgänger Herbert Haupt

3) Andere Gleichstellungsschritte (Kündigungsfristen, Dienstfreistellungsgründe) sind bis heute unterblieben.

4) Auch wenn Bundeskanzler Schüssel noch vor den Wahlen versprach, keine weiteren Pensionsreformen vorzunehmen.

5) Altersteilzeit im Blockmodell ist die einzige Maßnahme, die umfassende Inanspruchnahme erreichte.

6) Aus im Regierungsübereinkommen angekündigten Kürzungen in der Höhe von drei Milliarden ÖS wurde schließlich eine sieben Milliarden ÖS schwere Budgeteinsparung.

7) Selbständige erhielten vorher eine Karenzgeldleistung in halber Höhe.

8) Siehe WIFO Studie »Wiedereinstieg und Beschäftigung von Frauen mit Kleinkindern«, Februar 2004

9) Die Regelung wurde vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben, an einem »Hauptverband neu« wird gearbeitet.

10) Nicht einmal die von der GPA durchgesetzte Schwarz-Weiß-Regelung (auf Samstag in Beschäftigung folgt arbeitsfreier Samstag) wird überleben.

11) WIFO-Studie: »Beschäftigung im Handel«, Mai 2004

 F A Z I T

Im Unterschied zur ersten Regierungsperiode der ÖVP-FPÖ Koalition musste die Regierung bei vielen unsozialen Regelungen aufgrund des großen Widerstands nachbessern. Sie tat dies vielfach in Form von Härteregelungen und Härtefonds, die klarlegen, dass es sich nur um Almosen und nicht um Rechtsansprüche handelt. Die Arbeitnehmerseite erkämpfte sich wieder einen bedeutenden Status im politischen Geschehen, an dem die Regierung nicht länger vorbeikann. An der Absicht der Regierung, Arbeitnehmerrechte zugunsten von »Mehr privat - weniger Staat« und einer »freieren« Marktwirtschaft zu beschneiden, ist aber keine Änderung ersichtlich.

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