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Wie weiter mit dem Gesundheitswesen?

HINTERGRUND

VfGH-Urteil hebt Ausgleichfonds auf: Das Problem der Finanzierung ist wieder höchst aktuell. Regierung plant Gesundheitsagenturen, die aber nur der Zerschlagung der Selbstverwaltung dienen. Wir brauchen nachhaltige Lösungen!

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat Mitte März die Neuregelung des Ausgleichsfonds der Krankenkassen aufgehoben. Das Problem der Finanzierung des Gesundheitswesens ist damit wieder höchst aktuell. Es müssen sehr schnell nachhaltige Lösungen gefunden werden.

VfGH-Urteile

Vom VfGH aufgehobene Gesetze im Bereich der Sozialversicherung:
16. 3. 2001: Die Ambulanzgebühr wird wegen nicht ordnungsgemäßer Kundmachung aufgehoben. Reparaturfrist und neue Beschlussfassung.
17. 12. 2002: Die Besteuerung der Unfallrenten wird wegen fehlender Übergangsfristen als verfassungswidrig aufgehoben.
27. 6. 2003: Die im Herbst 2000 beschlossene Neuregelung der Hinterbliebenenpensionen wird als verfassungswidrig angesehen.
10. 10. 2003: Der VfGH kippt die Reform des Hauptverbandes.
13. 3. 2004: Teile des Ausgleichsfonds der Sozialversicherungsträger werden als verfassungswidrig aufgehoben.

VfGH-Entscheid: Alle wesentlichen Elemente des im Jahr 2002 von der Regierung beschlossenen Modells zur Sanierung der Krankenkassen wurden als verfassungswidrig erkannt und aufgehoben: die Neuregelung des Ausgleichsfonds, die Zielvereinbarungen, die Erhöhung der Beiträge, die »Zwangsdarlehen« und die Einbeziehung von vier weiteren Krankenkassen in den Fonds.

Der Ausgleichsfonds soll der unterschiedlichen Versichertenstruktur der verschiedenen Kassen Rechnung tragen. Denn Kassen in den Bundesländern, in welchen es mehr Menschen mit niedrigen Einkommen, mehr Arbeitslose oder Pensionisten gibt, haben eine vergleichsweise schlechtere Finanzsituation. Daher haben alle Gebietskrankenkassen 2% ihrer Beitragseinnahmen in den Ausgleichsfonds gezahlt, der derartige Unterschiede in der Versichertenzusammensetzung teilweise ausgeglichen hat.

Im Jahr 2002 wurden die Kassen der Bauern, der Eisenbahner und der öffentlich Bediensteten in den Ausgleichsfonds integriert mit der Folge, dass etwa die Rücklagen der Eisenbahner abgezogen wurden und die Kasse der Bauern, die nie Einzahlungen in den Ausgleichsfonds geleistet hat, auf einmal große Zuflüsse aus dem Fonds erhalten hat. Des Weiteren wurde der Beitragssatz für die Zahlungen in den Fonds von 2% auf 4% angehoben und Zahlungen in den Fonds nicht nur von der Versichertenzusammensetzung abhängig gemacht, sondern auch davon, ob die Kassen die Vorgaben des Hauptverbandes umsetzen oder nicht.

VfGH: »Die Neuregelung des Ausgleichsfonds durch die Einbeziehung weiterer Krankenkassen (konkret: die Versicherungsanstalt Öffentlich Bediensteter, die der Eisenbahner, die der Gewerblichen Wirtschaft und die der Bauern) führt zu systemimmanenten Benachteiligungen bzw. Begünstigungen einiger Krankenkassen.«

Höhere Beitragssätze

Schon höhere Beitragssätze in einzelnen Krankenkassen bzw. zusätzliche Einnahmequellen (wie etwa Selbstbehalte) haben zur Folge, dass sie im Ausgleichsfonds-System stärker belastet werden. Die Erhöhung des Beitrags von 2% auf 4% wurde als verfassungswidrig aufgehoben, weil die Mittel u. a. für die Zahlungen im Zusammenhang mit der Zielerreichung verwendet werden sollten.

Unklarheiten über den Charakter und die Regelungen zu den Zielvereinbarungen - die eigentlich keine Vereinbarungen sondern Vorgaben sind - wurden ebenso als verfassungswidrig erkannt wie die Verpflichtung mancher Kassen, dem Fonds Zwangsdarlehen zu gewähren.

Die aufgehobenen Regelungen dürfen nicht mehr angewandt werden. Auf ihrer Grundlage sind bisher 561 Millionen Euro geflossen. Rückzahlungen werden die Folge des Urteils sein.

Es stellt sich die Frage, wie die defizitären Kassen die aus dem Fonds erhaltenen Beträge zurückzahlen sollen.

Hinweise wie jene der Ministerin, die meinte, der Obmann der Wiener Kasse solle »in sich gehen und überlegen, was schiefgegangen ist«, werden dem Ernst der Lage nicht wirklich gerecht, zumal der Gesetzgeber dieses Problem geschaffen hat und nicht die Gebietskrankenkassen.

 Neuerungen im Gesundheitswesen 2004

Für alle ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen wird seit Jahresbeginn in der Krankenversicherung ein »Zusatzbeitrag für Freizeitunfälle« von 0,1% eingehoben. Dieser ist allein von den Versicherten zu bezahlen, der Dienstgeberbeitrag ist davon nicht betroffen! Es handelt sich um eine Beitragssatzerhöhung ohne neue Leistungen, denn Freizeitunfälle waren schon bisher versichert.

Für Angestellte beträgt der Dienstnehmerbeitrag in der Krankenversicherung ab heuer 3,7%, also um 0,3% mehr als im Vorjahr. Für ASVG-PensionistInnen werden die KV-Beiträge 2004 und 2005 um jeweils 0,5% erhöht. Hinzu kommt der erwähnte »Zusatzbeitrag für Freizeitunfälle«, womit 4,35% (2004) bzw. 4,85% (2005) zu bezahlen sind.

Wenn Christoph Leitl vorschlägt, die Kassen sollen bei drohender Zahlungsunfähigkeit kurzfristig Kredite aufnehmen, so stellt dies lediglich einen teuren Aufschub, aber keinesfalls eine Lösung des Problems dar.

Explodierende Gesundheitsausgaben?

Trotz der schwierigen Finanzsituation der Krankenkassen muss eines festgehalten werden: Die Gesundheitsausgaben in Österreich sind im internationalen Vergleich der Industrieländer relativ gering. Die gesamten Gesundheitsausgaben (öffentliche und private) lagen im Jahr 2001 in Österreich bei 7,4% des BIP. Spitzenreiter waren die USA mit 13,7%, die Schweiz und Deutschland lagen bei 10,4%.

Auch im Zeitvergleich ist die Ausgabenentwicklung keineswegs dramatisch.

Das österreichische Finanzierungsproblem resultiert aus der Entwicklung, dass die Einnahmen hinter den Ausgaben zurückbleiben. Das liegt auf der Einnahmenseite an Faktoren wie der hohen Arbeitslosigkeit und dem Verlust an gut bezahlten Vollzeitarbeitsplätzen. Seit dem Jahr 2000 sind 61.000 Vollzeit-Arbeitsplätze verlorengegangen. Gleichzeitig stiegen die Teilzeitstellen um 65.000. Auf der Ausgabenseite wirken vor allem die Medikamentenkosten als Preistreiber. Der steigende Anteil älterer Menschen zusammen mit neuen Behandlungsmethoden hat ebenfalls erhöhte Kosten zur Folge.
Von 1997 bis 2002 stiegen:

  • Das BIP um 18%.
  • Die Versicherungsleistungen der Krankenkassen um 24,4%.
  • Die Beitragseinnahmen um 14,3%.
  • Die Arbeitnehmerentgelte um 16,4%.

Ausgabenbegrenzung?

Eine Koppelung der Ausgaben an die Einnahmen, die von Gesundheitsministerin Rauch-Kallat vorgeschlagen wurde, liefe auf weitere Belastungen für kranke Menschen hinaus. Diese tragen aber keine Schuld an der ungünstigen Einnahmen-Ausgabenentwicklung der Krankenkassen.

Darüber hinaus hat die Regierung selbst durch einige Maßnahmen den Krankenkassen Finanzierungsquellen »abgedreht« (siehe Kasten).

Verländerung oder Vereinheitlichung?

Die Regierung plant nun eine völlige Neuordnung des Gesundheitswesens: Unter dem Schlagwort »Gesundheitsagenturen« sollen zwei Ziele umgesetzt werden:

  • Eine weitere Kompetenzverschiebung zu den Ländern.
  • Eine Entmündigung der Krankenkassen bzw. der Selbstverwaltung.

Eine weitere »Verländerung« des Gesundheitswesens wäre eine bedenkliche Entwicklung. Denn das hieße, dass Gebietskrankenkassen mit gleichen Beitragssätzen verstärkt unterschiedliche Versicherungsleistungen erbringen würden.

Die Sozialversicherung verliert im Rahmen der geplanten Gesundheitsagenturen ihre Gestaltungsmöglichkeiten und wird auf eine reine »Vollziehung« der Vorgaben der Gesundheitsagentur reduziert. Die Planungs- und Steuerungsbeschlüsse der Agentur sind für die Sozialversicherung verbindlich. Es ist aufgrund der letzten VfGH-Urteile (Hauptverband, Krankenkassenausgleichsfonds) nicht davon auszugehen, dass diese Konstellation verfassungskonform ist, weil jene selbstverwalteten Kassen, die die Leistungen finanzieren, keine Gestaltungsmöglichkeiten auf den Leistungskatalog hätten.

Die Gesundheitsagentur soll folgendermaßen beschickt werden:

  • 40% Länder
  • 20% Bund
  • 40% Sozialversicherung

Das ergibt wieder eine Mehrheit für Schwarz-Blau. In den Krankenkassen richtet sich die Entsendung der Vertreter der ArbeitnehmerInnen nach den Ergebnissen der AK-Wahl. Diese fände in der Zusammensetzung der Gesundheitsagenturen keinerlei Entsprechung mehr.

Gesundheitsagenturen

Ministerin Maria Rauch Kallat will die Gesundheitsagenturen im Herbst beschließen lassen. Das Thema sei mit den Finanzausgleichsverhandlungen verknüpft, die bis Ende des Jahres neu geregelt werden müssen.

Die Gesundheitsagenturen würden die gesamten Mittel in den Bundesländern zusammenfließen lassen und damit die gesamte Gesundheitsversorgung finanzieren.

Dies würde zu einer Kompetenzverteilung weg von der Sozialversicherung führen, welche nicht gerechtfertigt wäre. Die Verwaltungskosten der Landesfonds haben sich 1997 bis 2001 verdreifacht, die der Kassen sind nur um 7% gestiegen.

Laut Franz Bittner, Chef der Wiener Kasse, zahlen Bund, Länder und Gemeinden nur 26% der Krankenhausausgaben, hätten jedoch in der Gesundheitsagentur eine Mehrheit (Wirtschaftsblatt vom 18. 3. 2004). Wenn man auch die niedergelassenen Ärzte berücksichtigt, finanziert die Krankenkasse etwa zwei Drittel der Kosten.

In diese Kerbe schlägt auch Hans Sallmutter. »Die Sozialversicherungen würden so nur noch die Ausgaben abwickeln, können aber die Verwendung der Mittel, die Leistungen und die Verhandlungen mit den Vertragspartnern nicht mehr gestalten«, so Sallmutter. »Länder und Gemeinden sind Anbieter von Spitälern und haben ein Interesse, dass hier mehr Geld hineinfließt.«

Strukturausgleich

Eine zusätzliche Verländerung kann aber nicht die Antwort auf die Herausforderungen im Gesundheitswesen sein. Denn je nach Höhe der Einkommen, dem Verhältnis zwischen Beschäftigten zu Arbeitslosen und Pensionisten haben die Kassen eine gute oder schlechte Finanzsituation. Eine Form des Risikostrukturausgleiches wäre hier durchaus notwendig, wenn man den Weg einer Zusammenlegung der Kassen nicht gehen will. Das VfGH-Urteil schreibt vor, den Ausgleichstopf zwischen unterschiedlichen Kassen aufzuheben (Bauern und Gebietskrankenkassen), nicht jedoch zwischen den Gebietskrankenkassen selbst.

Privatisierung?

Die Gesundheitsagenturen könnten sich auch als Weg zu einer weiteren Privatisierung der Gesundheitsausgaben entpuppen. So ist im diesbezüglichen Papier zu diesem Thema schon vom »Einkauf von Leistungen am Gesundheitsmarkt« die Rede. Der Wirtschaftsbund fordert in diesem Zusammenhang eine schrittweise Privatisierung von Spitälern und eine Zurückdrängung der Arbeitnehmervertreter in den Krankenkassen.

Derzeit werden die Gesundheitsausgaben zu 68,5% öffentlich (Sozialversicherung, Bund, Länder, Gemeinden) und zu 31,5% privat getragen.

Sinnvolle Reformvorschläge

Gesundheitsministerin Rauch-Kallat will die öffentlichen Gesundheitsausgaben bei 5,5% des BIP einfrieren. Das bedeutet, dass der zu erwartende zusätzliche Bedarf an Leistungen des Gesundheitswesens automatisch von den Betroffenen selbst aufgebracht werden muss und damit kein Solidarausgleich stattfindet. Die Probleme würden zunehmend auf jeden Einzelnen abgewälzt werden.

Sinnvolle Gesundheitsreformen müssen sowohl bei den Einnahmen als auch bei den Ausgaben ansetzen, ohne Grundlagen wie einen gleichen Zugang zu Gesundheitsleistungen und Solidarausgleich durch die Pflichtversicherung in Frage zu stellen. Eine verstärkte Finanzierung des Systems über Selbstbehalte ist unsozial und daher abzulehnen. Selbstbehalte belasten sozial schwache und krankheitsanfällige Menschen überproportional.


 Maulkorberlässe für die Sozialversicherung

Die Regierung verbietet den SV-Trägern per Gesetz die freie Meinungsäußerung:
Schritt 1: SV-Träger dürfen Informationen an die Versicherten nur nach Absprache mit den betreffenden Ministerien aussenden. (Hintergrund: Die SV-Träger haben die Versicherten kritisch über den »Unsinn« der Ambulanzgebühren informiert, zu deren Umsetzung sie gezwungen wurden.)
Schritt 2: SV-Träger müssen die Versicherten im Auftrag des Ministeriums in dessen Sinne informieren.
Schritt 3: Auch die neuerliche Deckelung der Verwaltungskosten auf Basis 1999 kommt einer Knebelung der Entscheidungsmöglichkeiten der Sozialversicherungsträger gleich.

Probleme der derzeitigen Struktur

Im gegenwärtigen Gesundheitssystem gibt es eine Vielzahl an Akteuren, Leistungsfinanciers und Leistungserbringern. Hier ein Mehr an Koordination und ganzheitlichem Denken einzuführen wäre durchaus sinnvoll. Doch nicht jeder Vorschlag, der dies offiziell zum Ziel hat, würde die Situation optimieren.

Ein wesentlicher Grundsatz sollte sein, dass die Leistungsfinanciers im Rahmen der Selbstverwaltung auch eine Gestaltungsmöglichkeit haben. Im Modell der Gesundheitsagenturen sind die Krankenkassen, die den weitaus größten Teil der Finanzmittel stellen, völlig unterrepräsentiert und würden de facto auf die Vollziehung beschränkt werden.

Ein systemischer Schwachpunkt des derzeitigen Gesundheitssystems ist die duale Finanzierung.

Die Spitäler werden über Länderfonds von der Sozialversicherung, dem Bund, den Ländern und Gemeinden finanziert.

Die niedergelassenen Ärzte werden von den Krankenkassen finanziert.

Das führt zu Schnittstellenproblemen und Versuchen, sich gegenseitig Kosten zuzuschieben. Da die Zahlungen der Kassen für die Spitäler gedeckelt und pauschaliert sind, während jeder Arztbesuch über die Einzelabrechung Mehrkosten verursacht, ist für die Kassen eine ambulante Behandlung in einer Krankenanstalt finanziell schonender.

Umgekehrt wollen die Länder mehr an Behandlung von den Ambulanzen zu den Ärzten verlagern, weil für sie dadurch keine finanziellen Belastungen entstehen würden.

Hier wäre eine ganzheitliche Struktur ein Fortschritt, wenn sie nicht zu einer Entmachtung der Krankenkassen führt, sondern zum Ziel hat, das gegebene System zu optimieren. Auf keinen Fall dürfte eine neue Struktur als Mittel zur Privatisierung des Gesundheitswesens instrumentalisiert werden.

Was getan werden soll:

  • Bundeseinheitliche Leistungen auf hohem Niveau.
  • Zweckwidmung von Alkohol- und Tabaksteuer für das Gesundheitssystem.
  • Geringerer Mehrwertsteuersatz auf Medikamente.
  • Verstärkter Einsatz von Generika zur Senkung der Kostendynamik bei den Medikamenten.
    Generika sind wirkstoffgleiche »Nachbau-Medikamente« von Präparaten, deren Patentschutzfrist abgelaufen ist. (Der Anteil der Generika beträgt in Österreich 11%, in Deutschland hingegen 52%.)
  • Teile der Akutbetten in geriatrische Betten umwandeln.
  • Bessere Schnittstellen zwischen den Gesundheitseinrichtungen.
  • Ausbau der Vorsorgemedizin statt Hürden durch Selbstbehalte.
  • Verbreitung der Bemessungsgrundlage für die Finanzierung des Gesundheitssystems.

Verbreitung der Bemessungsgrundlage - Wertschöpfungsabgabe

Doch selbst wenn notwendige Optimierungen im System erfolgen, ist eine Erhöhung der Finanzmittel für das Gesundheitswesen notwendig, will man den Weg zur Zweiklassengesellschaft im Bereich der Gesundheitsversorgung nicht gehen. Die Forderung nach einer Wertschöpfungsabgabe wird nun auch vom Präsidenten der Wiener Ärztekammer, Walter Dorner, unterstützt. Die Vertreter der Wirtschaft, Christoph Leitl, und der Industrie, Lorenz Fritz, haben erwartungsgemäß sofort abgeblockt.

Die Gesundheitsexpertin des IHS, Maria Hofmacher, meint zwar auch, dass kurzfristig über eine Optimierung der Versorgungskette etwas eingespart werden könne, die Finanzierungslücke grundsätzlich aber einnahmenbedingt ist. Seit Mitte der 80er-Jahre nehmen die Kosten stärker zu als die Einnahmen. Die Schere geht immer weiter auseinander. An einer Erhöhung der Beiträge oder der Bemessungsgrundlage führt daher kein Weg vorbei.

Ungleiche Chancen

Die Kosten für das Gesundheitswesen hängen aber auch davon ab, ob wir in einer krankmachenden Gesellschaft leben. Gesundheit hängt neben dem individuellen Verhalten auch von zahlreichen sozialen Faktoren ab, die ihrerseits auch das individuelle Verhalten prägen:

Der Zustand der Wohnungen, die Qualität der Ernährung, Bewegung, Konsum von Nikotin, Alkohol, Bildung und Erziehung, das alles sind Faktoren, die in verschiedenen sozialen Schichten sehr unterschiedlich sind und den Gesundheitszustand beeinflussen.

Ungleiche Chancen in der Gesellschaft spiegeln sich auch im Gesundheitszustand und der Lebenserwartung wider. Weniger Gebildete und arme Menschen werden öfter und schwerer krank als gebildete und reiche. Das Sterberisiko von Pflichtschulabgängern ist bei Männern zwischen 36 bis 64 um 109% höher als bei Akademikern; bei Frauen ist die Sterblichkeit der Pflichtschulabgängerinnen um 50% höher als bei Akademikerinnen.

Eine Verbesserung des allgemeinen Bildungsniveaus und der Lebensbedingungen verbessert den Gesundheitszustand und entlastet damit das Gesundheitswesen langfristig. Auch die Arbeitsbedingungen und die soziale Sicherheit wirken sich aus. Menschen werden durch Mobbing, Stress, Überanstrengung oder etwa »unsichere« Arbeitsplätze krank. Man muss derartige Faktoren als Teil des Komplexes Gesundheit sehen.

Der britische Wissenschafter Richard Wilkinson hat festgestellt, dass Menschen in Ländern mit geringeren Einkommensunterschieden eine höhere Lebenserwartung haben.

Bemühungen um eine nachhaltige Konsolidierung des Gesundheitswesens müssen daher auch die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen als gesundheitsbestimmende Faktoren berücksichtigen.


Regierung hungert Krankenkassen aus

Durch eine Reihe von Maßnahmen hat die Regierung die Einnahmen der Krankenkassen unter anderem reduziert:

  • »Körberlgeld« für Finanzminister: Mehrwertsteuer für Medikamente.
  • Krankenversicherung übernimmt Bundeszahlungen für Spitäler.
  • Krankenversicherung übernimmt Bundesbeitrag für Bauern-Krankenversicherung.
  • Verringerung der Zahlungen der Pensionsversicherung an die Krankenversicherung.
  • Senkung der Beitragsgrundlage Zivildiener.
  • Halbierung der Beiträge der Arbeitslosenversicherung.
  • Beitragssenkung für Dienstgeber.
  • Längere Zahlungsfrist für Dienstgeber.
  • Mehr Beitragsgeld für Privatspitäler.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat Mitte März die Neuregelung des Ausgleichsfonds der Krankenkassen aufgehoben. Das Problem der Finanzierung des Gesundheitswesens ist damit wieder höchst aktuell. Es müssen sehr schnell nachhaltige Lösungen gefunden werden.

VfGH-Urteile

Vom VfGH aufgehobene Gesetze im Bereich der Sozialversicherung:
16. 3. 2001: Die Ambulanzgebühr wird wegen nicht ordnungsgemäßer Kundmachung aufgehoben. Reparaturfrist und neue Beschlussfassung.
17. 12. 2002: Die Besteuerung der Unfallrenten wird wegen fehlender Übergangsfristen als verfassungswidrig aufgehoben.
27. 6. 2003: Die im Herbst 2000 beschlossene Neuregelung der Hinterbliebenenpensionen wird als verfassungswidrig angesehen.
10. 10. 2003: Der VfGH kippt die Reform des Hauptverbandes.
13. 3. 2004: Teile des Ausgleichsfonds der Sozialversicherungsträger werden als verfassungswidrig aufgehoben.

VfGH-Entscheid: Alle wesentlichen Elemente des im Jahr 2002 von der Regierung beschlossenen Modells zur Sanierung der Krankenkassen wurden als verfassungswidrig erkannt und aufgehoben: die Neuregelung des Ausgleichsfonds, die Zielvereinbarungen, die Erhöhung der Beiträge, die »Zwangsdarlehen« und die Einbeziehung von vier weiteren Krankenkassen in den Fonds.

Der Ausgleichsfonds soll der unterschiedlichen Versichertenstruktur der verschiedenen Kassen Rechnung tragen. Denn Kassen in den Bundesländern, in welchen es mehr Menschen mit niedrigen Einkommen, mehr Arbeitslose oder Pensionisten gibt, haben eine vergleichsweise schlechtere Finanzsituation. Daher haben alle Gebietskrankenkassen 2% ihrer Beitragseinnahmen in den Ausgleichsfonds gezahlt, der derartige Unterschiede in der Versichertenzusammensetzung teilweise ausgeglichen hat.

Im Jahr 2002 wurden die Kassen der Bauern, der Eisenbahner und der öffentlich Bediensteten in den Ausgleichsfonds integriert mit der Folge, dass etwa die Rücklagen der Eisenbahner abgezogen wurden und die Kasse der Bauern, die nie Einzahlungen in den Ausgleichsfonds geleistet hat, auf einmal große Zuflüsse aus dem Fonds erhalten hat. Des Weiteren wurde der Beitragssatz für die Zahlungen in den Fonds von 2% auf 4% angehoben und Zahlungen in den Fonds nicht nur von der Versichertenzusammensetzung abhängig gemacht, sondern auch davon, ob die Kassen die Vorgaben des Hauptverbandes umsetzen oder nicht.

VfGH: »Die Neuregelung des Ausgleichsfonds durch die Einbeziehung weiterer Krankenkassen (konkret: die Versicherungsanstalt Öffentlich Bediensteter, die der Eisenbahner, die der Gewerblichen Wirtschaft und die der Bauern) führt zu systemimmanenten Benachteiligungen bzw. Begünstigungen einiger Krankenkassen.«

Höhere Beitragssätze

Schon höhere Beitragssätze in einzelnen Krankenkassen bzw. zusätzliche Einnahmequellen (wie etwa Selbstbehalte) haben zur Folge, dass sie im Ausgleichsfonds-System stärker belastet werden. Die Erhöhung des Beitrags von 2% auf 4% wurde als verfassungswidrig aufgehoben, weil die Mittel u. a. für die Zahlungen im Zusammenhang mit der Zielerreichung verwendet werden sollten.

Unklarheiten über den Charakter und die Regelungen zu den Zielvereinbarungen - die eigentlich keine Vereinbarungen sondern Vorgaben sind - wurden ebenso als verfassungswidrig erkannt wie die Verpflichtung mancher Kassen, dem Fonds Zwangsdarlehen zu gewähren.

Die aufgehobenen Regelungen dürfen nicht mehr angewandt werden. Auf ihrer Grundlage sind bisher 561 Millionen Euro geflossen. Rückzahlungen werden die Folge des Urteils sein.

Es stellt sich die Frage, wie die defizitären Kassen die aus dem Fonds erhaltenen Beträge zurückzahlen sollen.

Hinweise wie jene der Ministerin, die meinte, der Obmann der Wiener Kasse solle »in sich gehen und überlegen, was schiefgegangen ist«, werden dem Ernst der Lage nicht wirklich gerecht, zumal der Gesetzgeber dieses Problem geschaffen hat und nicht die Gebietskrankenkassen.

 Neuerungen im Gesundheitswesen 2004

Für alle ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen wird seit Jahresbeginn in der Krankenversicherung ein »Zusatzbeitrag für Freizeitunfälle« von 0,1% eingehoben. Dieser ist allein von den Versicherten zu bezahlen, der Dienstgeberbeitrag ist davon nicht betroffen! Es handelt sich um eine Beitragssatzerhöhung ohne neue Leistungen, denn Freizeitunfälle waren schon bisher versichert.

Für Angestellte beträgt der Dienstnehmerbeitrag in der Krankenversicherung ab heuer 3,7%, also um 0,3% mehr als im Vorjahr. Für ASVG-PensionistInnen werden die KV-Beiträge 2004 und 2005 um jeweils 0,5% erhöht. Hinzu kommt der erwähnte »Zusatzbeitrag für Freizeitunfälle«, womit 4,35% (2004) bzw. 4,85% (2005) zu bezahlen sind.

Wenn Christoph Leitl vorschlägt, die Kassen sollen bei drohender Zahlungsunfähigkeit kurzfristig Kredite aufnehmen, so stellt dies lediglich einen teuren Aufschub, aber keinesfalls eine Lösung des Problems dar.

Explodierende Gesundheitsausgaben?

Trotz der schwierigen Finanzsituation der Krankenkassen muss eines festgehalten werden: Die Gesundheitsausgaben in Österreich sind im internationalen Vergleich der Industrieländer relativ gering. Die gesamten Gesundheitsausgaben (öffentliche und private) lagen im Jahr 2001 in Österreich bei 7,4% des BIP. Spitzenreiter waren die USA mit 13,7%, die Schweiz und Deutschland lagen bei 10,4%.

Auch im Zeitvergleich ist die Ausgabenentwicklung keineswegs dramatisch.

Das österreichische Finanzierungsproblem resultiert aus der Entwicklung, dass die Einnahmen hinter den Ausgaben zurückbleiben. Das liegt auf der Einnahmenseite an Faktoren wie der hohen Arbeitslosigkeit und dem Verlust an gut bezahlten Vollzeitarbeitsplätzen. Seit dem Jahr 2000 sind 61.000 Vollzeit-Arbeitsplätze verlorengegangen. Gleichzeitig stiegen die Teilzeitstellen um 65.000. Auf der Ausgabenseite wirken vor allem die Medikamentenkosten als Preistreiber. Der steigende Anteil älterer Menschen zusammen mit neuen Behandlungsmethoden hat ebenfalls erhöhte Kosten zur Folge.
Von 1997 bis 2002 stiegen:

  • Das BIP um 18%.
  • Die Versicherungsleistungen der Krankenkassen um 24,4%.
  • Die Beitragseinnahmen um 14,3%.
  • Die Arbeitnehmerentgelte um 16,4%.

Ausgabenbegrenzung?

Eine Koppelung der Ausgaben an die Einnahmen, die von Gesundheitsministerin Rauch-Kallat vorgeschlagen wurde, liefe auf weitere Belastungen für kranke Menschen hinaus. Diese tragen aber keine Schuld an der ungünstigen Einnahmen-Ausgabenentwicklung der Krankenkassen.

Darüber hinaus hat die Regierung selbst durch einige Maßnahmen den Krankenkassen Finanzierungsquellen »abgedreht« (siehe Kasten).

Verländerung oder Vereinheitlichung?

Die Regierung plant nun eine völlige Neuordnung des Gesundheitswesens: Unter dem Schlagwort »Gesundheitsagenturen« sollen zwei Ziele umgesetzt werden:

  • Eine weitere Kompetenzverschiebung zu den Ländern.
  • Eine Entmündigung der Krankenkassen bzw. der Selbstverwaltung.

Eine weitere »Verländerung« des Gesundheitswesens wäre eine bedenkliche Entwicklung. Denn das hieße, dass Gebietskrankenkassen mit gleichen Beitragssätzen verstärkt unterschiedliche Versicherungsleistungen erbringen würden.

Die Sozialversicherung verliert im Rahmen der geplanten Gesundheitsagenturen ihre Gestaltungsmöglichkeiten und wird auf eine reine »Vollziehung« der Vorgaben der Gesundheitsagentur reduziert. Die Planungs- und Steuerungsbeschlüsse der Agentur sind für die Sozialversicherung verbindlich. Es ist aufgrund der letzten VfGH-Urteile (Hauptverband, Krankenkassenausgleichsfonds) nicht davon auszugehen, dass diese Konstellation verfassungskonform ist, weil jene selbstverwalteten Kassen, die die Leistungen finanzieren, keine Gestaltungsmöglichkeiten auf den Leistungskatalog hätten.

Die Gesundheitsagentur soll folgendermaßen beschickt werden:

  • 40% Länder
  • 20% Bund
  • 40% Sozialversicherung

Das ergibt wieder eine Mehrheit für Schwarz-Blau. In den Krankenkassen richtet sich die Entsendung der Vertreter der ArbeitnehmerInnen nach den Ergebnissen der AK-Wahl. Diese fände in der Zusammensetzung der Gesundheitsagenturen keinerlei Entsprechung mehr.

Gesundheitsagenturen

Ministerin Maria Rauch Kallat will die Gesundheitsagenturen im Herbst beschließen lassen. Das Thema sei mit den Finanzausgleichsverhandlungen verknüpft, die bis Ende des Jahres neu geregelt werden müssen.

Die Gesundheitsagenturen würden die gesamten Mittel in den Bundesländern zusammenfließen lassen und damit die gesamte Gesundheitsversorgung finanzieren.

Dies würde zu einer Kompetenzverteilung weg von der Sozialversicherung führen, welche nicht gerechtfertigt wäre. Die Verwaltungskosten der Landesfonds haben sich 1997 bis 2001 verdreifacht, die der Kassen sind nur um 7% gestiegen.

Laut Franz Bittner, Chef der Wiener Kasse, zahlen Bund, Länder und Gemeinden nur 26% der Krankenhausausgaben, hätten jedoch in der Gesundheitsagentur eine Mehrheit (Wirtschaftsblatt vom 18. 3. 2004). Wenn man auch die niedergelassenen Ärzte berücksichtigt, finanziert die Krankenkasse etwa zwei Drittel der Kosten.

In diese Kerbe schlägt auch Hans Sallmutter. »Die Sozialversicherungen würden so nur noch die Ausgaben abwickeln, können aber die Verwendung der Mittel, die Leistungen und die Verhandlungen mit den Vertragspartnern nicht mehr gestalten«, so Sallmutter. »Länder und Gemeinden sind Anbieter von Spitälern und haben ein Interesse, dass hier mehr Geld hineinfließt.«

Strukturausgleich

Eine zusätzliche Verländerung kann aber nicht die Antwort auf die Herausforderungen im Gesundheitswesen sein. Denn je nach Höhe der Einkommen, dem Verhältnis zwischen Beschäftigten zu Arbeitslosen und Pensionisten haben die Kassen eine gute oder schlechte Finanzsituation. Eine Form des Risikostrukturausgleiches wäre hier durchaus notwendig, wenn man den Weg einer Zusammenlegung der Kassen nicht gehen will. Das VfGH-Urteil schreibt vor, den Ausgleichstopf zwischen unterschiedlichen Kassen aufzuheben (Bauern und Gebietskrankenkassen), nicht jedoch zwischen den Gebietskrankenkassen selbst.

Privatisierung?

Die Gesundheitsagenturen könnten sich auch als Weg zu einer weiteren Privatisierung der Gesundheitsausgaben entpuppen. So ist im diesbezüglichen Papier zu diesem Thema schon vom »Einkauf von Leistungen am Gesundheitsmarkt« die Rede. Der Wirtschaftsbund fordert in diesem Zusammenhang eine schrittweise Privatisierung von Spitälern und eine Zurückdrängung der Arbeitnehmervertreter in den Krankenkassen.

Derzeit werden die Gesundheitsausgaben zu 68,5% öffentlich (Sozialversicherung, Bund, Länder, Gemeinden) und zu 31,5% privat getragen.

Sinnvolle Reformvorschläge

Gesundheitsministerin Rauch-Kallat will die öffentlichen Gesundheitsausgaben bei 5,5% des BIP einfrieren. Das bedeutet, dass der zu erwartende zusätzliche Bedarf an Leistungen des Gesundheitswesens automatisch von den Betroffenen selbst aufgebracht werden muss und damit kein Solidarausgleich stattfindet. Die Probleme würden zunehmend auf jeden Einzelnen abgewälzt werden.

Sinnvolle Gesundheitsreformen müssen sowohl bei den Einnahmen als auch bei den Ausgaben ansetzen, ohne Grundlagen wie einen gleichen Zugang zu Gesundheitsleistungen und Solidarausgleich durch die Pflichtversicherung in Frage zu stellen. Eine verstärkte Finanzierung des Systems über Selbstbehalte ist unsozial und daher abzulehnen. Selbstbehalte belasten sozial schwache und krankheitsanfällige Menschen überproportional.


 Maulkorberlässe für die Sozialversicherung

Die Regierung verbietet den SV-Trägern per Gesetz die freie Meinungsäußerung:
Schritt 1: SV-Träger dürfen Informationen an die Versicherten nur nach Absprache mit den betreffenden Ministerien aussenden. (Hintergrund: Die SV-Träger haben die Versicherten kritisch über den »Unsinn« der Ambulanzgebühren informiert, zu deren Umsetzung sie gezwungen wurden.)
Schritt 2: SV-Träger müssen die Versicherten im Auftrag des Ministeriums in dessen Sinne informieren.
Schritt 3: Auch die neuerliche Deckelung der Verwaltungskosten auf Basis 1999 kommt einer Knebelung der Entscheidungsmöglichkeiten der Sozialversicherungsträger gleich.

Probleme der derzeitigen Struktur

Im gegenwärtigen Gesundheitssystem gibt es eine Vielzahl an Akteuren, Leistungsfinanciers und Leistungserbringern. Hier ein Mehr an Koordination und ganzheitlichem Denken einzuführen wäre durchaus sinnvoll. Doch nicht jeder Vorschlag, der dies offiziell zum Ziel hat, würde die Situation optimieren.

Ein wesentlicher Grundsatz sollte sein, dass die Leistungsfinanciers im Rahmen der Selbstverwaltung auch eine Gestaltungsmöglichkeit haben. Im Modell der Gesundheitsagenturen sind die Krankenkassen, die den weitaus größten Teil der Finanzmittel stellen, völlig unterrepräsentiert und würden de facto auf die Vollziehung beschränkt werden.

Ein systemischer Schwachpunkt des derzeitigen Gesundheitssystems ist die duale Finanzierung.

Die Spitäler werden über Länderfonds von der Sozialversicherung, dem Bund, den Ländern und Gemeinden finanziert.

Die niedergelassenen Ärzte werden von den Krankenkassen finanziert.

Das führt zu Schnittstellenproblemen und Versuchen, sich gegenseitig Kosten zuzuschieben. Da die Zahlungen der Kassen für die Spitäler gedeckelt und pauschaliert sind, während jeder Arztbesuch über die Einzelabrechung Mehrkosten verursacht, ist für die Kassen eine ambulante Behandlung in einer Krankenanstalt finanziell schonender.

Umgekehrt wollen die Länder mehr an Behandlung von den Ambulanzen zu den Ärzten verlagern, weil für sie dadurch keine finanziellen Belastungen entstehen würden.

Hier wäre eine ganzheitliche Struktur ein Fortschritt, wenn sie nicht zu einer Entmachtung der Krankenkassen führt, sondern zum Ziel hat, das gegebene System zu optimieren. Auf keinen Fall dürfte eine neue Struktur als Mittel zur Privatisierung des Gesundheitswesens instrumentalisiert werden.

Was getan werden soll:

  • Bundeseinheitliche Leistungen auf hohem Niveau.
  • Zweckwidmung von Alkohol- und Tabaksteuer für das Gesundheitssystem.
  • Geringerer Mehrwertsteuersatz auf Medikamente.
  • Verstärkter Einsatz von Generika zur Senkung der Kostendynamik bei den Medikamenten.
    Generika sind wirkstoffgleiche »Nachbau-Medikamente« von Präparaten, deren Patentschutzfrist abgelaufen ist. (Der Anteil der Generika beträgt in Österreich 11%, in Deutschland hingegen 52%.)
  • Teile der Akutbetten in geriatrische Betten umwandeln.
  • Bessere Schnittstellen zwischen den Gesundheitseinrichtungen.
  • Ausbau der Vorsorgemedizin statt Hürden durch Selbstbehalte.
  • Verbreitung der Bemessungsgrundlage für die Finanzierung des Gesundheitssystems.

Verbreitung der Bemessungsgrundlage - Wertschöpfungsabgabe

Doch selbst wenn notwendige Optimierungen im System erfolgen, ist eine Erhöhung der Finanzmittel für das Gesundheitswesen notwendig, will man den Weg zur Zweiklassengesellschaft im Bereich der Gesundheitsversorgung nicht gehen. Die Forderung nach einer Wertschöpfungsabgabe wird nun auch vom Präsidenten der Wiener Ärztekammer, Walter Dorner, unterstützt. Die Vertreter der Wirtschaft, Christoph Leitl, und der Industrie, Lorenz Fritz, haben erwartungsgemäß sofort abgeblockt.

Die Gesundheitsexpertin des IHS, Maria Hofmacher, meint zwar auch, dass kurzfristig über eine Optimierung der Versorgungskette etwas eingespart werden könne, die Finanzierungslücke grundsätzlich aber einnahmenbedingt ist. Seit Mitte der 80er-Jahre nehmen die Kosten stärker zu als die Einnahmen. Die Schere geht immer weiter auseinander. An einer Erhöhung der Beiträge oder der Bemessungsgrundlage führt daher kein Weg vorbei.

Ungleiche Chancen

Die Kosten für das Gesundheitswesen hängen aber auch davon ab, ob wir in einer krankmachenden Gesellschaft leben. Gesundheit hängt neben dem individuellen Verhalten auch von zahlreichen sozialen Faktoren ab, die ihrerseits auch das individuelle Verhalten prägen:

Der Zustand der Wohnungen, die Qualität der Ernährung, Bewegung, Konsum von Nikotin, Alkohol, Bildung und Erziehung, das alles sind Faktoren, die in verschiedenen sozialen Schichten sehr unterschiedlich sind und den Gesundheitszustand beeinflussen.

Ungleiche Chancen in der Gesellschaft spiegeln sich auch im Gesundheitszustand und der Lebenserwartung wider. Weniger Gebildete und arme Menschen werden öfter und schwerer krank als gebildete und reiche. Das Sterberisiko von Pflichtschulabgängern ist bei Männern zwischen 36 bis 64 um 109% höher als bei Akademikern; bei Frauen ist die Sterblichkeit der Pflichtschulabgängerinnen um 50% höher als bei Akademikerinnen.

Eine Verbesserung des allgemeinen Bildungsniveaus und der Lebensbedingungen verbessert den Gesundheitszustand und entlastet damit das Gesundheitswesen langfristig. Auch die Arbeitsbedingungen und die soziale Sicherheit wirken sich aus. Menschen werden durch Mobbing, Stress, Überanstrengung oder etwa »unsichere« Arbeitsplätze krank. Man muss derartige Faktoren als Teil des Komplexes Gesundheit sehen.

Der britische Wissenschafter Richard Wilkinson hat festgestellt, dass Menschen in Ländern mit geringeren Einkommensunterschieden eine höhere Lebenserwartung haben.

Bemühungen um eine nachhaltige Konsolidierung des Gesundheitswesens müssen daher auch die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen als gesundheitsbestimmende Faktoren berücksichtigen.


Regierung hungert Krankenkassen aus

Durch eine Reihe von Maßnahmen hat die Regierung die Einnahmen der Krankenkassen unter anderem reduziert:

  • »Körberlgeld« für Finanzminister: Mehrwertsteuer für Medikamente.
  • Krankenversicherung übernimmt Bundeszahlungen für Spitäler.
  • Krankenversicherung übernimmt Bundesbeitrag für Bauern-Krankenversicherung.
  • Verringerung der Zahlungen der Pensionsversicherung an die Krankenversicherung.
  • Senkung der Beitragsgrundlage Zivildiener.
  • Halbierung der Beiträge der Arbeitslosenversicherung.
  • Beitragssenkung für Dienstgeber.
  • Längere Zahlungsfrist für Dienstgeber.
  • Mehr Beitragsgeld für Privatspitäler.

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(C) AK und ÖGB

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