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»Fair-Teilung«

HINTERGRUND

Reformpolitik braucht eine neue Kultur der Solidarität: Landauf, Landab wird gegenwärtig von Reformnotwendigkeit gesprochen und die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft angemahnt. Wesentliche Teile dieser vorgeblichen Modernisierungsstrategien meinen wirklich einen Rückzug des Staates und der Gesellschaft aus seiner wirtschafts- und verteilungspolitischen Verantwortung, eine Privatisierung des Öffentlichen.

Wer diese Reformpläne kritisiert, wird als realitätsfremd abgestempelt oder es wird ihm vorgeworfen, keine Alternativen bereitzuhalten und lediglich Besitzstandswahrung zu betreiben. Beide Vorwürfe sollen hiermit zurückgewiesen werden.

Ein anderer Reformbedarf

Wesentliche Teile eines tatsächlichen, allerdings völlig anders gelagerten Reformbedarfs werden totgeschwiegen: Es bedarf einer Renaissance makroökonomischen Denkens und, damit dies nicht zu einem wenig hilfreichen »Weg zurück in die Siebzigerjahre« wird, einer Weiterentwicklung alter keynesianischer Konzepte, die die Fehler der Vergangenheit vermeidet und die Veränderungen der Rahmenbedingungen in Rechnung stellt.

Der Keynesianismus der Siebzigerjahre ist nicht etwa, wie insbesondere in sozialdemokratischen Kreisen häufig kolportiert wird, daran gescheitert, dass seine gesamtwirtschaftliche Ausrichtung - die »Globalsteuerung« - zu wenig Rücksicht auf die strukturellen Probleme einer Volkswirtschaft nahm, sondern wesentlich an seiner Ignoranz gegenüber den Problemen der Inflation und der Verschuldung des Staates. In den Achtzigerjahren wurde deshalb fast zwangsläufig die monetaristische Doktrin der Preisstabilität dominant, in den Neunzigerjahren schließlich setzte sich die angebotspolitische Heilslehre der »Konsolidierungs- bzw. Sparpolitik« durch - ohne geld- und finanzpolitische Instrumente aber schien der Keynesianismus tot.

Tatsächlich verweist die Vernachlässigung von inflationären Potenzialen und der zunehmenden Verschuldung der öffentlichen Haushalte jedoch nur darauf, dass der Keynesianismus der Siebzigerjahre zu wenig Augenmerk auf die Interaktion der verschiedenen Politikträger gelegt hatte.

Blockade überwinden

Neuere Forschungsarbeiten wie auch die wirtschaftspolitische Realität in den beschäftigungspolitisch erfolgreichen Ländern haben deutlich gemacht, dass eine keynesianische Finanz- und Geldpolitik auch heute noch wirkungsvoll sein kann - gleichzeitig hat sich aber auch gezeigt, dass eine nachhaltige Verbesserung der Wachstums- und Beschäftigungsbedingungen nur zu erreichen sein wird, wenn entweder rein zufällig eine Konstellation entsteht, die die potenzielle Blockade zwischen den autonomen Politikträgern überwinden hilft (wie in den USA) oder aber spezielle Institutionen geschaffen werden, die Anreize für eine Verhaltensabstimmung setzen. Es gilt also, einen Makro-Dialog anzuregen. Nur wenn die Akteure der Geld-, Finanz- und Tarifpolitik miteinander kooperieren, kann ein inflationsfreies, die öffentlichen Haushalte schonendes Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum angeregt werden, wie es sowohl von den Akteuren selbst gewünscht wird, wie es aber auch dem Gemeinwohl förderlich wäre.

Ohne entsprechende Institutionen aber, z. B. einen »neutralen« Sachverständigenrat und einen Sozioökonomischen Rat nach holländischem oder der Sozialpartnerschaft nach österreichischem Vorbild, würden die Politikträger in der so genannten »Kooperationsfalle« stecken bleiben. Die Gefahr nämlich, seinen Beitrag zum Gelingen der Kooperation zu erbringen, während die anderen Partner sich verweigern und somit den kooperationsbereiten Akteur »ausbeuten«, ist so groß, dass ohne einen festgelegten Ort der Kommunikation und Absprache keiner der Akteure seinen Beitrag bringen wird. Dieses scheinbar paradoxe Verhalten, das dazu führt, dass alle schlechter dastehen als im Falle der Kooperation, ist als »Gefangenen-Dilemma« in den Sozialwissenschaften nur zu gut bekannt und durch tausendfache Experimente bestätigt.

Damit das Ergebnis eines Makro-Dialogs sich nicht nur in »Leerformeln« erschöpft, bedarf es deshalb einer wahrhaftigen Reformanstrengung für eine integrative Wirtschaftspolitik, deren Zentrum kooperationswillige und kooperationsfördernde Regierungen bilden. Damit könnte endlich auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass moderne Wirtschaftspolitik nicht länger für sich in Anspruch nehmen kann, nach simpler Zweckrationalität absolute Steuerungsfähigkeit zu besitzen, sondern vielmehr Initiator gesellschaftlicher Kooperationen zu sein hat, die konsequenterweise nur die Rahmenbedingungen für gewünschte gesellschaftliche Konstellationen schaffen können.

Neue Wege der europäischen Integration

Die Steuerungsfähigkeit nationaler Wirtschaftspolitik wird natürlich auch durch zunehmende globale Integrationsprozesse und, ganz konkret, die europäische Einigung beschränkt. Seit 1999 haben die teilnehmenden Nationalstaaten ihre Hoheitsrechte auf Ausgabe einer eigenen Währung und damit das Betreiben einer eigenständigen Geldpolitik aufgegeben und einer supra-nationalen Behörde (EZB) übergeben. Der notwendige Makro-Dialog kann deshalb nicht mehr allein auf nationaler, also z. B. auf deutscher oder österreichischer Ebene eingerichtet werden, weil die EZB ihre Geldpolitik nicht nur mit Blick auf einzelne EU-Mitglieder, sondern mit Blick auf die Inflationsentwicklung in der gesamten EWU betreibt. Die richtige Ebene für einen Makro-Dialog wäre deshalb die EU-Ebene. Und tatsächlich wurde im Jahr 1999, auf Initiative der deutschen und österreichischen Regierungen im Rahmen der EU-Beschäftigungspolitik der so genannte »Kölner Prozess« auf den Weg gebracht, der exakt jenes Ziel verfolgte, das ich eben beschrieben habe: eine Verhaltensabstimmung zwischen der Geld-, der Finanz- und der Tarifpolitik - der EU-Makrodialog.

Die Tatsache, dass der »Kölner Prozess« weder im politischen Alltagsgeschäft noch in wissenschaftlichen Abhandlungen oder Zukunftsvisionen der EU irgendeine Rolle spielt, zeigt allerdings, dass irgendetwas schief gegangen sein muss: Einerseits hat man aus den deutschen Erfahrungen mit der »Konzertierten Aktion« nichts gelernt. Wieder fehlt es dem EU-Makrodialog an einer adäquaten institutionellen Struktur, die nicht nur die unumgängliche Kommunikation zwischen den Akteuren sicherstellt, sondern auch die Ausformung von akzeptierten Politikregeln und, besonders wichtig, deren Kontrolle ermöglicht. Außerdem passt der EU-Makrodialog, der ja eine Abstimmung der Politikbereiche voranbringen soll, nicht zu den starren Politikregeln des »Stabilitäts- und Wachstumspaktes«, der genau genommen ja ein Restriktions- und Austeritätspakt ist. Ganz offensichtlich kollidieren an dieser Stelle die wirtschaftspolitischen Vorstellungen einer abgestimmten Interaktion des »Kölner Prozesses« aus dem Jahre 1999 mit den Verfahrensvorstellungen zur Finanzpolitik nach dem »Stabilitäts- und Wachstumspakt« aus dem Jahre 1997, als noch der ehemalige deutsche Finanzminister Theo Waigel die Richtlinien europäischer Wirtschaftspolitik bestimmte.

Nicht so recht angekommen

Die europäische Integration ist ein politisches Großprojekt, das bei den Menschen in Europa bislang nicht so recht angekommen ist. Die Zustimmung zur Europäischen Währungsunion war in allen Teilnehmerländer eher dürftig, der Prozess der Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes wird häufig auf die Flut von Brüsseler Verordnungen reduziert. Nachdem in den Achtzigerjahren die europäische Integration auf gutem Wege schien und deutlich an Zustimmung bei den Menschen gewann, müssen die Neunzigerjahre - trotz oder gerade wegen der Einführung einer gemeinsamen Währung - als Rückfall in den Euroskeptizismus verstanden werden: Die regelmäßige Befragung der Europäer zeigt jedenfalls eine wieder zunehmende Distanz zur Europäischen Union. (Siehe Tabelle: »Zustimmung und Bewertung der EU-Mitgliedschaft«.)

Zustimmung und Bewertung der EU-Mitgliedschaft
1983 1990 1996 2000 2001
EU-Mitgliedschaft ist eine »gute Sache«
54 72 47 50 48
EU-Mitgliedschaft ist vorteilhaft für mein Land 52 59 44 47 45
Quelle: Eurobarometer

Populistische Führer

Wenn es nicht gelingt, den europäischen Integrationsprozess mit spürbar positiven Auswirkungen auf individueller oder gesamtwirtschaftlicher Ebene in Verbindung zu bringen, wird es früher oder später zu einem Rückschlag kommen, der nicht nur die weitere Integration in Frage stellen könnte, sondern sogar zu
renationalisierenden Bestrebungen zu führen droht. Tendenzen dazu sind überall in Europa durch die Wahlerfolge nationalistischer Parteien und populistischer Führer und EU-Kritiker bereits heute zu erkennen. Hier nun könnte eine konstruktive Nutzung des EU-Makrodialogs endlich einmal einen positiven Zündfunken von der europäischen Integration und Institutionenbildung zur nationalen Entwicklung auslösen, der die Europäische Union mit der wohlklingenden Konnotation eines tatsächlichen Wachstumsschubes verbände. Statt wie bisher von der europäischen Bühne aus eine neoliberale Infiltration der Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung zu inszenieren, könnte der EU-Makrodialog als Vorbild für vergleichbare Kooperationsforen auf nationaler Ebene dienen, auf der auch in absehbarer Zukunft noch die Akteure der Tarif- und Finanzpolitik handeln werden.

Moderner Staat = aktiver Staat

Das neoliberale Dogma des zunehmend handlungsunfähigen Staates ist ein ziemlich geschicktes Täuschungsmanöver. Einerseits soll damit die interventionistische Kraft eines defizitären Haushalts zugunsten einer »soliden« Sparpolitik bestritten werden, andererseits wird aber auch verschleiert, dass auch die neoliberale Angebots- bzw. Standortpolitik einen äußerst handlungsfähigen und steuerungsmächtigen Staat voraussetzt. Allerdings soll die staatliche Selbstbeschneidung mit dem Ziel der Umverteilung zugunsten der Leistungselite nicht als aktives Handeln erkannt werden, sondern als notwendige Anpassung an die sich verändernden Rahmenbedingungen erscheinen. Auch das sozialdemokratische »Dritter-Weg-Konzept« eines »aktivierenden Staates« hat sich dieser Logik untergeordnet, hofft aber auf die Selbstorganisationskraft der Menschen, die der Staat durch finanzielle Anreize allenfalls fördern könne. Gerhard Schröder und Tony Blair haben in ihrem vieldiskutierten Strategiepapier zur Zukunft sozialdemokratischer Politikvorstellungen das schöne Bild geprägt: »Der Staat soll nicht mehr selber rudern, sondern nur mehr steuern.«

Dieses Ideal geht aber von der grundsätzlichen Selbstregulierungskraft der Märkte aus, die der neoliberalen Sichtweise entspricht, von der Realität allerdings täglich aufs Neue widerlegt wird. Der Steuerungs- und Interventionsbedarf in modernen Volkswirtschaften ist viel größer als es der gegenwärtige Zeitgeist wahr haben will, die Steuerungsfähigkeit von Nationalstaaten, vor allem aber eines Staatenverbundes wie der Europäischen Union ist auch heute noch viel größer als es die Globalismus-Theoretiker behaupten. Der moderne Staat muss heute viel mehr leisten als in den glorreichen Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts - dem so genannten »goldenen Zeitalter«. Er muss nicht nur durch finanz-, regional- oder strukturpolitische Maßnahmen in die Abläufe der Volkswirtschaft eingreifen, er muss darüber hinaus Kooperationen organisieren: Kooperationen auf supra-nationaler Ebene, um die Handlungsfähigkeit auf europäischer Ebene zu erhalten oder wiederherzustellen, Kooperationen auf nationaler Ebene, um die gegenseitige Blockade der verschiedenen Politikbereiche zu verhindern und Kooperationen auf regionaler Ebene, um die in der Standortkonkurrenz entscheidenden Branchen-Cluster - ein Netzwerk aus Zulieferern und Abnehmern, spezifischen Qualifikationsangeboten der Arbeitnehmer und Erfordernissen dynamischer Unternehmen - zu gewährleisten.

Milchmädchen

Im Rahmen einer integrativen Wirtschaftspolitik, wie sie oben beschrieben wurde, muss die öffentliche Hand ihre Finanzpolitik an den Kriterien »Nachhaltigkeit, Beschäftigung und Wachstum« ausrichten. Das bedeutet einerseits, dass einem simplen »deficit spending« - also einer defizitfinanzierten Nachfrageerhöhung - nicht mehr das Wort geredet werden kann, andererseits aber auch ein ausgeglichener Haushalt nicht als dauerhafte Finanzregel akzeptiert werden muss. Vielmehr muss eine Umstrukturierung zugunsten der öffentlichen Investition stattfinden, die in den letzten drei Jahrzehnten kontinuierlich zurückgefahren wurde und mittlerweile zu einem eigenständigen Teil des deutschen und europäischen Wirtschaftsproblems geworden ist. Diese Entwicklung hat nachteilige Konsequenzen: Sie korrespondiert in fataler Weise mit der ohnehin rückläufigen privaten Investitionstätigkeit und verstärkt damit die gesamtwirtschaftliche Nachfrageschwäche, statt ihr entgegen zu wirken. Der Versuch jedenfalls, mittels einer Kürzung der Investitionen eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte einleiten zu wollen, dürfte etwa so schlau sein, wie das berühmte Milchmädchen.

Kooperationsbereitschaft fördern

Eine andere Reformpolitik stellt also nicht die bewährten Strukturen des »deutschen und europäischen Modells« in Frage, sondern versucht diese vielmehr durch ein neues Verständnis von staatlichem Handeln zu ergänzen. Der moderne Staat kann nicht als Steuerungsinstanz verstanden werden, der Zielvorstellungen durch effizienten Instrumenteneinsatz in gewünschte politische Ziele transformiert, damit wäre er angesichts der Handlungsautonomie anderer Politikträger vollständig überfordert. Der moderne Staat muss in erster Linie die Kooperationsbereitschaft verschiedener Akteure - der Tarifparteien, der Notenbank, der Unternehmen und der betrieblichen Sozialpartner - auf allen Ebenen fördern und in diesem Rahmen natürlich auch einen eigenen Beitrag zum Gelingen demokratisch bestimmter Ziele beitragen. Er kann, mit anderen Worten, nur versuchen, die Rahmenbedingungen für ein inflationsfreies Wachstum und eine bessere Beschäftigungsentwicklung zu schaffen. Dazu muss er aber auch selbst von der finanzpolitischen Bremse gehen. Und er muss die europäische Zusammenarbeit auf wirtschafts-, steuer- und sozialpolitischem Gebiet suchen, denn der Nationalstaat verliert seine eigenständige Steuerungskompetenz mit fortschreitender Integration zusehends. Erst eine solcherart reformierte Staatlichkeit ist überhaupt in der Lage, die ebenfalls notwendige Reform der sozialen Systeme und deren Finanzierung in einer Weise zu betreiben, die nicht als interessenpolitisch motivierte Reformpolitik verstanden werden muss. Erst sie schafft gewissermaßen Verhandlungsmöglichkeiten »auf gleicher Augenhöhe«.

Kulturelle und gesellschaftliche Voraussetzungen

Reformpolitische Alternativen sind also denkbar. Niemand sollte deshalb zusammenzucken, wenn in der Diskussion von den neoliberalen Dogmatikern argumentiert wird: There Is No Alternative - Es gibt keine Alternative. Hier werden Sachzwänge konstruiert, um argumentative Schwächen und empirische Falsifikationen zu überdecken.

Reformpolitische Alternativen sind notwendige Bedingungen für die Rückkehr zu einer vernünftigen Wirtschaftspolitik und den Erhalt des »europäischen Modells«, sie sind keineswegs eine hinreichende Bedingung. Die Legitimation der Institutionen des europäischen Arbeits- und Tarifvertragssystems wird wohl so lange in Zweifel gezogen werden, wie anhaltend hohe Arbeitslosigkeit besteht - oder anders: Die Rückkehr vom Dogma des neoliberalen Wettbewerbsstaates zum solidarischen, konsensorientierten Wohlfahrtsstaat ist ohne eine vollbeschäftigungsorientierte Wirtschaftspolitik nicht vorstellbar. So wie der Keynesianismus der Siebziger- jahre die Basis der westlichen Wohlfahrtsstaaten im so genannten »goldenen Zeitalter« war, so ist ein reformierter Keynesianismus die Grundlage des
reformierten Wohlfahrtsstaates des 21. Jahrhunderts. Allerdings können keynesianische Politikversatzstücke auch gewissermaßen nachsorgend eingesetzt werden, um einen im Sinne der Leistungseliten deregulierten, liberalisierten Wettbewerbsstaat zu stabilisieren - dies zeigen die Beispiele Großbritanniens und der USA unter den Thatcher- bzw. Reagan-Administrationen nur allzu deutlich. Also ist auch nicht keynesianischer Instrumenteneinsatz per se, sondern eine vorsorgende und umfassende wirtschaftspolitische Konzeption vonnöten, die die integrative Wirtschaftspolitik zum Ausgangspunkt nimmt.

Wenn unsere Analyse ansatzweise stimmig ist, dann erfordert die (externe) Legitimation einer solchen Politik allerdings eine radikalen Wandel des herrschenden gesellschaftlichen Meinungsklimas. Solange ein überbordender Individualismus, ein ganz allgemeiner, intuitiver Staatsskeptizismus und Sozialneid herrschen und die »öffentliche Meinung« prägen, gelingt es der Leistungselite leicht, ihre Verteilungsinteressen zum Interesse des Allgemeinwohls zu stilisieren. Unter diesen Bedingungen ist die Aufkündigung des »historischen Kompromisses« aus der Zeit der Systemkonfrontation nur zwangsläufig oder anders ausgedrückt: Die Herstellung eines solchen Weltbildes war die notwendige Voraussetzung dafür, dass die Leistungselite ohne gesellschaftlichen Imageverlust einen zu den Errungenschaften der Nachkriegszeit zählenden Verteilungskompromiss aufkündigen konnte. Dass sie dies mittlerweile ohne Rücksicht auf das Allgemeinwohl tut, darf nicht länger verborgen bleiben und könnte zu einem Meinungswandel führen.

R E S Ü M E E

Ein reformierter Keynesianismus ist nach wie vor Grundlage des reformierten Wohlfahrtsstaates. Allerdings nur, wenn die »Leistungselite« nicht mehr ihre Verteilungsinteressen zum Interesse des Allgemeinwohls hochstilisiert. Man muss aufdecken, dass der Verteilungskompromiss ohne Rücksicht aufgekündigt wurde.

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