topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/

Kommentar | Stabilitäts- und Wachstumspakt

MEINUNGEN

Neue, flexiblere Vorschläge entschärfen falsche Regeln Die Kritik am Stabilitäts- und Wachstumspakt lässt nicht nach. Viele Experten kritisierten diesen Pakt von Beginn an, weil die Regeln falsch konzipiert seien und daher konjunkturverschärfend wirken könnten. Der mit diesen Regeln einhergehende Druck zum Abbau öffentlicher Defizite würde zu weniger Wachstum führen, eine strikte Anwendung also zu einer hausgemachten, d. h. durch die Budgetpolitik bestimmten Konjunkturabschwächung beitragen.

Stabilitätspakt schwächt europäische Wachstumspolitik

Die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, dass die Experten Recht behalten haben, denn zwischen Konjunktur und Budgetdefizit besteht ein enger Zusammenhang: Niedrige Wachstumsraten des BIP bewirken einen Anstieg der Budgetdefizite - gut ablesbar an der Budgetentwicklung Österreichs im Jahr 2002 - und umgekehrt trägt rasches Wirtschaftswachstum zu deren Abbau bei. Bei geringem Wachstum wachsen auch die Steuereinnahmen langsam und die Defizite steigen; Ausgabenkürzungen führen zu einem Nachfrageausfall und bremsen daher das Wachstum. In einer solchen Situation löst die strikte Anwendung des Stabilitäts- und Wachstumspakts einen Teufelskreis aus, weil steigende Defizite immer wieder neue Ausgabenkürzungen erforderlich machen. Und dieser Teufelskreis ist in Europa - im Gegensatz zu den USA - Wirklichkeit geworden1). In den USA hat der Konjunkturabschwung sofort eine expansive Geld- und Budgetpolitik ausgelöst, um die Nachfrageschwäche zu überwinden. Das (erwartete) Wirtschaftswachstum der USA liegt daher heute über jenem Europas. Es sei daher - so Tichy - nicht der richtige Weg, über eine Entschärfung des Stabilitätspakts nachzudenken, weil die zugrunde liegenden Regeln falsch seien.

Neue Vorschläge zur Verbesserung der Interpretation des Stabilitäts- und Wachstumspakts

Dennoch hält die EU am Stabilitätspakt fest. Die Diskussion kreist auch nach den Aussagen Romano Prodis - der ihn etwas pointiert als »dumm« bezeichnet hat - lediglich um eine flexiblere Handhabung des Pakts. Als besorgniserregend wird gesehen, dass die großen Länder (Deutschland, Frankreich, Italien) die Maastricht-Regeln nicht einhalten (können). Kurioserweise wurden diese Regeln einst von den Deutschen der EU aufoktroyiert, jenem Land also, dem vor wenigen Monaten ein Verfahren wegen eines übermäßigen Defizits2) aufgebrummt wurde. Außer Acht gelassen wird bei der Beurteilung Deutschlands, dass es Sonderlasten aus der Wiedervereinigung jährlich in einer Größenordnung von rund 2% des BIP zu tragen hat. Die Gefahr, in einem Konjunkturabschwung die Dreiprozentgrenze zu überschreiten, ist also sehr groß. Vor dem Hintergrund der nicht enden wollenden Kritik am Stabilitätspakt hat die Europäische Kommission neue Vorschläge ausgearbeitet. Sie sollen eine flexiblere Handhabung ermöglichen, gleichzeitig aber auch eine striktere Einhaltung des Ziels solider und tragfähiger öffentlicher Finanzen ermöglichen. Die Kommission schlug vor, die Anforderung des Stabilitätspakts bezüglich eines nahezu ausgeglichenen Haushalts oder Haushaltsüberschusses nunmehr auf den konjunkturbereinigten Budgetsaldo zu beziehen. Das heißt also, dass konjunkturelle Schwankungen aus dem Budgetsaldo herausgerechnet werden. Dazu wurde auch eine einheitliche Methode zu deren Berechnung vorgeschlagen (siehe Kasten »Drei Schritte zur Berechnung des konjunkturbereinigten Budgetsaldos«).

Auf diesen Vorschlägen basierend hat die Euro-Gruppe am 7. Oktober 2002 einen Beschluss zur Verbesserung der Interpretation des Stabilitäts- und Wachstumspakts mit folgender Kernbotschaft gefasst:

Jene Länder, die noch nicht das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts oder Haushaltsüberschusses erreicht haben, sollen ihren »strukturellen« Budgetsaldo kontinuierlich und jährlich um mindestens 0,5% des BIP anpassen. Länder mit hohem Defizit und Schuldenstand müssen noch stärker konsolidieren. Alle Minister außer jener Frankreichs akzeptierten, dass diese Regel nicht später als im Budget 2003 angewendet werden soll und in den nächsten Stabilitätsprogrammen (samt Maßnahmen) enthalten sein muss. Die diesbezüglichen Anstrengungen werden im Frühjahr 2003 vor dem Hintergrund der Empfehlungen der Grundzüge der Wirtschaftspolitik 2002 und dem Einfluss der Konjunktur überprüft (siehe Kasten »Was ist der strukturelle Budgetsaldo?«).

Weiters wird ausdrücklich festgehalten, dass in konjunkturpolitisch guten Zeiten eine prozyklische Haushaltspolitik, d. h., eine den Konjunkturzyklus verstärkende, vermieden werden sollte. Dieser Hinweis bedeutet, dass unter günstigen Konjunkturbedingungen eine restriktive Budgetpolitik gefahren werden sollte, um die Defizite aus der Periode des Konjunkturabschwungs auszugleichen. Eine expansive Budgetpolitik bleibt nach diesen Beschlüssen nur jenen Ländern vorbehalten, die sich in der Vergangenheit bereits einen ausreichenden Budgetspielraum geschaffen haben. Nur für jene Länder also bringen die neuen Vorschläge eine erhöhte Flexibilität mit sich.

Was bedeutet diese Kernbotschaft nun für die Budgetpolitik Österreichs im Jahr 2003?

Nach den Schätzungen des Bundesministeriums für Finanzen wird der Maastricht-Saldo 2002 bei -1,3% des BIP liegen, der konjunkturbereinigte bei etwa -1% des BIP. Dieser hohe Wert für den konjunkturbereinigten Budgetsaldo kommt deshalb zustande, weil die Berechnungen von Werten nahe der Vollauslastung ausgehen. Das ist bei schwachem Wachstum und steigender Arbeitslosigkeit völlig unplausibel. Ähnlich unplausibel sind auch die Aussagen des Finanzministeriums, wonach die Budgetpolitik des Jahres 2001 mit ihren saftigen Steuererhöhungen praktisch keine prozyklische Wirkung hatte. Auch das ist das Ergebnis der Schätzungen, die ergeben, dass die österreichische Wirtschaft im Jahr 2001 nahe der Vollauslastung war. Das ist bei einem BIP-Wachstum von 1% und einem Anstieg der Arbeitslosenquote von 5,8 auf 6,1% höchst fraglich.
Nach den neuen Regeln zur Überprüfung der Stabilitätsziele muss Österreich demnach seinen strukturellen Budgetsaldo um 0,5% des BIP reduzieren. Dieses Konsolidierungserfordernis gilt erst recht, wenn sich für 2002 ein höherer negativer Budgetsaldo ergeben sollte.

Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass durch die neuen Regeln zwar eine gewisse Flexibilisierung des Stabilitätspakts erfolgte, dass aber falsche Regeln entschärft wurden. Wenn durch das Abstellen auf den konjunkturbereinigten Budgetsaldo zwar grobe Mängel beseitigt werden, so muss dennoch festgehalten werden, dass es Unschärfen gibt und die Gefahr der Manipulation durch »kreative Statistik« besteht. Weiters bedeutet die Zustimmung Österreichs zu den neuen Regeln, dass das öffentliche Haushaltsdefizit 2003 um 0,5% des BIP gesenkt werden muss. Sparen bleibt somit weiterhin der oberste budgetpolitische Grundsatz.

1) Darauf hat Professor Gunther Tichy in einem »Kommentar der Anderen« im Standard vom 14. 10. 2002 hingewiesen.
2) Deutschland überschritt im Jahr 2002 die erlaubte Defizitobergrenze von 3% des BIP.

FAKTEN

3 Schritte zur Berechnung des konjunkturbereinigten Budgetsaldos

1. Festlegung der Stellung im Konjunkturzyklus. 2. Schätzung der Reagibilität der Einnahmen und Ausgaben auf die Konjunkturlücke. 3. Berechnung des konjunkturbereinigten Budgetsaldos. Zur
Ermittlung der Stellung im Konjunkturzyklus erfolgt eine Festlegung auf den Produktionsfunktionsansatz (ab Dezember 2002)3). Das tatsächliche BIP wird jenem gegenübergestellt, das ein Land dauerhaft (durchschnittlich) erreichen kann. Die Differenz ist die so genannte "Outputlücke«. Hinsichtlich der Schätzung der Veränderung der Einnahmen und Ausgaben auf die Outputlücke verwendet die Europäische Kommission die Elastizitäten der OECD.
Diese Festlegungen bringen eine Reihe von offenen Problemen mit sich. Da das BIP häufig revidiert wird, haben diese Revisionen Auswirkungen auf die Outputlücke. Schätzungen von Elastizitäten sind wegen immer wieder auftretenden Strukturbrüchen schwierig. Das zur Glättung der Konjunktur eingesetzte Verfahren wird zum Endpunkt hin ungenau, weil für die Glättung keine Werte mehr zur Verfügung stehen. Insgesamt können sich bei der Konjunkturbereinigung somit Schätzfehler im Bereich von +/- 0,25% des BIP ergeben.

Was ist der strukturelle Budgetsaldo?

administrativer Budgetsaldo
+/- VGR-Korrekturen4)
= ESVG-Saldo5)
+/- Swaps6)
= Maastricht-Saldo
+/- Konjunktureffekte
= konjunkturbereinigter Budgetsaldo
+/- Einmalmaßnahmen
= struktureller Budgetsaldo
+/- langfristige Trends
= dauerhafter Budgetsaldo

3) Österreich, Deutschland und Spanien haben diesbezüglich Vorbehalte angemeldet, weil die bisherigen Schätzungen zu unplausiblen Ergebnissen führten.
4) VGR = Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung
5) ESVG = Europäisches System der VGR
6) Korrekturen des Zinsaufwands unter Berücksichtigung der Forderungen und Verbindlichkeiten aus Währungstauschverträgen (Swaps)

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum