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Sonntagsredner, Zahlenfetischisten und der Sozialstaat

MEINUNGEN

717.314 Österreicherinnen und Österreicher haben sich die Zeit genommen und die Mühe gemacht und ihr »Eintragungslokal" aufgesucht, um das Volksbegehren »Sozialstaat Österreich« zu unterstützen. Das Ergebnis bleibt damit unter den 915.220 Stimmen des Volksbegehrens gegen Temelin, welche die Freiheitlichen und die »Kronenzeitung« mobilisieren konnten.

Da nun einer der Initiatoren in seinem Überschwang bei einem Interview die Zahl von einer Million Unterschriften als Ziel angegeben hatte, heißt es jetzt, Ziel nicht erreicht. Wobei nicht nur ich allein der Meinung bin, dass hier in den Medien genauso wie bei der ÖGB-Urabstimmung eine Art »Zahlenfetischismus« betrieben wird: Der Fokus ist nämlich hauptsächlich auf diesem quantitativen Aspekt, während die Auseinandersetzung mit den Inhalten zu kurz kommt oder gar nicht stattfindet. Analog zu gewissen Sportdisziplinen ist immer nur davon die Rede, wie hoch die »Latte jetzt gelegt sei« und ob man da jetzt »drübergekommen« sei oder nicht. Erklärte Absicht war und ist es aber immer noch, die Öffentlichkeit für die Inhalte, die Problematik, die Anliegen zu sensibilisieren.

In der Öffentlichkeit waren gewisse Interessengruppen sehr bemüht, dieses Volksbegehren als einseitig parteipolitisch oder als reine Angelegenheit der Opposition darzustellen. Das stimmt so einfach nicht. Nehmen wir allein den Beschluss zur Unterstützung des Sozialstaat-Volksbegehrens im ÖGB-Bundesvorstand, in dem bekanntlich alle Parteien vertreten sind, und der einstimmig erfolgte.

Oder nehmen wir die Unterstützung aus kirchlichen Kreisen, z. B. von der evangelischen Kirche, die ja bereits seit 1997 eine »Sozialverträglichkeitsprüfung« fordert. »Der Sozialstaat Österreich ist derzeit auf Männer mit langen Erwerbszeiten ausgerichtet. Es wird davon ausgegangen, dass Frauen in der Langzeitbeziehung Ehe mitversichert sind. Das stimmt aber so in der heutigen Zeit nicht mehr. Dadurch sind etwa vor allem Frauen und Alleinerzieherinnen von Armut betroffen. Es ist eine gemeinsame Aufgabe, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Daher ist es für die evangelische Kirche klar, das Volksbegehren zu unterstützen, erklärte z. B. Superintendentin Gertraud Knoll.

Innerhalb der katholischen Kirche wurde das Sozialstaat-Volksbegehren z. B. von der Katholischen Arbeitnehmerbewegung Österreich (KABÖ) unterstützt, deren Vorsitzender Bruno Holzhammer feststellte, dass eine Verankerung in der Verfassung eine Sicherheitsgarantie für bisherige Errungenschaften darstelle. Zudem sei ein Schutz vor kurzfristigen populistischen Angriffen gegeben. Das Anliegen des Sozialstaat-Volksbegehrens sei fast wortident mit dem Grundsatzprogramm des KABÖ. Christen und Kirchen könnten sich den Anliegen des Sozialstaat-Volksbegehrens nicht entziehen, auch wenn es manchen in der Kirche nicht gefalle ... Nach Bekanntgabe des Ergebnisses erklärte ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch: »Nach der ÖGB-Urabstimmung ist die Beteiligung am Sozialstaat-Volksbegehren ein weiterer Beweis für die hohe sozialpolitische Sensibilität in unserem Land. Soziale Gerechtigkeit ist den Österreichern ein wichtiges Anliegen. Die Bundesregierung und politischen Parteien im Nationalrat sind nun gut beraten, daraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen.«

»Es geht darum«, so Verzetnitsch, »wieder verstärkt soziale Politik zu betreiben, bei der die Menschen im Mittelpunkt stehen und nicht das Geld oder der Aktienkurs.«

Der ÖGB-Präsident fordert als Folge des Volksbegehrens die Bundesregierung nachdrücklich auf, unsoziale Maßnahmen wie die Ambulanzgebühr oder die Besteuerung der Unfallrenten wieder zurückzunehmen. »Der Sozialstaat muss weiterentwickelt werden, und zwar nach den Grundsätzen der Solidarität, der Würde und sozialen Gerechtigkeit«, sagt Verzetnitsch. Dem von vielen beabsichtigten Umbau des Sozialsystems zu einer Vergabe von Almosen haben die Unterzeichner des Volksbegehrens eine klare Absage erteilt.

Verzetnitsch: »Die Behandlung des Volksbegehrens im Nationalrat, mit der Verankerung des Prinzips >Sozialstaat in der Bundesverfassung<, wird auf jeden Fall für alle jene zu einer Nagelprobe, die sich in Sonntagsreden gerne als sozialpolitisch engagiert zeigen. Jetzt müssen diesen Worten konkrete Taten folgen.« Diese Sonntagsredner sollten bedenken, dass dieses Volksbegehren von einer breiten Basis getragen wurde: Hohe kirchliche Würdenträger haben es genauso unterschrieben wie Unternehmer, Arbeiter, Angestellte, Universitätsprofessoren und Mitglieder aller Parteien. Mit dem Ergebnis des Volksbegehrens sei das Engagement für einen gerechten Sozialstaat nicht beendet. Im Gegenteil: »Wir Gewerkschafter werden weiter für den Erhalt und die Weiterentwicklung der sozialen Gerechtigkeit kämpfen. Erste Gelegenheiten dazu bieten sich etwa in der aktiven Bekämpfung der wachsenden Arbeitslosigkeit und beim Kampf um Verbesserungen für die atypisch Beschäftigten.«

Wenn ich mich so umsehe, ist die schrittweise Zerstörung der Systeme sozialer Sicherheit ein im Zuge der Durchsetzung des neoliberalen Modells fast überall in Europa zu beobachtendes Phänomen. Der Sozialstaat, der Wohlfahrtsstaat wird reformiert, es wird dereguliert und privatisiert. Wenn man fragt, wann eigentlich diese neoliberalen Rosskuren endlich anschlagen, wann endlich die versprochene Wirkung eintritt, erhält man eine recht gelungene Antwort: »Es ist noch nicht genug reformiert worden. Weiter reformieren und entstaatlichen, den Arbeitsmarkt noch >flexibler< machen, die sozialen Sicherungssysteme weiter reduzieren und privatisieren, das gesamte >Reformprogramm< konsequent abarbeiten ...«

Gott bewahre uns vor diesen Reformern! Wir jedenfalls werden uns zu wehren wissen!

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