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Kommentar | Aufhebung

MEINUNGEN

der Neuordnung des Ausgleichsfonds der Krankenversicherungsträger (60. ASVG-Novelle) durch den Verfassungsgerichtshof

Hinter dieser sperrigen Überschrift verbirgt sich ein wichtiges finanzpolitisches Ziel der Koalitionsregierung für das Gesundheitswesen. Motiv der Neuregelung des Ausgleichsfonds der Krankenversicherungsträger in der sechzigsten ASVG-Novelle war die Verringerung der seinerzeit für 2002 und die Folgejahre prognostizierten hohen Abgänge der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die Neuregelung wurde damit begründet, dass es dem Ausgleichsfonds in der Vergangenheit nicht gelungen sei, für eine ausgeglichene Gebarung und Liquidität der Krankenkassen zu sorgen. Eine Neugestaltung müsse daher dem Ausgleichsfonds »ausreichend Finanzmittel für einen wirksamen Strukturausgleich und für die Honorierung der Erreichung wirtschaftlicher Ziele zuführen«.

Zu diesem Zweck wurde der von den Kassen in den Ausgleichsfonds zu entrichtende Beitragsatz für die Jahre 2003 und 2004 von zwei auf vier Prozent der Beitragseinnahmen (340 Millionen Euro) erhöht. Auch die Versicherungsanstalten der österreichischen Eisenbahnen und der öffentlich Bediensteten wurden beitragspflichtig. Dazu kamen verzinsliche Darlehen (rund 175 Millionen Euro), die dem Fonds von einzelnen Versicherungsträgern mit Rücklagen (unter anderen von den Gebietskrankenkassen Niederösterreich, Salzburg, Vorarlberg, und Oberösterreich) gewährt werden mussten.

Die Darlehen und die Einnahmen aus der Beitragserhöhung werden nach folgenden Grundsätzen auf die Kassen aufgeteilt:

  • Ein Risikostrukturausgleich soll strukturelle Nachteile der Versicherungsträger ausgleichen. Kriterien sind u. a. die Beitragseinnahmen pro Versicherten, der Aufwand für Angehörige und Pensionisten, der »Großstadtfaktor« sowie die Kassenlage. Zuschüsse gebühren nicht, wenn ohnehin ausreichend liquide Mittel (Barbestände, Wertpapiere etc.) vorhanden sind.
  • Zuschüsse gebühren auch aus dem neuen »Zielerreichungstopf«, wenn alle Richtlinien und Beschlüsse und die »Zielvereinbarungen« mit dem Hauptverband eingehalten werden. 45 Prozent der Fondseinnahmen sind zum Ausgleich der Strukturnachteile zu verwenden, 55 Prozent für Zuschüsse.

Mit der Neuregelung verfolgte die Regierung in erster Linie das Ziel, einen Teil der Rücklagen der Kassen zur Verminderung des Kassendefizits abzuschöpfen. Da aber sowohl die Darlehen als auch die Einnahmen aus der Beitragserhöhung ab 2005 bis Ende 2009 vom Ausgleichsfonds wieder an die betroffenen Kassen zurückgezahlt werden müssen, ist sie keine nachhaltige Entlastungsmaßnahme.

Ganz im Gegenteil: Die Krankenversicherung respektive der Ausgleichsfonds werden in Zukunft beträchtliche Zusatzeinnahmen benötigen, um die Schulden bei den Kassen begleichen zu können. Durch die Auflösung der Rücklagen gewinnt die Regierung zwar Zeit, die notwendige Sanierung der gesetzlichen Krankenversicherung ist damit aber lediglich aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Das Defizit der gesetzlichen Krankenversicherung wächst unvermindert weiter und wird 2006 bei 680 Millionen Euro liegen.

Verfassungsgerichtshof

Der Protest der betroffenen Kassen gegen diese Maßnahmen mündete schließlich in die Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof. Das Ergebnis liegt jetzt vor: Die Neuregelung verstößt wegen Benachteiligung einzelner Krankenkassen (»Sonderopfer«) gegen den Gleichheitssatz und ist verfassungswidrig. Gleiches gilt für die Anhebung des Beitragssatzes.

Damit werden wichtige Teile der sechzigsten ASVG-Novelle aufgehoben, was bedeutet, dass die bisher verteilten Gelder (Darlehen und höhere Beiträge) refundiert werden müssen. Die Rückabwicklung wird zur Folge haben, dass die »reichen« Kassen wieder über hohe Rücklagen verfügen, »arme« Kassen - allen voran die Wiener Gebietskrankenkasse - hingegen werden, solange der Krankenversicherung nicht neue Einnahmen zugeführt werden, Kredite am Kapitalmarkt aufnehmen müssen. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Situation untragbar ist.

Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes untersagt der Regierung bzw. dem Gesetzgeber, auf diese Rücklagen zu greifen. Umgekehrt ist die gesetzliche Krankenversicherung - unabhängig davon, wie sie organisatorisch (ob regional, nach Berufsgruppen oder zentral) aufgebaut ist - eine Solidargemeinschaft. Daher muss es auch Sache der Kassen sein, einander bei finanziellen Engpässen Beistand zu leisten. Dabei dürfen Rücklagen nicht nur auf eine effiziente Kassengebarung zurückgeführt werden, sondern können auch von unterschiedlichen Risikostrukturen in der Vergangenheit begünstigt worden sein.

Tatsache ist aber auch, dass schon kurzfristig der Finanzbedarf der Kassen nicht allein durch Rücklagen gedeckt werden kann. Vor diesem Hintergrund stellt sich unabhängig vom Erkenntnis des Gerichtshofes die Frage, wie es mit der gesetzlichen Krankenversicherung weitergehen soll. Bei der Regierung liegt die Verantwortung für das Gesundheitswesen, deswegen hat sie dafür zu sorgen, dass die benötigten finanziellen Ressourcen für das Gesundheitswesen bereitgestellt werden. Die »Sozialversicherung« hat keine Gesetzgebungskompetenz.

Es ist nur zu hoffen, dass die Regierung am Prinzip der solidarischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung festhält.

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