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Eckpunkte für den Abschluss von EBR-Vereinbarungen
Unterrichts- und Anhörungsrechte

Der Europäische Betriebsrat | Papiertiger oder Exportschlager der Mitbestimmung?

HINTERGRUND

Als Meilenstein in der Geschichte betrieblicher Mitbestimmung feierten die europäischen Gewerkschaften die Einrichtung des »Euro-Betriebsrates«: Die EU-Richtlinie zum »Europäischen Betriebsrat« (EBR), die 1994 erlassen wurde, legt die Basis grenzübergreifender Gewerkschaftsarbeit in multinationalen Konzernen. In Zeiten sich überstürzender Fusionen, Übernahmen und Verlagerungen von Unternehmen an billigere Standorte ist sie ein wichtiges Instrument der Mitbestimmung für jene Arbeitnehmer, die im selben Unternehmen, aber in verschiedenen Ländern tätig sind. Acht Jahre nach Verabschiedung durch den EU-Ministerrat tritt die Umsetzung der Richtlinie heuer in eine entscheidende Phase: Die Revision der Direktive zum »Euro-Betriebsrat«, die eigentlich schon für 1999 vorgesehen war, scheint unmittelbar bevorzustehen. Sie wird zeigen, ob das Rechtsinstitut des transnationalen Betriebsrates zum Papiertiger oder zum Exportschlager aus der Sparte »Demokratisierung der Arbeitswelt« wird.

Mehr als 20 Jahre zäher Diskussionen und Verhandlungen hatte es gedauert, ehe die Widerstände von Arbeitgeberverbänden und einzelner Regierungen überwunden waren. Am 22. September 1994 schließlich verabschiedete der - damals noch elfköpfige - Europäische Rat in Brüssel die »Richtlinie 94/45/EG«. Deren sperrige Bezeichnung im vollen Wortlaut, die seine Kernaufgaben vorweg umreißt: »Richtlinie über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrates oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftlich operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen.«

Wo die Entscheidungen fallen ...

»Eine Einrichtung, die es überhaupt erst ermöglicht, dass >nationale< Betriebsräte, deren Recht ja an der Staatsgrenze endet, einen Fuß dort hineinbekommen, wo die Entscheidungen tatsächlich fallen«, urteilt Wolfgang Greif, internationaler Sekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA).

Die EU-Richtlinie ermöglicht es, in allen Unternehmen oder Unternehmensgruppen mit mehr als 1000 Arbeitnehmern - vorausgesetzt sie beschäftigen in wenigstens zwei Mitgliedstaaten der EU oder des Europäischen Wirtschaftsraumes mindestens 150 Personen - dieses grenzübergreifende Vertretungsorgan der Arbeitnehmer einzurichten.

Wirksam wurde dieses Instrument allerdings erst durch die Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten, die Mindestbestimmungen der Richtlinie in die jeweilige nationale Rechtsordnung zu übernehmen. In Österreich wurde die EBR-Richtlinie im Herbst 1996 über eine Novelle des Arbeitsverfassungsgesetzes (ArbVG) in die heimische Rechtsordnung umgesetzt.

Potentiell sind europaweit heute mehr als 1800 Konzerne von der EBR-Richtlinie betroffen. Derzeit gibt es in rund einem Drittel davon, nämlich in etwa 670 Konzernen, bereits etablierte Euro-Betriebsräte. Die meisten davon in der Metall- und Elektroindustrie, in der Chemie- und Pharmabranche, gefolgt von der Nahrungsmittel- und der Bauindustrie, dem Finanz- und Tourismusbereich und dem unternehmensnahen Dienstleistungssektor.

»Österreicher mischen mit ...«

In Österreich unterliegen hinsichtlich der EBR-Richtlinie etwa 45 Konzerne mit zentraler Leitung im Inland dem heimischen Arbeitsverfassungsgesetz. In 15 davon gibt es bereits einen Euro-Betriebsrat. Vertragsabschlüsse dazu sind etwa bei der OMV, bei VA Tech und VA Stahl und bei Böhler Uddeholm erfolgt oder beim Feuerfestkonzern RHI. »In diesen - salopp gesagt - österreichischen Konzernen sitzen im Regelfall sechs bis zehn Österreicher im Euro-Betriebsrat. Je nach Stärke und geographischer Ansiedlung des internationalen Engagements sind dann auch Deutsche, Briten, Franzosen oder eben Vertreter anderer Nationen drinnen«, erklärt Wolfgang Greif.

Für Österreich wichtiger seien aber die Konzerne, die ihre Zentrale außerhalb unserer Landesgrenze haben. Ihre Zahl schwankt zwischen 130 und 140; darunter sind zum Beispiel der deutsche Siemens-Konzern, die skandinavische Unternehmensgruppe Ericsson, aber auch US-amerikanische wie der Multi IBM. »Alles was Rang und Namen hat in der europäischen Industrie, verfügt heute über einen Euro-Betriebsrat und überall dort mischen Österreicher mit«, beurteilt Greif das Gremium, das im Schnitt mit einem bis drei Euro-Betriebsräten aus Österreich bestückt ist.

Was ist nun der Europäische Betriebsrat bzw. was legt die EBR-Richtlinie als seine Funktionen fest? Im Wesentlichen orientiert sich die Richtlinie an nationalen Modellen der betrieblichen Interessenvertretung. Was allerdings seine Kompetenzen betrifft, entspricht der europäische nicht exakt dem österreichischen Betriebsrat. Festgelegt werden grundlegende Informationspflichten der Unternehmensleitung. So sind die Arbeitnehmervertreter über die Entwicklung der Geschäftslage des Konzerns in allen relevanten Aspekten, von finanzieller und wirtschaftlicher Lage bis hin zur Beschäftigungssituation, geplanten Entlassungen und Produktionsverlagerungen, Fusionen oder Schließungen, zu unterrichten.

Information und Konsultation

Information heißt auch, dass der Austausch zwischen den Arbeitnehmervertretern unterschiedlicher Standorte und Länder ermöglicht und in die Wege geleitet werden muss. Umgekehrt besteht auch das Recht auf Anhörung bzw. Konsultation der Arbeitnehmervertreter: So verlangt die Richtlinie einen Meinungsaustausch und die Einrichtung eines Dialogs zwischen Management und Arbeitnehmern.

Durch die »Umsetzung in nationales Recht«, zu der sich die EU-Mitgliedstaaten bis spätestens 22. September 1996 verpflichtet hatten, wurde die Richtlinie an die nationalen Besonderheiten angepasst und in nationale Gesetze übergeführt. In erster Linie stellen die jeweiligen nationalen EBR-Vorschriften die Verfahrensregeln für das Zustandekommen eines EBR zur Verfügung. Sollten die Verhandlungen zwischen der Konzernleitung und Arbeitnehmervertretung zu keinem Abschluss kommen, sind darin auch Bestimmungen zur Einrichtung eines Euro-Betriebsrates »kraft Gesetz« vorgesehen. Eine Vorkehrung, die allerdings in den seltensten Fällen zum Tragen kommt. Wenn es darauf ankommt, so die Erfahrung der Gewerkschaften, zieht das Management in der Regel doch eine verhandelte Lösung vor.

Gesetze und Landesgrenzen

Was das legistische Rahmenwerk zur Mitbestimmung über die Landesgrenzen hinaus betrifft, können die Gewerkschaften vorerst zufrieden sein. Mit einer zweiten Richtlinie, die im Dezember 2001 beschlossen wurde, sind auf nationaler Ebene die rechtlichen Grundlagen geschaffen, die eine effektive Arbeit von Euro-Betriebsräten erst ermöglichen. Durch diese Rahmenrichtlinie über Information und Konsultation der Arbeitnehmer in der EU (in Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten) werden den Betriebsräten Informations- und Anhörungsrechte eingeräumt.

Das ist vor allem für jene Länder von Bedeutung, wo es keine festgeschriebenen Konsultationsrechte der Arbeitnehmervertreter in den Betrieben gibt, wie etwa in Großbritannien oder Irland. »Eine Bestimmung, die quasi das nationale >Unterfutter< für die Tätigkeit des Euro-Betriebsrates ist«, meint Wolfgang Greif. Nunmehr müssen die Betriebsräte auch auf nationaler Ebene über wesentliche Fragen des Unternehmens wie wirtschaftliche Lage und geplante Veränderungen der Beschäftigungssituation informiert werden.

Bei der EBR-Richtlinie, die ja die grenzübergreifende Mitbestimmung anstrebt, war das Informations- und Anhörungsrecht seit Beginn wesentliches Element.

Realität nicht rosig

Dass die Realität nicht so rosig ist, wie es die EBR-Richtlinie festlegt, wissen die beteiligten Betriebsräte. Sprachprobleme, fehlende Zeit und Ressourcen sind nur die vordergründigen Hindernisse in der Euro-Betriebsratsarbeit. Auch die unterschiedliche Auffassung, was unter »Information« zu verstehen ist, behindert die Euro-Betriebsräte. Und vor allem: Versteht die Arbeitnehmervertretung dasselbe wie das Management unter »rechtzeitig zu erfolgender Information«? So kommt es immer wieder vor, dass ein europäischer Betriebsrat über bereits gefällte Entscheidungen informiert wird. »Schmeck's,« sozusagen, »der Betrieb wird geschlossen!«

Ein Übel, das zumindest auf dem Papier demnächst behoben werden könnte. Die Revision der Richtlinie könnte im heurigen Jahr über die Bühne gehen. Als günstiges Zeichen in dieser Richtung werden zwei Gesetzgebungsverfahren zur Arbeitnehmermitbestimmung gewertet, die im Vorjahr umgesetzt wurden und indirekt Einfluss auf die EBR-Tätigkeit haben: Die Verabschiedung der oben erwähnten Richtlinie über die Informations- und Anhörungsrechte von Betriebsräten in Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten und das Statut zur Arbeitnehmerbeteiligung an der Europäischen Aktiengesellschaft, das nach 30-jährigem Diskussionsprozess im vergangenen Oktober beschlossen wurde. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Gesetzlicher Rahmen und Praxis: Revision notwendig!

Die Revision der EBR-Richtlinie soll nun den gesetzlichen Rahmen an die Praxis anpassen. Eine Aktualisierung, die bereits für 1999 festgelegt worden war, aber mangels Interesse seitens Arbeitgeberverbänden und einzelner Regierungen liegen geblieben war.

Für den Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) und den ÖGB gibt es mehrere Eckpunkte in Richtung Revision. In erster Linie ist sehr genau zu definieren, was eine umfassende, rechtzeitige und permanente Information ist. Wolfgang Greif: »Wenn diese Definition in der EBR-Richtlinie genauer festgelegt ist, werden auch die Vereinbarungen auf Konzernebene besser ausgestattet und formuliert sein, um eine Anhörung vor Entscheidungsfindung zu ermöglichen.«

In zweiter Linie ist festzulegen, was passiert, wenn ein Konzernmanagement seine Informationspflicht nicht einhält. Sanktionen sind nämlich in der bisherigen Richtlinie nicht enthalten. Wolfgang Greif weiß von einigen (wenigen) spektakulären Gerichtsprozessen. So konnten Euro-Betriebsräte beim jeweiligen nationalen Arbeitsgericht die Verurteilung des Managements wegen Nichteinhaltung der Informationspflicht erreichen.

Allerdings: Die relativ niedrigen Geldstrafen kratzten die Unternehmensleitung kaum, die bereits getroffene Entscheidung der Direktion wurde nicht geändert. Bei Verletzung der Informationspflicht, so fordern die Gewerkschaften, müssten die getroffenen Entscheidungen für null und nichtig erklärt werden. Vor allem, was die Arbeitsverträge betrifft. Will etwa ein Multi einen Standort mit drei- oder viertausend Mitarbeitern schließen, ohne seine Informationspflicht zu erfüllen, käme ihm das recht teuer. Denn Kündigungen müssten bei dieser Form der Sanktion dann - zumindest während der Prozessdauer - wie aufrechte Dienstverhältnisse behandelt werden. Das schmerzt finanziell.

Ein wirksames Mittel gegen die Flucht aus dem Informationsrecht wäre zudem, zuwiderhandelnde Unternehmen von Subventionen und Förderungen auszuschließen.

»Kennzahlen« absenken!

Diskutieren wollen die Gewerkschaften auch über die so genannten Kennzahlen, ab denen ein Unternehmen der Richtlinie unterliegt. Derzeit liegen diese ja bei 1000 Mitarbeitern im gesamten EU- bzw. EWR-Raum, die in mindestens zwei Ländern 150 Arbeitnehmer beschäftigen. »Ein Schwellenwert, der nicht einsehbar ist«, meint Wolfgang Greif. »Gerade in Österreich gibt es auch grenzübergreifend sehr viele Konzerne mit einigen hundert Arbeitern, die in zwei Ländern tätig sind.« Die Forderung der Gewerkschaften: Diese Kennzahlen auf 500 Arbeitnehmer insgesamt, mit mindestens hundert Beschäftigten in zwei Ländern zu senken.

Eine Forderung, die - sollte sie durchgesetzt werden - mehr Arbeit für die Gewerkschaften bedeutet. Die Praxis hat gezeigt, dass schon jetzt viele Arbeitnehmervertreter die grenzübergreifende Arbeit scheuen. Fehlende Ressourcen und Zeitmangel sind zwei der vielen Gründe. Ein wesentlicher Punkt, der bei der Revision der Richtlinie zu berücksichtigen ist, ist demnach, die Stellung des Euro-Betriebsrates insgesamt zu stärken. Ohne mehr Freistellungen, Bildungsmöglichkeiten und Sprachkursen bleibt der Euro-Betriebsrat ein Papiertiger.

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(C) AK und ÖGB

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