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Globales Ziel: Die wahren Defizite der EU

GESELLSCHAFTSPOLITIK

Auf dem bisherigen Weg sind die Lissabon-Ziele nicht erreichbar. Jenseits des außenpolitischen Scherbenhaufens, vor dem die EU steht, bahnt sich auch auf wirtschaftlicher und sozialer Ebene ein enormes Defizit an Glaubwürdigkeit an.

Ohne Änderung der europäischen Wirtschaftspolitik ist die Strategie von Lissabon und das Ziel, bis 2010 wieder Vollbeschäftigung zu erreichen, zum Scheitern verurteilt. Im März 2000 hat der Europäische Rat in Lissabon eine neue Strategie verabschiedet und ein globales Ziel festgelegt: Bis 2010 soll die EU »zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt werden - einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erreichen«.

Besondere Konstruktion

Zur Umsetzung haben sich die Staats- und Regierungschefs eine besondere Konstruktion einfallen lassen: Neben dem globalen Ziel gibt es eine Reihe von quantitativen Zielen in verschiedenen Politikbereichen, die es ermöglichen, die Fortschritte zu bewerten, unter anderem auch in der Beschäftigungs-, Sozial- und Bildungspolitik.

Dazu kommen zwei institutionelle Innovationen: die Festlegung eines jährlichen Frühjahrsgipfels des Europäischen Rates mit Blick auf die Lissabon-Strategie und die Einführung einer neuen Methode europäischer Politikgestaltung, das so genannte »offene Koordinierungsverfahren«.

Aus Arbeitnehmersicht ist hervorzuheben, dass mit Lissabon das Ziel der Vollbeschäftigung zum Thema gemacht wurde. So bezeichnet die Kommission das Streben nach Vollbeschäftigung als »Herzstück der Lissabonner Strategie«. Konsequenterweise wurden im Beschäftigungsbereich globale quantitative Ziele festgelegt: Bis 2010 soll die Gesamtbeschäftigungsquote auf 70 Prozent steigen, jene der Frauen auf mindestens 60 Prozent und die der älteren Arbeitnehmer auf 50 Prozent. Demnach muss bis 2010 die Beschäftigung um 15 Millionen erhöht werden, davon 7,4 Millionen ältere Arbeitnehmer.

Politisch fatal

Allerdings krankt die Strategie an einem fundamentalen Defizit. Vollbeschäftigung erfordert mehr als nur Strukturpolitik in wichtigen Politikbereichen. Vollbeschäftigung erfordert vor allem eine entsprechende makroökonomisch fundierte europäische Wirtschaftspolitik, die ihre aktive Rolle zur Beeinflussung der konjunkturellen Entwicklung wahrnimmt. Es ist politisch fatal, dass dieser Zusammenhang seit Jahren ignoriert wird. Zwar äußert die Kommission selbst in ihrem Bericht für die Frühjahrstagung des Europäischen Rates 2003 Zweifel
an der Zielerreichung, sie zeigt jedoch keine Bereitschaft, ihre wirtschaftspolitische Strategie grundlegend zu hinterfragen.

Weiterhin gehen Kommission und EU-Regierungschefs davon aus, dass nicht die Konjunktur, sondern mangelhaft umgesetzte Strukturreformen für schwaches Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum verantwortlich seien. Dem steht die Erfahrung entgegen, dass seit Mitte der neunziger Jahre vor allem Länder mit hohem Wachstum eine sinkende Arbeitslosigkeit aufweisen (Finnland, Irland und die Niederlande), während Länder mit niedrigen Wachstumsraten mit steigender Arbeitslosigkeit konfrontiert sind (Österreich, Italien und Deutschland). Die Prozesse, die in Europa zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit initiiert wurden, tragen diesen Ergebnissen kaum Rechnung. Die zentralen Eckpunkte der europäischen Wirtschaftspolitik - Preisstabilität und restriktive Fiskalpolitik auch im Abschwung - werden noch immer nicht in Frage gestellt.

Fesseln lockern

Wir meinen, dass eine nachhaltige Verbesserung der Wachstums- und Beschäftigungssituation in der europäischen Wirtschaft in erster Linie makroökonomische Maßnahmen erfordert. Die EU-Regierungschefs sollten sich dringend mit diesem Strategiedefizit auseinander setzen und zumindest die Fesseln des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) lockern sowie einen unterstützenden Beitrag der EZB zur Konjunkturpolitik einfordern. Angesichts niedriger öffentlicher Investitionen in Europa sollte der SWP so ausgelegt werden, dass die Mitgliedstaaten wichtige Zukunftsinvestitionen vornehmen können.

Leider gehört auch Österreich zu jenen EU-Staaten, die trotz wachsender Kritik und offensichtlichen Fehlentwicklungen weiterhin für eine strikte Auslegung des SWP eintreten und keinerlei Ambitionen auf eine intelligente Weiterentwicklung des SWP zeigen. Selbst Gert Haller, der als Staatssekretär unter Theo Waigel für Deutschland den SWP verhandelte, sagte jüngst in »Die Zeit«: »Es ist sinnlos, mit immer höheren Abgaben oder Kürzungen von Investitionsausgaben einem Defizit-Ziel hinterherzuhecheln und dabei die Wirtschaft zu ruinieren.«

Wer die Diskussion über die intelligente Weiterentwicklung des SWP verweigert und auf der europäischen Makropolitik bisherigen Zuschnitts beharrt, gefährdet die Lissabon-Strategie. Noch ist es möglich, den Hebel umzudrehen.

(Siehe auch die Lissabon-Analyse der AK Wien: www.akwien.at/auss.html)

AutorInnen: Silvia Angelo, Bruno Rossmann und Norbert Templ. Alle drei beschäftigen sich in der AK Wien mit europa-, wirtschafts- und budgetpolitischen Fragen.

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