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Reform in schlechter Tradition

SCHWERPUNKT

Aus der Geschichte der österreichischen Pensionsversicherung: Einst war die Altersversorgung ein Privileg. Der Staat, der Kaiser gewährte es jenen, deren Motivation er brauchte. Heute hat jeder auf sie Anspruch. Orientierung: Die Wirtschaftslage Österreichs verschlechtert sich kontinuierlich. Die neueste WIFO-Prognose bestätigt, was sich längst für Beobachter abzeichnete, die die schönfärberischen Darstellungen der Regierung durchschauen.

In den Bergwerken und Salinen gab es schon um 1700 Witwen- und Waisenrenten und im Salzbergwerk Hall in Tirol sogar Altersrenten. Die Staatsbeamten erhielten um 1800 erstmals eine kleine Pension.

Alle frühen Altersversorgungssysteme hatten eines gemeinsam: Sie waren eigentlich nur eine besondere Invaliditätsversicherung. Die Begünstigten erhielten die Rente erst bei altersbedingter Arbeitsunfähigkeit und nicht ab einem bestimmten Lebensjahr.

Für die Alten das Armenhaus

1862 berief das neue Kurienparlament eine Enquete zur Arbeiterfrage ein. Sie blieb ergebnislos. Die meisten Menschen hatten im Alter nichts als die lokale oder regionale Armenunterstützung oder ihre Ersparnisse. So blieb es bei der Altersvorsorge bis 1918.

Doch schon die erste Arbeiterkasse, die »Allgemeine Arbeiter-Kranken- und Invalidenkasse«, gewährte ihren Mitgliedern ab 1868 auch Unterstützung
bei Berufsunfähigkeit. Beitrags- und Leistungsfeststellung krankten aber am Fehlen einer seriösen versicherungsmathematischen Grundlage. Auch waren nur wenige Unternehmen bereit, einer Invalidenversicherung beizutreten und dafür Beiträge zu zahlen. Die meisten sahen das - im Gegensatz zur Krankenunterstützung - als Fehlinvestition an: »Kranke kann man heilen, Invalide bleiben arbeitsunfähig.«

Die Neusatzung der Kasse von 1875 brachte auch keinen großen Aufschwung. 1879 hatte sie 300 Mitglieder, 1882 waren es 426.

Die Anfangsschwierigkeiten hätten vielleicht überwunden werden können, aber 1880 gefährdete ein Erlass des Innenministeriums das gesamte Unterstützungswesen der jungen Arbeiterbewegung: Die Arbeiterkassen wurden - mit den entsprechenden Auflagen - Versicherungen und Aktiengesellschaften gleichgesetzt. Die Invalidenkasse überlebte das nicht. Sie stellte 1884 ihre Tätigkeit ein. Im Unterschied zu der Kranken- und Unfallversicherung machte der Staat auch keine Anstrengungen, ein öffentliches Rentenversicherungssystem für Arbeiterinnen und Arbeiter aufzubauen - ausgenommen die Bergarbeiter.

Die neue - noch kleine, aber bei der Industrialisierung unverzichtbare - Gruppe der »Privatbeamten« konnte dagegen für den gesamten Angestelltenbereich 1906 einen Durchbruch erzielen. Schon 1888 verabschiedete der Erste Allgemeine Beamtenverein in Wien eine Petition, in der er die Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversicherung forderte. 1893 begannen die Vorarbeiten und im Mai 1901 lag der Entwurf eines Pensionsgesetzes im Parlament. Es trat 1907 in Kraft.

Reformstau durch Diktatur und Krieg

Die Reform der Arbeiterversicherung stand parallel dazu zur Diskussion. Die von den Gewerkschaften geforderte Alters- und Invaliditätsversicherung fand sich erstmals 1908 in einer Regierungsvorlage. Und hier war - wie bei den Angestellten - auch erstmals eine echte Rentenversicherung ab dem 65. Lebensjahr vorgesehen. Es folgten zähe Verhandlungen, vor allem im Rahmen des Arbeitsbeirates im Handelsministerium. Unter führender Beteiligung von Gewerkschaftern wurde dort eine Kompromissfassung erarbeitet, die 1914 kurz vor der parlamentarischen Beschlussfassung stand. Der Erste Weltkrieg, die Auflösung des Reichsrats und das folgende autoritäre Kriegsregime verhinderten sie.

Ferdinand Hanuschs Zielvorstellung

Im Sozialreformpaket, das der Gewerkschafter Ferdinand Hanusch als Staatssekretär für Soziale Verwaltung am Beginn der Ersten Republik durchzusetzen versuchte, befand sich selbstverständlich auch wieder die Alters- und Invaliditätsversicherung für Arbeiter. Vieles konnte erreicht werden, eine Rente für Arbeiter allerdings noch immer nicht.

Der Hanusch-Entwurf von 1920 blieb im Parlament unbehandelt, da die Koalitionsregierung aus Sozialdemokraten und Christlichsozialen auseinander brach. Sein Kern war ein gemeinsames System für Arbeiter und Angestellte. Die folgende Koalitionsregierung unter Führung der Christlichsozialen beschloss dagegen 1922, die Angestelltenversicherung getrennt von der Arbeiterversicherung auszubauen.

Im neuen Angestelltenversicherungsgesetz, das 1927 in Kraft trat, waren alle Versicherungsbereiche gemeinsam geregelt. Auch für Arbeiter wurde 1927 ein umfassendes Versicherungsgesetz verabschiedet. Die Altersrente stand aber nur auf dem Papier.

In den zwanziger Jahren wurden öffentliche soziale Leistungen wie auch zuvor ausschließlich durch das Abschöpfen von Gewinnen finanziert oder (bei den Sozialversicherungen) kofinanziert. Auf die Entwicklung des Wirtschaftsprozesses selbst nahm man keinen Einfluss. Daher war die Abhängigkeit von Wirtschaftskrisen und Strukturveränderungen extrem hoch. Die Probleme mit der Alterspension für Arbeiter in Österreich sind dafür geradezu ein Musterbeispiel.

Schon 1923 hatte Sozialminister Schmitz erklärt, bei der Ausformung der Arbeiterversicherung müsse auf die finanzielle Lage des Bundes Rücksicht genommen werden. 1927 wurde konsequent der so genannte Wohlstandsindex in das Arbeiterversicherungsgesetz eingeführt. Im Klartext: Erst bei nachweisbarer Budgetkonsolidierung sollte die Arbeiterrente Wirklichkeit werden. Bis 1938 kam es nicht mehr dazu. Die Freien Gewerkschaften akzeptierten den Kompromiss zähneknirschend, weil als »Kaufpreis« unter anderem wenigstens eine (aus Steuermitteln finanzierte) Altersfürsorge für Bedürftige ab dem 60. Lebensjahr zugestanden wurde.

Fortschritt dank »Reichsrecht«

Nach dem Einmarsch Hitlers stand auch Österreich unter »Reichsrecht«. Das brachte einerseits die Legalisierung von Willkür, Unrecht und Terror, andererseits aber auch Gesetze, die aus dem früheren demokratischen Deutschland übernommen worden waren. Was die Sozialversicherung betrifft, so hatten die Nationalsozialisten die Leistungen wesentlich heruntergefahren und dem Führerprinzip unterworfen, aber das System an sich beibehalten. So bekamen Österreichs Arbeiter 1939 erstmals eine Altersrente.

In anderen Staaten erreichten die Gewerkschaften die Arbeiterpension schon sehr früh. In Skandinavien ging man dabei bereits um 1900 vom Versicherungsprinzip ab. Auch Großbritannien und die Niederlande folgten nach dem Zweiten Weltkrieg dieser Linie.

Als in Österreich ab 1945 der Neuaufbau der Sozialversicherung stattfand, beharrte der ÖGB im Gegensatz dazu auf dem Versicherungsprinzip und damit auf einem Finanzierungsmodell, das zu einem deutlich geringeren Teil vom Zuschuss aus Budgetmitteln abhängt als steuerfinanzierte Pensionssysteme. Dieses Prinzip blieb auch die Grundlage für das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG), das 1956 erstmals die gesamten Bestimmungen über die Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten in einem Gesetzeswerk vereinigte.

Die Lüge von der Kostenexplosion

Allerdings blieben deutliche Unterschiede zwischen den Versicherungsbereichen bestehen. Erst in den späten sechziger und in den siebziger Jahren kam es zu einer deutlichen Anhebung der Ausgleichszulagen und zur Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten bei der Beitragshöhe.

Der Steueranteil an der Pensionsfinanzierung explodierte deshalb keineswegs. Der seit 1965 festgelegte Anteil von 33 Prozent wurde bis 1989 nur zweimal ausgeschöpft. Nach 1977 wurde er durch Beitragserhöhungen, Umschichtungen und Leistungskürzungen regelmäßig gesenkt. Die Explosion der Staatszuschüsse ist also eine schlechte Legende.

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