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Lohnsenkung durch die Hintertür - Zur aktuellen Debatte um eine Verlängerung der Arbeitszeit

SCHWERPUNKT

Für den gesunden Hausverstand war die sommerliche Debatte um die Arbeitszeit-verlängerung schon eine Zumutung. Um so mehr warnt der Experte der Arbeiterkammer, der die logischen Fehler dieser Forderungen im Einzelnen und im Detail nachweist und zu erhöhter Wachsamkeit aufruft.

Eigentlich ist der Fall paradox: In einer sich immer länger hinziehenden Phase der wirtschaftlichen Stagnation steigt die Zahl der Arbeitslosen von Jahr zu Jahr an, was bedeutet, dass für immer mehr Menschen gegen ihren Willen die Arbeitszeit auf Null gesetzt wird, und gleichzeitig kommt ein Wirtschaftsprofessor nach dem anderen mit Vorschlägen, die Arbeitslosigkeit zu senken durch Verlängerung der Arbeitszeit für jene Arbeitnehmer, die Arbeit haben. So geschehen in Deutschland in den letzten Monaten, wobei es dort zu einem Überbieten in der Radikalität dieser Vorschläge zwischen besonders medienorientierten Wirtschaftsprofessoren gekommen ist. Vorangegangen ist der Präsident des Münchner ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans Werner Sinn, mit dem Vorschlag einer Ausweitung der Normalarbeitszeit um zehn Prozent von 38 auf 42 Stunden. Um mit diesem Thema ebenfalls in die Schlagzeilen zu kommen, überbot der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Klaus Zimmermann ein paar Monate später diese Forderung locker, indem er forderte, dass, »um Jobs zu sichern, auch mal 50 Stunden pro Woche gearbeitet werden müsse«.

I N F O R M A T I O N

ifo-Chef Sinn für generelle 42-Stunden-Woche

München (APA/dpa) - ifo-Chef Hans-Werner Sinn hat sich für die generelle Einführung einer 42-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich in Deutschland ausgesprochen. Sinnvoll sei nur eine pauschale Arbeitszeitverlängerung in der Gesamtwirtschaft und nicht in Einzelbetrieben, sagte Sinn.

Nur bei einer pauschalen Ausweitung könnten die einzelnen Betriebe mit einem Nachfrageschub von anderen Firmen rechnen. Dieser sei Voraussetzung dafür, dass die Arbeitszeitverlängerung nicht in Kündigungen mündet. Sinn betonte, er habe entgegen anderslautenden Presseberichten keine-44-Stunden-Woche gefordert. »Diese Aussage ist falsch.«

Große Sprüche und Drohungen

Wenn man solche Duelle mit großen Sprüchen, die den Ruf der Zunft schädigen, zunächst einmal als Effekthascherei und Ausdruck einer zunehmend hysterischen Stimmung im größten Mitgliedsland der EU sehen sollte, so haben sie doch das Ziel, unter den Arbeitnehmern eine Stimmung der Mutlosigkeit zu erzeugen und so ihre Interessenvertretung, die Gewerkschaften, zum Einlenken gegenüber der Unternehmerseite zu bewegen. Diese ist auch in Deutschland in ihren konkreten Forderungen weniger radikal als die vorauseilenden Wirtschaftsprofessoren, hat aber bereits einige Erfolge bei der Zurückdrängung von Arbeitnehmerpositionen im Bereich der Arbeitszeit erzielen können. Unter der Drohung der Konzernleitung von Siemens, die Produktion von Mobiltelefonen nach Ungarn zu verlagern, hat die deutsche IG Metall der Verlängerung der Arbeitszeit von 35 auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich in zwei Produktionsstätten zugestimmt und dafür die Zusage erhalten, dass dadurch 4500 Arbeitsplätze an ihren Standorten in Deutschland verbleiben werden. Bereits Ende Juli kam es zu einem ähnlichen Abkommen mit dem Daimler-Chrysler-Konzern. Für die Ausweitung der Arbeitszeit auf 40 Stunden in Teilbereichen werden die 6000 Arbeitsplätze im Mercedes-Werk Sindelfingen bis 2012 garantiert. Weitere Unternehmungen haben in ähnlicher Absicht Verhandlungen mit der Gewerkschaft gefordert.

Auch in Österreich haben die Gewerkschaften in den letzten Wochen mehrere Botschaften in diese Richtung von Industrieseite empfangen, etwa von der neuen Führungsmannschaft der Industriellenvereinigung. Auch wenn solche Auseinandersetzungen in Österreich gewöhnlich etwas anders ausgetragen werden als in unserem größeren Nachbarland - sichtbar etwa am Beispiel der Arbeitszeitverkürzung unter 40 Stunden in den achtziger Jahren -, werden die Gewerkschaften auch bei uns in nächster Zeit mit harten Forderungen von Unternehmerseite konfrontiert sein.

Lohnsenkung als »Nebeneffekt«

Der Vorstandsvorsitzende des Siemens-Konzerns und auch Vertreter des deutschen Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall haben die Arbeitszeitverlängerung in zwei Siemens-Werken als spezielle Problemlösung bezeichnet und - vorerst? -keine generellen Forderungen tarifpolitischer Art an die Gewerkschaft gestellt. Hingegen sind auf der politischen Bühne agierende Repräsentanten der Unternehmer wie der frühere CDU-Fraktionschef im deutschen Bundestag Merz mehrfach mit Aussagen hervorgetreten, dass »wer höheres Wirtschaftswachstum erzielen will, an längeren Arbeitszeiten nicht vorbeikommt.«1)

Dass Funktionäre von Unternehmerverbänden Vorschlägen zur Erhöhung der Arbeitszeit um zehn Prozent oder sogar um noch mehr einiges abgewinnen können, liegt auf der Hand, und man wird auch nicht fehl gehen in der Erwartung, dass sie um viel Geld bereits teure Studien bei renommierten Professoren in Auftrag gegeben haben, welche der zunächst noch staunenden Öffentlichkeit und den uneinsichtigen Gewerkschaften »beweisen« sollen, welch probates Mittel eine Arbeitzeitverlängerung zur Überwindung der wirtschaftlichen Stagnation, aus der Deutschland und Europa seit über drei Jahren nicht herauskommen, und damit auch zur Lösung des Beschäftigungsproblems wäre.

Aber nicht der angeblichen positiven Beschäftigungswirkung der Arbeitszeitverlängerung gilt das eigentliche Interesse der Unternehmerseite und auch kaum der Verfügbarkeit der Arbeitskraft für eine längere Zeit, sondern dem »Nebeneffekt« der Arbeitszeitverlängerung: Eine Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich ist mit einer entsprechenden Senkung des Lohns pro Arbeitsstunde verbunden. Klagen der Unternehmer über »zu hohe Löhne« sind zwar häufig zu hören, die Arbeitgeberverbände scheuen jedoch meist davor zurück, Forderungen nach Lohnsenkung in Kollektivvertragsverhandlungen zu stellen. Die Arbeitszeitverlängerung hat auf den ersten Blick keine so schlechte Optik, sie macht die Lohnsenkung gleichsam durch die Hintertüre möglich. Für die Arbeitnehmer sind die Folgen auf den ersten Blick deshalb weniger schlimm als bei einer Lohnsenkung, weil das wöchentliche oder monatliche Einkommen nicht sinkt, solange die erhöhte Arbeitszeit voll geleistet wird.

Negative Beschäftigungswirkungen

Für die Unternehmungen ist die Arbeitszeitverlängerung auf jeden Fall deshalb vorteilhaft, weil die Arbeitskraft billiger wird, unabhängig davon, ob sie während der zusätzlich zur Verfügung stehenden Arbeitszeit überhaupt verwendet wird. In Unternehmungen mit einer größeren Zahl von Beschäftigten entsteht dadurch die Möglichkeit, durch Reduktion der Zahl der Arbeitnehmer (nicht unbedingt gleich im vollen Ausmaß der Arbeitszeitverlängerung) den gleichen Output zu niedrigeren Lohnkosten zu produzieren. Diese Reaktion der Unternehmer ist bei den derzeit gegebenen Bedingungen einer stagnierenden Nachfrage viel wahrscheinlicher als die andere, theoretisch mögliche Variante, dass die Beschäftigtenzahl gleich bleibt und die Mehrarbeit zur Erhöhung der Produktion verwendet wird. Dies wäre zwar ohne zusätzliche Lohnkosten möglich, sehr wohl aber würden zusätzliche andere Kosten anfallen (Material- und sonstige Betriebskosten), wobei es für den Unternehmer unsicher ist, ob er diese Kosten über einen erhöhten Absatz wieder hereinbekommt.

I N F O R M A T I O N

»Banale Lohnsenkung«

Als geradezu abenteuerlich
bezeichnet Oberösterreichs AK-Präsident Johann Kalliauer den Vorstoß von Minister Bartenstein in Richtung Lohnkürzung: »Auch wenn Bartenstein verbrämt von Arbeitszeitflexibilisierung spricht, so ist das tatsächlich gemeinte längere Arbeiten ohne entsprechende Lohnzuwächse im Kern nichts anderes als eine ganz banale Lohnsenkung.«

Damit werde, so Kalliauer, kein einziger Arbeitsplatz in Österreich gesichert, das Gegenteil sei der Fall. Unsere gesamtwirtschaftliche Entwicklung leidet schon jetzt an der beharrlich zu geringen inländischen Nachfrage. Einkommenskürzungen bei den Arbeitnehmer/-innen würden dieses Problem noch massiv verschärfen und die Arbeitslosigkeit weiter in die Höhe treiben!

Wider besseren Wissens wird so getan, als würde die österreichische Industrie ein Problem bei der preislichen Wettbewerbsfähigkeit haben. Dabei sprechen die Fakten eine völlig andere Sprache: Seit Mitte der neunziger Jahre sanken laut Wifo die so genannten Lohnstückkosten im Durchschnitt um 2,2 Prozent pro Jahr, während sie im Durchschnitt der Handelspartner stagnierten. Und wie eine Untersuchung des IHS belegt, hat die enorme Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Industrie inzwischen ein Ausmaß erreicht, dass die Lohnstückkosten sogar unter dem Niveau von Polen und Ungarn lagen (2001).

Sinkende Gesamtnachfrage

Wenn wir nun diese Überlegungen aus der Sicht eines einzelnen Unternehmens auf die Gesamtwirtschaft übertragen, so lässt sich daraus bereits eine wichtige Schlussfolgerung über die Wirkung der Arbeitszeitverkürzung auf das BIP bzw. auf die Beschäftigung ableiten. In der Situation eines generellen Nachfragemangels führt die Verlängerung der Arbeitszeit bei gleichzeitiger Senkung des Stundenlohnes in Summe zu einer Senkung der Beschäftigung bei zunächst gleichbleibender Produktion. Sinkende Beschäftigung führt jedoch über die Reduktion der Lohnsumme zu einer sinkenden Gesamtnachfrage, was zu einer Reduktion der Produktion führt, die wiederum eine weitere Reduktion der Beschäftigung nach sich zieht. Insgesamt löst die Arbeitszeitverlängerung beim BIP und bei der Beschäftigung eine Anpassungsbewegung nach unten aus, die sich auf jeweils tiefer liegenden Niveaus stabilisiert. Plausibel ist daher, dass die Arbeitszeitverlängerung gerade das Gegenteil von dem bewirkt, was ihre Befürworter behaupten, um dem Vorschlag ein positives wirtschaftspolitisches Mäntelchen umzuhängen. Letztlich ist das Resultat auch aus der Sicht der Unternehmer nicht positiv, doch sehen diese oft nur die Lohnersparnis, ohne deren weiteren Folgen zu beachten, und lassen sich durch diese Kurzsichtigkeit täuschen.

Auch am Beispiel des deutschen Bundeslandes Bayern, wo die Arbeitszeit für Beamte mit September 2004 um zwei Stunden wieder auf 42 Wochenstunden verlängert wird2), kann man die unmittelbar beschäftigungssenkende Wirkung dieser Maßnahme erkennen, auch wenn sie im gegebenen Fall nicht groß sein wird. Es werden zwar die individuellen Einkommen nicht vermindert. Vermindern wird sich aber die Zahl der Neueinstellungen für die in Pension gehenden oder aus anderen Gründen ausscheidenden Beamten. Denn um ein gleiches Arbeitsvolumen zu erbringen, müssen für 20 Ausscheidende nur noch 19 neu eingestellt werden. Eine Weitergabe der Gehaltseinsparung in Form einer Steuersenkung ist aber nicht zu erwarten, wenn das Staatsdefizit reduziert werden soll. Was also im Endeffekt bei der Maßnahme herauskommt, ist eine Senkung der Endnachfrage und damit eine Kontraktion von BIP und Beschäftigung.

EU-Lohnsenkungswettbewerb deflationär

Worauf kann sich sonst noch - sachlich betrachtet - die Erwartung positiver Wachstums- und Beschäftigungswirkungen einer Arbeitszeitverlängerung stützen? Hans Werner Sinn begründet sie mit einer verbesserten Konkurrenzfähigkeit der deutschen Exporte gegenüber den Konkurrenzländern. In Wirklichkeit wird bei dieser Argumentation die Arbeitszeitverlängerung nur als Trick verwendet, um eine - verhältnismäßig massive - Lohnsenkung durchzusetzen und damit die Profitabilität der Exporte zu erhöhen. Genauso gut oder sogar besser könnte man einfach eine entsprechende Lohnsenkung verlangen, wovor aber nicht nur die Unternehmer, sondern in diesem Fall auch der sich unverständlicher Weise zum »Kathedersozialismus« bekennende Professor zurückschrecken, weil dies politisch schlecht aussehen würde. Es ist aber schwer zu verstehen, wie ein so renommierter Ökonom wie Sinn dazu kommt, ein so plumpes Lohndumping zu empfehlen, und dabei anscheinend noch damit rechnet, dass nicht alle merken, dass es sich um eine Lohnsenkung handelt3).

Abwärtsbewegung in ganz Europa

Zweifellos würden die ausländischen Konkurrenten Deutschlands diese Lohnsenkung nicht reaktionslos hinnehmen, sondern müssten wohl oder übel eine ähnliche Maßnahme zur Wiederherstellung ihrer Konkurrenzposition setzen. Damit geht der positive Effekt beim Export wieder verloren, während die Kontraktion der Lohneinkommen und der Nachfrage von Deutschland auf die anderen Länder übergreift.

Das würde bedeuten, dass die gesamtwirtschaftliche Abwärtsbewegung sich nach und nach in ganz Europa fortsetzen würde. In etwas milderer Form haben wir eine solche Entwicklung schon seit zwei Jahrzehnten, indem die Lohnzuwächse leicht hinter der Produktivität zurückbleiben.

Dies ist die Ursache der immer wieder und gerade jetzt erneut so heftig beklagten Nachfrageschwäche, die dazu führt, dass die europäische Wirtschaft ihr Wachstumspotenzial nicht ausschöpfen kann und die Arbeitslosigkeit steigt bzw. nicht zurückgeht. Was allerdings Ökonomen wie H. W. Sinn und K. Zimmermann nicht daran hindert, immer noch eine zusätzliche Schwächung der Nachfrage durch Lohnsenkungen zu fordern.

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»Unehrlich und kurzsichtig«

»Es wäre ehrlicher,
wenn jene, die eine Verlängerung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich fordern, gleich offen zugeben würden, dass sie in Wahrheit die Einkommen der ArbeitnehmerInnen kürzen wollen. Denn nichts anderes würde eine Arbeitszeitverlängerung und Abschaffung der Feiertage ohne Lohnausgleich bedeuten«, kritisiert ÖGB-Präsident Verzetnitsch. »Dafür sind wir Gewerkschafter sicher nicht zu haben.«

Der ÖGB-Präsident bedauert auch die volkswirtschaftliche Kurzsichtigkeit der Anhänger einer Arbeitszeitverlängerung: Das schaffe erstens keinen zusätzlichen Arbeitsplatz. Zweitens würden derartige Maßnahmen die Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kürzen, worunter besonders die Binnennachfrage leiden würde. »Diese ist aber laut Wirtschaftsexperten entscheidend für den Wirtschaftsaufschwung in unserem Land.« Verzetnitschs Resümee: »Arbeitszeitverlängerung schafft keinen neuen Arbeitsplatz und schwächt die so wichtige Kaufkraft der Konsumenten für das notwenige Wirtschaftswachstum.«

Illusion Rentabilitätsverbesserung

Auf der Grundlage der neoklassischen Ökonomie wird ferner argumentiert, dass durch eine Lohnsenkung die relativen Preise für Arbeit und Kapital zugunsten des Kapitals verändert werden müssen, um die Beschäftigung von Arbeitskräften profitabler zu machen, was längerfristig wieder zu mehr Beschäftigung führen würde. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die keynesianische Gegenargumentation.

Schon Keynes argumentierte in der Großen Depression gegen Lohnsenkungen, weil die negativen nachfrageseitigen Wirkungen auf Produktion und Beschäftigung in einer Situation der Stagnation viel schneller eintreten als alle positiven Wirkungen aus einer verbesserten Rentabilität.

Dies gilt heute genauso wie damals: Einen Nachfragemangel kann man nicht durch Kürzung der kaufkräftigen Nachfrage beheben.

Für die Arbeitskraft insgesamt gilt eben nicht, was für einen einzelnen Produktmarkt gilt, vorausgesetzt, er fällt gesamtwirtschaftlich nicht ins Gewicht bzw. es gibt gleichzeitig genügend Vorgänge in der Gegenrichtung: wenn eine Ware zum erwarteten Preis nicht zur Gänze abgesetzt werden kann, so wird das Ungleichgewicht dadurch beseitigt, dass der Preis gesenkt wird. Denn wenn alle Löhne plötzlich um zehn Prozent gesenkt werden, sinkt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage drastisch ab, und das Ungleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt verschärft sich noch weiter.

Es kommt zu Zweit- und Drittrundeneffekten derselben Art, und die Stabilisierung von Produktion und Beschäftigung erfolgt auf einem Niveau, das tiefer ist als in der an sich schon ungünstigen Ausgangssituation.

Dass in diesen Anpassungsprozessen auch die Preise sinken, mildert das Resultat nicht - Deflation ist immer ein schmerzhafter Prozess für die Unternehmungen.

Wenn Deutschland 10,5 Prozent und Österreich sieben Prozent Arbeitslose hat, so bedeutet dies ja an sich schon, dass das Angebot an Arbeit im Verhältnis zu der von den Unternehmungen und vom Staat nachgefragten Arbeitsmenge zu groß ist. Rechnerisch lässt sich das Problem durch eine Verkürzung der pro Person geleisteten Arbeitszeit lösen, eine Verlängerung verschärft es nur. Eine Verkürzung der pro Arbeitnehmerin durchschnittlich geleisteten Arbeitszeit findet seit langem laufend in Form einer stark zunehmenden Teilzeitarbeit von Frauen statt. Soweit diese arbeitnehmerseitig erwünscht ist, entspricht es den individuellen Präferenzen und ist dagegen nichts einzuwenden. Aber leider trifft dies auf viele Fälle nicht zu. Als Notmaßnahme wurden auf betrieblicher Ebene Modelle einer temporären Verkürzung der Arbeitszeit entwickelt (in Deutschland z. B. 1994 bei VW, zuletzt in der deutschen Telekom), die mit mehr oder weniger empfindlichen Einkommenseinbußen für alle verbunden sind, aber so wenigstens die Konsequenzen der unzureichenden Arbeitsnachfrage in noch verkraftbaren Grenzen halten.

Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung bietet sich bei bloß rechnerischer Betrachtung als probates Mittel gegen die hohe Arbeitslosigkeit an. In einer Situation wie der heutigen, in der die Einkommen der Arbeitnehmer schon jahrelang stagnieren oder vielleicht sogar eher rückläufig sind, begegnet eine Arbeitszeitverkürzung wegen der damit verbundenen Lohneinbußen und bei dem zu erwartenden Widerstand der Unternehmer auf betrieblicher Ebene erheblichen Implementationsproblemen - ganz abgesehen von der Durchsetzbarkeit, die in realistischer Betrachtung ebenfalls äußerst skeptisch zu sehen ist.

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»Besonders herzig«

»Mit seinen jüngsten
Äußerungen zum Arbeitszeit-Thema hat sich Martin Bartenstein einmal mehr als Arbeitsminister disqualifiziert«, sieht sich der Präsident der steirischen Arbeiterkammer, Walter Rotschädl, in seiner Auffassung bestätigt, dass die Wirtschafts- und Arbeitsagenden in einem Ressort nicht vereinbar sind: »Mit seinen wohlwollenden Worten für eine von der Industriellenvereinigung ins Spiel gebrachte Arbeitszeitverlängerung hat Bartenstein bewiesen, auf welcher Seite er steht. Jedenfalls nicht an der Seite der Arbeitnehmer.«

Wenn der Minister eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten fordert, verschweigt er offenbar bewusst, dass es in zahlreichen Kollektivverträgen - gerade in der Industrie - bereits jetzt großzügige Flexibilisierungsmöglichkeiten gibt, die zum Teil gar nicht ausgenützt werden. Rotschädl: »In Wirklichkeit geht es also um den plumpen Versuch, eine Arbeitszeitverlängerung schönzu-reden.« Besonders »herzig« findet es Rotschädl, wenn der Minister beteuert, dass niemand Lohndumping will: "Eine Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich bzw. der Entfall von Überstundenzuschlägen ist nichts anderes als eine Lohnkürzung durch die Hintertür."

Mit Lohndumping sei der Standortwettbewerb mit Billiglohnländern aber nicht zu gewinnen, so Rotschädl: »Was wir brauchen, ist vielmehr eine Qualifikationsoffensive, die Förderung von Forschung und Entwicklung, massive Investitionen in die Infrastruktur sowie eine Verringerung der steuerlichen Belastung des Faktors Arbeit, Stichwort Wertschöpfungsabgabe.«

Zahlen zur Arbeitszeitverlängerung

Die Beschäftigungswirkungen der nicht sehr massiven kollektivvertraglichen Arbeitszeitverkürzungen, die in Österreich seit Einsetzen der Stagnationstendenzen ab etwa 1980 stattgefunden haben, waren aus diesen Gründen geringer als die bis etwa Mitte der siebziger Jahre in einem langen Schwung vollzogene Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit von 48 auf 40 Stunden. Immerhin kann man anhand der empirischen Schätzungen für die Beschäftigungswirkungen der stattgefundenen Arbeitszeitverkürzungen eine umgekehrte Daumenrechnung machen, was die Effekte einer Arbeitszeitverlängerung um fünf oder zehn Prozent wären. Die in der letzten Studie des Beirats für Wirtschafts- und Sozialfragen zu diesem Thema4) erstellten Simulationsrechnungen ergaben je nach lohnpolitischer Variante (Art des Lohnausgleichs) Elastizitäten von 0,4 bis 0,7. Das würde in umgekehrter Richtung bedeuten, dass eine generelle Verlängerung der Arbeitszeit um fünf Prozent die Gesamtbeschäftigung um 2 bis 3,5 Prozent senken würde. Ex post - das heißt nach der Verkürzung der Arbeitszeit in zahlreichen Branchen auf 38 Stunden - durchgeführte Schätzungen ergaben eher geringe Elastizitäten. Wie immer man die Sache betrachtet, eine positive Wirkung einer Arbeitszeitverlängerung wird sich auch mit sehr großen Kunstgriffen nicht plausibel machen lassen.

Was tun?

Wie auf jedem anderen Markt auch, vermindert ein Angebotsüberschuss auf dem Arbeitsmarkt die Marktmacht der Anbieter, also der Arbeitnehmer und der sie in den Kollektivvertragsverhandlungen vertretenden Gewerkschaften. Diese Situation nutzen die Unternehmer und ihre Verbände nun aus, um Positionen, welche die Arbeitnehmer unter günstigeren Arbeitsmarktkonstellationen errungen haben, wieder zurückzudrängen. Als Ziel steht derzeit bevorzugt die 35-Stunden-Woche im Visier, die in großen Teilen der (west-)deutschen Industrie in den achtziger Jahren und in Frankreich per Gesetz in den größeren Betrieben in den neunziger Jahren eingeführt worden ist. Die Gewerkschaften sind nicht bereit, über eine generelle Verlängerung der Arbeitszeit zu verhandeln, wie sie vom französischen Wirtschaftsminister Nikolas Sarkozy oder von einzelnen deutschen Unternehmervertretern gefordert wird.

Allerdings haben die deutschen Industriegewerkschaften in ihre Tarifverträgen seit einiger Zeit Klauseln aufgenommen, die in Einzelfällen für Betriebe unter bestimmten Bedingungen das Abgehen von der 35-Stunden-Woche gestatten. Wie die beiden Siemens-Beispiele zeigen, kann es unter Umständen das kleinere Übel sein, eine solche Regelung zu akzeptieren - vor allem dann, wenn dadurch wirklich Arbeitsplätze mit anspruchsvollem Qualifikationsprofil erhalten werden können. Wie sich zeigt, versuchen sofort andere Unternehmungen, dem Beispiel zu folgen. Es ist daher notwendig, von Gewerkschaftsseite diesem Drang der Unternehmerseite Grenzen zu setzen: sowohl bei der Arbeitszeit (z. B. 40 Stunden) als auch bei den sonstigen Bedingungen, unter denen sich die Gewerkschaften und/oder die Betriebsräte auf derartige Verhandlungen einlassen.

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50-Stunden-Woche

Als Mittel gegen die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland fordern Wirtschaftsexperten in Deutschland nun sogar die vor-übergehende Einführung der 50-Stunden-Woche. »Um Jobs zu sichern, müssen auch mal 50 Stunden pro Woche gearbeitet werden«, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, der »Bild«-Zeitung.

Propagandawelle

Von besonderer Wichtigkeit ist es für die Gewerkschaften in ganz Europa, der Propagandawelle von Seiten der Unternehmungen, der Medien und einzelner »Wirtschaftsweiser« entgegenzuwirken, die die Arbeitnehmer entmutigen und davon überzeugen wollen, »dass alle wieder mehr arbeiten müssen, wenn wir wollen, dass es uns besser geht«. Daher müssen die Gewerkschaften aufzeigen, dass eine generelle Arbeitszeitverlängerung nicht nur Lohnkürzung für alle bedeutet, sondern auch die Beschäftigung senken und die Arbeitslosigkeit erhöhen würde. So kann der Rückhalt der Gewerkschaften bei den Arbeitnehmern für ein Festhalten an den kollektivvertraglichen und gesetzlichen Regelungen der Normalarbeitszeit gestärkt und der Widerstand gegen allfällige Vorstöße auf politischer Ebene für eine Anhebung der Arbeitszeit im Gesetzeswege aufgebaut werden.

In Österreich ist im Vergleich zu Deutschland die Ausgangssituation eine andere, und das Meinungsklima neigt bei uns in dieser Frage nicht zu solch hysterischen Übersteigerungen.

Die wöchentliche Normalarbeitszeit liegt zwar in mehreren Branchen (siehe Kasten »Arbeitszeiten«), die insgesamt etwa 35 Prozent der Arbeitnehmer umfassen, unter 40 Stunden, jedoch überwiegend deutlich höher als 35 Stunden. Zudem wurden bei kollektivvertraglichen Verkürzungen der Normalarbeitszeit unter 40 Stunden meistens Regelungen getroffen, nach denen Mehrarbeit bis zur Grenze der früheren Normalarbeitszeit nicht als zuschlagspflichtige Überstunden gelten und daher wie Normalarbeitszeit zu entlohnen sind.

Arbeitszeiten
Ausgewählte Wirtschaftsbranchen mit einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von weniger als 40 Stunden
Branche/Wirtschaftsklasse Wöchentliche Normalarbeitszeit laut KV
Bergbau 38,5
Eisen-, metallerz.- u. -verarb. Industrie 38,5
Eisen-, metallerz.- u. -verarb. Gewerbe 38,5
Erdölindustrie 36,0–38,0
Chemische Industrie 38,0
Glasindustrie 38,0
Papierindustrie 36,0
Holz verarbeitende Industrie 38,5
Stein - Keramik - Baustoffindustrie 38,5
Bauindustrie, -gewerbe, -nebengewerbe 39,0
Textilindustrie 38,5
Lebens- und Genussmittelindustrie 38,0–38,5
Elektrizitätsversorgung 38,5
Graphisches Gewerbe 36,0–38,0
Handel 38,5
Banken 38,5
Versicherungen 38,5
Quelle: ÖGB, Referat Kollektivverträge

1997 wurde zudem ein erhöhter Flexibilitätspielraum bei der Arbeitszeit durch eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes geschaffen. Den Kollektivvertragsparteien wurde die Möglichkeit zur Durchrechnung der Wochenarbeitszeit eingeräumt, an einzelnen Tagen bzw. Wochen kann die Normalarbeitszeit dabei auf bis zu zehn Stunden bzw. auf bis zu 50 Stunden ausgedehnt werden.

Was das Diskussionsklima in Österreich im Vergleich zu Deutschland betrifft, so wird ein gewisser Unterschied an der Tatsache sichtbar, dass der Leiter des WIFO (Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung), Helmut Kramer, von einer Arbeitszeitverlängerungsdiskussion abgeraten hat und von einer solchen Maßnahme keine positiven Wachstums- oder Beschäftigungseffekte erwartet. In ähnlichem Sinn hat sich der Direktor des IHS (Institut für Höhere Studien) Bernhard Felderer ausgesprochen.

Auf Unternehmerseite konnte die neu bestellte Führung der Industriellenvereinigung nicht darauf verzichten, sich durch die allerdings vage gehaltene Forderung nach der Bereitschaft, mehr zu arbeiten, »kantiges« Profil zuzulegen. Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein hat sich in diesem Zusammenhang zwar gegen »Lohn--dumping« oder Lohnkürzungen ausgesprochen, sich gleichzeitig aber für Maßnahmen zur weiteren Flexibilisierung der Arbeitszeit ausgesprochen. Dass dies durch den Wegfall von Überstundenzuschlägen zu Lohneinbußen führen kann, die sich für Österreichs Arbeitnehmer auf mehrere hundert Millionen Euro summieren, hat er dabei dezent verschwiegen. Auch die altbekannten Forderungen nach einer Streichung von Feiertagen, deren Anzahl allerdings in Österreich gar nicht über dem europäischen Durchschnitt liegt, und nach einer Kürzung des Mindesturlaubs dürfen in der einmal entbrannten Arbeitszeitverlängerungsdiskussion nicht fehlen.

1) Zitiert nach »Frankfurter Allgemeine Zeitung« vom 26. 6. 2004

2) Arbeiter und Angestellte des Bundeslandes Bayern werden ab dem 1. September 2004 nur noch dann neu eingestellt oder befördert, wenn sie 42 Stunden lang arbeiten. Für 50- bis 60-Jährige gilt die 41-Stunden Woche, ab 60 beträgt die Arbeitszeit 40 Stunden. In fünf Jahren wird die 42-Stunden-Woche für drei Viertel der 300.000 bayrischen Landesbediensteten gelten. (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31. März 2004)

3) Zudem übersieht H. W. Sinn geflissentlich, dass ein Land mit einem anhaltend hohen Exportüberschuss wie Deutschland offensichtlich kein Problem bei der internationalen Wettbewerbsfähigkeit seiner Exporte hat, dass Deutschlands Wachstumsschwäche vielmehr in der mangelnden Binnennachfrage ihre Ursache hat.

4) »Arbeitszeitentwicklung und Arbeitszeitpolitik«, Wien 1984

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