Mehr und bessere Beschäftigung in der EU
HINTERGRUND
Bei der Lohn- und Einkommensteuer geht die Bundesregierung vom Grenzstufensteuertarif1) ab und stellt ein völlig neues Schema vor (siehe Tabelle »Bemessungsgrundlage I«).
Bemessungsgrundlage I | |
Zu versteuerndes Jahreseinkommen | Steuer |
bis 10.000 | 0 |
bei 25.000 | 5.750 |
bei 51.000 | 17.085 |
darüber | 50% des übersteigenden Betrages |
Was in Lissabon bis zum Jahr 2010 vereinbart und als Beschäftigungsziel festgeschrieben wurde: Im März 2000 lancierte der Europäische Rat in Lissabon ein ambitioniertes Programm mit ehrgeizigen Zielen für Wachstum und Beschäftigung. Die hohe Arbeitslosigkeit in der EU effektiv abzubauen und das Wachstum an Beschäftigung auf eine stabilere Grundlage zu stellen, das gehörte mit zum Masterplan für die Zukunft der EU-Politik der nächsten zehn Jahre.
Nationale Ziele
Alle EU-Länder wurden aufgefordert, ausgehend von ihren jeweiligen Ausgangslagen entsprechende nationale Ziele zur Erreichung der gesamteuropäischen Vorgaben festzulegen. So startete Griechenland etwa bei einer Beschäftigungsquote von 55,3%, in Dänemark waren es 76%. Damit war klar, dass nicht jedes Land 70% bis 2010 erreichen wird und somit jene Länder, die schon näher am Durchschnitt liegen, eine höhere Latte zu überspringen haben - soll das Gesamtziel erreicht werden.
Im Klartext: Auch jene Länder, die im Jahr 2000 bereits eine Beschäftigungsquote von über 70% hatten (wie etwa Schweden, Holland, Dänemark, England) oder knapp darunter lagen (Österreich, Portugal, Finnland) sollten einen entsprechend ambitionierten Beitrag zum Lissabon-Ziel liefern.
Österreich müsste demnach bis 2010 eine Beschäftigtenquote von 73,2% und eine solche der Frauen von 66,8% erreichen.
Mehr und auch bessere Beschäftigung
Doch Lissabon setzte nicht nur die Perspektive nach »mehr Beschäftigung« in die Welt, sondern auch die, wonach die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft vor allem über die Förderung von Innovation und eine »bessere Qualität der Arbeit« erreicht werden soll.
Investitionen in Humankapital, Forschung, Technologie und Innovation wurde somit dieselbe Priorität eingeräumt, wie arbeitsmarkt- und strukturpolitischen Orientierungen. Dementsprechend wurden weitere quantitative Ziele festgelegt:
Ziele weit entfernt
In einem sind sich nahezu alle Kommentatoren mit Blick auf die Lissabonner Halbzeitbilanz einig: Sie fällt ernüchternd aus.1)
neue Arbeitsplätze in der EU-15 und 22 Millionen in der EU-25 geschaffen werden, mehr als 3 Millionen. im Jahr, so viel wie in der EU-15 im Jahre 2000, dem besten Jahr für Beschäftigung seit über einem Jahrzehnt.
Auch Österreich hinkt den Lissabonner Beschäftigungszielen hinterher. Das betrifft die Erhöhung des Beschäftigungsvolumens ebenso wie auch andere Ziele, wie etwa Bildung und Kinderbetreuung. In Österreich gibt es somit keinerlei Grund, sich zurückzulehnen und die bestehende beschäftigungspolitische Misere, wie etwa von der Regierungsbank so gern geschehen, mit dem Verweis auf den EU-Vergleich herunterspielen (siehe Infokasten: Lissabonner Beschäftigungsziele: So steht Österreich wirklich).
I N F O R M A T I O N
Lissabonner Beschäftigungsziele:
So steht Österreich da
Die EU-Kommission hat im Jahr 2000, als die Lissabon-Ziele festgelegt wurden, den -notwendigen Beitrag Österreichs zur Erreichung der EU-Beschäftigungsziele berechnet. Österreich müsste demnach bis 2010 eine Gesamtbeschäftigungsquote von 73,2% und eine solche der Frauen von 66,8% erreichen. Konkret hieße dies: Plus 200.000 Arbeitsplätze bis 2010.
Die Bilanz für Österreich fällt ernüchternd aus:
Österreich startete im Jahr 2000 bei einer Gesamtbeschäftigungsquote von 68,6% und bei den Frauen mit 59,6%. Tatsächlich wurde in der Gesamtbeschäftigung bislang nur ein Zuwachs um ganze 0,6% und bei den Frauen um 3,2% erreicht (Eurostat, 2003).
In Vollzeitäquivalenten berechnet sieht die Lage in Österreich weit kritischer aus, werden bei Eurostat doch sämtliche Formen der Teilzeit als Beschäftigung gerechnet). In Vollzeit gerechnet ist die Beschäftigung in Österreich seit 2000 insgesamt sogar gesunken: um ca. 24.000. Bei den Frauen ist sie, anders als etwa in Schweden, Finnland oder Dänemark, nur geringfügig gewachsen (Wifo, März 2004).
Ein Blick auf die Arbeitslosenquoten zeigt zusätzlich, dass sich Österreich entgegen dem EU-Trend entwickelt: Während EU-weit die Arbeitslosigkeit seit 1999 sinkt - konkret von 8,7 auf 8,1% - ist sie in Österreich um 0,5% gestiegen. Parallel zur mäßigen Steigerung der Beschäftigungsquote erleben wir einen Rekord der Arbeitslosigkeit nach dem anderen. Frauen zählen nach wie vor zu den Hauptleidtragenden. Im EU-Ranking verliert Österreich Platz für Platz.
Mit einer Betreuungsquote von knapp 9% bei den bis 3Jährigen (Statistik Austria 2002) gehört Österreich europaweit zu den Ländern mit dem größten Handlungsbedarf zur Erreichung des Zieles von 33% Betreuungsquote für Kinder dieser Altersgruppe. Ebenfalls niedrig ist die Versorgungsdichte für Schulkinder: Für lediglich 21,8% der 6- bis 9-Jährigen und 11,1% der 10- bis 14-Jährigen gibt es Betreuungsplätze.
(Alle Daten: AK Wien, Juni 2004)
EWSA: Verfehlte Wirtschaftspolitik
Zweifellos liegt die aktuelle Beschäftigungsflaute in der EU in hohem Maß
in der wirtschaftlichen Entwicklung -begründet. Lissabon stand unter der Annahme eines jährlichen BIP-Wachstums von 3% im Durchschnitt. Stattdessen hat sich die wirtschaftliche Lage seit 2000 jedoch rapide verschlechtert. Das Wachstum sank in den Folgejahren deutlich: 1,7% in 2001, 1,0% in 2002 und gar nur 0,8% in 2003.
Vor diesem Hintergrund scheint klar zu sein, dass die beschäftigungspolitischen Ziele nur dann erreicht werden können, wenn es gelingt, einen nachhaltigen konjunkturellen Aufschwung einzuleiten. Der EWSA knüpft an diesem Punkt an seine Anfang 2004 verabschiedete Stellungnahme zu den »Wirtschaftspolitischen Grundzügen der EU« an und stellt in seinem aktuellen Bericht zur Beschäftigungspolitik2) in erfreulicher Deutlichkeit abermals fest, dass für die Flaute der letzten drei Jahre vor allem der wachstumshemmende makroökonomische Rahmen in der EU verantwortlich ist und nicht etwa strukturpolitische Gründe.
Konsequenterweise wird im Bericht auch deutlich darauf hingewiesen, dass nur eine spürbare Belebung der großen Nachfragekomponenten Konsum (über Realeinkommens- und Beschäftigungswachstum) und Investitionen (privat wie öffentlich) die Kaufkraftschwäche in Europa auszugleichen vermag, um die europäische Wirtschaft zurück auf den Wachstumspfad zu bringen. (Siehe dazu auch den Beitrag von Thomas Delapina »EWSA für neue Wirtschaftspolitik« in »Arbeit&Wirtschaft« Mai 2004.)
Sozialabbau schafft keine Arbeitsplätze
Was Europa heute also in erster Linie braucht, das ist also die spürbare Belebung der Nachfragekomponenten, um die Kaufkraftschwäche in Europa auszugleichen. Darauf aufbauend kann ein intelligentes Design an Strukturreformen, das die Binnennachfrage nicht noch weiter schwächt, wichtige Impulse bei der Schaffung von Beschäftigung liefern. In diesem Sinn ist der Förderung der Beschäftigungsfähigkeit, der Beseitigung von Qualifikationsdefiziten sowie der Integration benachteiligter Gruppen am Arbeitsmarkt der Vorzug vor Aufrufen zur Lohnmoderation, dem Abbau arbeitsrechtlicher Standards, dem Ausbau atypischer Beschäftigungsverhältnisse sowie Leistungskürzungen im Sozialbereich zu geben.
Damit hebt sich dieser Bericht des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses in erfrischender Weise vom Mainstream der wirtschaftspolitischen Politikempfehlungen in den letzten Jahren ab, die uns wissen lassen wollen, dass vor allem strukturelle Faktoren (wie z. B. Lohnkartell der Gewerkschaften, rigide Arbeitsmarktregulierung, zu kurze Arbeitszeiten, Immobilität und Inflexibilität der Arbeitnehmer) am schwachen Beschäftigungswachstum schuld sind.
Auch in einem anderen Punkt lässt der Bericht mit deutlichen Worten aufhorchen: Das strategische Ziel von Lissabon besteht nicht in der Schaffung von Arbeitsplätzen um jeden Preis. Beim Lissabonner Prozess geht es nicht bloß um »Jobs, Jobs, Jobs«. Es geht um Beschäftigung als beste Prävention vor Armut und Ausgrenzung und somit vor allem auch um eine bessere Qualität der Arbeitsplätze. In diesem Sinn muss der europäische Weg zur Vollbeschäftigung mit angemessenen Löhnen, sozialer Sicherheit und hohen arbeitsrechtlichen Standards verbunden sein.
Forderungen des EWSA an die EU-Politik
An den bevorstehenden Frühjahrsgipfel des Europäischen Rates im Mai 2005, der ebenfalls der Halbzeitbewertung der Lissabonner Strategie gewidmet sein wird, wendet sich der EWSA mit konkreten politischen und institutionellen Forderungen, um der europäischen Beschäftigungspolitik neue Dynamik zu verschaffen:
Gesunder makroökonomischer Kontext auf EU-Ebene: Dazu zählt vor allem eine Geldpolitik, die den Mitgliedstaaten bei wirtschaftlicher Stagnation Spielraum für konjunkturpolitisches Handeln in der Wirtschafts- und Finanzpolitik lässt. Dazu gehört auch, dass die Geld- und Haushaltspolitik Verantwortung für Wachstum und Beschäftigung übernimmt und das auch Eingang in die Grundzüge der Wirtschaftspolitik findet.
1) Siehe dazu auch den Beitrag von Silvia Angelo und Norbert Templ »Ein Gipfel macht noch keinen Frühling« in »Arbeit&Wirtschaft« Juni 2004
2) Der Autor ist seit 2002 Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und zeichnete als Berichterstatter maßgeblich für die EWSA-Stellungnahme zu den Lissabonner Beschäftigungszielen verantwortlich.
F A Z I T
Es geht um die Glaubwürdigkeit der EU-Politk
Der Europäische Rat mag sich an diesen Empfehlungen orientieren oder auch nicht, gefordert ist er allemal. Schließlich droht dem gesamten Lissabon-Prozess vor dem Hintergrund der mageren Halbzeitbilanz der Verlust der Glaubwürdigkeit. Einer Strategie, die im Jahr 2000 europaweit auf große Zustimmung gestoßen ist und zur Hoffnung geführt hat, dass das Projekt einer erweiterten EU den Bürgerinnen und Bürgern spürbar näher gebracht werden kann.
Dieses Glaubwürdigkeitsproblem kann nur entschärft werden, wenn die Menschen in Europa darauf vertrauen können, dass alle politisch Verantwortlichen energisch daran arbeiten, die Lissabon-Strategie mit ihrer Gleichrangigkeit von Zielen (Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen, Stärkung des sozialen Zusammenhaltes sowie nachhaltige ökologische Entwicklung) konsequent umzusetzen.