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Quo vadis Italia? | Die Regierung Berlusconi kündigt die Sozialpartnerschaft und provoziert damit einen Generalstreik

INTERNATIONALES

Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi duldet keinen Widerspruch. Seit dem Macht- antritt verfolgt er entschlossen sein Projekt: Die Umformung der italienischen Demokratie in eine (besser: seine) autoritär geführte Privatfirma. Doch nun regt sich breiter Widerstand. Am 16. April 2002 beteiligten sich mehr als 13 Millionen Beschäftigte an einem Generalstreik gegen die Regierung Berlusconi und die von ihr geplante Aushöhlung des gesetzlichen Kündigungsschutzes.

Mit diesem Streik warnten die italienischen Gewerkschaften Berlusconi ausdrücklich vor einer einseitigen Revision des Kündigungsschutz-Artikels 18 des »Statuts der Arbeiter«.

Berlusconi für die Legalisierung missbräuchlicher Kündigungen

Gemäß Kabinettsbeschluss vom 14. März 2002 soll es Arbeitgebern künftig erlaubt sein, bestimmte Beschäftigte auch »ohne guten Grund« zu entlassen. Dieser Beschluss betrifft vor allem diejenigen, die heute schon zu den Benachteiligten auf dem italienischen Arbeitsmarkt zählen, nämlich die nur befristet Beschäftigten und die zur »Schwarzarbeit« gezwungenen. Sie müssten ihren Traum einer »festen« Stelle endgültig begraben. Auch wenn ihr Arbeitsverhältnis formal in ein »unbefristetes« umgewandelt werden würde, schützte sie der revidierte »Artikel 18« des »Statuts der Arbeiter« nicht mehr. Wie vor Verabschiedung dieses Statutes im Jahre 1970, wären sie ihrem Arbeitgeber weitgehend ausgeliefert. Hinzu kommt, dass es in Italien weder eine funktionierende Arbeitslosenversicherung noch staatliche Sozialhilfe gibt.

Auf Druck der separatistischen Lega Nord, der Partei des Arbeitsministers, sollen die Beschäftigten in Norditalien teilweise von der Abschaffung des Kündigungsschutzes vorerst verschont bleiben. Das »Statut der Arbeiter« soll dann 2003 durch ein neues »Statut der Arbeiten« vollkommen ersetzt werden. Falls das Parlament die Regierungsvorlage annimmt, würden in Italien künftig unterschiedliche soziale Grundrechte gelten, je nachdem, in welcher Region und zu welchen Bedingungen jemand angestellt ist.

Ende der italienischen Sozialpartnerschaft

Die Entschiedenheit, mit der Silvio Berlusconi die italienische Sozialpartnerschaft aufkündigte, überraschte viele gemäßigte Gewerkschafter. Insbesondere der Generalsekretär der katholischen Confederazione Italiana Sindacati Lavoratori (CISL), Salvino Pezzotta, ging davon aus, dass auch die neue Regierung den sozialen Ausgleich suchen würde. Diese Einschätzung wurde durch die Präsenz einiger »moderater«, christdemokratischer und postfaschistischer Politiker in der Regierung Berlusconi gestützt, mit denen die CISL relativ gute Kontakte pflegt.

Unterdessen musste jedoch auch Pezzotta feststellen, dass Berlusconi den Konflikt mit allen Gewerkschaften sucht. Bislang geben in seinem Kabinett diejenigen Parteien den Ton an, die mit einer sozialpartnerschaftlichen Politik nichts zu tun haben möchten, nämlich Berlusconis Klientelpartei Forza Italia und die rechtsradikale Lega Nord. Silvio Berlusconi ist nicht gewillt, seine politischen Entscheidungen mit anderen gesellschaftlichen Akteuren abzusprechen, geschweige seine Macht mit irgendjemandem zu teilen. Jeder potentiellen Gegenmacht - der unabhängigen Justiz, den öffentlich-rechtlichen Medien, den sozialen Bewegungen - und nun auch den Gewerkschaften -, die sich seinem umfassenden Herrschaftsanspruch entgegenstellen könnte, hat er den Fehdehandschuh hingeworfen (siehe Kasten »Berlusconis Kampf gegen den Rechtsstaat ...«).

Gewerkschaftlicher Widerstand

Die mit 5,4 Millionen Mitgliedern größte Gewerkschaft Italiens1), die linke Confederazione Generale del Lavoro (CGIL), beschloss bereits im Februar 2002, eine Großdemonstration sowie einen Generalstreik gegen die geplante Änderung des »Artikels 18« zu organisieren. Für den besonnenen Generalsekretär der CGIL, den ehemaligen Chemieangestellten Sergio Cofferati, hatte die Regierung Berlusconi mit der vorgeschlagenen Aushöhlung des Kündigungsschutzes den Bogen überspannt: »Über Löhne kann man immer verhandeln, über Rechte nicht.«

Die Gewerkschaft CISL und die sozial-liberale Unione Italiana del Lavoro (UIL) reagierten erst verärgert über den Vorstoß der CGIL, da sie Berlusconi mittels weitreichender Kompromissangebote in der Tarif- und Arbeitsmarktpolitik von einer Änderung des Artikels 18 abhalten wollten. Deshalb beteiligten sie sich auch nicht an der CGIL-Großdemonstration am 23. März in Rom, woran dennoch mehr als zwei Millionen Menschen teilnahmen.

Da die italienische Regierung trotzdem stur auf dem vom Industrie-Arbeitgeberverband Confindustria propagierten Konfrontationskurs beharrte, sahen auch CISL und UIL keine Alternative mehr zu einem Generalstreik. Selbst die postfaschistische Gewerkschaft UGL, die der Alleanza Nazionale, der Partei des stellvertretenden Premierministers Fini nahe steht, schloss sich dem Generalstreik von CGIL, CISL und UIL vom 16. April 2002 an.

Gewerkschaften = »Helfershelfer des Terrorismus«

Der breiten Mobilisierung der Gewerkschaften folgte eine weitere Regierungsattacke: Nach der beeindruckenden Demonstration vom 23. März 2002 bezeichneten drei Minister Berlusconis die Gewerkschaften »als eine Gefahr für die Demokratie« sowie als »Helfershelfer des Terrorismus«. Sie beschuldigten die Gewerkschaften, Verursacher des politischen Mordes vom 19. März 2002 an Marco Biagi, einem Arbeitsrechtsprofessor und Berater des Arbeitsministeriums, zu sein.

Von Berlusconi verlangten die Gewerkschaften umgehend eine Entschuldigung, zumal sie selbst mehrmals Opfer von Terroranschlägen wurden. Berlusconi ging nicht auf diese Forderung ein und verkündete stattdessen, dass er »weder vor den Schlägen der Staatsanwaltschaft, den Schlägen der >Piazza< noch den Schlägen der Pistolen« zurückweichen werde. Dies sei er Marco Biagi schuldig. Allerdings scheint die Familie des - laut Bekennerschreiben von den Roten Brigaden ermordeten - Professors nicht besonders gut auf die Berlusconi-Regierung zu sprechen zu sein. Das Angebot eines Staatsbegräbnisses wurde von dessen Witwe aus privaten Gründen dankend abgelehnt.

Freunde der Familie erklärten dies mit der Verbitterung über die italienischen Behörden, die im Herbst 2001 Marco Biagi den Polizeischutz entzogen haben - ungeachtet mehrfach eingegangener Morddrohungen.

Scheitert Berlusconi an seinem totalen Herrschaftsanspruch?

Trotz Berlusconis Beharrlichkeit könnten die Gewerkschaften die Auseinandersetzung mit der Regierung gewinnen. Die Gewerkschaften konnten Millionen von Menschen mobilisieren und schafften es, alle Berlusconi-kritischen gesellschaftlichen Strömungen, soziale Bewegungen und Parteien zusammenzubringen. Die Gewerkschaften bewiesen, dass es Berlusconi trotz Kontrolle über alle Fernsehkanäle nicht gelingt, den Widerspruch gegen seine Politik zu ersticken. Je näher der Generalstreik vom 16. April 2002 rückte, desto mehr Berlusconi-kritische Stimmen meldeten sich zu Wort, auch im Regierungslager.

Inzwischen zweifeln sogar Arbeitgebervertreter, wie z. B. der Generalsekretär des Arbeitgeberverbandes des Einzelhandels, Confcommercio, Billè, öffentlich an der sturen Haltung des Regierungschefs. Letztlich könnte Berlusconi gerade an seinem absoluten Herrschaftsanspruch scheitern, denn dieser lässt sich in der italienischen Gesellschaft kaum durchsetzen, zumindest nicht auf demokratisch-rechtsstaatliche Weise.

1) Die CGIL gehört zu den wenigen europäischen Gewerkschaften, die steigende Mitgliederzahlen und einen über 30-Prozent-Anteil jugendlicher Mitglieder (unter 30 Jahren) aufweisen können.

BERLUSCONIS KAMPF GEGEN DEN RECHTSSTAAT ...

Laut Berlusconis »Justizreform« soll das Parlament künftig von Jahr zu Jahr die Prioritäten für die Strafuntersuchung festlegen. Folglich könnte Berlusconis Parlamentsmehrheit künftig noch einfacher unerwünschte Strafuntersuchungen verhindern. Bislang griff die rechte Parlamentsmehrheit zu Gunsten Berlusconis in laufende Strafverfahren ein, indem sie mittels verschiedener Gesetzesänderungen und Dekrete:

  • den Straftatbestand der Bilanzfälschung rückwirkend entkriminalisierte (gegen Berlusconis Holdinggesellschaft, Fininvest, läuft ein Strafverfahren wegen Bilanzfälschungen in der Höhe von 774 Millionen Euro);
  • das Rechtshilfeabkommen Schweiz-Italien sabotierte (die Schweizer Justiz stellte auf Antrag der Mailänder Staatsanwaltschaft Beweise sicher, die Berlusconi und seinen Anwalt in Sachen Richterbestechung schwer belasten);
  • Berlusconis Medienmonopolbesitz per Gesetz vor Interventionen der Kartellbehörden schützte;
  • den Staatsanwälten, die u. a. gegen Berlusconi in Sachen Korruption, Bestechung und Bilanzfälschung ermitteln, schlicht den Polizeischutz entzog.


Im Januar 2002 rief deshalb der oberste Staatsanwalt Mailands in seiner offiziellen Neujahrsansprache die Bürger zum Widerstand gegen die Politik Berlusconis auf:»Resistere! Resistere! Resistere!«. Es folgten mehrere Demonstrationen mit bis zu 500.000 Teilnehmern. Für Mitte Juni kündigte die »Kammer der Richter und Staatsanwälte« sogar einen landesweiten Streik der Gerichte gegen Berlusconis Rechtspolitik an.

… UND GEGEN DIE INFORMATIONSFREIHEIT

Beim staatlichen Rundfunk RAI setzte Berlusconis Mehrheit einen neuen Generaldirektor ein, der sofort die meisten Programmchefs der verschiedenen TV- und Nachrichtensender mit Parteigängern der Regierung neu besetzte. Diese Neubesetzungen sollen laut Berlusconis Rhetorik sicherstellen, dass die »RAI endlich wieder objektiv berichtet«. Er habe zudem keine »schwarzen Listen« von zu entlassenden Journalisten erstellt. Diejenigen RAI-Medienschaffenden, die »ihre Meinung ändern« und künftig »objektiv berichten würden«, würden - laut Berlusconi - auch künftig nicht entlassen. Diese Äußerung zeigt, wie wichtig der Kündigungsschutz insbesondere für die Verteidigung der Meinungsfreiheit ist. Deshalb schlossen sich auch die Journalisten aller TV-Sender mehr oder minder komplett dem Generalstreik an.

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