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Stress statt Transmissionsriemen

HINTERGRUND

Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit - die europäische Perspektive. Gefahr am Arbeitsplatz bedeutete einst Lebensgefahr durch Räder und Transmissionsriemen. Heute drohen auch Stress, Mobbing und Schäden der Wirbelsäule. Neue Wege im Arbeitnehmerschutz.

Die Umsetzung der europäischen Bestimmungen zum Arbeitnehmerschutz erfolgte in Österreich vor allem durch das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (AschG) und die dazu erlassenen Verordnungen. Dieses Gesetz hat einige grundlegende Änderungen in den Regelungsbereich und das Verständnis des Arbeitnehmerschutzes gebracht. Dies wiederum brachte Umstellungen und Probleme für Unternehmen, Gesetzgeber, Sozialpartner und AUVA (Allgemeine Unfallversicherungsanstalt) mit sich.

Zwei wesentliche Neuerungen, die mit dem ASchG gekommen sind, seien kurz angerissen: Die Richtlinien der EU stehen alle unter dem Motto »weniger Staat, mehr privat«, also mehr Eigenverantwortung des Einzelnen. Im Arbeitnehmerschutz hatte dies zur Folge, dass die wesentlich verstärkte Eigenverantwortung des Arbeitgebers für einige Verunsicherung sorgte. Die neue Philosophie wird vor allem durch die weitgehende Umdefinierung der gesetzlichen Grundlagen weg von klaren Anforderungen und Detailregelungen hin zu Schutzzielen erkennbar. Begriffe wie »ausreichend«, »entsprechend«, »wenn es die betrieblichen Verhältnisse erfordern« oder »erforderlichenfalls« sind gängig und keine Seltenheit.

Logische Konsequenz dieses Ansatzes war die gesetzliche Forderung an den Arbeitgeber, seine Arbeitsplätze zu »evaluieren«, das heißt, die Gefahren im Zusammenhang mit der Arbeit zu ermitteln, zu beurteilen und Maßnahmen gegen sie festzulegen. Die Brisanz dieser Forderung liegt darin, dass dieser Prozess dokumentiert werden muss und somit auch - vom Arbeitsinspektor, oder im schlimmsten Fall einem Staatsanwalt -schriftlich eingefordert und überprüft werden kann.

Der Arbeitgeber wurde also durch das ASchG zu »aktivem Tun« verpflichtet, das bloße Einhalten von gesetzlichen Mindestanforderungen allein ist nicht mehr möglich. Wie will man auch die Forderung, eine ausreichende Anzahl geeigneter Löscheinrichtungen bereitzustellen, einfach »einhalten«? Bildlich gesprochen stand der Unternehmer plötzlich vor der Notwendigkeit, sich mit der Evaluierung quasi seinen eigenen Bescheid zu erstellen - schriftlich, nachvollziehbar, überprüfbar und somit auch angreifbar.

Das zweite schwierig umzusetzende Novum war die Forderung nach sicherheitstechnischer und arbeitsmedizinischer Betreuung für alle Betriebe, nicht nur für Großbetriebe. Diese Forderung hatte starke organisatorische Anstrengungen auf betrieblicher Seite, bei Behörden, Interessenvertretungen und AUVA zur Folge. Die AUVA hat diesbezüglich eine eigene Organisationseinheit geschaffen. Die »Präventionszentren« (AUVAsicher) bieten auf Anfrage die Betreuung von Kleinbetrieben mit bis zu 50 Arbeitnehmern kostenlos an.

Zukünftige Herausforderungen

Seitdem sind einige Jahre vergangen und die Richtlinien wurden in Österreich weitgehend umgesetzt. Begriffe wie »Arbeitsplatzevaluierung«, »Schutzziele«, »Kleinbetriebsbetreuung« oder »Risikoanalyse« sind keine Fremdwörter mehr.

Doch Stillstand ist Rückschritt, und auch die Europäische Kommission sowie die Agentur wollen den Arbeitnehmerschutz weiterentwickeln und an neue Gegebenheiten anpassen. Im März vorigen Jahres veröffentlichte die Kommission eine Mitteilung zur »Anpassung an den Wandel von Arbeitswelt und Gesellschaft: eine neue Gemeinschaftsstrategie für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2002-2006«. In diesem Dokument werden die Weichen für die zukünftige Marschrichtung im europäischen Arbeitnehmerschutz gestellt.

EU-Umfrage zu Arbeitsbedingungen

Die europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen mit Sitz in Dublin führte heuer eine Umfrage in den Mitgliedsstaaten durch, die eine Zunahme der arbeitsbedingten Gesundheitsprobleme, die Intensivierung der Arbeit und flexible Beschäftigungsformen ergab. Resümee: die Anforderungen, Gefahren und Belastungsfaktoren verschieben und verändern sich, aber es ist im Ganzen keine subjektive Verbesserung der Arbeitsbedingungen festzustellen.

Es wurde eindringlich vor der falschen Annahme gewarnt, dass Arbeitsbedingungen sich quasi von selbst verbessern und ein einmal erreichter Standard »automatisch« dort bleibt, wo er ist. Stillstand ist Rückschritt - ein altes Schlagwort, aber nach wie vor gültig.

Arbeitsbedingungen im Wandel

Ohne alte und wichtige Themen wie Maschinensicherheit, Elektroschutz oder Lärmschutz in den Hintergrund drängen zu wollen, muss man feststellen: Die Schwerpunkte der Präventionsarbeit verlagern sich und neue Themen gewinnen an Bedeutung. Themen wie Stress, Mobbing, Belastungen des Bewegungs- und Stützapparates, Ergonomie oder neue Arbeitsstoffe werden forciert. Kleinunternehmen, die demographische Entwicklung, neue Beschäftigungs- und Ausbildungsformen rücken in den Mittelpunkt der Überlegungen.

Die Präventionskultur soll sich wandeln: Weg von der Belehrung hin zur Sensibilisierung und Motivierung. Natürlich muss es auch weiterhin Experten für die verschiedenen Fachbereiche geben, aber der Trend muss eindeutig zu einer Ausbildung gehen, die auf Risikobewusstsein und Eigenverantwortung angelegt ist. Überzeugen statt überreden muss das Schlagwort sein.

Im Folgenden einige allgemeine Ideen darüber, welche Themen und Schlagworte in den nächsten Jahren von der EU und der Agentur forciert werden sollen.

Soziale Risiken

Geht es im klassischen technischen Ansatz der Prävention vor allem darum, gefährdende Situationen durch sichtbare technische Schutzmaßnahmen zu vermeiden oder einzudämmen, ist der heutige Ansatz wesentlich weiter gefasst: Ziel ist die Verbesserung des körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens bei der Arbeit. Der Faktor Mensch rückt in den Mittelpunkt, gefährdende Faktoren wie Zeitdruck, zu wenig, zu viel oder schlechte Information, Stress, Mobbing oder Alkoholprobleme werden thematisiert.

Neue Risiken - Neue Ansätze

Neue Schwerpunkte und Ziele verlangen einen geänderten und erweiterten Ansatz für die zukünftige Präventionsarbeit. So wird ein neuer, interdisziplinärer Ansatz weiter forciert werden müssen, in dem Technik, Arbeitsmedizin, Psychologie, aber auch Wirtschafts- und Sozialwissenschaft koordiniert und ergänzend zusammenarbeiten müssen. Arbeitnehmerschutz darf in den Köpfen der Betroffenen kein isoliertes und schon gar kein lästiges Thema sein. Das Verständnis dafür, dass Präventionskultur im Betrieb ein harmonischer, unverzichtbarer und notwendiger Teil des Ganzen ist, muss transportiert werden. Das erklärte Ziel ist es, dass Arbeitnehmerschutz zu einem natürlichen Bestandteil und Kriterium bei betrieblichen Entscheidungen wird.

Systeme statt Einzellösungen

Hier knüpft nahtlos das Konzept an, die Präventionsarbeit weg von der Behandlung von Einzelfällen hin zu systematischen Systemen zu entwickeln. Es müssen in verstärktem Ausmaß Organisations-, Management- und Methodikthemen forciert werden, von Einzelfällen gelöste Prozesse für bestimmte Branchen und Betriebsgrößen entwickelt werden. Diese Arbeitnehmerschutzsysteme bzw. integrierte Systeme von Sicherheit, Qualität und Umweltschutz sollen auch auf europäischer Ebene entwickelt werden.

Die kleineren Betriebe waren lange ein Stiefkind der Prävention, die Arbeit beschränkte sich fast ausschließlich auf mittlere und große Unternehmen. Die besonderen Anforderungen und Ansprüche von Kleinbetrieben waren mit früheren Strukturen schwer bis gar nicht zu befriedigen.

Neue Zielgruppe Kleinbetriebe

Da jedoch die überwiegende Mehrzahl der europäischen Betriebe in diese Kategorie fallen, kann ein Ausblenden dieser Problematik auf Dauer nicht verantwortet werden. Die Forderung nach Berücksichtigung von Kleinunternehmen zieht sich seit langem wie ein roter Faden durch viele Bereiche der EU, im Arbeitsschutz wurde bereits 1995 ein »Handbuch für eine Selbstüberprüfung über Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz« herausgegeben.

Kosten und Nutzen

Häufig scheitern innovative und gute Präventionskonzepte an der Unwilligkeit der Unternehmer, in Sicherheit zu investieren. Der soziale und menschliche Zugang allein reicht oft leider nicht aus, die Sache muss auch finanziell vertretbar sein. Deshalb ist es der Kommission ein Anliegen, die »Kosten der Nichtqualität«, also die direkten und indirekten Kosten, die durch arbeitsbedingte Unfälle und Krankenstände anfallen, möglichst objektiv zu erforschen und den betrieblichen Entscheidungsträgern zu vermitteln. Erhöhte Produktivität und verbesserte Wettbewerbsfähigkeit gehen Hand in Hand mit guten Arbeitsbedingungen und einer gesunden und motivierten Belegschaft.

Arbeitnehmerschutz ist auch keine »Insellösung«, sondern ein integrierter Bestandteil des gesamten betrieblichen Geschehens.

Alle Beteiligten und Betroffenen müssen in die Prävention eingebunden werden. Arbeitnehmerschutz ist nicht nur Angelegenheit von einigen wenigen Experten.

So wird von der Kommission in der Einleitung der Mitteilung über die Gemeinschaftsstrategie festgehalten: »Die Politik der Gemeinschaft muss daher im Rahmen einer Regierungsführung, die sich auf die Teilnahme aller stützt, sämtliche Akteure einbeziehen - Behörden, Sozialpartner, Unternehmen, öffentliche und private Versicherer usw.«

Durch eine breit gefächerte Anhörung und vertretbare Berücksichtigung unterschiedlicher Zugänge soll eine möglichst weite Akzeptanz erreicht werden, was auch in Sachen Verbreitung der Inhalte wesentliche Vorteile bringt.

Letztlich ist die Forderung nach einer möglichst breiten Basis auch eine logische Konsequenz aus dem Wunsch, den Arbeitnehmerschutz aus seiner Isolation herauszulösen und als Bestandteil der Betriebskultur zu etablieren.

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