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Mobbing

HINTERGRUND

Das Phänomen der seelischen Gewalt am Arbeitsplatz hat es gegeben, lange bevor »Mobbing« zum Modewort wurde. Mit steigender Gewaltbereitschaft der Gesellschaft, fürchten Experten und Arbeitnehmervertreter, steigt aber auch die Bereitschaft, Kollegen durch brutale Strategien und Manöver hinauszudrängen. Mehr oder weniger subtile psychische Gewalt dient außerdem immer öfter dazu, sich billig unerwünschter Untergebener zu entledigen.

Psychoterror am Arbeitsplatz hat es zu jeder Zeit gegeben«, ist die Leiterin der ÖGB-Beratungsstelle, Anna Musger-Krieger, überzeugt. »Zur Sprache gekommen ist das Thema seit den Achtzigerjahren, als die Arbeitsplätze knapp wurden. Oft ist es einfach ein klassischer Verteilungskonflikt.«

Der verstorbene Psychologe, Heinz Leymann1) hat den Begriff »Mobbing« in den Achtzigerjahren geprägt, um seelische Gewalt am Arbeitsplatz zu beschreiben. Der Ursprung des Wortes aus dem Englischen (»Mob«: Horde, Schar, Pöbel; »to mob«: sich stürzen auf, belagern) zeigt, dass es sich um ein Gruppenphänomen handelt. Leymann verstand darunter »häufig wiederholte, feindselige Handlungen, die systematisch gegen ein und dieselbe Person gerichtet sind«.

Wiederholungsdelikt

Ein Wiederholungsdelikt also, das sich in Haltungen, Worten und Gesten äußert, die jede einzeln für sich betrachtet vielleicht harmlos erscheinen. Leymann listete 45 dieser Handlungen auf und behauptete, dass sich diese ein oder mehrere Male, mindestens einmal pro Woche oder über ein halbes Jahr hindurch wiederholen müssten, um von Mobbing sprechen zu können.

Eine Grenze, die der französischen Psychoanalytikerin Marie-France Hirigoyen2) etwas zu weit geht. Denn schließlich, so die studierte Viktimologin (die Viktimologie beschäftigt sich mit den Verbrechensopfern), hängt seelische Gewalt nicht nur von der Dauer, sondern auch von der Heftigkeit der Attacken ab. Wichtig sei es auch, seelische Gewalt am Arbeitsplatz von gewöhnlichen Konflikten abzugrenzen.

Eine Meinung, die auch die Expertin der ÖGB-Beratungsstelle teilt. »Ein Streit unter Kollegen, eine Schikane des Vorgesetzten wird oft gleich als Mobbing bezeichnet«, heißt es auch in der ÖGB-Broschüre zum Thema (siehe Kasten). »Kein Wunder, dass tatsächlich Betroffene oft kein Gehör finden.«

Egal, welcher Definition man sich bedient: Seelische Gewalt am Arbeitsplatz ist eine Gewalt der kleinen Treffer. »Der Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt«, berichtet die ausgebildete Supervisorin Musger-Krieger (siehe Interview). Einer kürzlich von der deutschen Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin veröffentlichten Studie zufolge können pro Gemobbten und Jahr Unkosten bis zu 73.000 Euro entstehen. Das Leid, das die Opfer bis zum Selbstmord oder lebenslanger Arbeitsunfähigkeit treiben kann, ist kaum zu beziffern.

I N F O R M A T I O N

Aktiv gegen Mobbing

Die ÖGB-Beratungsstelle
»Mobbing macht krank. Es zerstört das Selbstbewusstsein und führt häufig zu Krankheit und Kündigung«, so Anna Musger-Krieger, Mobbing-Beraterin des ÖGB. Die am 1. April 2001 eingerichtete Stelle verzeichnet immer mehr Zustrom. Bereits im ersten Jahr hat die ausgebildete Supervisorin rund 1200 persönliche und telefonische Beratungen durchgeführt. Gegen Terminvereinbarung (01/534 44/344) gibt es kostenlose Beratung. Gewerkschaftsmitglieder erhalten finanziellen Zuschuss für weiterführende Supervision.

Mehr Infos zum Thema bieten ein Folder und die neue Mobbing-Broschüre, die gratis unter der obiger Nummer oder E-Mail unter anni.musger-krieger@oegb.at bestellt werden können.

Betroffenheit in Zahlen

Im Durchschnitt sei jeder neunte Erwerbstätige irgendwann einmal von Mobbing betroffen, heißt es in besagter Studie. Von etwa 300.000 Betroffenen in Österreich spricht Musger-Krieger. Laut einer Studie der steirischen Arbeiterkammer, an der sich im Vorjahr rund 1000 Lehrlinge beteiligten, fühlt sich jeder Dritte bereits während der Lehrzeit gemobbt. Der Psychoterror läuft meist dort, wo Kosten entstehen, berichteten die AK-Fachleute. So gab es Lehrlinge, mit denen in der Firma nicht geredet werden durfte, weil sie im Krankenstand gewesen waren. Von Beleidigungen, Beschimpfungen oder Strafarbeiten ganz zu schweigen. »Manchmal schlicht mit dem Ziel, den Jugendlichen soweit zu bringen, selbst das Handtuch zu schmeißen, weil man ihn sonst nicht los wird«, mutmaßte der Lehrlingsexperte der steirischen AK, Michael Paier.

Die subtilen Vorgänge, mit denen Menschen am Arbeitsplatz einander blockieren, erinnern an kafkaeske Beschreibungen. Beliebt ist zum Beispiel das Vorenthalten von Informationen, berichtet Musger-Krieger aus ihrer reichhaltigen Sammlung von Fallgeschichten. »Oder ein Mitarbeiter hebt das Telefon ab und sagt: ›Der ist schon zwei Stunden weg, keine Ahnung wo. Aber ich werd’s ausrichten.‹ Was er dann nicht tut.« Zur Taktik der kleinen Treffer zählt auch, den Kaffeetratsch abrupt zu unterbrechen, wenn das Opfer auftaucht. Eine Stufe höher in der Skala fiesen Verhaltens sind Manipulationen an Betriebsmitteln.

Die Frau, im Bürobereich tätig, die sich an die ÖGB-Beratungsstelle wandte, war mit den Nerven am Ende. Dass sie von den Kollegen - aus ihr nicht bekannten Gründen - »geschnitten« wurde, hatte sie noch ertragen. Dass nach einem Urlaubstag die von ihr geschriebenen Rechnungen statt mit 20 mit 0,2 Prozent Mehrwertsteuer hinausgingen, gab ihr den Rest. Den Beweis zu erbringen, wer an ihrem Computer die Kommastelle verändert hatte, war unmöglich. Die tragische Geschichte fand dennoch ein gutes Ende. Musger-Krieger: »Diese Dame hatte öfters einen Tag frei gebraucht, um ihren schwer kranken Sohn zur Therapie zu bringen. Nur der Vorgesetzte hat davon gewusst, die Kollegen waren einfach sauer, weil sie ihre Arbeit machen mussten.« Nach einem klärenden Gespräch konnte sich die Gemobbte »vor Hilfsangeboten kaum mehr retten«. Das heißt: »Auch Betroffene haben die Pflicht, zu reagieren und Konflikte anzusprechen. Ein offener Konflikt ist immer leichter zu bearbeiten als ein verdeckter.«

Altes Phänomen mit vielen Namen

Seelische Gewalt am Arbeitsplatz hat es immer schon gegeben.

Aus dem angelsächsischen Raum sind die »whistleblowers« bekannt. Personen, die Alarm schlagen, um auf Missstände aufmerksam zu machen und dadurch selbst Opfer von Repressalien werden.

In den USA wurde der Begriff »Mobbing« erst 1990 durch einen Artikel von Leymann eingeführt. Das Phänomen war schon 1976 vom US-amerikanischen Psychiater Carrol Brodsky in seinem Buch »The harrassed worker«, der gepeinigte Arbeiter, beschrieben worden.

Ein sehr altes Phänomen sind seelische Schikanen auf japanischen Arbeitsplätzen. Durch »Ijime« (Gewalt) wird versucht, Neuankömmlinge »zurechtzustutzen« oder »störende Elemente« zu zermürben. Anfang der Siebzigerjahre, so berichtet Marie-France Hirigoyen über die unterschiedlichen Ausprägungen seelischer Gewalt in verschiedenen Kulturkreisen, tauchte das Wort in diesem Sinn erstmals auf. Seit der Rezession der Neunzigerjahre wünschen die Konzerne flexiblere Kräfte, die bereit sind, gegebenenfalls in neue Rollen zu schlüpfen. Man gibt sich nicht mehr damit zufrieden, alt und unnütz gewordene Arbeitnehmer »kaltzustellen«, sondern geht über zu brutalster seelischer Gewalt, für die es im Japanischen noch keinen Begriff gibt. Das Phänomen bringt es aber immer öfter zu Schlagzeilen in den japanischen Medien. Bekannt wurde die Geschichte eines leitenden Angestellten der Firma Sega, den die Direktion zur Kündigung bewegen wollte. Sie verbannte ihn zu diesem Zweck in ein fensterloses Büro ohne Telefon.

Phänomen ohne Grenzen

Für Beispiele dieser und ähnlicher Art muss man nicht über die Grenzen schauen. Das zeigt der Fall der Angestellten eines Dornbirner Büromöbelhändlers, der im August letzten Jahres publik wurde. Erst liefen Informationen an ihr vorbei, später wurden ihr Schreibtisch und Telefon entzogen, dann das Dienstauto. Nach aggressiver sexueller Belästigung wurde sie gekündigt. Zwar wurde ihr Ex-Vorgesetzter zu einem pauschalen Schadenersatz nach dem Gleichbehandlungsgesetz verurteilt. Genugtuung für das seelische Leid gab es keine.

In Frankreich gibt es seit zwei Jahren ein Anti-Mobbing-Gesetz, das Täter mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft. In Österreich bleibt Mobbing - zumindest juristisch - schwer fassbar. Angelpunkt für Mobbingopfer ist daher die gesetzlich vorgeschriebene »allgemeine Fürsorgepflicht des Dienstgebers«. Das bedeutet, dass dieser verpflichtet ist, Mobbing abzustellen.

Gewalt durch Vorgesetzte

Laut deutschem »Mobbing-Report« gehen 38 Prozent der seelischen Gewalt aber ausschließlich von Vorgesetzten aus und Erfahrungen der Mobbing-Beratungsstellen zeigen, dass die Fäden im Psychokrieg noch öfter in den höheren Etagen gezogen werden. Etwa, indem gezielte »Personalpolitik« durch Mobbing, in diesem Fall »Bossing« genannt, betrieben wird.

»Bestimmte Rituale können aber auch der Machtdemonstration oder der klaren Positionszuweisung dienen«, schrieb die Kommunikationswissenschafterin Nicole Scholz in einer Ausgabe der Österreichischen Krankenpflege-Zeitschrift bereits 1998. Neue Mitarbeiter werden durch entwürdigende Einstiegsarbeiten »sozialisiert«. Die nicht gemobbten Mitarbeiter lernen wiederum, welche Verhaltensweisen erwünscht sind und welche nicht.

Mobbing kostet mehr als die Nerven der Betroffenen. Am schlechten Arbeitsklima erkranken nicht nur die Mitarbeiter, auch die Leistung sinkt. Zu Betriebsvereinbarungen, wie sie es seit 1996 bei der Volkswagen AG in Wolfsburg gibt, konnte sich bislang in Österreich kein Unternehmen durchringen.

1) »Mobbing, Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehren kann«, Leymann Heinz, Rowohlt-Taschenbuch.
2) »Wenn der Job zur Hölle wird - Seelische Gewalt am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehrt.« Marie-France Hirigoyen; Verlag C.H. Beck.

Arbeit & Wirtschaft - Interview
Gabriele Müller spricht mit Anna Musger-Krieger

Perverses Psychospiel


Seit Mobbing-Opfer auch in Talk-Shows auftreten, zweifelt niemand mehr am Vorhandensein des Phänomens. Viele suchen die Schuld am Psychoterror bei sich. Mit Betriebsvereinbarungen gegen Mobbing könnte dem ein Riegel vorgeschoben werden.

Wie mobbt man jemanden aus einem Betrieb?
Der Phantasie der Mobber sind keine Grenzen gesetzt. Der beste Nährboden sind strukturelle und organisatorische Probleme im Betrieb. 80 Prozent der Betroffenen klagen darüber. Eine weitere Ursache ist die Angst um den Arbeitsplatz. Bei Fusionen, Ausgliederungen oder Privatisierungen zum Beispiel. Bei einer kleineren Gruppe ist Mobbing durch die Person bedingt. Etwa wegen gegenseitiger Antipathie oder eines autoritären Führungsstils, der keine eigene Meinung zulässt. Unter Mitarbeitern geschieht Mobbing oft bei Führungsschwäche des Vorgesetzten.

Wie beweist man Mobbing?
Ich rate immer, ein detailliertes Mobbing-Tagebuch zu führen. Erstens, um die Struktur des Prozesses und die Hintergründe zu erkennen. Zweitens, um die Ursachen zu beheben. Denn die Leute wollen weder zu Gericht gehen noch den Arbeitsplatz verlieren. Sie wollen in Ruhe ihre Arbeit tun.

Dazu muss sicher auch das Umfeld verändert werden ...
Das ist klar. Aber erst müssen die Betroffenen gestärkt werden. Oft sind sie in ihrem Selbstwertgefühl schon so geschädigt, dass sie sich selbst die Schuld daran geben, gemobbt zu werden. Man muss sie daher erst einmal aufbauen und dann gemeinsam Strategien überlegen. Meist gibt es einen Täter und viele Zuschauer oder Helfer. Wir versuchen, den Kreis einzuengen und die Ursachen herauszufinden. Das ist oft Detektivarbeit. Häufig wissen die Leute instinktiv, wann es begonnen hat. »Da ist ein neuer Chef gekommen, seither mache ich nichts mehr richtig«, zum Beispiel. Wir versuchen zu klären, wie stark der Betroffene noch ist. Denn die Hauptarbeit muss der Betroffene selbst machen. Wichtig zu wissen ist: Mobbing hört nicht auf, indem man sich ruhig verhält und hofft, dass es vorbeigeht. Je früher die Betroffenen zur Mobbing-Beratungsstelle gehen, umso besser.

In Deutschland gibt es Betriebsvereinbarungen gegen Mobbing. Und in Österreich?
In Deutschland geht man den Weg von Betriebsvereinbarungen unter dem Titel »Partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz«. Erste waren 1996 die VW-Werke in Wolfsburg mit ihren 30.000 Arbeitnehmern aus 18 Nationen. Bekanntlich ist Papier geduldig. Aber es bewirkt eines: Dass sich die Leute des Phänomens bewusst werden und wissen, dass die Leitung etwas dagegen tun will und es Sanktionen gibt - von der Verwarnung bis zur Versetzung und fristlosen Entlassung. Dieser Weg ist auch in Österreich gangbar. Eine Mustervereinbarung gegen Mobbing ist auch in unserer Broschüre enthalten. Demnächst wird der erste Betrieb in Österreich eine solche Vereinbarung unterzeichnen. Wir hoffen, dass viele diesem Beispiel folgen. Denn es gibt keinen Gewinner bei Mobbing.
Alle sind Verlierer.

Wir danken für das Gespräch!


R E S Ü M E E

Mehr als es zugeben sind von Mobbing betroffen. Still vor sich hin zu leiden ist jedoch kein Ausweg. Betroffene sollten rasch reagieren. Arbeitgeber haben die Pflicht, für ein gutes Klima im Betrieb zu sorgen und den Psychospielen einen Riegel vorzuschieben. Das ist leichter gesagt als getan. Denn die Strategien des Terrors am Arbeitsplatz sind äußerst umfassend und gefinkelt. Vieles, was wie Mobbing aussieht, sind ganz normale Schwierigkeiten im täglichen
Arbeitsalltag. Dennoch gilt es, den Terror am Arbeitsplatz frühestmöglich zu unterbinden. Wobei es schwierig ist, Mobbing überhaupt zu beweisen. Experten raten Betroffenen, ein Tagebuch anzulegen und ehestmöglich Rat zu suchen.

Ein Streifzug durch den Dschungel moderner seelischer Gewalt am Arbeitsplatz und welche Auswege es gibt.

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