topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/

Das wäre ein fataler Fehler

SCHWERPUNKT

Arbeit & Wirtschaft - Interview: Siegfried Sorz spricht mit Harad Ettl

»Arbeit&Wirtschaft«: Kollege Ettl, erzähl uns bitte etwas über deinen Werdegang.
Harald Ettl: Nach einigen Berufsjahren in der Privatwirtschaft wurde ich 1971 Sekretär bei der Gewerkschaft Textil, Bekleidung, Leder und zwei Jahre später wurde ich bereits Zentralsekretär - mit 26 Jahren der jüngste im ÖGB. 1984 wurde ich dann Vorsitzender. Da war ich nicht mehr der jüngste.

Wann bist du Minister geworden?
Ettl: Anfang 1989 wurde ich Minister für Gesundheit und Öffentlichen Dienst, wie das damals geheißen hat. Ich hatte ja schon vorher sehr mit Rehabilitation und Spitälern zu tun wegen meiner Funktion als Vorsitzender des Sektionsausschusses Unfallversicherung im Hauptverband der Sozialversicherung.

1992 bin ich als Minister ausgeschieden und wieder zurück in die Gewerkschaft. Meine europäische Laufbahn habe ich 1995 als Mitglied im Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Union begonnen. Seit 1996, gleich mit den ersten Wahlen nach dem Beitritt Österreichs, bin ich Mitglied im Europäischen Parlament.

Zu deiner Tätigkeit als EU-Abgeordneter: Derzeit ist es doch mehr so, dass soziale Rechte abgebaut werden und die Gewerkschaften eher mit dem Rücken zur Wand stehen. Wir bemühen uns zwar, mehr Soziales da reinzubringen …
Ettl: Das ist zu pessimistisch. Marktwirtschaft und Wettbewerb haben eine starke Dominanz innerhalb der heutigen 15 Mitgliedsstaaten. Dieser Trend wird sich auch durch die Erweiterung nicht stark verändern. Das ist wohl zu befürchten. Das hat aber sehr viel mit den nationalen Regierungen zu tun. Zwar hat das Europäische Parlament schon viel Mitentscheidungsrecht bei der Gesetzgebung, aber der Europäische Rat - also die Regierungen Europas beeinflussen die EU immer noch sehr stark.

Ja und was macht das Parlament, wenn wie derzeit in allen Ländern die Arbeitslosenzahlen steigen und überall die sozialen Errungenschaften abgebaut werden? Ist das nicht das neoliberale Modell, das hier - auch durch die EU - propagiert wird?
Ettl: Gegen das neoliberale Modell zu kämpfen sehe ich als eine unserer Aufgaben im Parlament. Vor ein paar Jahren hatten wir in der EU schon einmal die Tendenz in Richtung 20 Millionen Arbeitslose. Derzeit liegen wir zwischen 13 und 14 Millionen Arbeitslose. Das ist immer noch viel zu viel, aber dennoch deutlich weniger. Das Parlament hat gut mit den europäischen Gewerkschaften zusammengespielt und Gegenmaßnahmen eingefordert. So hat 1997 die Beschäftigung - die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit - einen neuen Stellenwert in der europäischen Politik bekommen. Damals wurde beschlossen, dass wir in der EU eine Koordinierung der nationalen Beschäftigungspolitik brauchen. Dies soll durch die Beschäftigungsleitlinien erreicht werden. Leider klappt das mit der Umsetzung dieser Leitlinien noch nicht in allen Mitgliedsstaaten. Es mangelt an Geld und vor allem an politischem Willen. Aber die entscheidenden Impulse kommen von der Europäischen Union - sie wurden erkämpft und parlamentarisch erstritten.

Also du siehst dich wirklich als Arbeitnehmervertreter …
Ettl: Ich sehe mich als österreichischer und auch europäischer Gewerkschafter. In den Ausschüssen, in denen ich arbeite, Soziales und Beschäftigung und Wirtschaft und Währung, setze ich mich für die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein. Mir geht es um ein soziales Europa, das nicht nur Arbeitstitel sein soll. Darum, dass Soziales dem Wirtschaftlichen gleichgestellt wird.

Wir haben immer wieder über die EU berichtet, über die Lissabon-Strategie. Auf dem Papier liest sich das ja sehr schön …
Ettl: Derweil sind die in Lissabon beschlossenen Ziele noch viel zu sehr Papier, das ist richtig. Die Lissabon-Strategie ist wahrscheinlich eine der intelligentesten Entscheidungen, die in der EU in den letzten Jahren getroffen wurde. Es geht dabei um den industriellen Wandel, eine andere Beschäftigungspolitik, eine neue Bildungspolitik. Das Schlagwort der »europäischen Wissensgesellschaft« kommt nicht von ungefähr. Ziel ist bis 2010 mit 25 Mitgliedsstaaten, mit 450 Millionen Einwohnern zum größten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu werden. Das heißt aber auch, dass wir unseren relativen Wohlstand so ausbauen müssen, dass alle davon profitieren. Wenn uns das nicht gelingt, gilt für die ganze europäische Politik, dass sie gescheitert ist.

Also wir waren bei Lissabon und den Vorsätzen, die mit Beschäftigung, mit dem Abbau der Arbeitslosen zu tun haben. Das sind ja sehr ehrgeizige Ziele bis 2010.
Ettl: Die Lissabon-Strategie gliedert sich in zwei Etappen, es gibt Zwischenziele, die bis 2005 erreicht werden sollen - wie etwa die Erhöhung der Beschäftigungsquote auf 67 Prozent bis 2005, auf 70 Prozent dann bis 2010. Heute sind wir sehr weit davon entfernt. Das liegt, wie schon erwähnt, am mangelnden Willen der Mitgliedsstaaten. Denn die Umsetzung ist deren Aufgabe.

Lebenslanges Lernen ist angesagt. Das gilt sowohl für Facharbeiter wie auch für Universitätsabgänger. Wir müssen unsere Bildungssysteme umbauen. Grundvoraussetzung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von morgen oder eigentlich schon von heute ist Flexibilität. Die soll von der Ausbildungsseite her mitbekommen. Parallel dazu muss das soziale Fundament für die sich stark verändernde Industrie- und Beschäftigungspolitik neu justiert werden. Während ein Teil der Politiker Europas - quer durch alle Parteien - auf absolute Reduktion der Arbeitskosten, der Sozialkosten etc. setzt, gibt es noch andere Philosophien, von denen wir viel lernen könnten und die den für Arbeitnehmer entstehenden Druck abschwächen.

So haben z. B. Schweden, Finnland, Dänemark einen ganz anderen Zugang zu Sozialer Sicherheit als das beispielsweise in Deutschland oder bei unserer eigenen Regierung der Fall ist. Der ehemalige - übrigens konservative - Regierungschef Finnlands ist davon überzeugt, dass die von ihm durchgeführten Reformen nur darum erfolgreich waren, weil die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keine Ängste haben mussten, in ein soziales Loch zu fallen, wenn sie einmal keinen Arbeitsplatz hatten. Am Beispiel Finnlands zeigt sich damit deutlich, dass ein gesichertes soziales Fundament und eine gute Ausbildung die Mobilität und Flexibilität der Arbeitnehmer erhöhen. Jede Politik, die Ängste produziert hat sich nie mit sozialen Konflikten und Problemen auseinandergesetzt. Und wir als Gewerkschafter, als gewerkschaftliches Netzwerk im Europäischen Parlament arbeiten auf Reformen mit ausreichender sozialer Absicherung hin. Wir müssen überlegen, wie wir uns den neuen Herausforderungen stellen.

Neue Herausforderungen, die auch Auswirkungen auf Beschäftigung haben. Am ersten Mai erweitert sich die Europäische Union von 15 Mitgliedsstaaten auf 25. Das löst viele Ängste in der Bevölkerung aus.
Ettl: Die Erweiterung löst viele Ängste aus. Aber es gibt auch Hoffnung. Die »Neuen« sind in einer etwas schwierigeren Situation. Sie haben einen enormen Anpassungsdruck an die Wettbewerbssituation in der EU. Das bedeutet Umbau der Industrie und teilweiser Verlust von Arbeitsplätzen.

Was ich damit sagen will, ist, dass neue Mitgliedsländer zwar schon vieles in Richtung Anpassungsprozess geleistet haben, und das gibt Hoffnung, dass da in Zukunft ein neuer Schwung kommt. Aber bei der Beschäftigung, da klappt es noch nicht so richtig. Die neuen Mitgliedsländer haben ein doppelt so hohes Wirtschaftswachstum wie der Durchschnitt der EU-15. Dieses Wachstum sollte eigentlich auch mehr Beschäftigung bringen. Da aber die Produktivität sehr stark gestiegen ist, gibt es keinen wirklichen Beschäftigungszuwachs. Für Österreich heißt das, dass wir die Entwicklung der Arbeitsmärkte bei uns und in den angrenzenden neuen Mitgliedsländern genau beobachten müssen. Auf Druck der Gewerkschaften und des Europäischen Parlaments wurden bis zu sieben Jahre gehende Übergangsfristen im Bereich Arbeitnehmerfreizügigkeit durchgesetzt. Das kann helfen, die bestehenden Probleme - Stichwort Lohndumping und Arbeitsmigration - zu überwinden.

Voraussetzung ist aber, dass in den sieben Jahren auch tatsächlich etwas getan wird. Wir haben jetzt schon das Problem der Schwarzarbeiter ...
Ettl: Ja, ein Schwarzarbeitsgesetz ist schon längst überfällig. Wieso das die Regierung nicht beschließen lassen will, ist mir einfach schleierhaft. Auch die Überarbeitung der Entsenderichtlinie steht an. Die würde sicherstellen, dass die Arbeitnehmer, die vorübergehend in einem anderen EU-Land arbeiten, nach dem jeweiligen nationalen Recht behandelt werden. Die Arbeitsmärkte müssen kontrollierbar und überschaubarer werden - auf beiden Seiten der noch bestehenden Grenze. Grenzübergreifende Kooperationen sind notwendig - nach dem Motto: »Gemeinsam sind wir stark.« Der ÖGB lebt das ja auch vor mit den grenzübergreifenden Gewerkschaftskooperationen in Ungarn und Tschechien … Aber das wahrscheinlich größte Problem der EU beim Erweiterungsprozess ist die schlechte interne - institutionelle - Vorbereitung. Wir haben immer noch Einstimmigkeit in vielen Fragen im Rat, das heißt, wenn ein Staat was nicht will, dann kann er die Entscheidung blockieren. Das muss dringend aufgehoben werden.

Deswegen auch der Konvent und die Neuausrichtung der EU? Welche Schritte sind notwendig, um die EU handlungsfähiger zu machen?
Ettl: Ja, ja. Die Ergebnisse des Konvents lindern die Probleme, aber sie lösen sie noch nicht. Am Beispiel der Steuerpolitik, die ist so ein Produkt der Einstimmigkeit im Rat. Die völlig unterschiedlichen Steuererfassungssysteme in der Europäischen Union lassen viel zu viel Raum für Steuerwettbewerb. Das saugt Staaten finanziell aus und schränkt außerdem die Möglichkeiten für staatliche Leistungen ein. Das bedeutet dann auch, dass sich die Staaten dann von öffentlichen Dienstleistungen usw. verabschieden müssen. Einige malen sich das auch wunderbar aus. Immer mehr privatisieren unter dem Deckmantel des Wettbewerbsrechts der EU. Im Europäischen Parlament gibt’s eine überwiegende Mehrheit die sagt, dass die öffentlichen Leistungen ein wesentlicher Bestandteil eines sozialen Europas sind. Das betrifft sowohl soziale Leistungen, aber auch Wasserversorgung oder Nahverkehr, die von den Städten und Gemeinden erbracht werden.

Und wie ist das mit der Nettozahlerfunktion vereinbar. Ist es denn nicht so, dass wir als Nettozahler Dinge mitfinanzieren?
Ettl: Zur Nettozahlerfrage: Natürlich sind die leistungsfähigsten Staaten in der Europäischen Union Nettozahler, wie etwa Deutschland. Es ist aus meiner Sicht völlig unangebracht, wenn der österreichische Oberbuchhalter, unser Herr Finanzminister, den deutschen Finanzminister auch noch runtermacht wegen der Nichteinhaltung der Defizitregelung. Die Deutschen haben große Schwierigkeiten und können den Stabilitätspakt nicht erfüllen - aber die haben auch erst vor 10 Jahren neue Bundesländer aufgenommen - und das kostet Geld. So wie die Erweiterung der Union Geld kostet. Das Geld kommt in der Zukunft zurück, weil wir wirtschaftlich durch die Erweiterung wachsen. Davon profitieren dann zuerst die an die neuen Staaten angrenzenden Länder wie Österreich. Natürlich muss man erst sehen, wie viel Gelder in Zukunft in Europa bereitgestellt werden können. Wir brauchen neue Umverteilungsmechanismen in der EU. Die Fragen, die gestellt werden müssen, sind: Wie viel ist noch leistbar? Wie viel können die Nettozahler zu dieser Verteilung beitragen - unter Beibehaltung des Eurostabilitätspakts? Aus meiner Sicht ist das Problem, dass die viel zu unflexiblen Vorschriften des Stabilitätspaktes kaum mehr Spielraum lassen, in wirtschaftlich schwierigen Situationen entgegenzusteuern. Das ist das Problem. Und der Steuerwettbewerb.

Nicht das Einzige, was die Bürger bewegt. Es heißt, da gibt es so genannte
Spesenritter unter den EU-Abgeordneten. Vielleicht sollten wir dazu auch was sagen.
Ettl: Hm, ja … Wir - die Europaparlamentarier haben das Problem schon seit längerem erkannt. Wir haben ein Zulagensystem, das nicht überschaubar ist. Wir haben Reisekostenpauschalen für den Flugverkehr, die besser anders geregelt werden sollten. Das wollen wir auch und wir haben uns dafür auch stark gemacht. Gescheitert ist die vom Parlament vorgeschlagene Regelung schlussendlich im Rat. Die Neuregelung hatte ein einheitliches Gehalt und Abrechnung der Spesen nach tatsächlich angefallenen Kosten zum Inhalt. Leider hat dafür im Rat die notwendige Mehrheit gefehlt. Obwohl das viel überschaubarer gewesen wäre.

Als europäische Abgeordnete können wir keinen Zusatzberuf haben, keine Zusatzfunktion haben. Weil es zeitlich nicht vereinbar ist. Wenn man die Tätigkeit als Parlamentarier ernst nimmt, entspricht der Arbeitsaufwand ungefähr dem eines Ministers bei uns.

Trotzdem … Derzeit wird in manchen Medien kolportiert, dass die EU-Abgeordneten in der Mehrzahl ihre Tätigkeit nicht so ernst nehmen. Wenn es ums Aufdecken geht in der EU, dann denke ich zwar eher an den Abgeordneten Bösch, der ja Betrügereien im EU-Dschungel sehr effizient aufgedeckt hat und auch im Haushaltskontrollausschuss sitzt.
Ettl: Der Abgeordnete Bösch hat, wenn’s ums Aufdecken von Skandalen in der Europäischen Union geht, ausgezeichnete Arbeit geleistet. Er hat ja auch OLAF - die Betrugsbekämpfungseinheit der EU miteingerichtet. Dann haben wir noch den Europäischen Rechnungshof, der uns kontrolliert - und unsere Zulagen. Wir haben ein Statut, das sehr großzügig ist und das einfach auch geändert gehört. Das ist gar keine Frage.

Grundsätzlich würde ich ja meinen, dass die EU trotz allem ein positives Projekt ist …
Ettl: Die EU ist das größte und wichtigste Projekt seit Jahrhunderten. Sowohl friedenspolitisch, als auch, wenn es um die Zusammenarbeit verschiedener Kulturen und Völker geht. Europa braucht die EU vor allem für die Zukunft. Wichtig ist, sicherzustellen - und da sind wir mitten in der Ausgestaltung - dass ist derzeit die einzige Chance für die Zukunft - gerade, weil wir so stark mit der Globalisierung zu kämpfen haben. Für mich als Arbeitnehmervertreter stellt die EU - das Europäische Parlament in starker Zusammenarbeit mit den Europäischen Gewerkschaften - eine Möglichkeit dar, für soziale Wärme in Europa zu sorgen.

Das heißt, die Leute sollen auf jeden Fall am 13. Juni zur Wahl gehen.
Ettl: Ja und am Rande bemerkt: Zwischen 70 und 80 Prozent aller Entscheidungen die für uns in Österreich wichtig sind, werden vom Europäischen Parlament direkt oder indirekt beeinflusst. Das heißt, die EU geht uns alle an. Das Europäische Parlament geht uns alle an. Nicht wählen zu gehen, heisst, die Entscheidung für die EU aus der Hand zu geben, das wäre ein fataler Fehler. Denn die EU, das sind wir alle.

Kollege Ettl wir danken für das Gespräch.

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum