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Verdienen an Flüchtlingen

HINTERGRUND

Österreich verfehlt seine Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention, ist mit seiner »Flüchtlingsbetreuung« unter den Schlusslichtern der EU und hat wichtige Aufgaben einer Privatfirma übergeben, die ihre Aufträge nicht hinterfragt.

Die Massenschlägerei in Traiskirchen, bei der ein Tschetschene ums Leben kam, war Folge des Zusammenpferchens von 800 Menschen verschiedenster Nationalitäten. Seit die Firma European Homecare die Leitung des Lagers übernahm, wird das Essen für die Flüchtlinge tiefgekühlt aus Deutschland angeliefert und der Traiskirchner Fleischhauer verlor seinen wichtigsten Abnehmer. Der Unmut in Traiskirchen wurde dadurch nicht geringer.

Kleine Gemeinden und Landkreise in Deutschland bringen die ihnen zugeteilten Flüchtlinge meist in Pensionen und Gaststätten unter. Expandiert hat dieser Wirtschaftszweig aber erst so richtig seit der Wende. In der DDR gab es Flüchtlingseinrichtungen nur in sehr begrenztem Umfang. Ein neuer Markt entstand. Findige Geschäftemacher, darunter Konsortien aus ehemaligen Nutzern von Kasernen oder Einrichtungen der Stasi (»Staatssicherheit«), boten ihre Dienste an. 1993 schätzte der Journalist Karl-Friedrich Kassel das Marktpotential der Unterbringung und Versorgung von Asylwerbern auf acht Milliarden DM, also rund vier Milliarden Euro. Entgegen der weit verbreiteten Annahme, so Kassel damals, dass Asylsuchende nur auf der Tasche der Steuerzahlenden liegen, seien sie Anlass für massive versteckte Konjunkturförderung. Eine ganze Liste von Wirtschaftszweigen verdient an der Betreuung von Flüchtlingen: Anwälte, Übersetzer, Bauunternehmer, Sozialarbeiter, Verkehrsunternehmen, Wachdienste, Hoteliers, Hauseigentümer, Supermarktketten, Fertigmenüdienste, Restaurantbesitzer. Die Liste ist teilweise nach wie vor aktuell. Die Privatisierung hat sich jedoch seither »verfeinert«. Wie in so vielen Wirtschaftszweigen, hat auch hier die Spezialisierung und grenzüberschreitende Expansion eingesetzt. Immer mehr Privatfirmen bieten soziale Dienstleistungen.

Da in der ehemaligen DDR die Wohlfahrtsverbände wie Rotes Kreuz oder Diakonie nicht über dieselbe Hausmacht wie im Westen verfügten, hat man dort schon früh Privatfirmen mit der Leitung von Flüchtlingseinrichtungen betraut. Eine dieser Firmen, die dort von Anfang an tätig war, ist European Homecare aus Essen. Diese Firma hat seit kurzem den europäischen Markt entdeckt.

Nur 20 wollten heimkehren

Im Oktober letzten Jahres gab es großen Aufruhr in der österreichischen NGO-Szene (NGO´s: Non Governmental Organisations, Nichtregierungsorganisationen). Ohne vorherige Ausschreibung betrat das österreichische Innenministerium wirtschaftspolitisches Neuland. Die neu geschaffene Rückkehrberatung wurde European Homecare anvertraut. Innerhalb einer Woche nach ihrer Ankunft sollten Flüchtlinge über eine mögliche Rückkehr beraten werden. Das war dem Innenministerium 55.000 Euro pro Monat wert. Der Vertrag lief zunächst von Oktober 2002 bis Ende Jänner 2003. Dass etwas so Heikles wie die Rückkehrberatung einer Privatfirma übertragen wurde, löste große Empörung aus. Der Erfolg blieb denn auch weitgehend aus. In vier Monaten ließen sich lediglich etwa 20 Asylsuchende zur Rückkehr überreden. Das, obwohl das Ministerium die Firma in einer internen Weisung wissen ließ: »Es würde nicht schaden, wenn bei den Beratenen der Eindruck eines zügig abgewickelten Asylverfahrens entstünde, an dessen (baldigem) Ende (erwartungsgemäß rechtskräftige Antragsabweisung) die entsprechenden fremdenrechtlichen Verfügungen bzw. Zwangsmaßnahmen stehen.«

Der für Österreich zuständige European Homecare-Mitarbeiter Eckart Wilcke bestritt, jemals eine solche Weisung erhalten zu haben. Kontrovers war vor allem die Tatsache, dass European Homecare zwar über ausreichend Erfahrung in der Leitung von Flüchtlingseinrichtungen verfügte, jedoch nicht in der Rückkehrberatung - auch wenn das Firmenvertreter anders sahen. »Wir sollen einfach nur präsent sein und durch umfangreiche Beratung in Form von vielen Sprachen und Sozialarbeit den Leuten ein angenehmes Umfeld ermöglichen«, so Sascha Korte, Juniorchef der Firma in einem Gespräch mit dem Österreichischen Rundfunk. Entgegen andersartigen Beteuerungen verfügte European Homecare also nicht über ausreichende spezifische Beratungserfahrung.

Vom Schlüsseldienst ins Flüchtlingsgeschäft

Gründer und Senior-Chef von European Homecare ist Rudolf Korte, ein Essener Kaufmann. Die Familie Korte ist seit vier Generationen in Essen ansässig. Bevor er soziale Dienstleistungen anbot, betrieb er die Firma »Paul Noel - Baubeschläge und Schlüsseldienst«. Wie so viele Geschäftsleute aus dem Westen entdeckte auch Rudolf Korte durch die Wende einen neuen Markt: die Flüchtlingshilfe.

Der mit der Auftragsvergabe an die Privatfirmen befasste Referent Uhlenbruch vom Flüchtlingsamt Unna in Nordrhein-Westfalen (das deutsche Bundesland hat im Sommer 2001 European Homecare mit der Leitung von drei Einrichtungen betraut) betont, dass sich die Aufgabe auf die Betreuung und Versorgung der Flüchtlinge beschränkt, die Firma jedoch »keinerlei Rückkehrberatung« durchführe.

Der Vertrag für die Rückkehrberatung wurde als Übergangsregelung bis zur Verabschiedung des neuen Asylgesetzes für die Hälfte des ursprünglichen Betrages bis Ende Juni verlängert. Im Februar 2003 erhielt European Homecare jedoch einen viel wichtigeren Auftrag: die Leitung der vier größten österreichischen Flüchtlingslager ab 1. Juli. Diesmal hatte es eine Ausschreibung gegeben. Neben European Homecare bewarben sich ein Gastwirt und ein Konsortium von vier NGO´s, Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz und Volkshilfe (Arbeiterwohlfahrt).

Bestrafte Unbotmäßigkeit

Die NGO´s werteten die Entscheidung des Innenministeriums als Strafe für ihre kritische Haltung. Kritik gibt es von seiten der NGO´s auch an European Homecare: keinerlei Bemühungen, mit ihnen Kontakt zu suchen und ihre Erfahrung in Anspruch zu nehmen. Bislang mied man auch, wo irgend möglich, den Kontakt zur österreichischen Presse. Journalisten wurden stets an das Innenministerium verwiesen. In Essen wusste oder wollte man uns wenig zur Situation in Österreich sagen. Die Entschlossenheit, in andere europäische Länder zu expandieren, wurde aber bestätigt. In Spanien waren erste Versuche fehlgeschlagen, im Moment versucht man auf dem englischen Markt Fuß zu fassen. Dort mischen jedoch ganz anders geartete Firmen in der Flüchtlingsbetreuung mit: Group 4 Falck, der weltweit zweitgrößte Sicherheitskonzern (Leitung von Gefängnissen, Wachdienste) betreibt auch sechs der großen gefängnisartigen Immigration Detention Centres.

»In vier Monaten ließen sich lediglich etwa 20 Asylsuchende zur Rückkehr überreden.«

Am Tor Asyl schreien?

Der für Österreich zuständige European Homecare-Mitarbeiter Eckart Wilcke erklärte uns, wie das mit den Asylsuchenden funktioniert: Die Asylwerber kämen an und würden am Tor Asyl schreien. Bald erfahren sie, dass sie keinen Anspruch auf Bundesbetreuung haben, aber sie können an der Rückkehrberatung teilnehmen. Dort befrage man sie um ihre Asylgründe, erkläre ihnen, wie die Situation im Heimatland aussieht. Mit jedem zu Betreuenden würden stundenlange Gespräche geführt.

Wilcke nimmt seine Aufgabe ernst, man ist sich wohl bewusst, genau beobachtet zu werden. Das mangelhafte Verhältnis zu österreichischen NGO´s und Journalisten begründet er mit der Feindseligkeit, die ihnen schon von Anfang an entgegenschlug. Dafür, dass die NGO´s wiederholt das Innenministerium kritisierten, hat er kein Verständnis. Als Auftragnehmer stehe es ihm nicht zu, Kritik am Auftraggeber zu üben. Keine Hinterfragung also der Vorgaben oder der aktuellen Asylpolitik. Man erledigt einfach seine Arbeit. Besonderes soziales Engagement sei dafür, so Wilcke, nicht unbedingt notwendig. Das gehe auch so. Die Mehrzahl der Asylsuchenden würde ja tatsächlich verfolgt, diese seien freundlich und hilfsbereit, leider gebe es auch etliche Kriminelle darunter. Ein klares Weltbild also.

Vorgaben werden nicht hinterfragt

Die bisherigen Mitarbeiter in Traiskirchen sind verunsichert. European Homecare hat zwar die Bereitschaft zugesagt, sie zu übernehmen, eine Verpflichtung besteht aber nicht. Wie in Deutschland ist auch in Österreich die private Flüchtlingsbetreuung nichts Neues, die Mehrzahl der Asylsuchenden in Bundesbetreuung (nur ein Drittel aller Asylsuchenden, der Rest ist de facto obdachlos) sind in kleinen privaten Herbergsbetrieben untergebracht. Übernahme der Flüchtlingslager wird auch von den NGO´s nicht mit so großer Sorge gesehen, wie die Übernahme der Rückkehrberatung im Herbst 2002. European Homecare bot mit Euro 12,90 den niedrigsten Tagessatz an, eine Beratung ist darin nicht enthalten. Das Konsortium der vier größten österreichischen NGO´s - Caritas, Volkshilfe, Diakonie und Rotes Kreuz - konnte nicht mithalten, deren Tagessatz betrug E 15,- und schon dabei sei man laut Christoph Riedl von der Diakonie ordentlich ins Schwitzen gekommen. Laut Christoph Riedl sind hier oft nicht einmal die elementarsten Dinge geregelt.

Die Aufregung über die Privatisierung ist mittlerweile verebbt, denn im Moment steht in Österreich die Verabschiedung eines neuen Asylgesetzes bevor. Unter anderem sieht dieses Gesetz vor, dass ein Flüchtling, der weniger als zehn Kilometer von der Grenze entfernt aufgegriffen wird, gleich wieder abgeschoben werden kann. Neben den NGO´s und UNHCR, der Flüchtlingssorganisation der UNO, haben auch das Außenministerium und der Verfassungsdienst das Gesetz scharf kritisiert. Der Vertrag mit European Homecare ist unbefristet, und das wird wohl auch so bleiben. Eine Privatfirma versucht ja lediglich, eine »ordentliche Arbeit« zu leisten. Die Vorgaben des Auftraggebers werden von ihr nicht hinterfragt.

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