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Konsum-Ethik - gibt’s die?

GESELLSCHAFTSPOLITIK

»Ethik des Konsums« hieß die Tagung des Forums Wirtschaftsethik der Deutschen Gesellschaft für Philosophie, die in Friedrichshafen stattfand. Sie war dichtest gepackt und spannend kontroversiell.

Mit der protestantischen Arbeitsethik beschäftigte sich nicht nur ein Tagungsbeitrag, von ihr war auch die Tagung selbst geprägt: Knapp 12 Stunden mit Kürzestpausen wurde referiert und diskutiert. Die Tagung war im klassischen Sinn wohltuend konventionell, aber von der Intensität her sozusagen ein Ausblick in die mögliche Zukunft der allgemeinen deutschen Arbeitswelt.

Wenn man über die Ethik des Wirt-schaftens - und alles Wirtschaften bedeutet ja Konsum - nachdenkt, verschränkt man zwangsläufig Ökonomie und Reflexion über Gesellschaft. Wenn Ökonomen mit Philosophen diskutieren, vermutet man auf den ersten Blick Chaos oder zumindest gegenseitiges Missverstehen. Das blieb hier weitgehend aus: Man kann noch miteinander reden, das ist die erste positive Bilanz. Und man kann auch weitgehend kontroversielle Positionen zur Kenntnis nehmen, das ist die zweite positive Bilanz.

Reflexive Tagungen wie diese, und das ist nun in Hinblick auf allfällige Lesererwartungen zu sagen, haben meist kein eindeutiges Ergebnis, etwa im Sinne von »dem Statuskonsum ist von nun an der allgemeine Kampf angesagt«. Dies könnten Ergebnisse von politischen oder sehr themenfokussierten Tagungen sein.

Eines aber ist klar geworden: Es gibt eine perspektivische Vielfalt, wie an den »Konsum«, also an die kontinuierliche Beschaffung der Lebens-Mittel, welche uns in den modernen Gesellschaften aufgezwungen wurde, heranzugehen ist. Und mehrheitlich wird Konsum doch recht kritisch gesehen. Es ergäbe wenig Sinn, hier alles Angesprochene längsschnittartig aufzusummieren, vielmehr geht es meiner Meinung nach um das Herausgreifen einiger relevanter Positionen.

Ein Eckpunkt wurde beispielsweise von Adela Cortina (Universität Valencia) markiert, die gesellschaftlich zwingende Ziele von individuellem Konsum ansprach, welche sich auf persönliche Autonomie, Gerechtigkeit, Mitverantwortung und subjektive Glücklichkeit zu richten hätten. Und dies wären Sachverhalte, die vor den Kaufakten zu stehen hätten.

Kranke Wirklichkeit
Passend dazu beschrieb Matthias Kettner die Funktion von Werbung und Marketing, die dazu dient, die Souveränität des Konsumenten scheinbar zu stärken (indem sie ihn zum Konsum »verurteilt«), diese jedoch gleichzeitig bricht, indem sie ihn auf eine Marke fixiert. Insgesamt schwächt die zeitgenössische Konsumismus-Kultur die Urteilskraft des Verbrauchers ins Marginale.

Einen zweiten Eckpunkt schärfte der emeritierte Klaus-Michael Meyer-Abich (Universität Essen) am Beispiel des Medizin-Konsums. Die moderne (unhinterfragte) Inanspruchnahme, aber auch das Angebot von Gesundheitsdienstleistungen geht nur an die Oberflächenphänomene, nicht jedoch an saubere Problemlösungen. Denn, so eine von ihm erwähnte alte medizinische Faustregel, die Hälfte aller Kranken benötigt gar keine medizinische Leistung, sondern hat andere (soziale, psychische) Probleme, dem nächsten Viertel der Kranken kann gar nicht medizinisch geholfen werden, weil es noch keine Lösungen für ihre Krankheiten gibt, und das übrigbleibende Viertel bekommt die entsprechende Leistung. Eine dünne Bilanz. Ganz prinzipiell ist damit das Gesundheitswesen der modernen Gesellschaft ein Krankheitswesen, mit dem übrigens keiner der Beteiligten zufrieden ist. Einen dritten Eckpunkt konturierte Lucia Reisch (Universität Hohenheim), die sich auf Imagegüter und auf Statusgüter fokussierte, dabei (zwar nicht explizit) darauf hinwies, dass diese prinzipiell sozial unverträglich sind.

Der vierte Eckpunkt wurde von Birger Priddat (Zeppelin University) markiert, der seine Duplextheorie der Güter darstellte. Das heißt, überspitzt dargestellt, die Ware ist nur mehr im Zusammenhang mit ihrer sozialen Bedeutung zu sehen. Moderne Konsumgüterunternehmen produzieren mit ihrem Marketing und ihrer Werbung »Bedeutungswelten«, und diese sind es, die der Verbraucher in erster Linie kauft, das Konsumgut bleibt demgegenüber sekundär. Es geht um die Interpretation, die der Käufer aus dem Konsum zieht, und von der er glaubt, dass sie bei seinen Anderen, seinen Mitmenschen, seinen Peergroups, dieselbe ist.

Werbung, Marketing und Kaufsucht
Konsumgesellschaft zieht das Phänomen Kaufsucht mit sich mit und ergänzt dabei die Suchtpalette der Individuen, die in einer disaströsen Gesellschaft existieren (müssen). Werbung wirkt als Rechtfertigungsmetapher für Sucht oder Kaufleidenschaft, so Norbert Bolz (TU Berlin). PR-Aktivitäten von Unternehmen wären als sozial verantwortungsvolles Handeln - meint so Martin Belz (TU München) - zu verstehen oder, so denkt man sich, eher misszuverstehen.

Nun, Tatsache ist, für Werbung und Marketing zahlt jeder deutsche Haushalt rund 3000 Euro im Jahr, das sind so ungefähr die Marketingausgaben, die in den Konsumgüterpreisen mit drinnen stecken. Also Kosten für virtuelle Dinge, die mit Werbung produziert werden: Images, Stimmungen, virtuelle Moral, fiktive Normen. Für Verbraucherschutz gibt der deutsche Staat übrigens nicht einmal zwei Euro pro Haushalt und Jahr aus - das sind asymmetrische Verhältnisse, die auch bedächtige Philosophen und Ökonomen zum Staunen bringen können.

In meinem Beitrag betonte ich die Wichtigkeit von Verbraucherbildung: sie gibt es in der Schule praktisch nicht, obschon Kinder und Jugendliche von Marketingaktivitäten fest umzingelt sind. Nur mit einem guten, auch kritischen Verbraucherwissen aber wird es gelingen, den Konsum nachhaltiger zu machen und auch viele Konsumfallen, die bis in die Überschuldung führen können, zu vermeiden.

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