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Der deutsche Nitrofenskandal

KONSUMENTEN

Wieder hat Europa einen Lebensmittelskandal. Auch wenn sich dieser maßgeblich auf Deutschland beschränkt, so zeigt der Fall doch die Anfälligkeit des Lebensmittelbereiches auf Missstände und die Schwierigkeit, diese zu verhindern oder zumindest rasch einzugrenzen und zu lösen.

Die Verunsicherung der Konsumenten ist wieder groß, ob und inwieweit das europäische Lebensmittel- und Veterinärrecht sicherstellt, dass im Binnenmarkt wirklich nur sichere Produkte vermarktet werden. Nitrofen in deutschen Futtermitteln und Lebensmitteln ist nur ein Beispiel, das zeigt, dass die Sorge der europäischen Konsumenten nicht unberechtigt ist.

Sabotageverdacht

Zuerst vermutete man einen gezielten Anschlag auf die hohe Reputation von Bioprodukten durch Sabotage. Zu hoch waren die in Futtergetreide für biologische Betriebe eines Futtermittelerzeugers in Niedersachsen gefundenen Mengen an Nitrofen, als dass man von illegaler Anwendung bei der Produktion dieser Produkte durch unehrliche Bioproduzenten ausgehen konnte.

Nitrofen, welches als Unkrautvernichtungsmittel lange Jahre in Verwendung stand, ist aber seit 1980 in der BRD und seit 1990 auch in den neuen deutschen Bundesländern (Ostdeutschland) verboten. Nitrofen gilt als krebserregend, erbgutverändernd und fruchtschädigend. Als verbotenes Mittel darf es in Lebensmitteln nicht nachweisbar sein und muss daher unter 0,01 mg pro Kilogramm Lebensmittel liegen.

Im Futterweizen wurde es aber in Mengen von mehr als 5 mg pro Kilogramm nachgewiesen. Als Quelle der Belastung wurde in der Folge eine Lagerhalle für Futtergetreide in Malchin in Mecklenburg-Vorpommern identifiziert, in der zu DDR-Zeiten Unkrautvernichtungsmittel gelagert worden waren. In dieser kontaminierte Halle lagerte der Futterweizen, der über den Futtermittelerzeuger als Biofuttermittel den Weg zu Biogeflügelerzeugern fand.

Erst als Nitrofen in der Rohware des Biokindernährmittelherstellers Hipp entdeckt wurde, der die Rohstoffe nicht abnahm, wurden Untersuchungen im vorgelagerten Produktionsbereich in Auftrag gegeben und die Herkunft der Belastung ermittelt. Allerdings dauerte es mehrere Monate von den ersten Erkenntnissen bis zu behördlich durchgeführten Ermittlungsarbeiten.

Putenfleisch und Eier

Nitrofen wurde in Deutschland in Putenfleisch und Eiern nachgewiesen. Die festgestellten Gehalte in den Proben lagen bei 0,07 bis 0,8 mg je Kilogramm Putenfleisch, liegen demnach beim 7- bis 80fachen des Grenzwertes. Mittlerweile wurde bekannt, dass auch konventionelles Futtergetreide für Schweine in dem kontaminierten Betrieb gelagert wurde und Nitrofen damit auch in Schweinefleisch auftauchen könnte. Ob diese Quelle tatsächlich den alleinigen Grund der aktuellen Nitrofenbelastung in Deutschland darstellt, ist noch nicht abschließend geklärt, wird aber von offizieller Seite gegenwärtig mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen.

Risiko für Verbraucher

Das deutsche Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) geht davon aus, dass im Hinblick auf die spezifische Gefährdung von Schwangeren für die duldbare tägliche Aufnahmemenge mit einem Sicherheitsfaktor von 1000 auszugehen ist.

Demnach sollte die tägliche Menge an Nitrofen aus allen Quellen nicht mehr als 0,009 mg sein. Die würde durch den Verzehr von 11 g höchstbelastetem Putenfleisch täglich bereits erreicht werden. Allerdings ist die Belastung der durchschnittlich verzehrten Lebensmittel weitaus niedriger. Auch für Österreich gilt: Die potentielle Gefährlichkeit des Stoffes ist hoch, allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, den Stoff über Lebensmittel aufzunehmen, gering. So soll die einzige Lieferung möglicherweise kontaminierter Lebensmittel aus Deutschland nach Österreich insgesamt 9 Kilogramm Putenbrust gewesen sein. Alle bisherigen Untersuchungen österreichischer Lebensmittel waren Nitrofen-negativ.

Konsequenzen

Konsequenzen für den europäischen Binnenmarkt aus Sicht des AK-Konsumentenschutzes:

Auch wenn sich das Problem weitgehend auf den deutschen Markt eingrenzen lässt, so zeigt der Vorfall, dass nach wie vor der Futtermittelbereich ein besonderes Risiko für Lebensmittel darstellt. Wenn Konsumentenschutz im europäischen Maßstab ernst genommen wird, muss den Kontrollen der Futtermittel ein weitaus höherer Stellenwert zukommen. Das europäische Lebensmittelrecht hat darauf bereits Rücksicht genommen und stellt aus diesem Grund die Anforderungen an die Sicherheit, Kontrolle und Rückverfolgbarkeit bei Futtermittel und Lebensmittel grundsätzlich gleich.

Das aktuelle Problem zeigt aber insbesondere, dass die Systeme der Rückverfolgbarkeit von Futtermitteln und der Rohstoffe bis zu den Verarbeitungs- und Endprodukten über alle Marktteilnehmer hinweg nicht optimal funktionieren. So ist es auf nationalen Märkten und im Binnenmarkt nach wie vor schwierig, betroffene Produkte schnell und effizient zu isolieren und vom Markt zu nehmen.

Auch die Kontrollen sind zu intensivieren, wenn Konsumenten sicher sein wollen, dass Probleme von amtlichen Stellen rasch erkannt werden und entsprechend schnell Abhilfe geschaffen werden kann.

Ergebnisse publizieren!

Aus Sicht der AK ist vor allem eine klare Kompetenz des Gesundheitsministers für Lebensmittel- und Veterinärrecht, aber auch das Futtermittel- oder Pflanzenschutzmittelrecht notwendig. Hier ist eine Einflussnahme der Verantwortlichen für die Landwirtschaft fehl am Platz. Auch müssen die Sanktionen bei Verstößen gegen das Lebensmittelrecht verschärft werden, wenn diese nicht bloß Kavaliersdelikt sein sollen. Eine wichtige Maßnahme stellt die verbindliche Veröffentlichung von allen amtlichen Untersuchungsergebnissen dar. Damit soll Konsumenten volle Transparenz ermöglicht werden.

Nach festgestellten Verstößen sollten über einen bestimmten Zeitraum auf Kosten des betroffenen Betriebes amtliche Nachkontrollen durchgeführt werden, um getroffene Verbesserungsmaßnahmen sichtbar zu machen und zu überprüfen.

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(C) AK und ÖGB

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