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Ein Jahrzehnt der Stagnation?

SCHWERPUNKT

Dramatische Folgen einer falschen wirtschaftspolitischen Orientierung: Die Wirtschaftslage Österreichs verschlechtert sich kontinuierlich. Die neueste WIFO-Prognose bestätigt, was sich längst für Beobachter abzeichnete, die die schönfärberischen Darstellungen der Regierung durchschauen.

Die für 2003 erhoffte und bis zum Dezember des Vorjahres auch prognostizierte Erholung tritt 2003 nicht ein, und auch 2004 ist aus derzeitiger Sicht allenfalls ein recht mäßiges Wachstum zu erwarten. Nach der Darstellung der Bundesregierung hält sich Österreich im Vergleich zu anderen Ländern dennoch relativ gut, was als Bestätigung ihres wirtschaftspolitischen Kurses gesehen wird, der deswegen auch für die Zukunft die beste Gewähr bieten soll.

Wir wollen diese Behauptungen zunächst mit den neuen Fakten und Prognosen konfrontieren. Immer weniger dürfen wir uns aber damit zufrieden geben, wirtschaftspolitische Fragen im nationalen Kontext zu diskutieren. Die europäische Komponente gewinnt immer mehr die Oberhand (siehe Tabelle »Österreichische Wirtschaftsindikatoren« auf Seite 18).

»Es entspricht nicht den Tatsachen, dass Österreich sich gegen die Konjunkturabschwächung relativ gut behauptet hat.«

Hausgemachte Konjunkturdämpfung

Die nun für das Jahr 2002 vorliegenden Daten des Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) zeigen neuerlich, dass die restriktive Politik der Bundesregierung die österreichische Konjunktur zusätzlich gedämpft hat. Die Exporte haben 2002 mit 5,5 Prozent real und 4,1 Prozent nominell einen durchaus beachtlichen Zuwachs erreicht. Ausgelassen hat hingegen die Inlandsnachfrage.

Die Investitionen sind im Vorjahr um fast fünf Prozent geschrumpft, beim privaten Konsum gab es mit 0,9 Prozent nur einen geringen Zuwachs. Der private Konsum wird hauptsächlich durch die Lohn- und Gehaltsentwicklung bestimmt. Hier haben sich bei an sich schon mäßigen nominellen Lohnerhöhungen die zur Erreichung des Nulldefizits gesetzten Belastungen zweifach auf die Reallöhne ausgewirkt: durch preistreibende Effekte wie Energiesteuer, Tabaksteuer, Autobahnvignette oder Studiengebühren und durch die Erhöhung der Lohnsteuer. Dadurch ergab sich unter dem Strich bei den Reallöhnen 2001 und 2002 netto ein Minus, was sich auch 2003 fortsetzen wird. Die anhaltend schwache Einkommensentwicklung reduziert die Konsumnachfrage und damit Wachstum und Beschäftigung.

Es entspricht also nicht den Tatsachen, dass Österreichs sich gegen die internationale und europäische Konjunkturabschwächung relativ gut behauptet hat. Vielmehr hat die Wirtschaftspolitik der letzten drei Jahre die Krise in unserem Land zusätzlich verstärkt. Dies zeigt sich vor allem bei der Arbeitsmarktentwicklung. Von Regierungsseite wird mit Beschäftigtenzahlen argumentiert, bei denen sogar die gar nicht aktiv erwerbstätigen Bezieher von Kindergeld mitgezählt sind, deren Zahl sich durch die Verlängerung der Bezugsdauer seit Februar 2001 um mehr als 41.000 erhöht hat. Zieht man allerdings die einzig maßgebliche Zahl der tatsächlich erwerbstätigen Aktivbeschäftigten heran, so ist die Beschäftigung in Österreich seit Dezember 2001 ständig gesunken und war 2002 durchschnittlich um 14.500 niedriger als 2001.

Die »Pensionssicherungsreform« erzeugt Arbeitslose

Die Abnahme der Beschäftigung kann aber die Zunahme der Arbeitslosigkeit nur zum Teil erklären. Die Zahl der Arbeitslosen war im Jahresdurchschnitt 2002 um mehr als 37.000 höher als 2000. Hier zeigen sich die Auswirkungen der schrittweisen Anhebung des Pensionsalters beginnend mit Oktober 2000, wodurch sich das Angebot an Arbeitskräften laufend erhöht, und durch die Zuwanderung von 25.000 ausländischen Arbeitskräften, ermöglicht unter anderem durch die Erhöhung der Kontingente für Saisoniers. Die Arbeitslosenrate erhöhte sich dadurch von 5,8 Prozent 2000 auf 6,9 Prozent im Jahr 2002.

Es ist richtig, dass Österreich im europäischen Vergleich eine der niedrigsten Arbeitslosenraten aufweist. Aber die Zunahme der Arbeitslosigkeit war in den letzten zwei Jahren stärker als in Deutschland und im europäischen Durchschnitt.

»Das Einsetzen eines Aufschwungs ist nun schon zum dritten Mal auf das nächste Jahr verschoben worden.«

Auch 2003 nur ein Prozent Wachstum

Auch 2003 wird die österreichische Wirtschaft wieder nur um rund ein Prozent wachsen, die Beschäftigung nimmt weiter ab und die Arbeitslosigkeit zu. Da die Produktivität, also das Bruttoinlandsprodukt (BIP), pro Erwerbstätigem im Durchschnitt pro Jahr um mehr als zwei Prozent steigt, wächst Österreichs Wirtschaft nun zum dritten Mal in Folge unterhalb ihrer Möglichkeiten. Das hat es in der gesamten Nachkriegszeit seit 1945 nicht gegeben. Wir befinden uns in einem Zustand der Beinahe-Stagnation. Allerdings ist nicht Österreich allein, sondern ein großer Teil der europäischen Wirtschaft davon betroffen. Man könnte nun meinen, dass dies angesichts des hohen Niveaus unseres Wohlstandes nicht so schlimm sei. Dabei wird allerdings zweierlei übersehen: zum einen, dass die Bezieher niedriger Einkommen nur in einer wachsenden Wirtschaft eine fühlbare Verbesserung ihrer Situation erwarten können; vor allem aber, dass bei einem fortgesetzten Zurückbleiben hinter der Entwicklung der Produktivität die Arbeitslosigkeit unaufhaltsam steigt. Wachsende Produktivität bedeutet ja, dass dieselbe Produktionsmenge mit weniger Arbeitskräften hergestellt werden kann.

Das Einsetzen eines Aufschwungs ist vom Institut für Wirtschaftsforschung nun schon zum dritten Mal auf das nächste Jahr verschoben worden. Die Grundlage für die ohnehin bescheidene BIP-Prognose von plus 1,7 Prozent für das Jahr 2004 bilden die Annahmen einer baldigen Beendigung des Irak-Krieges, sinkender Ölpreise, einer beschleunigten Zunahme des Welthandels sowie des Wachstums in den USA, in deren Schlepptau für Europa ebenfalls eine Belebung, wenn auch in geringerem Ausmaß, erwartet wird. Hier könnte allerdings manches, etwa eine Zinserhöhung in den USA aufgrund des hohen Budgetdefizits oder Turbulenzen auf den Finanz- und Immobilienmärkten, einen Strich durch die Rechnung machen.

In Österreich selbst sprechen darüber hinaus weitere gewichtige Faktoren gegen eine Belebung: Die Befristung der investitionsfördernden Maßnahmen mit Ende 2003 wird zu Vorzieheffekten führen. 2004 kann es deshalb wieder zu einem Abfall bei den Investitionen kommen. Die private Konsumnachfrage könnte durch die kommende Pensionsreform 2003 viel empfindlicher getroffen werden als in der Prognose angenommen.

Österreichische Wirtschaftsindikatoren
Veränderung in Prozent gegenüber dem Vorjahr
2000 2001 2002 2003*) 2004*)
BIP-Wachstum, real 3,5 0,7 1,0 1,1 1,7
Privater Konsum, real 3,3 1,5 0,9 1,4 1,9
Investitionen, real 5,9 -2,2 -4,8 2,0 3,3
Exporte, real 13,1 7,5 5,5 4,3 7,5
Löhne nominell 2,5 1,4 2,2 2,0 2,4
Reallöhne brutto 0,9 -0,6 0,3 0,1 1,0
Reallöhne netto 1,5 -1,0 -0,5 -0,4 0,4
unselbstständig Beschäftigte 1,0 0,4 -0,5 -0,1 0,3
Arbeitslosenrate 5,8 6,1 6,8 7,0 6,7
*)Wifo-Prognose vom März 2003
Die Regierungspolitik kostete Wachstum und Beschäftigung

Arbeitslosigkeit aussitzen?

Das auffallendsten Merkmal des neuen Regierungsübereinkommens ist, dass die Wachstumsschwäche und die empfindlich verschlechterte Arbeitsmarktsituation darin nicht einmal thematisiert werden. Gefährlich ist eine solche Haltung des Aussitzens und des Wartens, bis sich die Zeiten von selber wieder bessern, auch deshalb, weil auch bei wieder normalisierter Wirtschaftsentwicklung auf mittlere Frist - also über das Jahr 2004 hinaus - eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt unwahrscheinlich ist. Als durchaus optimistisch kann man die mittelfristige Prognose des Wirtschaftsforschungsinstituts für die österreichische Wirtschaft bis 2006 betrachten. Wenn, wie dort angenommen, 2005/06 die Wirtschaft wieder mit 2,5 Prozent wächst, würde das zusätzlich etwa 50.000 Personen in Beschäftigung bringen. Dabei sind allerdings zwei Faktoren nicht berücksichtigt:

Die geplante Abschaffung der vorzeitigen Alterspension wird bis 2006 das Arbeitskräfteangebot - sehr vorsichtig geschätzt - um 28.000 Personen (fast ein Prozent der Beschäftigten) erhöhen. Die geplanten »Abfederungsmaßnahmen« werden die Beschäftigung bei älteren Arbeitskräften zu Lasten anderer Altersgruppen erhöhen, nicht aber die Gesamtbeschäftigung. Daher bewirkt die Pensionsreform eine zusätzliche Steigerung der Arbeitslosenrate, welche die erhoffte Senkung durch die bessere Konjunktur zunichte macht. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die erwarteten hohen budgetären Einsparungseffekte durch die Abschaffung der Frühpension illusionär sind, da als Folge steigender Arbeitslosigkeit hohe Kosten für Arbeitslosenunterstützung, Schulungsprogramme und so fort anfallen werden. Dies war bereits bei der Erhöhung des Pensionsalters von 60/55 auf 61,5/56,5 Jahre der Fall.

Als weiterer Bestimmungsfaktor der Arbeitsmarktentwicklung bis 2006 darf die EU-Erweiterung keinesfalls unterschätzt werden. Eine verstärkte Zuwanderung aus den Nachbarländern ab Mai 2004 würde unmittelbar zu einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit in Österreich führen. Im Beitrittsvertrag sind daher Übergangsmaßnahmen vorgesehen, mit denen Österreich die Zuwanderung aus den Beitrittsländern weiterhin begrenzen kann. Das Regierungsprogramm beschränkt sich diesbezüglich weitgehend auf unpräzise Formulierungen (»Umsetzung der vereinbarten Übergangsregelungen«, »stufenweise Heranführung«, Abschluss von Praktikanten- und Beschäftigungsabkommen), hinter denen aber beabsichtigte Maßnahmen stehen, die das Arbeitskräfteangebot innerhalb weniger Jahre um bis zu 70.000 Personen erhöhen könnten.

Saisoniers auch für das Gewerbe?

Eine weitere Erhöhung der Arbeitslosigkeit droht durch eine neuerliche Ausweitung der Kontingente für Saisoniers, wobei die Ausdehnung dieser besonders unsozialen Beschäftigungsreform auf das Gewerbe im Raum steht.

Noch nicht berücksichtigt in der mittelfristigen Wifo-Prognose ist die - zum Glück wenig realistische - Absicht der Regierung, den Personalstand im öffentlichen Dienst weiter zu reduzieren. Der Bund soll ihn um 10.000, die Länder und Gemeinden sollen ihre Beschäftigtenzahlen um 20.000 Stellen verringern.

Demgegenüber ist davon auszugehen, dass in den nächsten Jahren bei gegebener Arbeitslosigkeit von derzeit 7 Prozent in Österreich insgesamt kein zusätzlicher Arbeitskräftebedarf entsteht, wenn zunächst einmal ein möglicher Beschäftigungszuwachs aus dem Reservoir der Arbeitslosen kommen sollte. Es steht daher zu befürchten, dass die Arbeitslosenrate bis 2006 aus der kumulierten Wirkung der genannten Maßnahmen auf 9 Prozent oder noch mehr ansteigt, wenn keine Korrekturen mehr erfolgen.

Die arbeitsmarktpolitische Strategie der Regierung setzt, wie schon in der letzten Legislaturperiode, auf die Erhöhung des Angebotsdrucks und auf Maßnahmen, die den Druck auf Arbeitslose, zu schlechteren Bedingungen Beschäftigungen anzunehmen, erhöhen (»Flexibilisierung« der Zumutbarkeitsbestimmungen, Abschaffung der Notstandshilfe und Ersetzung durch eine »Sozialhilfe neu«), und »Flexibilisierungen«, welche die Arbeitnehmerrechte schwächen.

Keine Impulse für Wachstum

Zur wirtschaftlichen Belebung setzt die Regierung unverändert auf eine Vielzahl von tatsächlichen oder angeblichen standortpolitischen Einzelmaßnahmen. In zentralen Punkten lassen die Aussagen des Programms allerdings kaum erwarten, dass die Versäumnisse der letzten Legislaturperiode etwa bei der Dotierung von Forschung und Entwicklung, der Universitäten und der Infrastrukturinvestitionen gutgemacht werden.

In der Budgetpolitik ist die zweite ÖVP-FPÖ-Regierung - nach den negativen Erfahrungen der letzten Jahre - nun offenbar bereit, von der starren Orientierung auf ein »Nulldefizit um jeden Preis« abzugehen. Es werden unter einem - allerdings zu optimistischen - Wachstumspfad Defizite von 0,7 (2004) bis 1,5 Prozent des BIP zugelassen, was einen expansiveren Kurs und auch eine andere, konjunkturgerechtere Handhabung des europäischen Stabilitätspaktes bedeuten würde. Die für 2004 vorgesehenen steuerpolitischen Maßnahmen führen allerdings bei den Masseneinkommen zu einer Mehrbelastung. Der stärkste Impuls durch die geplante Steuersenkung um 2,5 Milliarden Euro (1,1 Prozent des BIP) ist erst für das Aufschwungjahr 2005 vorgesehen. Ein solcher Impuls wäre aber zur Stärkung der Konsum- und Investitionsnachfrage noch heuer oder spätestens 2004 zu setzen. Das große Volumen der für die nächsten Jahre angekündigten Einsparungen (3 Milliarden Euro) deutet auch auf Hintergedanken hin, das Nulldefizit doch noch zu erreichen, womit der ganze Expansionseffekt hinfällig wäre.

Keinesfalls sollte die Steuersenkung vom tatsächlichen Einsetzen eines Aufschwungs abhängig gemacht werden. Damit würde eine prozyklische Budgetpolitik zum Programm erhoben und die restriktive Linie der letzten Jahre mit allen negativen Konsequenzen fortgesetzt.

Die Gesetzentwürfe, mit denen die »Pensionssicherungsreform« ins Werk gesetzt werden soll, haben sich in einer bisher nicht gekannten Brutalität über Grundsätze der distributiven und intergenerativen Gerechtigkeit und des Vertrauensschutzes hinweggesetzt und sind deswegen zu Recht auf schärfste Kritik der öffentlichen Meinung gestoßen. In den Hintergrund traten dabei die Auswirkungen dieses Kahlschlages auf Wachstum und Beschäftigung in den nächsten Jahren.

Die Arbeitnehmer werden das Vorsorgesparen erhöhen und die laufenden Konsumausgaben einschränken - beim labilen Zustand der Konjunktur ein Effekt, der alles andere als wünschenswert ist. Da sich durch die massive Senkung der Ersatzquote (Pension in Prozent des letzten Aktiveinkommens) als Folge der schlagartigen Reduktion der so genannten Steigerungsbeträge von zwei auf 1,78 Prozent pro Jahr (minus 11 Prozent) sowie durch die Erhöhung der Abschläge bei Pensionsantritt vor dem Regelpensionsalter ein gravierender Einkommensverlust für all jene ergibt, die ab 2004 in Pension gehen, werden diese Arbeitnehmergruppen mit Sicherheit ab sofort mehr Ersparnisse bilden, um den beim Pensionsantritt eintretenden Einkommensabfall wenigstens teilweise zu kompensieren. Der betroffene Personenkreis bei den Arbeitnehmern umfasst in den nächsten fünf Jahren rund 145.000 Personen (Geburtsjahrgänge 1941 bis 1945, überwiegend Männer), in den darauf folgenden fünf Jahren rund 310.000 Personen (Geburtsjahrgänge 1946 bis 1950). Das sind etwa 13 Prozent der unselbständig Beschäftigten, auf die ein deutlich größerer Anteil der Lohnsumme (etwa 20 Prozent) entfällt.

»Man kann die Pensionsreform als volkswirtschaftliche Schocktherapie bezeichnen, die eine fühlbare Beeinträchtigung von Wachstum und Beschäftigung nach sich ziehen wird.«

Pensionsreform senkt den Konsum

Dies wird sich auf den gesamten privaten Konsum auswirken. Wenn die genannte Gruppe ihre Ersparnisbildung um fünf Prozent des Nettoeinkommens erhöht und ihren Konsum um fünf Prozent einschränkt, vermindert dies den gesamten privaten Konsum um ein halbes Prozent. Das ist bei den Mini-Wachstumsraten, die wir in letzter Zeit haben (0,9 bis 1,9 Prozent), eine beträchtliche Einbuße an Nachfrage.

Der Einwand, dass die reichlicheren Ersparnisse bzw. das größere Kapitalangebot von sich aus zu einer (kompensatorischen) Erhöhung der Investitionen führt, ist schon von Keynes als schwerer Konstruktionsfehler der älteren ökonomischen Theorie erkannt worden. In der nach allen Seiten offenen österreichischen Volkswirtschaft ist es erst recht völlig von der Hand zu weisen. Man kann daher die so genannte Pensionssicherungsreform mit guten Gründen nicht bloß als sozialpolitische, sondern gleichermaßen als volkswirtschaftliche Schocktherapie bezeichnen, die in den nächsten Jahren fühlbare Beeinträchtigungen von Wachstum und Beschäftigung nach sich ziehen wird.

Neuorientierung der EU-Wirtschaftspolitik ist unerlässlich

Die wirtschaftliche Stagnation in Österreich in den letzten drei Jahren ist grundsätzlich natürlich eine Folge der europäischen Wachstumsschwäche. Eine durchgreifende Verbesserung der Entwicklung in Österreich setzt sicherlich einen nachhaltigen Konjunkturaufschwung der gesamten europäischen Wirtschaft voraus, auf den wir seit mehr als zehn Jahren vergeblich hoffen. Die Ursachen für diese Frustration zu untersuchen, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.

Ein warnendes Beispiel dafür, was geschieht, wenn einmal alles schief läuft, ist die Entwicklung der japanischen Wirtschaft in den letzten zehn Jahren. Seit dem Absacken des BIP-Wachstums auf null oder nahezu null hat Japan bereits ein Jahrzehnt der Stagnation hinter sich, und trotz intensiver Bemühungen und Ausprobieren alternativer wirtschaftspolitischer Ansätze konnte sich das Land bisher nicht aus dieser Situation befreien.

Drei Jahre anhaltende Wachstumsschwäche sollten uns auch in der EU zu denken geben. Statt alle Hoffnungen auf einen Konjunkturaufschwung in den USA zu setzen, sollte sich die europäische Wirtschaftspolitik endlich auf die Mobilisierung der eigenen inneren Expansionskräfte orientieren. Dies setzt ein Umdenken sowohl in der Geldpolitik der EZB als auch in der Fiskalpolitik voraus. Eine Reform des Stabilitätspakts sollte gewährleisten, dass die Nachfrage bei schlechter Konjunktur nicht zusätzlich gedrosselt wird. Die 2004 wirksam werdende EU-Erweiterung wird einen neuen Wachstumsimpuls bringen, aber unter der Bedingung, dass den Beitrittsländern nicht von Anfang an von der Europäischen Kommission und der EZB restriktive Stabilitätskriterien aufgezwungen werden, die dort das Wachstum gleich wieder abwürgen.

Konjunktur muss Vorrang haben

In der Diskussion über die Revision des Stabilitätspaktes hat bisher als einziges Land Frankreich eine klare Haltung eingenommen, indem es der Europäischen Kommission deutlich machte, dass Maßnahmen zur Reduktion des über 3 Prozent des BIP liegenden Staatsdefizits erst in Frage kämen, wenn die Schwächephase der Konjunktur überwunden sei. Im Gegensatz dazu schwankt die deutsche Regierung zwischen Inkaufnahme eines konjunkturbedingt »übermäßigen« Defizits in den Jahren 2002 und 2003 und dem Demonstrieren eines Sparwillens, der gegenwärtig die Misere nur verschlimmert.

Österreich sollte hier seine Stimme in der EU in ganz anderer Weise geltend machen als in den letzten zweieinhalb Jahren. Die Bundesregierung hält es aber offenbar nicht für notwendig, in der europäischen Debatte über die grundlegende Ausrichtung der Wirtschaftspolitik in der Währungsunion, insbesondere über die Koordinierung der zentralisierten Geld- und Währungspolitik und der nationalstaatlichen Budgetpolitiken, Position zu beziehen. Auch wenn Österreich als kleines Land nur begrenzten Einfluss hat, können wir uns ein Abseitsstehen in dieser Diskussion nicht leisten. Sie wird mehr als alle Maßnahmen im verbliebenen nationalen Handlungsspielraum die künftige Wirtschaftsentwicklung im Euroraum bestimmen.

Die Hauptaussage des Regierungsprogramms ist ein allgemein gehaltenes Bekenntnis zur »Lissabon-Strategie«, die weitestgehend auf »Standortpolitik«, also auf angebotsseitige Maßnahmen abstellt. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt jedoch eindeutig, dass ohne eine expansivere Makropolitik (Geld- und Fiskalpolitik) die eigentlichen Ziele betreffend Wachstum und Beschäftigung nicht erreichbar sind. Ohne eine entsprechende Neuorientierung ist
die Lissabon-Strategie zum Scheitern verurteilt, wie auch ihre bisherige Erfolglosigkeit zeigt. Überhaupt ist die Lissabon-Strategie in ihren zentralen Kennzahlen nach der EU-Erweiterung nicht mehr anwendbar, da sich wesentliche Strukturindikatoren aus statistischen Gründen massiv verschlechtern werden.

Eigene Handlungsspielräume nutzen

Wenn von der nationalstaatlichen Wirtschaftspolitik auch keine Wunder erwartet werden dürfen, ist doch zu fordern, dass vorhandene Handlungsspielräume für expansive Impulse umfassend und umgehend genutzt werden, damit Österreich sich besser und nicht wie in den letzten Jahren schlechter als der EU-Durchschnitt entwickelt. Wichtigste Elemente einer solchen Politik:

  • Offensive in der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Das Recht auf Aus- und Weiterbildung und das Auffangnetz zur Jugendausbildung (ab Herbst) sowie die angekündigte Qualifikationsförderung für ältere Beschäftigte machen zusätzlich mindestens 250 Millionen Euro erforderlich.
  • Neue Grenzgängerabkommen mit den EU-Beitrittsländern erst nach effektiven Maßnahmen zur Entlastung des Arbeitsmarktes.
  • Eine Steuerreform, welche die Arbeitnehmer wirklich entlastet und für Arbeit sorgt. Geboten ist eine rasche steuerliche Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um zwei Milliarden Euro. Dies würde durch eine stärkere Inlandsnachfrage die Wirtschaft ankurbeln (Beschäftigungseffekt: 18.000 Arbeitsplätze).
  • Infrastrukturoffensive. Baureife Straßen- und Schienenprojekte müssen endlich auch wirklich gebaut, die Finanzierung der Schieneninfrastruktur und die jährlichen Investitionen in das Schienennetz (rund 300 Millionen Euro) müssen auf längere Sicht gesichert werden und zentrale Verkehrsprojekte für die EU-Erweiterung endlich angegangen werden (Beschäftigungseffekt jeder investierten Milliarde Euro: bis zu 18.000 Arbeitsplätze).

Diese kurzfristigen Maßnahmen müssen durch eine langfristige Strategie in den einzelnen Bereichen der Angebotspolitik ergänzt werden. Ohne eine möglichst umgehende Stimulierung der Nachfrage wird aber auch die beste Angebotspolitik, von der wir ohnehin weit entfernt sind, keine Wirkung haben.

RESÜMEE

Ein böses Erwachen droht

Wenn die Regierung glaubt, die wirtschaftliche Flaute und die Arbeitslosigkeit »aussitzen« zu können, wird es ein böses Erwachen geben. Die EU schränkt zwar die einzelstaatlichen Handlungsmöglichkeiten stark ein, doch Österreichs Regierung unternimmt derzeit keine Anstrengungen, um dafür zu sorgen, dass sich das Land besser statt, wie derzeit der Fall, schlechter als der EU-Durchschnitt entwickelt.

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