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Die Betriebsräte müssen alles ausreizen!

SCHWERPPUNKT

Arbeit & Wirtschaft Interview | Siegfried Sorz spricht mit Renate Czeskleba

Arbeit&Wirtschaft: Kollegin Czeskleba, du leitest im ÖGB eine wichtige Abteilung, nämlich das Referat für Humanisierung, Technologie und Umwelt. Wir würden gerne von dir etwas über deine Tätigkeit, wie natürlich auch zu dir persönlich erfahren.
Renate Czeskleba:
In der Steiermark geboren, habe ich in Graz studiert, Geschichte und Deutsch. Weil ich mir nebenbei auch den Lebensunterhalt verdienen musste, hab ich relativ spät abgeschlossen. Als frischgebackene AHS-Lehrerin mit keinem Job habe ich begonnen, in Projekten zu arbeiten. Da ist zum Beispiel in Eisenerz eine Firma in Konkurs gegangen, und dann wurden Jungakademiker hingeschickt, die mit den gekündigten Arbeitern einen Berufsorientierungskurs machen sollten. Der Geschäftsleiter des Unternehmens hat dort verlesen, wer gekündigt wird und wer bleiben darf. Mit denen, die gekündigt wurden, haben ich und andere dann eine Stunde nach ihrer Kündigung eine Schulung gemacht. Für die Arbeiter eine fürchterliche Situation!

Wahnsinn: Die haben euch da hin geschickt als »Ersthilfe«?
Ja, das war für mich eine Arbeit, die war wirklich prägend. Ich hab viel gelernt von den Arbeitslosen dort. Zum Beispiel, dass man Arbeiter und Arbeitslose nicht anlügen oder ihnen Hoffnungen machen soll, sondern mit ihnen über die Situation reden soll, wie sie ist.

Auf dem Umweg über solche Projekte hast du dann in den ÖGB gefunden?
Nein, dann habe ich ein Jahr in einem Gymnasium in Graz unterrichtet. Parallel dazu habe ich eine Ausbildung gemacht zur Gestaltpädagogin. Also typisch: Studienabschluss und kein Job. Ich hab in der Zeit auch eine Ausbildung zur Erwachsenenbildnerin gemacht. Das kommt mir heute alles zugute. Was ich damals gelernt habe ist, dass man nicht zu den Menschen reden soll, sondern mit ihnen. Sobald ich das erste feste Anstellungsverhältnis hatte, dass war bei »Jugend am Werk«, bin ich der Gewerkschaft beigetreten. 1992 bin ich nach Wien gezogen. Beim ÖGB-Bildungsreferat habe ich dann angefangen, weil die Arbeit dort Herausforderung war und Spaß gemacht hat. Nach einem Jahr habe ich in das Referat »Humanisierung, Technologie und Umwelt« gewechselt und relativ bald die Umweltagenden übernommen und 1996 auch die Leitung des Referates. Dann hatte ich plötzlich den gesamten Bereich dieser Abteilung in meiner Verantwortung - inklusive des Johann-Böhm- Fonds. Auch heute noch werden übrigens Diplomarbeiten, Dissertationen und Abschlussarbeiten von Fachhochschulen, die Bezug zur Arbeitswelt haben, gefördert.

Eine sehr umfassende Abteilung, die natürlich wie alle auch leicht unterbesetzt ist …
Neben mir arbeitet eine zweite politische Sekretärin im Referat und eine Büroassistentin. Dass ich derzeit das dritte Jahr mit dem Chancen-Nutzen-Büro zwei politische Sekretäre und eine halbe Bürokraft im Referat habe, liegt daran, dass wir um EU-Fördermittel für das Thema »Menschen mit Behinderung in der Arbeitswelt« angesucht haben.

Die Arbeiterkammer hat ja auch so -eine Abteilung?
Ja, ich bin froh über die Zusammenarbeit mit der Arbeiterkammer. Gemeinsam entwickeln wir Themen und führen Veranstaltungen durch, zum Beispiel in Wien, in Salzburg, in Graz oder in Linz. Mindestens so eng arbeite ich auch mit den Arbeitnehmerschutzdelegierten der Gewerkschaften zusammen. Sie sind in den Unternehmen und wissen am besten, wo Kolleginnen und Belegschaftsvertretungen der Schuh drückt.

Mit ein Grund, warum die Arbeitsunfälle zurückgegangen sind. Unternehmer heben aber den Rückgang der Krankenstände hervor und vergessen oft, dass der Grund im verstärkten Arbeitsplatzdruck zu suchen ist, dass die Leute arbeiten gehen, auch wenn sie krank sind.
Das ist auch meine Erfahrung aus Gesprächen mit Betriebsräten. Ein Mehr an betrieblicher Gesundheitsförderung ist mehr als wünschenswert. Sie ist im Vergleich zu dem, was bis jetzt im Arbeitnehmerinnenschutzumgesetz umgesetzt wurde, noch sehr ausbaubar. Krankenstände sind nur ein Indikator für Arbeitsbelastungen, Unfälle sind ein weiterer Indikator, genauso wie Invaliditätspensionen, aber auch Arbeitszufriedenheit. An dieser fehlt es oft. Die meisten Invaliditätspensionen kommen aufgrund von Muskel- und Skeletterkrankungen zustande. An zweiter Stelle stehen schon die psychiatrischen Erkrankungen. Arbeitnehmer schlucken ihren Stress runter und es kommt oft viel später zu Erkrankungen und Berufsunfähigkeit. Die Angst vorm Jobverlust ist eben sehr groß und einer der größten Stressursachen.

Ich habe da eine Statistik gesehen, die größte Angst ist jetzt vor dem Versagen oder Zusammenbruch des Gesundheitssystems.
Ja, du kannst die Menschen in der Arbeitswelt nicht für blöd verkaufen. Sie merken einfach, dass das mit der Gesundheit eine Zeitbombe ist. Seitens der Krankenkassen ist die betriebliche Gesundheitsförderung erst vorsichtig im Anlaufen. Eigentlich müssten AUVA und die anderen Sozialversicherungen viel mehr zusammenarbeiten, damit Krankenstände nachhaltig zurückgehen und Arbeitnehmer gesund in Pension gehen können. Arbeiten ist immer noch gesundheitsgefährlich! Neben unergonomischer körperlicher Schwerarbeit ist Stress ein Hauptfaktor für arbeitsbedingte Erkrankungen. Jeder dritte Arbeitnehmer und jede dritte Arbeitnehmerin klagt über arbeitsbedingten Stress. Das bestätigen europäische Studien, aber auch österreichische. Deutsche Studien und Studien in den nordischen Ländern sagen aus, dass 50 Prozent aller Erkrankungen arbeitsbedingt sind. Du weißt, es gibt Berufskrankheiten, z. B. Staublunge, Asbestose oder Hauterkrankungen. Doch wenn sich Arbeitnehmer aufgrund von Bildschirmarbeit kranke Augen und Haltungsschäden zuziehen, handelt es sich zumindest zum Teil um arbeitsbedingte Erkrankungen.

Arbeitsbedingt und berufsbedingt ...
Berufskrankheiten sind Krankheiten, die in einer Liste geführt werden und nur einen kleinen Teil der arbeitsbedingten Erkrankungen berücksichtigen. Berufskranke erhalten eine Pension über die AUVA. Arbeitsbedingte Erkrankungen werden zu 100 Prozent mit den Mitteln der Krankenkassen behandelt. Dass 50 Prozent von diesen 100 Prozent eigentlich arbeitsbedingt sind, ist kaum jemandem bewusst. Arbeitsbedingte Erkrankungen kommen aufgrund körperlicher Belastungen und aufgrund psychischer Belastungen zu Stande.

Bei psychischen Krankheiten haben die Leute immer noch Vorurteile …
Ja, leider. Nimm zum Beispiel einen Betriebsrat oder einen Arbeitnehmer, der sagt »Ich bin psychisch belastet« oder »Ich habe Stress«. Dann sagen alle »Der spinnt, der soll zum Vogerldoktor gehen!«. Aber es kümmert sich nicht wirklich jemand um ihn oder sie. Die einschlägigen wissenschaftlichen Studien sind da ernst zu nehmen. Zum Beispiel sind 70 Prozent aller Kreuzbeschwerden psychisch bedingt. Das ist eigentlich leicht nachvollziehbar: Wenn du gestresst bist, sitzt du nicht entspannt, sondern sehr angespannt an deinem Arbeitsplatz. Langfristig kommt es so zu Fehlhaltungen und letztendlich zu Abnützungen der Muskeln und der Knochen.

WenigerUnfälle ist natürlich ein Erfolg. Die meisten Unfälle, stelle ich mir vor, sind auf der Baustelle und …
Baubranche und Metallbranche. Das sind die Spitzenreiter.

Also in der Fabrik, die Maschinen ...
Fabrik ja, aber es gibt auch viel Metallarbeiten auf Baustellen. In der Produktion, besonders in größeren Unternehmen, gibt’s zunehmend Konzepte zur Unfallreduktion, die auch wirken.

Das rechnet sich ja auch.
Ja, da gibt’s Win-win-Situationen. Gesundheit muss organisiert werden. Im Baubereich ist die Situation schlimm, weil neben Sicherheitsrisiken und körperlicher Extrembelastung gibt es Druck und Stress. Leider sind Vorschriften wie die Erstellung eines Gesundheit- und Sicherheitsplanes noch immer nicht umgesetzt. Große Konzerne bemühen sich da noch leichter um den Arbeitnehmerschutz als die vielen Subunternehmen! Ein altes Problem: Subunternehmen, Schwarzarbeit. Und sobald du in die erste Subfirma gehst, geht der Arbeitnehmerschutz gegen Null.

Und die Arbeitsinspektion?
Die Arbeitsinspektionskontrolle ist personell immer noch unterbesetzt, insbesondere, wenn es darum geht, Arbeitszeiten zu kontrollieren. Überlange Arbeitszeiten sind nicht nur im Bau ein besonders sensibles Thema, wenn es um die Gesundheit geht.

Da sollten doch die Leute vom Zoll eingesetzt werden?
Nein, daraus ist leider nichts geworden.

Nur Schwarzarbeit. Also Alibiaktion?
Die Arbeitinspektion hat 300 Leute, die wirklich in die Betriebe gehen, das ist zu wenig, um die Einhaltung der Sicherheitsstandards und der Arbeitszeiten zu kontrollieren. Effiziente Kontrollen beinhalten Nachtausgänge, aber auch zum Beispiel den Vergleich von Arbeits--zeit-aufzeichnungen mit Gehaltsabrechnungen oder Daten der Gebietskrankenkasse!

Da war doch so ein Theater, weil die sich ja vorher ankündigen müssen. Die dürfen ja nicht überraschend kommen, hat der Wirtschaftsminister gesagt ...
Du redest von der Novellierung des ArbeitnehmerInnenschutzgesetz 2001. Wir konnten die Arbeitspsychologen in das Gesetz bekommen - im Gegenzug mussten wir akzeptieren, dass die Arbeitsinspektoren jetzt ankündigen dürfen und bei Kontrollen nicht nur die Arbeiterkammer, sondern auch die Wirtschaftskammer mitnehmen dürfen.

Dürfen? Sie müssen nicht?
Sie müssen sich nicht ankündigen. Und sie dürfen sich auf keinen Fall ankündigen, wenn es um Gesundheit und Leben geht. Die Praxis schaut leider so aus, dass es einen ersten Missbrauch gibt, in einer Landes-Wirtschaftskammer, wo ein Betrieb von der Wirtschaftskammer über eine Kontrolle vorgewarnt wurde.

Ach ja, das war vor kurzem in den Zeitungen.
Viele Arbeitnehmerinnen und Betriebsräte haben das befürchtet.

Ist da jede Kontrolle lächerlich?
Naja, das Gesetz an sich ist so formuliert, dass die Arbeitsinspektion zu Recht sagen kann: »Ja, wir haben doch den Spielraum, unangekündigt zu kontrollieren.« Die Praxis ist so, dass wenn die Arbeitsinspektion mit der Arbeiterkammer in ein Unternehmen geht, sie die Wirtschaftskammer darüber informieren muss.

Jetzt ist da einer in der Firma und denkt sich, da geht’s ja wirklich rund, wir müssen einmal wen herholen, der sich das anschaut. Wie macht er das, ohne dass er selber draufzahlt?
Das ist im Arbeitsinspektionsgesetz sehr gut geregelt. Ein Arbeitsinspektor, der gerufen wird, darf nicht sagen, wer ihn gerufen hat. Arbeitsinspektoren sind meiner Erfahrung nach da sehr vorsichtig und halten sich an ihre Schweigepflicht. Das ist nicht das Problem der Arbeitsinspektoren. Ihr Problem ist, dass sie zu wenig Zeit haben …

Und unterbesetzt sind ...
… unterbesetzt sind und dass Arbeitszeit eines der wichtigsten Probleme ist, die am wenigstens kontrolliert werden.

Was ist noch ein Problem?
Zum Beispiel die Integration älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die müssen später in Pension gehen, sind zu diesem Zeitpunkt aber oft schon sehr krank. Oder die Integration behinderter Menschen in die Arbeitswelt. Die Themen Stressprävention und Prävention von arbeitsbedingten Erkrankungen hängen mit der Integration Älterer oder von Menschen mit Behinderung eng zusammen. Dass 50 Prozent des gesamten Krankheitsgeschehens arbeitsbedingt sind, ist ein Alarmsignal.

Das müssen wir uns alle vor Augen halten, das betrifft ja wirklich alle.
Ich sehe seitens der Regierung keine Anzeichen, dass sie sich dieses Themas wirklich annimmt.

Wie ist das als Frau in der Organisation? So viele Frauen haben wir ja immer noch nicht. Obwohl wir uns bemühen.
Es ist nicht so, dass es sie gar nicht gibt, die Frauen, es gibt sie halt fast nur auf der dritten Ebene. Du hast sie nur vereinzelt in Präsidien beispielsweise und auf der zweiten Ebene sehr sehr selten.

Bis zur europäischen Ebene geht das -so.
Ich sage dir einen kritischen Satz zu »Frauen in Führungspositionen«, weil ich selber ein bisschen in einer Führungsposition bin. Ich glaube, dass Frauen, auch wenn sie in Führungspositionen sind, typisch weibliche Themen »ausfassen«: zum Beispiel Gesundheit, Beratung, Service und andere so genannte »Soft-Themen«. Gott sei Dank gibt es Frauen dort! Auch ich arbeite sehr gerne im Bereich Arbeit und Gesundheit. Das widerspricht dem nicht. Ein weiteres Phänomen sind die Informationsflüsse, Frauen werden weniger und anders informiert als Männer. Auch innerhalb unserer Organisation. Natürlich gibt es Ausnahmen.

Zurück zu deinem Aufgabenbereich. Er betrifft uns alle direkt und täglich: Humanisierung, Arbeitnehmerschutz. Wie geht’s denn weiter? Wie sind denn die Aussichten für mehr Humanisierung?
Für die Arbeitnehmer in den Unternehmen und Dienststellen wird es deutlich härter. Der Zeitdruck nimmt immens zu. Es gibt in allen Branchen schon Leistungsverträge und Zeitvorgaben, die schwer einzuhalten sind. Mehr Arbeit in weniger Zeit und gleichzeitig Benchmarking. Das Referat Humanisierung hat zum Arbeitnehmerschutz in den letzten Jahren eine Kampagne durchgeführt. Ich werde auch versuchen, betriebliche Gesundheitsförderung noch mehr zum Thema zu machen. Größte Probleme sind arbeitsbedingter Stress und arbeitsbedingte Erkrankungen. Ich glaube, dass wir da als Arbeitnehmerorganisationen hier noch deutlich mehr bewegen müssen als bisher!

Was sollen die Betriebsräte machen? Oder überhaupt die Arbeitnehmer?
Betriebsräte haben ein hervorragendes Problembewusstsein. Viele Belegschaftsvertreter erleben am eigenen Leib, was Neoliberalismus, Rationalisierung und Arbeitsdruck ist. Da helfen Gesetze allein nicht. Trotzdem: Betriebsräte sind oft kompetenter, als ihnen selbst bewusst ist und wissen, dass sie sich vernetzen müssen - mit ihrer Arbeitsmedizinerin, mit dem Arbeitspsychologen. Immer wieder rufen Belegschaftsvertretungen auch zum Beispiel zum Thema Stress in ihrer Gewerkschaft an, natürlich auch bei mir. Meine Aufgabe ist es auch, etwa mit den Vertretern der Arbeitsmedizin oder der AUVA und dem Netzwerk zur betrieblichen Gesundheitsförderung an der Entwicklung und Verbesserung der betrieblichen Betreuung zu arbeiten.

Was für eine Rolle spielen Betriebsräte im Arbeitnehmerschutz?
Das kann man im Arbeitsverfassungsgesetz nachlesen. Der Betriebsrat darf und muss kontrollieren, ob in seinem Unternehmen Arbeitnehmerschutz stattfindet. Viele Betriebsräte unterstützen ihre Arbeitsmedizinerin bei ihrer Arbeit. Eine Arbeitsmedizinerin, die keinen Betriebsrat hat, der sie unterstützt, ist in ihren Möglichkeiten eingeschränkt.

Das ist ein wichtiger Hinweis.
Das gleiche gilt für die Sicherheitsfachkräfte. Aber bei den Arbeitsmedizinerinnen oder auch Arbeitspsychologen und Sicherheitsvertrauenspersonen ist der Betriebsrat noch wichtiger.

Das ist eh nur in den großen Firmen. Die anderen haben ja keinen?
In kleinen Firmen, also in Arbeitsstätten bis 50 Arbeitnehmern, kann man die Arbeitsmedizinerinnen und Sicherheitsfachkräfte von der AUVA kostenlos anfordern. Die AUVA kann auch gerufen werden, wenn es besondere Anlässe, Unfälle, Erkrankungen, besondere Gefahren gibt. Betriebsräte müssen mit diesen Fachkräften zusammenarbeiten und jede mögliche Unterstützung ausreizen, wenn sich die gesundheitliche Situation in ihrem Betrieb verbessern soll.

Meine Vision ist ein gesunder Bauarbeiter, der 65 Jahre alt, eine gesunde Altenpflegerin, die 65 Jahre alt ist!

Wir danken für das Gespräch.

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