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Was ist die Staatliche Wirtschaftskommission?

HINTERGRUND

Die Schließung von Semperit Reifen führt zum Einspruch bei der »Staatlichen Wirtschaftskommission«. Dies bietet nun Gelegenheit, diese Kommission in ihrer Zusammensetzung und Funktion genauer zu beleuchten. Wobei die Arbeitnehmer, wie der Autor ausführt, in Hinkunft öfter auf dieses Schlichtungsinstrument zugreifen werden. Das Interesse der Öffentlichkeit und der Medien wird so geweckt, was bei unsozialen und für Arbeitnehmer nachteiligen Entscheidungen den Druck zur Einigung stärken könnte.

Laut Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) hat der Betriebsrat verschiedene Mitwirkungsrechte in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Diese reichen von Informations-, Interventions- und Beratungsrechten bis hin zur Mitwirkung bei Betriebsänderungen und Mitwirkung im Aufsichtsrat. Diese Instrumentarien wirken vorerst überwiegend auf betrieblicher Ebene.

Bei Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten und bei Unternehmen mit mehreren Betrieben und insgesamt mehr als 400 Beschäftigten ist laut ArbVG § 111 die Weiterbehandlung von Konfliktfällen auch auf überbetrieblicher Basis möglich. So hat der Betriebsrat die Möglichkeit, bei geplanten wirtschaftlichen Maßnahmen, die wesentliche Nachteile für die Beschäftigten bringen, binnen drei Tagen ab Kenntnisnahme Einspruch dagegen zu erheben. Kommt binnen einer Woche ab Erhebung des Einspruchs keine Einigung auf betrieblicher Ebene zustande, so haben der Betriebsinhaber oder auch der Betriebsrat binnen weiterer drei Tage die Möglichkeit, den Konflikt über einen Antrag auf die Ebene der Kollektivvertragspartner zu heben.

Schlichtungsverhandlungen

Auf Antrag einer der beiden Parteien können (müssen aber nicht) die kollektivvertragsfähigen Körperschaften in einer paritätisch besetzten Schlichtungskommission Schlichtungsverhandlungen einleiten. Die Schlichtungskommission hat prinzipiell nur eine vermittelnde Funktion. Sie kann Schiedssprüche nur fällen, sofern sich die Streitparteien im Vorhinein schriftlich darauf festlegen, sich diesen Schiedssprüchen auch zu unterwerfen. Wenn innerhalb von zwei Wochen ab Antragstellung bei der Schlichtungskommission weder eine Einigung noch ein Schiedsspruch zustande kommt, so haben Betriebsratskörperschaften von Betrieben mit mehr als 400 Beschäftigten die Möglichkeit (§ 112 ArbVG), binnen einer Woche einen Einspruch bei der Staatlichen Wirtschaftskommission zu erheben.

Sofern es sich um eine Angelegenheit von gesamtwirtschaftlicher Bedeutung handelt, der Betriebsrat einen Einspruch beim Betriebsinhaber erhoben hat und binnen einer Woche keine Einigung erfolgt ist, kann der Betriebsrat binnen einer weiteren Woche direkt (ohne Schlichtungskommission) über den Österreichischen Gewerkschaftsbund einen Einspruch bei der Staatlichen Wirtschaftskommission erheben.

Dem ÖGB wird dabei anheim gestellt, den Antrag zurückzuhalten, unmittelbar weiterzuleiten oder auch sich vermittelnd einzuschalten. In jedem Fall ist der Antrag auch zu begründen und der Nachweis der Einhaltung der entsprechenden Fristen zu führen.

Vorsitz: Der Herr oder die Frau Minister

Die Staatliche Wirtschaftskommission ist je nach Art des Unternehmens (Verkehrsunternehmen, Unternehmen mit staatlichem Miteigentum, sonstige Unternehmen) unter Vorsitz des oder der jeweils zuständigen Herrn oder Frau Minister oder einer entsprechend bestellten Vertretung einzurichten. Neben jeweils vier weiteren Mitgliedern, die von der Wirtschaftskammer Österreich und von der Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte entsendet werden, nehmen eine Reihe weiterer Mitglieder mit beratender Stimme teil.

Die Staatliche Wirtschaftskommission hat den Auftrag, entsprechende Vorschläge zu erstatten und eine Einigung zwischen Betriebsrat und Betriebsinhaber anzustreben. Kommt eine Einigung nicht zustande, so hat der Betriebsinhaber der Staatlichen Wirtschaftskommission jedenfalls alle von dieser angeforderten Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Die Staatliche Wirtschaftskommission hat dann in Form eines Gutachtens festzustellen, ob der Einspruch gerechtfertigt ist. Gegen dieses ist zwar kein ordentliches Rechtsmittel zulässig - andererseits sind die erstatteten Gutachten aber auch nicht bindend.

Die Staatliche Wirtschaftskommission in der Vergangenheit

Eine Anrufung der Staatlichen Wirtschaftskommission wurde in der Vergangenheit von Betriebsratskörperschaften bzw. in der Folge vom ÖGB nur selten ins Auge gefasst. Getagt hat die Staatliche Wirtschaftskommission bislang bei den Einsprüchen gegen die Wirtschaftsführung betreffend die Firmen Ingelen Radiowerke in den Jahren 1975/76 und Wien-Milch AG in den Jahren 1994-96. In beiden Fällen kann die Tätigkeit der Staatlichen Wirtschaftskommission aus der Sicht der Arbeitnehmervertretungen nicht als erfolgreich angesehen werden. Abgesehen vom bereits historischen Fall Ingelen lassen sich aus dem Einspruch gegen Wien-Milch und den darauf folgenden Ereignissen mitunter einige Punkte herausfiltern, die zum Misserfolg führten. Bei der zum Raiffeisenverband gehörenden Wien-Milch ging es um die geplante Stilllegung des Wiener Produktionsstandortes im Zuge der Bestrebungen, die Anzahl der Molkereien zu reduzieren. Die Arbeitnehmervertretung versuchte einerseits, die Qualität des Standortes Wien zu untermauern, andererseits den angebotenen - sehr schlechten - Sozialplan zu verbessern.

Von Anfang an wurde vom Unternehmen die Zuständigkeit der Staatlichen Wirtschaftskommission bestritten. In der Folge gelang es dem Unternehmen, die erste Einberufung der Kommission derart lange zu verzögern, dass ein großer Teil der Maschinen und Anlagen vom Standort Wien bereits abtransportiert war, als die Kommission mit ihren Verhandlungen begann. Ohne die Motive näher beleuchten zu wollen, kann festgestellt werden, dass das zuständige Wirtschaftsministerium alles daransetzte, zu einer Schlichtung zu kommen, um ein formelles Gutachten zu vermeiden. Eine Einigung gelang zwar nicht, allerdings kam auch kein Gutachten zustande, da festgestellt wurde, dass im Zuge der Antragstellung eine vorgesehene Frist nicht eingehalten wurde. Die Kommission wurde daher ohne Ergebnis aufgelöst.

Der Fall Semperit in der Staatlichen Wirtschaftskommission

Eine Neuauflage der Staatlichen Wirtschaftskommission gab es erst wieder im Jänner 2002 im Zuge des Kampfes der Belegschaft der Semperit Reifen GmbH gegen die Schließung des Werkes in Traiskirchen durch die deutsche Muttergesellschaft Continental AG. Continental hatte formal beschlossen, die Reifenproduktion am Standort Traiskirchen endgültig einzustellen und zu verlagern. Nur noch Service und Vertrieb sollen letztendlich von Österreich aus betreut werden. Von den 1450 Beschäftigten sind im Laufe des Jahres 950 von der Schließung betroffen. Weitere 300 im Laufe des kommenden Jahres.

Seit vielen Jahren erleben die Beschäftigten von Semperit eine äußerst wechselvolle Zeit. Einst ein voll integriertes Unternehmen im Eigentum der verstaatlichten Creditanstalt, geriet es spätestens Anfang der 80er in Probleme. Aufgrund der schlechten Konjunktursituation, der Kostensteigerungen auf dem Rohstoffmarkt, der Wettbewerbsnachteile durch die im Vergleich geringen Losgrößen und der erdrückenden internationalen Konkurrenz wurden im damaligen Unternehmen existenzgefährdende Verluste angehäuft. Durch verschiedenste Maßnahmen und Zuschüsse in der Höhe von mehr als 87 Millionen Euro wurde die Semperit Reifen GmbH mit rund 3000 Beschäftigten neu strukturiert.

Im Glauben, nur so die langfristige Existenz des Unternehmens sichern zu können, wurde Semperit Reifen 1985 um rund 11,7 Millionen e (und der Zusage von weiteren Fördermitteln in der Höhe von rund 69 Millionen e) an die Continental AG verkauft. Vereinbart wurde darüber hinaus eine zehnjährige Beschäftigungsgarantie für die nach der Sanierung angepeilten 2400 Beschäftigten. In der Folge wurden sukzessive die Möglichkeiten der Semperit Reifen, selbst agieren zu können, eingeschränkt. Produktionen wurden in den Osten verlagert, Gebietszuständigkeiten entzogen, Gewinne abgezogen, die Forschungsabteilung geschlossen usw.

Mit dem Auslaufen der 10-Jahre-Garantie für die Beschäftigungssicherung und dem EU-Verbot der Vereinbarung Österreichs mit Japan zur Lieferung von Autoreifen im Abtausch mit einer Zollvergünstigung für japanische Autos, wurde die Lage Mitte der 90er für die Beschäftigten noch enger. Eine Schließung drohte unmittelbar. Nur unter Mitwirkung und mit großem Einsatz unter anderen der damaligen Bundesregierung, der Gewerkschaften und der AK konnte dies verhindert werden. Allerdings sank die Produktion und die Beschäftigung in der Folge (mit einigen Auf und Abs) auf den heutigen Stand. Im Dezember 2001 erfolgte im Aufsichtsrat der Continental AG der endgültige Schlie-ßungsbeschluss. Abgesehen von konjunkturellen Einbrüchen war das Werk in Traiskirchen über die Jahre gewinnbringend. Insgesamt hat Continental etwa 436 Millionen Euro aus dem Unternehmen gezogen. Zu wenig offenbar. Die Proteste der Regierung waren enden wollend.

Nachdem sich die Geschäftsführung weigerte, eine beantragte Schlichtungskommission zu installieren, erhob der Betriebsausschuss der Semperit Reifen GmbH über den ÖGB Einspruch gemäß § 112 Abs 1 Z 2 ArbVG. Die bereits in diesem Einspruch dargelegten Argumente bezüglich der volkswirtschaftlichen Relevanz wurden seitens der Arbeitnehmervertretungen in der ersten Sitzung der Staatlichen Wirtschaftskommission »Semperit« im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit ausführlich dargelegt, begründet und mit Zahlen untermauert.

Von Seiten der Vertreter der Wirtschaftskammer Österreich wurde die volkswirtschaftliche Relevanz zur Diskussion gestellt und die Forderung des Betriebsrates nach Errichtung einer Schlichtungskommission bestritten - allerdings ohne die Zuständigkeit der Staatlichen Kommission damit in Frage zu stellen. Die Arbeitnehmervertretungen verlangten in den Sitzungen die Rücknahme des Beschlusses zur Schließung der Produktion am Standort Traiskirchen, die Unterstützung von allfälligen Verkaufsverhandlungen durch das Management, die ausreichende Dotierung der Arbeitsstiftung, die Garantie der Ausfinanzierung des Sozialplanes, die Lösung des Problems der Beschäftigung der älteren Arbeitnehmer und jenes der in Ausbildung befindlichen Lehrlinge.

Nachdem das Management von Semperit bereits eingangs erklärt hatte, dass die Rücknahme des Schließungsbeschlusses nicht in seinem Einflussbereich liege - und eine solche auch vom Mutterkonzern nicht zu erwarten sei -, konnte man über die restlichen Punkte in den Sitzungen der Staatlichen Wirtschaftskommission Einverständnis erzielen.

Der Fall »Post AG«

Im Zuge der umstrittenen Neuorganisation der Post AG in fünf Teilbereiche hat der ÖGB zuletzt medienwirksam ebenfalls einen Einspruch laut § 112 ArbVG erhoben und Begründungen für die volkswirtschaftliche Relevanz vorgelegt. Demnach wurden massive Kostenerhöhungen durch den Verlust von Synergieeffekten und der Verlust von Arbeitsplätzen befürchtet. Da der Vorstand des Unternehmens die Rechtmäßigkeit des Einspruchs aufgrund Fristversäumnis bezweifelte, ließ der zuständige Bundesminister für Finanzen eine rechtliche Prüfung einleiten. Gleichzeitig forderte der Finanzminister die beiden Parteien zu weiteren internen Verhandlungen auf, um zu Lösungen bei den strittigen Problemen zu kommen. In diesen Verhandlungen gelang es dem Betriebsrat schließlich, durch Unterschrift des Managements festzuhalten, dass die geplante Umstrukturierung nicht zu einer gesellschaftsrechtlichen Teilung des Unternehmens und in der Folge zu Teilverkäufen führen wird und die Synergieeffekte zwischen den einzelnen Sparten weiter genützt werden. Zu einer Einberufung der Staatlichen Wirtschaftskommission kam es daher nicht.

Inwieweit kann das Instrument der staatlichen Wirtschaftskommission nützlich sein?

Obwohl über die aufgezeigten Einspruchsrechte der Arbeitnehmer faktisch nichts erzwungen werden kann, kann im Einzelfall ihre Inanspruchnahme für bestimmte Probleme offensichtlich dennoch wirkungsvoll sein. Dabei ist jedenfalls auf die mögliche Moderationsfunktion durch das jeweils zuständige Ministerium hinzuweisen - die sich allerdings von Fall zu Fall unterschiedlich darstellen kann. In diese Richtung hilfreich ist auch die Größe und der offizielle und formelle Charakter der Kommission. Den Druck hin zu einer Einigung erhöhen dürfte auch sicherlich das Interesse der Öffentlichkeit bzw. der Medien: Es ist sicher unangenehm für die betroffenen Managements, Entscheidungen mit erheblichen sozialen Folgen oder Entscheidungen, die unter Umständen nicht jeder objektiven Prüfung standhalten, über Wochen zu diskutieren und vor den Medien breitzutreten.

Aufgrund der Erfahrungen der letzten Monate bietet sich für die Arbeitnehmer daher an, in Zukunft diesem Instrumentarium jedenfalls verstärkte Aufmerksamkeit zu schenken. In jedem Einzelfall ist natürlich sorgsam zu prüfen, ob ein Einspruch bei der Staatlichen Wirtschaftskommission in Verbindung mit anderen Maßnahmen tatsächlich zu positiven Ergebnissen für die betroffenen Arbeitnehmer und die Volkswirtschaft führen kann. Längerfristig schädlich wäre jedenfalls eine inflationäre Inanspruchnahme des Instrumentes und eine Inanspruchnahme in Fällen, in denen schon vorab kein Erfolg zu erwarten ist.

Als mögliche gesetzliche Verbesserungen wären aus den bisherigen Erfahrungen verschiedene Punkte zu erwähnen: So sind die im Gesetz geregelten Fristen für die verschiedenen einzuhaltenden formalen Voraussetzungen aufgrund der oft komplexen Fragestellungen äußerst knapp bemessen.

Anders als im Vorfeld der Anrufung der Staatlichen Wirtschaftskommission werden dann aber zur Einberufung dieser Kommission keine Fristen vorgegeben - was sich für die Arbeitnehmerseite als nachteilig erweisen kann, weil vom Management eine nicht reversible Faktenlage (Abtransport von Maschinen usw.) geschaffen werden kann. Zu überlegen wäre auch, eine Frist für die Vermittlungsbemühung beziehungsweise die Erstellung eines Gutachtens zu setzen.

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(C) AK und ÖGB

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