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Wird aus der EU eine Sozialunion?

HINTERGRUND

Der Konvent zur Zukunft Europas hat seinen Verfassungsentwurf vorgelegt. Die Arbeitnehmerorganisationen bringen wichtige Forderungen in die Zukunftsdebatte ein. Eine Analyse der AK Wien.

Die letzten fünfzehn Jahre der Europäischen Union waren von einer beispiellosen Dynamik. Mit der im Oktober 2003 beginnenden Regierungskonferenz1), die endgültig über den Verfassungsentwurf entscheiden wird, stehen wir nach Maastricht 1990/91, Amsterdam 1997 und Nizza 2000 vor der vierten großen Revision der europäischen Verträge. Diese Dynamik hängt eng mit den veränderten weltpolitischen und ökonomischen Rahmenbedingungen zusammen. Orientierungspunkte sind das Ende des Kalten Krieges, die deutsche Wiedervereinigung und - vor allem - die größte Erweiterungsrunde der Union. Die fünfte Erweiterung wurde 1993 vom Europäischen Rat in Kopenhagen mit der Festlegung politischer und wirtschaftlicher Beitrittskriterien eingeleitet und wird im Mai 2004 durch den Beitritt von vorerst zehn mittel- und osteuropäischen Staaten abgeschlossen sein. Damit wird die Union 25 Mitgliedstaaten umfassen. Die Bedeutung dieser Zäsur für die EU-Institutionen ist noch nicht abzuschätzen. Die wachsende Reformagenda der EU ist auf den letzten Regierungskonferenzen nur stückweise abgearbeitet worden, obwohl mit der Einführung einer gemeinsamen Währung und eines eigenen Beschäftigungskapitels im Vertrag große Fortschritte gelangen. Folgerichtig wird in den Verträgen von Maastricht, Amsterdam und Nizza bereits auf die nächste Regierungskonferenz verwiesen. Die letzte Konferenz fand im Dezember 2000 in Nizza statt und hatte das Mandat, die offenen institutionellen Fragen vor der Erweiterung zu klären.

»Der im Februar 2003 in Kraft getretene Vertrag von Nizza ist heute schon fast wieder Geschichte.«

Nizza

Der Vertrag von Nizza ist fast schon Geschichte. Von einer großen Reform kann keine Rede sein, in Zukunft wird die Entscheidungsfindung noch komplizierter. Vor allem bringt Nizza keine Fortschritte im Sinne einer Beschäftigungs- und Sozialunion. Die letzte Regierungskonferenz hat die Frage einer verbesserten Koordination der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik nicht einmal geprüft. Noch immer gibt es ein unakzeptables Ungleichgewicht zwischen diesen für die Bürger zentralen Politikbereichen. Mit der Festlegung auf den »Post-Nizza-Prozess« und die nächste Regierungskonferenz hat Nizza allerdings den Weg geöffnet für eine Zukunftsdebatte, die Europa in den nächsten Jahren verändern wird. Die in Nizza verabschiedete »Erklärung für die Schlussakte der Konferenz zur Zukunft der Union« enthält mehrere entscheidende Punkte:

  • Aufforderung an die Mitgliedstaaten zu einer breit angelegten Diskussion über die künftige Entwicklung der Union.
  • Sie nennt die Zukunftsfragen (Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedstaaten, endgültiger Status der in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der EU, Vereinfachung der Verträge, Rolle der nationalen Parlamente in der Architektur Europas).
  • Sie fixiert den Termin für die nächste Regierungskonferenz (2004).
  • Sie verpflichtet den Europäischen Rat, bis Dezember 2001 die weitere Vorgangsweise festzulegen.

Laeken

Nizza hat einmal mehr mit aller Deutlichkeit gezeigt, dass die bisherige Methode zur Änderung der Verträge an ihre Grenzen gestoßen ist und es zusätzlicher innovativer politischer Gestaltungsprozesse bedarf. Europa kann nicht weiter nur von oben verordnet werden. Nicht nur aus grundsätzlichen demokratiepolitischen Überlegungen, sondern auch aus Gründen der Effizienz und Transparenz haben wir uns entschieden dafür ausgesprochen, die nächste Regierungskonferenz durch einen Konvent vorzubereiten, dessen Einsetzung schließlich vom Europäischen Rat von Laeken im Dezember 2001 beschlossen wurde. Struktur und Zusammensetzung des Konvents wurden in der »Erklärung von Laeken« festgelegt, ebenso das Mandat, das in einer Art Fragenkatalog zahlreiche Politikbereiche anspricht, so auch die verstärkte Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, die Wahl des Präsidenten der Europäischen Kommission und die Effizienz der Beschlussfassung. Generell müsse die Union »demokratischer, transparenter und effizienter« werden. In der Erklärung der konstituierenden Sitzung unter dem Vorsitzenden Giscard d’Estaing am 28. Februar 2002 wird angedeutet, dass die Arbeit des Konvents in einen Verfassungstext münden könnte. Zu diesem Zeitpunkt war die Frage, ob Europa eine Verfassung brauche, noch umstritten.

Ein Europa mit Vollbeschäftigung

Die globale Forderung der Bundesarbeitskammer (BAK)2) für die nächste Regierungskonferenz lautet: Die EU muss eine Beschäftigungs- und Sozialunion werden, die dem Ziel der Vollbeschäftigung höchste Priorität einräumt. Das Ziel wird von vielen geteilt, der Weg ist umstritten. Die Sozialunion - so Klaus Hänsch, Leiter der Arbeitsgruppe »Ordnungspolitik« und Mitglied des Präsidiums des Konvents - werde durch die Politik geschaffen. Die Verfassung lege nur die Grundlage dafür, dass es eine soziale europäische Politik geben könne. Aber was ist, wenn die Grundlage nicht geeignet ist, um eine Politik für Wachstum, Vollbeschäftigung und sozialen Zusammenhalt umzusetzen? Diese Frage wird von der europäischen Politik seit Jahren ignoriert.

Das Beschäftigungsniveau ist primär Ergebnis der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und damit eine zentrale Aufgabe für Wirtschafts-, Geld- und Budgetpolitik. Wir Arbeitnehmer-Vertreter meinen daher, dass eine nachhaltige Verbesserung der Wachstums- und Beschäftigungssituation der europäischen Wirtschaft in erster Linie makroökonomische Maßnahmen erfordert. Wer eine Sozialunion will, wer Vollbeschäftigung in Europa will, darf die makroökonomische Grundausrichtung der EU nicht unverändert lassen, die für die mangelnde Flexibilität der EU-Wirtschaftspolitik verantwortlich ist. Diese ist wiederum das Ergebnis einer politisch gewollten institutionellen Ausgestaltung bzw. Machtverteilung zwischen den Institutionen und mangelnder Abstimmung zwischen den Akteuren: Die Geldpolitik ist durch den EU-Vertrag primär auf das Ziel der Preisstabilität festgelegt. Die Europäische Zentralbank (EZB) selbst hat dieses Ziel noch dazu sehr eng definiert (Anstieg des Preisniveaus von unter 2% p. a.). Sie kann also gar nicht anders, als der Inflationsbekämpfung Vorrang vor der Wachstumsstimulierung zu geben.

Dazu kommt ihr demokratiepolitisches Defizit. Die Budgetpolitik befindet sich im Korsett des Stabilitäts- und Wachstumspakts, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, ihre Budgetpolitik am vereinbarten Ziel (»close to balance or surplus«) auszurichten. Aus diesem Grund kann die Verantwortung für die Wachstumsentwicklung nicht ausreichend wahrgenommen werden. Mehr noch: Die EU verlangt neuerdings von jenen Länder, die dieses Ziel nicht erreichen, eine jährliche Verbesserung des strukturellen Defizits um 0,5% des BIP, was de facto eine Verschärfung des Stabilitätspakts bedeutet und in den betroffenen Mitgliedstaaten zu den Abschwung verstärkenden Sparpaketen führen wird. Die Beschäftigungspolitik muss mit den Grundzügen der Wirtschaftspolitik im Einklang stehen, ist also primär auf weitere Flexibilisierung der Arbeitsmärte ausgerichtet.

»Es ist erstaunlich, dass die Akteure selbst in der jetzigen Situation nicht zum Umdenken bereit sind.«

Die wahren Defizite der EU

Hier liegen die wahren Defizite der EU: Aufgrund dieser in den Verträgen festgelegten makroökonomischen Grundausrichtung wird es kaum möglich sein, die Lissabonner Beschäftigungsziele zu erreichen bzw. Vollbeschäftigung herzustellen.

Es ist erstaunlich, dass die politischen Akteure auf europäischer Ebene selbst in der gegenwärtigen angespannten Situation nicht zum Umdenken bereit sind. Während das Wirtschaftswachstum von 1996 bis 2000 durchschnittlich fast 2,7% pro Jahr betrug, erreichte es 2002 nur mehr 1,1%. Für 2003 sind 1,3% Wachstum im EU-Raum prognostiziert. Als Folge steigt auch die Arbeitslosigkeit wieder deutlich an. Eine Politik für Vollbeschäftigung und Wachstum fordert Änderungen im EU-Vertrag, die der Konvent vorschlagen muss. Es geht darum, das Ziel der Vollbeschäftigung im Vertrag zu verankern und Wirtschafts- und Währungspolitik vertraglich darauf auszurichten. Nachstehend die wichtigsten Forderungen der Bundesarbeitskammer an den Konvent:

  • Weiterentwicklung der Union zu einer »Beschäftigungs- und Sozialunion« durch primärrechtliche Verankerung des Ziels der Vollbeschäftigung und institutionelle Verschränkung von Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik; Verankerung der Kernelemente des europäischen Sozialmodells;
  • Gleichgewichtung der wirtschaftspolitischen Ziele: Im Primärrecht ist festzulegen, dass die Wirtschaftspolitik das Ziel der Vollbeschäftigung verfolgt und die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank auch dem Wachstums- und Vollbeschäftigungsziel Rechnung zu tragen hat.
  • Reinterpretation des Stabilitäts- und Wachstumspaktes in Richtung Erweiterung der budgetpolitischen Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten. Er sollte so ausgelegt werden, dass die Mitgliedstaaten wichtige Zukunftsinvestitionen vornehmen können. Dabei geht es nicht um Integration des Paktes in den Verfassungsvertrag, sondern um ein politisches Signal des Konvents an die Staats- und Regierungschefs der EU.
  • Vertragliche Absicherung der Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten und ihrer Gebietskörperschaften bei Definition und Ausgestaltung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (Daseinsvorsorge).
  • Etablierung EU-weiter Mindestnormen zu allen wesentlichen Steuern, um zu vermeiden, dass der Sozialstaat selbst zum Gegenstand des Wettbewerbs wird. Notwendige Voraussetzung: Übergang zu qualifizierten Mehrheiten.
  • Stärkere Einbindung des Europäischen Parlaments und der Sozialpartner in die europäische Politikgestaltung.
  • Aufnahme der Grundrechtecharta in den Vertrag.
  • Bekenntnis zu einem dynamischen Integrationsverständnis und Aufnahme der Methode der offenen Koordinierung in den Vertrag.
  • Vollbeschäftigung verankern!

    Vor diesem Hintergrund haben wir schon in unserem ersten Positionspapier »Europa neu gestalten« vom Mai 2002 die Einsetzung einer eigenen Arbeitsgruppe gefordert, die sich mit sozialen Fragen und einer »Beschäftigungs- und Sozialunion« befassen sollte. Erst allmählich wurde diese Idee aufgegriffen, so auch von Caspar Einem und Maria Berger, die als Mitglieder des Konvents einen wichtigen Diskussionsbeitrag einbrachten.

    Auch die europäischen Gewerkschaften, die von Anfang an hohe Erwartungen an den Konvent gerichtet haben, fordern in ihren Stellungnahmen sichtbare Fortschritte in Richtung Sozialunion. Exemplarisch sei hier auf die Stellungnahme des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) vom Oktober 2002 (»Ein Verfassungsvertrag für ein soziales Europa der Bürger«) und die Empfehlungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) vom September 2002 verwiesen. »Das heutige Ziel« - so der EGB - »ist die Schaffung einer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Union, in der Wirtschafts-, Beschäftigungs- und soziale Ziele direkt und auf Grundlage gemeinsamer Politiken, die sich auf das europäische Sozialmodell und seine Werte stützen, als Ziele der EU-Zusammenarbeit gefördert werden.« Der DGB fordert eine Änderung der Haushaltsregeln des Vertrags (Art. 101 bis 104 EG-V) damit zukünftig kreditfinanzierte öffentliche Infrastrukturinvestitionen nicht der Drei-Prozent-Defizitregel unterliegen (Aufnahme der »Goldenen Defizitregel« in den EG-Vertrag) und die im Steuer- und Sozialsystem eingebauten so genannten automatischen Stabilisatoren ungehindert wirken können.

    Verfassungsentwurf des Konvents: Zwischenschritt zur Sozialunion

    Nach Monaten intensiver Beratungen und hunderten Änderungsvorschlägen seitens der Konventsmitglieder hat Giscard d’Estaing im Juni 2003 dem Europäischen Rat von Thessaloniki den Verfassungsentwurf präsentiert. Die Staats- und Regierungschefs zeigten sich erfreut und begrüßten den Entwurf als »gute Ausgangsbasis« für die kommende Regierungskonferenz.

    In der Tat bedeuten die Konventsergebnisse einen signifikanten Schritt nach vorn: Die neue Verfassung tritt an die Stelle der bisherigen Gründungsverträge und sieht erstmals auch eine Austrittsklausel vor. Die Säulenstruktur wird aufgelöst, die Europäische Union erhält eine eigene Rechtspersönlichkeit, was ihr einen Sitz im Europarat oder im UNO-Sicherheitsrat ermöglichen könnte. Die Zahl der Entscheidungsverfahren wird von fünfzehn auf sechs (Gesetz, Rahmengesetz, Verordnung, Beschluss, Empfehlung, Stellungnahme) reduziert. Erstmals werden die Zuständigkeiten der Union in einem eigenen Kompetenzkapitel zusammengeführt. Insgesamt wird die Union demokratischer (Aufwertung des Europäischen Parlaments, Festlegung der qualifizierten Mehrheit im Rat und des Mitentscheidungsverfahrens als Regelverfahren, öffentliche Ratsitzungen, Bürgerbegehren3).

    In Zusammenhang mit unseren Forderungen hinterlässt der Entwurf jedoch gemischte Gefühle. Als positiv sind folgende Aspekte hervorzuheben:

    • Die Grundrechtecharta wird rechtsverbindlich in die Verfassung aufgenommen.
    • Vollbeschäftigung und sozialer Fortschritt gehören nunmehr zu den Zielen der Union, die u. a. auch eine »soziale Marktwirtschaft« anstrebt.

    Jedoch enthält der Zielekatalog nicht alle Vorschläge der Arbeitsgruppe »Soziales Europa«. »Nachhaltige Entwicklung«, »Vollbeschäftigung« und »soziale Marktwirtschaft« sind angeführt, es fehlen jedoch vor allem die Ziele »Qualität der Arbeit« sowie »effiziente und hochwertige Sozialdienste und Leistungen der Daseinsvorsorge«. Im Beschäftigungskapitel ist weiterhin lediglich von einem »hohen Beschäftigungsniveau« die Rede.

    »Die neue Verfassung tritt an die Stelle der bisherigen Gründungsverträge und sieht erstmals auch eine Austrittsklausel vor.«

    Was offen bleibt

    Offen bleibt, wie das Bekenntnis zur »Sozialen Marktwirtschaft« mit dem »Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb« (der im Wirtschaftskapitel weiterhin angeführt wird), in Einklang gebracht werden kann.

    • Die Rechte des Europäischen Parlaments werden substantiell gestärkt: Die Zahl der Bereiche, in denen das Parlament gemeinsam mit dem Rat entscheidet, wird von 34 auf 70 mehr als verdoppelt. Da beim EU-Budget die Unterscheidung zwischen obligatorischen und nicht-obligatorischen Ausgaben fällt, kann das Parlament seine Mitentscheidungsbefugnisse über den gesamten Haushalt ausdehnen - insbesondere im Agrarbereich. Es wählt den Präsidenten der Europäischen Kommission. In Zukunft muss die Kommission begründen, wenn sie einer Aufforderung des Parlaments zur Ausarbeitung eines Rechtsakts nicht nachkommt.
    • Jedoch weiterhin mangelhafte Einbindung bei der Gestaltung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik.
    • Die Rolle der Sozialpartner wird in der Verfassung verankert, ebenso der Soziale Dialog.
    • Art III-101 (ex-Art 139 EG-V) führt den quasi-gesetzgeberischen Einfluss der Sozialpartner auf. Im Unterschied zu früher sollen die Vereinbarungen der Sozialpartner jedoch nun in eine Europäische Verordnung oder einen Beschluss münden, beides Rechtsakte ohne Gesetzescharakter (Auswirkung?). Das Europäische Parlament muss darüber zumindest informiert werden.
    • Verschränkung von Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik.
    • Art I-14 des Verfassungsentwurfs ermächtigt die EU zur Koordinierung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik, auch kann die Union Initiativen zur Koordinierung der Sozialpolitik der Mitgliedstaaten ergreifen. Damit ist ein erster Einstieg zur institutionellen Verschränkung bzw. Gleichrangigkeit getan. Allerdings ändert dies kaum etwas an der derzeitigen wirtschaftspolitischen Grundausrichtung. Die EZB bleibt vorrangig der Preisstabilität verpflichtet. Nach wie vor müssen die beschäftigungspolitischen Leitlinien mit den Grundzügen der Wirtschaftspolitik im Einklang stehen (und nicht umgekehrt, wie vom EGB gefordert). Weiterhin sind das Europäische Parlament und die Sozialpartner in diesen wesentlichen Politikbereichen schwach eingebunden.
    • Eine Flexibilitätsklausel sichert, dass die Union auch dann tätig werden kann, wenn die erforderlichen Befugnisse in der Verfassung nicht vorgesehen sind (durch einstimmigen Beschluss des Rates und Zustimmung des Europäischen Parlaments).
    • Die Methode der »offenen Koordinierung« wird indirekt verankert, indem in einzelnen Politikbereichen darauf verwiesen wird.

    »Die Wahl eines Präsidenten des Europäischen Rates würde verhindern, dass Regierungschefs wie Silvio Berlusconi die EU nach außen vertreten könnten.«

    Europäische Zentralbank

    Nicht durchgesetzt haben sich die Forderungen in Bezug auf die Europäische Zentralbank (Änderung des Mandats, mehr Transparenz) und die Korrektur des engen Rahmens der Budgetpolitik, die Ausweitung der qualifizierten Mehrheit im Steuerbereich und die eindeutige Absicherung der Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Leistungen der Daseinsvorsorge. Zwar sieht die Verfassung vor, dass durch europäische Gesetze die Grundsätze und Bedingungen - insbesondere in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht - definiert werden sollen, nach denen die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse ihren Aufgaben nachkommen können (vgl. Art III-3). Damit wird allerdings die Verantwortung nur auf die Sekundärgesetzgebung weitergereicht.

    Auch in der gemeinsamen Handelspolitik wird es weit reichende Änderungen geben, die aus Arbeitnehmersicht kritisch zu bewerten sind. So sollen Mehrheitsentscheidungen im EU-Ministerrat künftig für Abkommen über Dienstleistungen, Handelsaspekte des geistigen Eigentums und ausländische Direktinvestitionen eingeführt werden. Damit entfällt das Vetorecht einzelner Mitglieder, nicht zuletzt bei Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen im Bereich Bildung, Gesundheitswesen und Soziales. Einstimmig beschließt der Rat weiterhin, wenn Handelsverträge im Bereich des Dienstleistungsverkehrs mit der Entsendung von Personen verbunden sind oder den Handel mit kulturellen und audiovisuellen Dienstleistungen betreffen, »wenn diese die kulturelle und sprachliche Vielfalt in der Union beeinträchtigen können«.

    Die institutionellen Bestimmungen des Entwurfs sind bereits heftig umstritten. Vor allem die Wahl eines Präsidenten des Europäischen Rates stößt bei einigen Mitgliedstaaten auf Ablehnung, obwohl diese Idee durchaus Charme hat. Sie würde verhindern, dass derart umstrittene amtierende Regierungschefs wie Silvio Berlusconi die EU nach außen vertreten können, zumal der EU-Präsident nach der Verfassung kein einzelstaatliches Amt innehaben darf. Auch stellt sich die Frage nach Effizienz und Zumutbarkeit, wenn in der erweiterten Union ein amtierender Regierungschef während des halbjährigen Vorsitzes bis zu zweimal durch 25 Hauptstädte reisen soll, um den Europäischen Rat vorzubereiten. (Die wichtigsten institutionellen Ergebnisse sind im nebenstehenden Kasten »Der Verfassungsentwurf« zusammengefasst.)

    1) Wie bekannt, sind Regierungskonferenzen Verhandlungen der Regierungen der Mitgliedstaaten über eine Modifikation der EU-Verträge. Solche Verhandlungen haben für die europäische Integration besondere Bedeutung. Wesentliche Änderungen des Inhalts und der institutionellen Struktur der Union sind stets aus derartigen Konferenzen hervorgegangen.
    2) Siehe Positionspapier der Bundesarbeitskammer »Europa neu gestalten«, Mai 2002
    3) Art I-46 Abs. 4: »Mindestens eine Million Bürger aus einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten können die Kommission auffordern, geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht der Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um diese Verfassung umzusetzen.«

    Der Verfassungsentwurf des Konvents

    Europäischer Rat
    Wird Organ der EU; Schaffung der Funktion eines Präsidenten, der von den Mitgliedern des Europäischen Rates für zweieinhalb Jahre gewählt wird und einmal wiedergewählt werden kann. Der Präsident führt den Vorsitz und leitet die Beratungen des Europäischen Rates. Er vertritt (unbeschadet der Kompetenzen des Präsidenten der Kommission und des Außenministers) die Union nach außen. Somit wird das Rotationsprinzip auf Ebene der Präsidentschaft beendet und Kontinuität eingeführt.

    Ministerrat
    Nur mehr zwei Ratsformationen: der Rat »Angelegenheiten und Gesetzgebung« und der Rat »Auswärtige Angelegenheiten«, dessen Vorsitz der Außenminister der EU innehat. Allerdings kann der Europäische Rat weitere Ratsformationen beschließen.

    Der einheitliche halbjährige Vorsitz fällt weg. Der Vorsitz einer Ratsformation wird für die Dauer von mindestens einem Jahr nach dem Prinzip der gleichberechtigten Rotation von den Mitgliedsländern wahrgenommen, der Auswärtige Rat wird konstant vom Außenminister geleitet.

    Wenn der Rat Gesetzgebungsvorschläge berät oder beschließt, tagt er öffentlich. Soweit in der Verfassung nichts anderes festgelegt ist, beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit.

    Qualifizierte Mehrheit
    Ab 1. 11. 2009 gilt doppelte Mehrheit: Mehrheit der Mitgliedstaaten, die mindestens 60% der Bevölkerung der Union repräsentieren bzw. zwei Drittel der Mitgliedstaaten und 60% der Bevölkerung.

    Europäische Kommission
    Besteht ab 2009 aus einem Präsidenten, dem Außenminister/Vizepräsidenten und 13 Europäischen Kommissaren (insgesamt 15 stimmberechtigte Mitglieder), die nach einem System der gleichberechtigten Rotation zwischen den Mitgliedsländern ausgewählt werden.

    Der Präsident der Kommission kann zusätzlich Kommissare ohne Stimmrecht ernennen. Zukünftig wählt das Parlament den Kommissionspräsidenten auf Vorschlag des Europäischen Rates. Lehnt es den Vorschlag ab, muss der Rat einen neuen Vorschlag machen.

    Außenminister
    Wird vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit mit Zustimmung des Präsidenten der Kommission ernannt und ist gleichzeitig Mitglied und Vizepräsident der Kommission. Er leitet die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.

    Beratende Organe: AdR; WSA
    Beide Organe dürfen höchstens je 350 Mitglieder haben.
    Konkrete Zusammensetzung erfolgt durch den Rat (Europäisches Gesetz).


    R E S Ü M E E

    Impulse, aber kein wirklicher Durchbruch

    Mit dem Verfassungsentwurf setzt der Konvent wichtige Impulse zur Schaffung einer Sozialunion. Ein wirklicher Durchbruch ist auch diesmal nicht gelungen. Es kann nur von einem weiteren Zwischenschritt in Richtung Sozialunion gesprochen werden. Die Forderung nach einer gemeinsamen makroökonomischen Politik mit dem Ziel der Vollbeschäftigung und einer Korrektur des engen Rahmens der Budgetpolitik und einer Neufestlegung der EZB-Ziele bleibt aktuell, ebenso die Forderung nach einer klaren Rechtsgrundlage zur Absicherung der Leistungen der Daseinsvorsorge. Es ist zu hoffen, dass die Regierungskonferenz, die nach den Vorstellungen der italienischen Präsidentschaft am 4. Oktober 2003 eröffnet und im ersten Halbjahr 2004 abgeschlossen werden soll, diese Themen nochmals aufgreift.

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(C) AK und ÖGB

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