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Brennpunkt Arbeitsmarkt

SCHWERPUNKT

Entwicklungen und Herausforderungen: Wo liegen Hauptansatzpunkte für eine Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik im Interesse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern?

Beschäftigung und Arbeitslosigkeit gehören traditionell zu den wichtigsten Themen der österreichischen Politik. Nicht zu Unrecht, denn schließlich musste im November 2002 mit rund 280.000 Menschen auf Arbeitsuche die höchste Novemberarbeitslosigkeit seit dem Zweiten Weltkrieg registriert werden. Gleichzeitig ist es aber auch Tatsache, dass Österreichs Arbeitslosenrate von 4,2% die drittniedrigste in der Europäischen Union ist. Individuelle und öffentliche Wahrnehmung und statistische Beschreibung des Arbeitsmarktes stimmen offensichtlich nicht überein.

Daher soll anhand einiger wichtiger Entwicklungen, Trends und arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen der letzten Jahre zwei Fragen nachgegangen werden: Wie kommt es zu dem problematischen Bild des österreichischen Arbeitsmarktes bei den Menschen, die auf diesem Markt ihre Arbeitskraft anbieten müssen, wenn die Arbeitsmarktsituation - glaubt man den Statistiken der EU - doch so gut ist? Wo liegen Hauptansatzpunkte für eine Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik im Interesse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern?

Dynamik und Flexibilität

Hoher Stellenumsatz auf dem österreichischen Arbeitsmarkt. Ein Grund für das Auseinanderklaffen zwischen statistischem Befund über den österreichischen Arbeitsmarkt und der Wahrnehmung vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer liegt in dem, was Arbeitsmarktforscher »Dynamik des Arbeitsmarktes« nennen. Ein paar Zahlen zur Verdeutlichung, was mit dieser »Dynamik« gemeint ist:

Von den rund 3,2 Millionen Arbeitsplätzen, die in Österreich im Jahr 2000 zur Verfügung standen, waren nur rund 1,9 Millionen das ganze Jahr über von einer Person besetzt. In diesem Jahr wurden 1,5 Millionen Neuaufnahmen einer Beschäftigung registriert. Mit anderen Worten: Im Jahr 2000 wurde knapp jedes zweite registrierte Beschäftigungsverhältnis neu aufgenommen, wurde also knapp die Hälfte der Arbeitsplätze in Österreich zumindest einmal neu besetzt. Ein starkes Drittel der von diesem hohen »Stellenumschlag« auf dem Arbeitsmarkt betroffenen Menschen braucht dabei die Hilfe des Arbeitsmarktservice (AMS) - wird also arbeitslos im engen Wortsinn. So mussten im Jahr 2001 rund 807.000 »Zugänge« in Arbeitslosigkeit registriert werden - statistisch wird rund jede vierte unselbständig erwerbstätige Person pro Jahr einmal mit Arbeitslosigkeit konfrontiert. Werden die so genannten »geschützten Bereiche« - wie der öffentliche Dienst, Sozialversicherungen etc. - nicht mitbetrachtet, konzentriert sich das Risiko, arbeitslos zu werden, auf 2,6 Millionen Beschäftigte - beinahe jede dritte Arbeitskraft wird einmal pro Jahr arbeitslos. Rund 70% der Arbeitslosen, die sich beim AMS im Jahr 2000 registrieren ließen, hatten davor ein Beschäftigungsverhältnis mit einer Dauer von unter einem Jahr. Gleichzeitig fällt im EU-Vergleich eine mit derzeit 107 Tagen recht kurze Dauer der Arbeitslosigkeit auf. Die Höhe des Arbeitslosengeldes ist seit dem Jahr 2000 mit 55% des monatlichen Nettobezuges im Vorjahr festgelegt.

Diese wenigen Zahlen machen verständlich, warum die Arbeitsmarktentwicklung von den Menschen in Österreich als wichtiges politisches Thema gesehen wird, warum so viel Angst vor Arbeitslosigkeit in Österreich herrscht, auch wenn internationale Statistiken ein anderes Bild zeichnen: Schließlich muss jede dritte Arbeitnehmerin, muss jeder dritte Arbeitnehmer damit rechnen, mehr als drei Monate im Jahr mit nur knapp mehr als der Hälfte seines Einkommens auskommen zu müssen. Und es braucht auch nicht zu verwundern, dass der Expertenbericht zur »Treffsicherheit des Sozialstaates« aus dem Jahr 2000 als Hauptgrund für Verarmung in Österreich Arbeitslosigkeit anführt, insbesondere in Alleinverdienerhaushalten mit häufiger oder längerer Arbeitslosigkeit.

Betroffenheit von
Arbeitslosigkeit 1997-2002
Jahr Gesamt Männer Frauen
1997 704.959 411.087 293.822
1998 715.600 411.936 303.672
1999 716.624 411.792 304.832
2000 688.873 396.967 291.906
2001 807.600 # #
2002 (1. bis 3. Quartal) 550.845 # #

Die Notwendigkeit laufender beruflicher Aus- und Weiterbildung als Folge der Dynamik des Arbeitsmarktes

»Dynamik des Arbeitsmarktes« hat aber auch noch eine andere Facette - die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen sich rasch auf neue Anforderungen an ihr Wissen und Können anpassen. So hat beispielsweise eine Untersuchung der österreichischen Autozulieferindustrie und der Baubranche ergeben, dass nach zehn Jahren nur noch rund 50% der ursprünglich in diesen Branchen beschäftigten und für sie ausgebildeten Facharbeitskräfte in diesen Wirtschaftsbereichen arbeiten.

»Schließlich muss jeder dritte Arbeitnehmer damit rechnen, mehr als drei Monate im Jahr mit nur knapp mehr als der Hälfte seines Einkommens auskommen zu müssen.«

Rascher und häufiger Stellenwechsel erfordert von den Menschen also ebenso rasche und häufige Anpassungen ihrer beruflichen Fertigkeiten und Kenntnisse. Dieses Verlangen eines dynamischen Arbeitsmarktes nach laufender beruflicher Qualifikation erfordert von den Menschen viel Konsequenz, Energie und auch Einsatz finanzieller Mittel. Dabei müssen sie von einer aktiven Arbeitsmarktpolitik unterstützt werden - als Arbeitsuchende, aber auch als Beschäftigte.
Dennoch hat dieser Zusammenhang nur unzureichend Niederschlag in der österreichischen Arbeitsmarkt- und Qualifikationspolitik gefunden:

Nach einer markanten Steigerung ab 1995 wurden die Budgetmittel für Arbeitsmarktförderung ab 1999 auf dem Betrag von rund 606 Millionen Euro (rund 8,25 Milliarden ATS) eingefroren. Es wurden zwar in den letzten Jahren - nicht zuletzt aufgrund der Zielvorgaben der EU in der Arbeitsmarktpolitik - immer mehr Arbeitsuchende in Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik einbezogen. Das wurde im Kern durch massiven Einsatz so genannter »Aktivierungsmaßnahmen« erreicht - also Maßnahmen, die Arbeitsuchende bei ihren Bewerbungen unterstützen sollen, die aber keine oder nur wenig berufliche Qualifikation vermitteln. Bei der Förderung von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen orientiert sich das AMS zudem an rascher Vermittlung - Qualifikation gleichsam als »Schmiermittel« für eine rasche Vermittlung auf eine dem AMS angebotene offene Stelle. Dabei bleibt zunehmend der Aspekt auf der Strecke, durch Qualifikation die »Wettbewerbsfähigkeit« einer arbeitsuchenden Person auf dem Arbeitsmarkt unabhängig von einer konkreten Arbeitsvermittlung dauerhaft zu stärken. Die Folge: Arbeitslosigkeit führt allzu häufig zu einer beruflichen Abwärtsspirale. Aufgrund fehlender beruflicher Weiterbildung bei Arbeitslosigkeit müssen Arbeitsuchende zum Teil deutliche Abstriche bei Einkommen, Arbeitsbedingungen und Qualifikationsniveau hinnehmen. Diese Entwicklung ist sowohl sozial- als auch wirtschaftspolitisch mehr als bedenklich.
Rund 80% der beim AMS vorgemerkten Arbeitsuchenden bleiben derzeit dennoch ohne Chance auf Aus- oder Weiterbildung. Ebenso problematisch ist die Situation bei der laufenden beruflichen Weiterbildung während Beschäftigung: Das ist so gut wie ausschließlich Privatangelegenheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bzw. ihrer Betriebe. Zwar besteht seit 1995 die Möglichkeit der Förderung betrieblicher Weiterbildungsmaßnahmen durch das AMS. Es gibt aber so gut wie keine öffentliche Unterstützung für Beschäftigte, die sich aus eigenem Antrieb beruflich umorientieren wollen oder müssen. Die Kritik der Europäischen Union an der österreichischen Beschäftigungspolitik, wonach eine umfassende und abgestimmte Strategie des lebenslangen Lernens in Österreich fehlt, darf also nicht wundern. Umso weniger, als die ohnehin unzureichenden Mittel des Unterrichtsministeriums für Erwachsenenbildung in den letzten Jahren noch weiter gekürzt wurden.

Im Herbst 2002 wurden zwar von der Bundesregierung für die letzten 3 Monate des Jahres 2002 und für 2003 weitere 112 Millionen Euro für Aus- und Weiterbildung jugendlicher Arbeitsuchender freigegeben. Das ändert am grundlegenden Finanzmangel für die öffentliche Unterstützung Arbeitsuchender und der Arbeitnehmer bei ihren Weiterbildungsanstrengungen nichts. So würde ein Recht von Arbeitsuchenden auf Weiterbildung ab dem dritten Monat ihrer Arbeitslosigkeit einen Betrag von rund 100 Millionen Euro erfordern. Weiters wären weitere rund 100 Millionen Euro notwendig, um Arbeitsuchenden wieder mehr fachspezifische Weiterbildungen zu ermöglichen. Gleichzeitig gilt es, eine Form öffentlicher Unterstützung für Beschäftigte zu entwickeln, die vor der Notwendigkeit einer beruflichen Umorientierung stehen und diese finanziell nicht allein bewerkstelligen können.

Zurzeit beschränken sich die dafür eingesetzten öffentlichen Mittel de facto auf die rund 606 Millionen Euro des Arbeitsmarktförderungsbudgets im AMS. Seit 2001 werden diese Mittel in Österreich - einzigartig in der EU - ausschließlich aus der Arbeitslosenversicherung, also aus den Beiträgen der Beschäftigten und ihrer Betriebe, bereitgestellt. Wie wenig Aufmerksamkeit die Arbeitsmarktpolitik der Notwendigkeit laufender beruflicher Aus- und Weiterbildung für Beschäftigte und Arbeitsuchende zollt, zeigt ein Blick auf die Verwendung der Mittel der Arbeitslosenversicherung in den Jahren 2001 und 2002: Mit rund 2,8 Milliarden Euro wurde weit mehr als doppelt so viel Geld der Arbeitslosenversicherung für die Budgetkonsolidierung abgezweigt, als mit den rund 1,3 Milliarden Euro in Arbeitsmarktförderung investiert wurde. Hier tut Änderung not: Eine deutliche Erhöhung der Mittel für die öffentliche Unterstützung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei ihrer laufenden beruflichen Aus- und Weiterbildung ist dringend notwendig. Wie in allen anderen Mitgliedstaaten der EU sollte arbeitsmarktbezogene Qualifikationspolitik zudem als gesamtgesellschaftliche Angelegenheit begriffen und damit auch aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert werden.

»Es braucht auch nicht zu verwundern, dass der Expertenbericht zur ›Treffsicherheit des Sozialstaates‹ als Hauptgrund für Verarmung in Österreich Arbeitslosigkeit anführt, insbesondere in Alleinverdienerhaushalten mit häufiger oder längerer Arbeitslosigkeit.«

Nur ein flexibler Arbeitsmarkt kann dynamisch sein

In der arbeitsmarktpolitischen Diskussion wird immer wieder die angeblich mangelnde Flexibilität des österreichischen Arbeitsmarktes angesprochen. Wie sieht die Realität aus?

Üblicherweise beschäftigt sich diese Diskussion mit den aus dem Arbeitsrecht kommenden Regulierungen des Arbeitsmarktes: Wie wirken Kündigungsschutz, Arbeitszeitregeln, kollektivvertragliche Mindestlohnsysteme und andere soziale Schutzfunktionen des Arbeitsrechtes auf dem Arbeitsmarkt? Auf diese Aspekte von Arbeitsmarktflexibilität näher einzugehen, würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. Nur so viel sei gesagt: Ein dynamischer Arbeitsmarkt - und ein solcher ist der österreichische zweifellos - ist ohne entsprechende Flexibilität der arbeitsrechtlichen Regulierung gar nicht möglich.

Die hohe Arbeitsmarktflexibilität in Österreich lässt sich anhand folgender Daten darstellen: Im Zeitraum zwischen 1998 und 2002 ist es zu einem Zuwachs des Arbeitsvolumens in Österreich von rund 3,2 Millionen Arbeitsstunden gekommen. 58,3% dieses zusätzlichen Arbeitsvolumens kam Personen zugute, die 365 Tage im Jahr voll versicherungspflichtig beschäftigt sind. 41,8% der zusätzlichen 3,2 Millionen Arbeitsstunden aber wurden von Personen bewältigt, die nur einen Teil des Jahres voll versicherungspflichtig beschäftigt und einen Teil des Jahres arbeitslos waren, die also sozusagen in einem »Jahresteilzeitmodell« gearbeitet haben. Das betraf etwa 1999 1,4 Millionen Personen, überwiegend Frauen.

Die wachsende Arbeitsmarktflexibilität kann auch durch die Zunahmen so genannter »atypischer Beschäftigungsformen« beschrieben werden. So ist die Zahl der »neuen Selbständigen« von rund 7800 im Jahr 1998 auf knapp 27.000 im Jahr 2001 gestiegen, die Zahl der freien Dienstverträge im gleichen Zeitraum von knapp 15.000 auf knapp 24.000, die der Leiharbeitnehmer von knapp 21.000 auf gut 33.000. Ebenfalls deutlich gestiegen ist die geringfügige Beschäftigung in Österreich: Im November 1998 gab es knapp 184.000 geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, im November 2002 schon knapp 216.000. Waren 1998 nur 3% der Beschäftigten in einer Form der Telearbeit beschäftigt, waren es 2001 bereits 7,7%. Diese dürren Zahlen spiegeln folgenden Trend klar wider: Die Arbeitnehmer sind in Österreich mit einem Arbeitsmarkt konfrontiert, der von ihnen zunehmend die Fähigkeit verlangt, in unterschiedlichen Beschäftigungsformen ihre Existenzgrundlage zu erwirtschaften, sei es nun auf Basis eines Arbeitsvertrages oder in einer der neuen, atypischen Beschäftigungsarten. Und der österreichische Arbeitsmarkt wird zunehmend weniger ganzjährige Beschäftigung zur Verfügung stellen. Immer mehr Menschen werden sich auf »Jahresteilzeitarbeit« einstellen müssen, was nichts anderes heißt, als einen Teil des Jahres arbeitslos zu sein, einen Teil des Jahreseinkommens aus den Leistungen der Arbeitslosenversicherung zu erhalten. Der österreichische Arbeitsmarkt mit seiner Dynamik und Flexibilität verlangt den Menschen viel und immer mehr ab: Sie müssen sich darauf einlassen, laufend an ihrer beruflichen Qualifikation zu arbeiten. Und sie können sich immer weniger auf ein stabiles, in jahresdurchgängiger Beschäftigung verdientes Jahreseinkommen verlassen. Die Leistungen der Arbeitslosenversicherung werden für immer mehr Menschen zu einem mehr oder weniger festen Bestandteil ihres Jahreseinkommens und damit ihrer gesamten Lebensplanung.

Ungleiche Verteilung der Risken eines dynamischen und flexiblen Arbeitsmarktes

Die Sache wäre geradezu einfach, wären die sozialen Risken eines dynamischen und flexiblen Arbeitsmarktes über alle Arbeitnehmergruppen gleich verteilt. Ein Blick in die Arbeitsmarktstatistiken zeigt aber rasch, dass dem nicht so ist. Das Risiko, arbeitslos zu werden, das Risiko, in einer sozial und rechtlich schlecht abgesicherten Beschäftigungsform arbeiten zu müssen, die Notwendigkeit zu laufender Investition in das eigene berufliche Wissen und Können ist über die Altersgruppen, zwischen den Geschlechtern, zwischen inländischen und ausländi-
schen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, zwischen den Beschäftigten in den einzelnen Wirtschaftssektoren sehr ungleich verteilt.

In der aktuellen Wirtschaftskrise wird diese ungleiche Verteilung der Arbeitsmarktrisken besonders deutlich sichtbar: So sind seit dem Jahr 2000 etwa die Jugendlichen bis 25 Jahre zu einer arbeitsmarktpolitischen Problemgruppe geworden - bei ihnen ist die Arbeitslosigkeit um mehr als 24% seit Herbst 2000 angestiegen. Die Ursachen dafür liegen in den massiven, durch das »Auffangnetz für Jugendliche« nur quantitativ beantworteten Strukturproblemen der dualen Berufsausbildung (seit 2000 auch das unzureichend). Es liegt auch an der ungenügenden Zahl von Ausbildungsplätzen im berufsbildenden mittleren und höheren Schulwesen. Das Ergebnis: Für immer mehr Jugendliche steht Arbeitslosigkeit am Beginn ihres »Berufslebens«. Die Benachteiligung der Frauen gehört beinahe zu den charakteristischen Kennzeichen des österreichischen Arbeitsmarktes. Frauen haben zwar in den letzten Jahren überproportional vom Beschäftigungsanstieg profitiert, die Frauenarbeitslosigkeit steigt derzeit weniger stark als die der Männer. Sie sind jedoch in besonderem Maße von den negativen Begleiterscheinungen der zunehmenden Flexibilisierung des Arbeitsmarktes betroffen. Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung, atypische Beschäftigung am unteren Ende der Einkommensmöglichkeiten sind weiblich in Österreich. Frauenbeschäftigung findet sich zudem konzentriert in den Wirtschaftszweigen und Berufen, die durch belastende Arbeitsbedingungen und geringes Einkommen gekennzeichnet sind.

Besonders schwierig ist die Arbeitsmarktentwicklung für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie sind aufgrund ihres Gesundheitszustandes, aufgrund mangelnder beruflicher Weiterbildung allzu häufig nicht mehr in der Lage, den Anforderungen eines dynamischen und flexiblen Arbeitsmarktes zu entsprechen. So nimmt es nicht wunder, dass ältere Menschen sehr häufig langzeitarbeitslos werden, dass rund 50% aller Übertritte in die vorzeitige Alterspension nicht aus Beschäftigung, sondern aus Arbeitslosigkeit erfolgen.

Und schließlich gehören die ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu den Verlierern auf dem österreichischen Arbeitsmarkt. Eine Ursache dafür liegt sicher im System des Ausländerbeschäftigungsgesetzes zur Zulassung auf den österreichischen Arbeitsmarkt. Mindestens ebenso wichtig für die Arbeitsmarktsituation der in Österreich lebenden ausländischen Menschen ist die Frage der Steuerung des Zustromes neuer ausländischer Arbeitskräfte. Hier hat die Politik in den letzten Jahren für eine deutliche Verschärfung der Situation gesorgt. Das Angebot ausländischer Arbeitskräfte auf dem heimischen Arbeitsmarkt ist seit 2000 um 40.000 Personen gestiegen. 2001 wurden mit rund 54.000 erteilten Saisonierbewilligungen um 37% mehr ausländische Saisonarbeitskräfte als noch im Vorjahr in Österreich beschäftigt. Das mit Beginn 2003 vollständig in Kraft tretende Fremdenrechtspaket 2002 wird die Saisonarbeit weiter ausdehnen: Saisonbeschäftigung ist ab dann nicht nur in der Landwirtschaft und im Tourismus, sondern in allen Branchen möglich. Diese Maßnahmen werden vor dem Hintergrund überproportional steigender Arbeitslosigkeit in der ausländischen Wohnbevölkerung und der Tatsache ergriffen, das nach wie vor eine Gruppe von rund 50.000 in Österreich lebenden ausländischen Menschen keinen Zugang zum Arbeitsmarkt hat. Über alle gerade erwähnten arbeitsmarktpolitischen Zielgruppen zieht sich die immer schwieriger werdende Arbeitsmarktlage niedrig qualifizierter Beschäftigter, also Menschen mit lediglich Pflichtschulabschluss: Sie tragen mit rund 50% Anteil die Hauptlast der Arbeitslosigkeit, ihre Wiedereinstiegschancen sind deutlich geringer als die besser qualifizierter Arbeitsuchender.

RESÜMEE

Soziale Falle und risikoreiches Abenteuer?

Ein flexibler und dynamischer Arbeitsmarkt ist aus gewerkschaftlicher Sicht nicht von vornherein negativ: So ist z. B. das Risiko, arbeitslos zu werden, in Österreich breiter verteilt als in anderen Ländern. Weiter bedeutet ein hoher Stellenumschlag auf einem Arbeitsmarkt auch die Chance zur raschen Beendigung von Arbeitslosigkeit, zur Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit.

Hohe Arbeitsmarktdynamik und -flexibilität wird aber dann zur sozialen Falle für Arbeitnehmer, wenn ihre Begleiterscheinungen »vorübergehende Einkommensverluste wegen Arbeitslosigkeit« und »hohe persönliche und finanzielle Anforderungen an laufende berufliche Aus- und Weiterbildung« durch eine unzureichende Existenzsicherung bei Arbeitslosigkeit und durch mangelnde Unterstützung beim Erwerb neuer beruflicher Fertigkeiten und Kenntnisse den Arbeitsuchenden aufgebürdet werden. Fehlen angemessene arbeits- und sozialrechtliche Absicherung sowie Möglichkeiten kollektiver Entgeltfestlegung bei den neuen Beschäftigungsformen, wird arbeiten in solchen Typen von Beschäftigung zu einem für die Betroffenen sehr risikoreichen Abenteuer. Unterbleiben arbeitsmarktpolitisch motivierte Maßnahmen zur Erhöhung der sozialen Sicherheit von Menschen in einem immer dynamischer und flexibler werdenden Arbeitsmarkt, droht einer der Wettbewerbsvorteile der österreichischen Volkswirtschaft - ihr anpassungsfähiger Arbeitsmarkt - zu einem von den Menschen sozial und materiell kaum noch bewältigbaren Abenteuer zu werden. Dann bedeutet Arbeitslosigkeit allzu häufig rasche Verarmungsgefahr, dann bedeutet Arbeitslosigkeit das Abgleiten in noch unsicherere und unattraktive Arbeitsverhältnisse. Die österreichische Arbeitsmarktpolitik hat solche positive Ansätze in Richtung eines Ausgleiches zwischen notwendiger Flexbilität und angemessener sozialer Sicherheit für die Beschäftigten in den letzten Jahren allerdings vermissen lassen.

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