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Konflikte sind auch auszutragen

SCHWERPUNKT

Wilhelm Haberzettl, Vorsitzender der Gewerkschaft der Eisenbahner, im Gespräch

A&W: Kollege Haberzettl, die Eisenbahner sind jetzt in aller Munde. Und ich glaube, du bist der Gewerkschafter, dem in letzter Zeit sehr oft nahegelegt wurde, dass er zurücktreten solle ...
Wilhelm Haberzetel:
Das ist an und für sich für einen Gewerkschafter ein gutes Zeichen. Damit muss er entweder seine Arbeit sehr gut machen oder zumindest für den politischen Gegner ein eher unangenehmer Zeitgenosse sein. So gesehen sind die Angriffe eigentlich ein gutes Zeichen. Aber die Frage ist immer, warum wir eigentlich diese Konfliktsituation haben. Wir erleben im Augenblick in Österreich einen neoliberalen Angriff auf Arbeitnehmervertretungen, der wirklich sagenhaft ist. Und man versucht jetzt all jene Bereiche bewusst zu zerstören, wo das Arbeitsrecht und die Sozialleistungen so gut sind, dass auch die damit verbundene Solidarität der Arbeitnehmer sehr ausgeprägt ist. Darum orientiert sich die Regierung an alten neoliberalen Verhaltensmustern, die aber in Wirklichkeit ein Frontalangriff sind. Da passen der AUA-Bereich und die Eisenbahner ganz elegant hinein.

»Wir erleben im Augenblick in Österreich einen neoliberalen Angriff auf Arbeitnehmervertretungen, der wirklich sagenhaft ist.«

Ich finde das sowieso gigantisch, denn ich glaube, speziell unsere Leser wissen, was eine Änderungskündigung ist. Während dem Großteil der Öffentlichkeit vorgegaukelt wird, es geht um Strukturbereinigungen oder um die Beseitigung von Privilegien.
In Wirklichkeit fährt die Regierung zwei Strategieschienen. Die eine Schiene ist unter dem Titel Neustrukturierung der ÖBB eine Zerschlagung des Unternehmens mit einer Weichenstellung für Finanzströme, wo wir schon wissen, dass der Personenverkehr und der Güterverkehr in Wirklichkeit in den Konkurs geführt werden sollen. Das ist zwar unglaublich und unvorstellbar, aber es ist so. Und auf der anderen Seite führt man eine Privilegiendiskussion, wie sie überhaupt noch nie da war in Österreich. Ein Beispiel: Man wirft den Eisenbahnern als Privileg die Mitsprache bei der Erstellung von Dienstplänen vor. Das ist eine der ursächlichen Aufgaben des Betriebsrats, nämlich die Arbeitszeitregelung in seinem Unternehmen. Nur bei uns heißt das halt Dienstplan, während es in anderen Unternehmen nach dem § 97 der Arbeitsverfassung vollkommen logisch ist, dass der Arbeitsbeginn, das Arbeitsende und die Pausenregelung mit dem Betriebsrat abgesprochen werden. Das ist auf einmal ein Privileg der Eisenbahner. Das ist eine Diskussion nach neoliberalem Muster.

Ich glaube, die Leute begreifen halt schwer, dass die Eisenbahner ein bisschen früher in Pension gehen und dass sie sich das aber erkauft haben dadurch, dass sie nicht so gut bezahlt werden und durch andere Dinge.
Durch mehrere Aderlasse auf finanzieller Seite: Erstens zahlen die Eisenbahner um 47% mehr Pensionsbeitrag als der ASVG-Versicherte, und zwar im Monat um 47% mehr. Auch die Lebensverdienstsumme hat einen anderen Verlauf als anderswo. Aber was ganz wichtig ist und in der Zwischenzeit ein massiver Wettbewerbsfaktor wird: Auch das Unternehmen ÖBB bezahlt um 5,4% höhere Dienstgeberbeiträge als jedes andere Unternehmen in der Republik. Und diskutiert wird immer unter dem Deckmäntelchen, na für die Pensionierungen müsst halt ihr auch was zahlen. In der Zwischenzeit ist per Gesetz das Pensionsalter der Eisenbahner auf 63 Jahre angehoben. Nur den finanziellen Aderlass, den baut man sogar noch weiter aus. Weil die Pensionisten, nicht mehr wie bis jetzt 4,8%, sondern 5,8% Pensionssicherungsbeitrag bezahlen. Also ich würde einmal sagen, die Eisenbahner sind in der Zwischenzeit die Melkkuh für den Finanzminister geworden. Nämlich das angehobene Pensionseintrittsalter hat auf der anderen Seite die finanziellen Leistungen nicht reduziert, sondern man hat sie gleich hoch belassen wie früher.

»Ich bin zum Beispiel ein Anhänger einer nationalen Verkehrsgewerkschaft, weil es einfach Schwachsinn ist, dass vier Gewerkschaften zum Thema Verkehr unterwegs sind.«

Aber die argumentieren doch immer, dass der Durchschnitt mit 52 Jahren in Pension geht.
Das ist eine recht liebe Diskussion in Wirklichkeit. Das wird so argumentiert auf der Privilegienschiene, als ob wir als Gewerkschafter pensionieren würden. Wenn einer mit dem Alter in Pension gehen kann, dann ausschließlich auf dem Wege der ärztlichen Begutachtung. Das heißt also, der Rechnungshof kritisiert zwar sehr viel, aber eines stellt er auch fest: Unrechtmäßig ist bei den Pensionierungen der Eisenbahnern nichts geschehen.

Das heißt, da hat es ordentliche ärztliche Gutachten gegeben, ordentliche Verfahren und ordentliche Entscheidungen. Unterm Strich ist aber eines wahr und das begreift der Gesetzgeber jetzt. Er hat die letzten drei Pensionsreformen ohne unsere Mitwirkung beschlossen. Das heißt, die Eisenbahner wurden weder kontaktiert noch überhaupt in einen Diskussionsprozess einbezogen. Und wir haben damals schon erkannt, dass da sehr viel schief läuft, weil man versucht hat, das Eisenbahnerpensionsrecht bei den Änderungen dem der Beamten gleich zu halten. Jetzt haben sie das Problem, dass zwar Pensionsbestimmungen gemacht wurden, die ähnlich denen der Beamten sind, aber völlig fern der Praxis. Das bedeutet, wir haben zwar ein quasi fiktives und gesetzliches Pensionsantrittsalter von 63 Jahren, in der Praxis gehst mit 52.

Die Faktoren sind wie in der Wirtschaft auch: Auf der einen Seite werden die Leute hinaus gemobbt, weil man sie nicht mehr will. Ältere Arbeitnehmer sind zu teuer oder gar zu viel krank. Und auf der anderen Seite hat man die Situation, dass durch Rationalisierungen und auch im Bereich der Investitionen, die ja Rationalisierungsinvestitionen sind, Arbeitsplätze vernichtet werden und jeder froh ist, wenn irgendwie eine Möglichkeit der Pensionierung besteht.

Den Staatssekretär Kukacka habe ich im Fernsehen gehört, da hat er sich versprochen, wie man sagt, ein Freudscher Versprecher, er hat irgendwie gesagt, er muss 5000 Eisenbahner umbrin... umstrukturieren.
Jeder Versprecher zeigt irgendwas von der Wahrheit der Gefühle. Und ich bin überzeugt, genau das ist das Gefühl von Kukacka. Der hat ja Schaum vorm Mund beim Thema Eisenbahner. In Wirklichkeit eine untragbare Situation, mit so einem Menschen eine Reform auszuverhandeln. Auf der einen Seite kein Wissen über die Sache selbst und auf der anderen Seite so einen derartigen Hass gegen diejenigen, die betroffen sind von der Reform. Das ist eine derart gefährliche Mischung, schlichtweg untragbar.

Es kommt also jetzt auf das heraus, ein Teil soll in Pension oder in den natürlichen Abgang, sagt man?
So ist es.

Von diesen 12.000?
7000. Aber in der Zwischenzeit hat sich das Blatt schon sehr gewendet. Es ist im Augenblick eine miese Stimmung im Unternehmen. Viele Beschäftigte sind quasi in der inneren Emigration. Wir erleben heuer bereits einen starken Schwung an freiwilligen Austritten oder Selbstkündigungen. Wir haben heuer bereits an die 500 Leute über das Einsparungsziel eingespart, weil die Leute von selber gehen. Auch so genannte ÖBB-Beamte sind bereit zu kündigen, wenn sie einen besseren Job finden. Und den finden sie gleich einmal wo.

»Dem Dialog wollen wir einfach noch eine Chance geben, im Gespräch mit dem Bundesminister.«

Das ist interessant. Für mich ist die Strategie klar. Man will Arbeitnehmer gegeneinander ausspielen. Im Moment sind es die Eisenbahner. Aber ich glaube, gerade unsere Leser werden sicher schon kapiert haben, worum es da eigentlich geht. Teile und herrsche: die Beamten, die Lehrer, die Eisenbahner …
Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern muss eines bewusst werden. Auch Riess-Passer hat bereits so die Diskussion geführt. In Wirklichkeit sucht man sich eine vermeintlich privilegierte Gruppe heraus, schafft deren Privilegien ab. Da bleibt aber wieder eine Gruppe über, die irgendet was besser hat als ein anderer und damit ist die dann die Privilegierte, man schafft diese vorgeblichen Privilegien ab und dann kommt wieder die Nächste. Also das ist eine Spirale nach unten, bei der ich mir denke, na ja, irgendwann wird sogar die Existenz der Arbeiter ein Privileg sein, wenn es so weiter geht. Und da, glaube ich, kann man nicht früh genug dagegen Stellung beziehen und die Eisenbahner tun es im Augenblick.

Nachdem ihr jetzt bei eurer Personalvertreter-Konferenz gesagt habt, ihr werdet keine Kampfmaßnahmen setzen ...?
So haben wir das nicht gesagt. Wir haben klar definiert, und zwar aufgrund der Signale, die wir aus Alpbach empfangen haben. Wir wollen dem Dialog eine Chance geben, im Gespräch mit dem Bundesminister. Von dem werden wir unser weiteres Verhalten abhängig machen. Wenn weiterhin Kukacka verhandelt, dann haben wir den Konflikt. Und zwar blitzartig. Es gibt aber auch andere Signale, und wenn die sich bestätigen, dann könnte es sein, dass der Herr Bundesminister doch vernünftiger unterwegs ist als der Herr Staatssekretär. Damit könnte man vielleicht auch vernünftige Lösungen finden. Und dem Dialog wollen wir einfach noch eine Chance geben.

Ich halte euch die Daumen, und wenn »Arbeit&Wirtschaft« erscheint, werden die Leser eh schon wissen, was herausgekommen ist. Ich glaube, andererseits ist es ja doch so, dass die Eisenbahner einer der am besten durchorganisierten gewerkschaftlichen Bereiche sind.
Das ist auch der Grund, warum der Angriff auf die Eisenbahner erfolgt. Genau das ist der Grund. Wir sind eine äußerst kompakte »Betriebsgewerkschaft«. Was würden sie tun als konservativer, aggressiver Regierungspartner? Logischer Weise würden sie gerade diese Gewerkschaft aufs Korn nehmen, weil damit die gesamte Gewerkschaftsbewegung mit Sicherheit geschwächt werden würde. Die Engländer unter Thatcher haben es genauso gemacht. Die Bergarbeiter waren die kompakteste Gewerkschaft, die hat man angegriffen, und die Eisenbahner hat man angegriffen. Damit war das Problem der Gewerkschaften in Wirklichkeit erledigt in England.

»Es gibt fast kein Thema in Österreich, wo nicht zwei, drei oder vier Gewerkschaften irgendwo hingehen müssen. Miteinander.«

Aber jeder bewusste Gewerkschafter in Österreich weiß, was immer einem anderen Arbeitnehmer weggenommen wird, trifft ihn letzten Endes auch selber.
Ob das alle schon wissen, bin ich mir nicht so sicher. Aber es wäre höchst an der Zeit, das zu begreifen.

Ich möchte dich noch fragen zur Infra - da bist ja du der Sprecher dieser Gruppe - und dann noch zum ÖGB-Kongress.
Ich glaube, dass sich die Infra in den nächsten vier Jahren schon sehr deutlich weiterentwickeln muss. Die Infra hat eine ungeheuer große Chance, weil sie in sich selbst einen Strukturprozess einleiten könnte, der dem Präsidentenvorschlag entspricht. Nämlich ähnliche Strukturen wie die Wirtschaft aufzubauen. Das bedeutet aber einen sehr dichten Diskussionsprozess. Und ich sehe mich da eher in der Rolle eines Mediators oder eines Moderators. Es wird aber sicherlich schwierig genug werden.

Man hat ja über zehn Jahre über irgendwelche Reformgeschichten diskutiert und plötzlich ist man von der Wirklichkeit überholt worden. Das war so bei den Metallern, bei der GPA, den G5.
Das ist aber nicht die wirkliche Wirklichkeit. Das ist nur die Scheinwirklichkeit. Das ist das Problem. Die Diskussion hat man, glaube ich, im ÖGB nie zu Ende geführt: Wie strukturiert sich die Wirtschaft? Welche nützliche Struktur können die Gewerkschaften finden? Gleichzeitig mit dem Gedanken, einem ständigen Veränderungsprozess ausgesetzt zu sein. Und das sollte man miteinander diskutieren und in den Griff kriegen. Wenn sie so wollen, dem Verwendungsprinzip folgend. Ich bin zum Beispiel ein Anhänger einer nationalen Verkehrsgewerkschaft, weil es einfach Schwachsinn ist, dass vier Gewerkschaften zum Thema Verkehr unterwegs sind. Ich denke mir auch, es gibt fast kein Thema in Österreich, wo nicht zwei, drei oder vier Gewerkschaften irgendwo hingehen müssen. Miteinander.

Ist das jetzt das Industriegruppenprinzip?
Ich würde es gar nicht ganz so bezeichnen, aber es ist sehr ähnlich dem Industriegruppenprinzip. Und zwar deswegen, wenn ich mir denke, die Verhandlungspartner in der Wirtschaftskammer drüben, die haben sich schon so strukturiert in Wirklichkeit. Das soll aber nicht das Vorbild sein, aber es ist die zweckmäßigste Struktur. Weil nämlich gerade mit so einer Struktur die effizienteste Mitteleinsatz schlechthin möglich ist, aber auch der effizienteste Personaleinsatz.

Das, denke ich, macht Sinn in der jetzigen Struktur. Und ich betrachte die jetzige Struktur mit dem so genannten Block eins, Block zwei, Block drei als eine Zwischenlösung bei der Neustrukturierung des ÖGB. Mit Sicherheit ist sie die teuerste Zwischenlösung. Das muss uns allen miteinander klar sein. Aber trotzdem sehe ich eine Chance, dass die Infra in sich selbst einen Veränderungsprozess beginnt. Es wird schwer genug sein, und da, glaube ich, wird meine Aufgabe sein, das zu moderieren und da und dort immer wieder Inputs zu bringen, dass sich was bewegt.

»Ich betrachte die jetzige Struktur mit dem so genannten Block eins, Block zwei, Block drei als eine Zwischenlösung bei der Neustrukturierung des ÖGB. Mit Sicherheit ist sie die teuerste Zwischenlösung. Das muss uns allen miteinander klar sein.«

Für unseren kommenden ÖGB-Bundeskongress wird sich das, was du da sagst, auch schon auswirken?
Ich glaube nicht wirklich. Ich denke mir eher, der Bundeskongress hat einen ganz anderen Schwerpunkt, der doch eher in Richtung Europa geht. Und nämlich nicht ins alte Europa, sondern in das erweiterte Europa. Und da, glaube ich, wird es genug Herausforderungen geben und genug Beschlussnotwendigkeiten für den Kongress. Ich glaube nur, dass die Zeit noch nicht reif ist für diesen internen Veränderungsprozess. Beschlussfähig ist er nicht beim Kongress, von keinem Block her. Aber ich möchte fast sagen es wird sicherlich da oder dort Themen geben, die natürlich in einen Veränderungsprozess hineinspielen.

Du bist doch einer der Gewerkschaftschefs, die jetzt in einer schwierigen Verhandlungsposition und einer Kampfposition sind. Was sind deine Prognosen, was sagst du? Wie schaut die Zukunft aus?
Wenn es in Österreich so weitergeht, politisch, dann glaube ich, dass es wirklich einmal schwere Konflikte wird geben müssen, weil die Regierung eigentlich permanent ausreizt, wie weit sie gehen kann. Und ich denke, die gesamte Pensionsproblematik war ja auch nicht ohne. Und ich denke mir, die nächste Herausforderung wird das Thema Harmonisierung sein. Das wird die Regierung alleine nie lösen können.

Also da kommt noch einiges auf uns zu?
Da bin ich mir ganz sicher. Und da rede ich noch gar nicht von den gesamten Privatisierungen, die noch anstehen. Das nächste Opfer wird wohl die Post sein und das übernächste Opfer ist bei der Regierung die Eisenbahn.

Und was ist jetzt das Positive, das wir den Leuten sagen können?
Ich glaube, positiv ist eines, dazu sollten sich eigentlich alle durchringen. Es gibt bestimmte Situationen, wo man erkennen muss, da ist Konfliktpotential drinnen. Und dann muss sich jeder entscheiden, ob er den Konflikt austragen will oder nicht. Ich würde aus meiner Sicht den Funktionären raten, dass ein Konflikt auszutragen ist. Es ist so. Die Regierung hat uns oft genug bewiesen, das sie uns benützt, wenn sie was erreichen will, aber dass nicht wirklich irgendwas weiter geht, in dem Sinne, wie wir es als Arbeitnehmervertreter verstehen.

Danke für das Gespräch.

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