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Eine Funktion der Menschenwürde

SCHWERPUNKT

Selbstverwaltung: In den letzten Jahren stellen einige Autoren, Politiker und Wissenschafter die Selbstverwaltung in den Gemeinden (»territoriale Selbstverwaltung«), in den Kammern und ähnlichen Einrichtungen (»personale Selbstverwaltung«), und in den Sozialversicherungsträgern (»soziale Selbstverwaltung«) immer öfter in Frage. Man will die den Bürgern zur Wahrung ihrer Interessen überantworteten Aufgaben der staatlichen Obrigkeit »zurückgeben«. Also »mehr Staat« und »weniger privat«.

Damit leitet man eine Aufweichung des starken republikanisch-demokratischen Elements in Österreich ein, zugunsten der »souveränen Staatsgewalt«. Es ist überhaupt zu bemerken, dass in Österreich die Organe des Staates immer mehr autoritäre, zentralistische Handlungsweisen als richtiger ansehen und föderale sowie soziale Strukturen zurückgedrängt werden. Als Argument für diese Vorgangsweise muss die »betriebswirtschaftliche Notwendigkeit« und die »Nicht-EU-Konformität dezentraler Strukturen« herhalten. Damit wird meist ein gesellschaftlich nicht akzeptierter, aber von oben vorangetriebener Trend übertüncht, der in Wirtschaft und Gesellschaft immer deutlicher wird: Der Zentralstaat muss mehr Macht auf Kosten der föderalen, bürgernahen Strukturen bekommen! Mehr »Präsidialstaat«, weniger Republik (res publica = Sache des Volkes, der Öffentlichkeit).

»Damit wird ein gewollter Trend übertüncht: Der Zentralstaat muss mehr Macht auf Kosten der föderalen, bürgernahen Strukturen bekommen!«

Die Bürgerselbstverwaltung ist Teil unseres Staatsverständnisses

Egal, ob man die Selbstverwaltung der Gemeinden, die des Kammersystems oder eben die der Sozialversicherung heranzieht, eines bleibt gemeinsam: Die Selbstverwaltung ist die von staatlicher Macht weisungsfreie Besorgung öffentlicher Aufgaben durch nicht staatliche Körperschaften des öffentlichen Rechts. Der Staat verzichtet darauf, über seinen Beamtenapparat, der weisungsgebunden ist, bestimmte Aufgaben zu erledigen und übergibt sie Körperschaften, die durch Wahlen bestellt werden, statutarische Strukturen besitzen und daher im Sinne des Gemeinwohls und im Interesse der Betroffenen agieren.

Private Vereine können daher niemals Träger von Selbstverwaltungsaufgaben sein, denn diese handeln ohne Gemeinwohlverpflichtung. Der Kampf um die Selbstverwaltung der Bürger begann schon im 15. Jahrhundert und erlebte im 19. Jahrhundert seine ersten Erfolge, als die Autonomie der Gemeindeverwaltungen, die Kammern und die Sozialversicherungsträger als Selbstverwaltungskörper nach und nach bestellt wurden. Es ist daher die Selbstverwaltung das wesentliche Element einer Bürgergesellschaft zum Unterschied von einer diktatorischen Gesellschaft, in der der Staat alle Macht durch seine Organe ausübt. Die Diskussion »Selbstverwaltung ja oder nein« ist in Wahrheit die Diskussion um mehr Republik oder mehr Diktatur oder »Staatssouveränität gegen Volkssouveränität«.
Unabhängig von demokratischen Regierungsformen, die heute kein vernunftbegabter Mensch mehr in Frage stellt, weil es keine wirklichen Alternativen gibt, gehen wir in Österreich langsam, aber sicher einen gefährlichen Weg. Wir gehen zunehmend weg vom Staat als Ordnungsrahmen (polis) für die in seinen Grenzen lebenden Menschen, hin zu einem anderen Staatsverständnis: Der Staat als Selbstzweck. Der Staat als politisches Gebilde ist der Souverän - fast wie im Absolutismus! In so einem Staatsverständnis hat die Selbstverwaltung nur noch untergeordnete oder keine Bedeutung. Sie wird nicht abgeschafft, sondern zum »gesellschaftlichen Aufsichtsrat« degradiert.

Selbstverwaltung in Österreich wurde degradiert

Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger ist kein Organ der so genannten »sozialen Selbstverwaltung« der Bürger, denn er verwaltet keine Beitragseinnahmen und zahlt keine Leistungen aus, sondern ist im Wesentlichen die Interessenvertretung der Sozialversicherungsträger Österreichs gegenüber der Staatsmacht. Die Aufgabe des Hauptverbandes wird also dadurch legitimiert, dass die Körperschaften Arbeiterkammer (AK), Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), Landwirtschaftskammer (LWK) sowie die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) für die Beamten und deren Pensionsversicherung im Hauptverband die vertretenen Interessen bündeln. Über die Organe des Hauptverbandes wirken sie nicht nur an der Gesetzgebung mit, sondern stellen auch die Distanz der Selbstverwaltung zum Staat sicher, damit der Staat nicht Macht an sich reißt, die er im österreichischen Staatsverständnis nicht haben soll.

Nun hat die Bundesregierung aber die Aktionsfähigkeit der angesprochenen Körperschaften im Hauptverband so eingeschränkt, dass sie nur noch als »Aufsichtsorgan« für eine systemfremde Geschäftsführer-Gruppe agieren können, aber keine politische Handlungsfähigkeit als Interessenvertretung mehr haben. Damit wurde die Selbstverwaltung im Hauptverband praktisch zum Erfüllungsgehilfen der Staatsmacht »degradiert«. Der Hauptverband ist nicht mehr eine durch Körperschaften legitimierte Interessenvertretung mit eigener Autonomie, wie ursprünglich geplant! Das heißt: Österreich macht einen Schritt weg vom republikanisch-demokratischen Prinzip.

Aber nicht nur die so genannte »blau-schwarze« Regierung ging diesen Weg. Erinnern wir uns doch an die Infragestellung der Pflichtmitgliedschaft in den Kammern. Hier wurde von den Parteien und manchen gesellschaftlichen Gruppen die Grundlage der »Körperschaften der personalen Selbstverwaltung« angegriffen. Denn nur die Pflichtmitgliedschaft aller Betroffenen gibt den Körperschaften die Legitimation, in Selbstverwaltung zu handeln.

Wir sehen also: Es gibt gesellschaftliche Kräfte in Österreich, die mehr Staatsgewalt und weniger Subsidiarität wollen.

»Nur die Pflichtmitgliedschaft aller Betroffenen gibt den Körperschaften die Legitimation, in Selbstverwaltung zu handeln«

Die Selbstverwaltung ist gelebte Subsidiarität

Die katholische Soziallehre kennt das Prinzip der Subsidiarität als »Recht der je kleineren Einheit« und sieht es als logische Folge der Menschenwürde an, die jedem einzelnen Menschen in seiner Einmaligkeit innewohnt. Wir Menschen haben demnach das Recht, jene Dinge selbst zu regeln und mitzubestimmen, die uns unmittelbar betreffen. Selbstverwaltung in den politischen Gemeinden, den Kammern und den Sozialversicherungsträgern ist daher Auswirkung, ja Funktion des Subsidiaritätsprinzips und somit eine Konstante der Humanität. Für Christen ist die Selbstverwaltung keine beliebige Angelegenheit, die man auch abschaffen könnte, sondern Teil des Menschseins, der Menschenwürde.

Wer die Selbstverwaltung abschafft oder sie in Frage stellt, handelt gegen ein Prinzip der christlichen Soziallehre und rüttelt am Fundament dieser Gesellschaftslehre.

Wir Menschen können gewisse Dinge in Eigenverantwortung erledigen, und diese soll man uns auch selbst machen lassen. »Die Ruhe« als einzige und erste Bürgerpflicht war ein Slogan des so genannten »Nachtwächterstaates« im Liberalismus. In einer modernen Republik kann der Würde des Menschen nur dann relevant Beachtung geschenkt werden, wenn er durch gewählte Organe die an sich nötige Staatsgewalt kontrolliert und reduziert.

Dazu haben wir die Kammern. Darüber hinaus ist es möglich, die Beiträge der Bürger zum Sozialversicherungssystem durch legitimierte Organe verwalten zu lassen und dem Staat diese Aufgabe abzunehmen. Das ist Ausdruck der Bürgerautonomie und somit des Wesens des Menschen als Person und Subjekt des Wirtschaftsgeschehens.

»Selbstverwaltung in der Sozialversicherung ist für uns die einzige Möglichkeit, kostengünstig hohe soziale Standards zu bieten«

Der Staat ist nicht unser »Lehensgeber«

Die Institution der Selbstverwaltung stellt nach neuer Lehre und Rechtsprechung eine klar begrenzte Ausnahme von der regulären Organisationsstruktur der weisungsgebundenen Bundes- und Landesverwaltung dar. Nach Meinung der Verfassungsrichter gibt es Schranken für den Gesetzgeber, was die Änderungen in der Organisationsform der Selbstverwaltung betrifft.

So muss der Gesetzgeber (Staat) anerkennen, dass die Selbstverwaltung folgende Grundsätze verfolgt, an die man sich, bei sonstiger Verfassungswidrigkeit, halten muss: Die Selbstverwaltung ist autonom, mit Pflichtmitgliedschaft ausgestattet und in Körperschaften öffentlichen Rechts mit eigenem Statut organisiert. Eine etwaige »Beleihung« der Selbstverwaltung durch den Staat mit irgendwelchen Aufgaben scheidet als Verstoß gegen die Unabhängigkeit des Selbstverwaltungskörpers aus. Der Staat ist nur Aufsichtsorgan, aber niemals »Dienstgeber« der Selbstverwaltung. Viele Aktionen der Bundesregierungen der letzten Jahre waren, so meine ich, demnach verfassungswidrig.

Selbstverwaltung ist Ausdruck der republikanischen Bundesverfassung

So wichtig die Gewaltenteilung im Staat, die Organisationsform der Verwaltung, das bundesstaatliche Prinzip und die demokratische Regierungsform auch sind, die Bürger fühlen sich in ihrer Würde erst dann angenommen und bestätigt, wenn der Staat sie ernst nimmt und im Rahmen der politischen Gemeinden eine regionale Selbstverwaltung zulässt. Es ist beispielsweise gefährlich, die Bürgermeister als Behörde und die Gemeinde als Selbstverwaltungsorgan in Frage zu stellen.

Die Alternative zu diesen zweifellos fehleranfälligen Systemen ist die Ausweitung der Staatsmacht bis in die kleinsten sozialen Systeme hinein. Vergleichen wir uns doch mit anderen Ländern: Der staatliche Gesundheitsdienst in Großbritannien hat zu einem Zweiklassengesundheitssystem geführt, in dem die ärmeren Bevölkerungsschichten die schlechteren Karten haben. Die Abwesenheit der Kammersysteme fast überall auf dieser Welt zwingt zu »Tripartitsystemen« oder ähnlichen staatlichen Sozialpartnerlösungen ohne körperschaftliche Autonomie und nur unter Dominanz der Regierungen.

Nur die selbstverwaltete Sozialversicherung in Österreich kann sich rühmen, so extrem niedrige Verwaltungskosten zu haben. Die Defizite in den Krankenversicherungsträgern beruhen eben auf der Tatsache, dass der Staat und die Gebietskörperschaften ihren Aufgaben nicht nachkommen (z. B. zu viele Krankenhausbetten pro Kopf der Bevölkerung) und die Selbstverwaltungskörper der Sozialversicherung für Dinge zahlen müssen, für die sie nicht da sind.

Österreich ist ein kleines Land mit einer kleinbetrieblichen Struktur. Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung ist für uns die einzige Möglichkeit, kostengünstig hohe soziale Standards zu bieten, weil Selbstverwaltung immer heißt, dass diese Unternehmen nicht auf Gewinn gerichtet sind und keine Akquisitionskosten haben.

Selbstverwaltung ist aber auch ein Gradmesser für die Selbständigkeit der Bürger gegenüber dem Staat. »Res publica« heißt Zusammenschluss mündiger Bürger zur Regelung ihrer gemeinsamen Interessen und Schaffung von Gemeinwohl.

Es sollte uns nach den historischen Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts doch zu denken geben, wenn einige Propagandisten von »mehr Macht den Organen« und »weniger Macht den Körperschaften« reden. Was wollen die? Offenbar wieder mehr Diktatur und weniger Republik!

RESÜMEE

Christlich dominiert?

Einer christlich dominierten österreichischen Bundesregierung blieb es vorbehalten, Strukturen der Selbstverwaltung abzubauen und damit nicht nur gegen die Verfassung, sondern auch massiv gegen den von der katholischen Kirche und auch von Papst Johannes Paul II.
immer wieder betonten Grundsatz der Subsidiarität zu verstoßen.

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