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Halbzeit von »Österreich neu regieren« | Eine Bewertung und Bilanz aus dem Blickwinkel der Sozialversicherung

Wenn man eine Bilanz der vergangenen zwei Jahre zieht und die erste Hälfte der Funktionsperiode der derzeitigen Bundesregierung Revue passieren lässt, fällt vor allem eines auf: Fragen der Sozialversicherung standen im Zentrum der Konfrontationen zwischen der österreichischen Bundesregierung und den Interessenvertretungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die »Pensionsreform« 2000 und die Neuordnung des Hauptverbandes 2001 dominierten jeweils ein halbes Jahr die innenpolitische Diskussion. Auch andere Maßnahmen im Bereich der Sozialversicherung wie die Besteuerung der Unfallrenten oder die Einführung der Ambulanzgebühren haben polarisiert und sind nicht nur bei den unmittelbar Betroffenen auf weitgehendes Unverständnis gestoßen.

Eine spezifische Eigenschaft dieser Regierung ist das Tempo, mit dem sie an die Arbeit ging. Die Geschwindigkeit und Rücksichtslosigkeit, mit der gerade im sozialpolitischen Bereich in bestehende Gesetze und damit in die Lebensbedingungen Tausender Menschen eingegriffen wurde, ist wahrlich bemerkenswert.

Speed kills

Klubobmann Khol prägte dafür die Bezeichnung »speed kills«, mit der er zum Ausdruck bringen wollte, dass dies eine Regierung der Taten und nicht bloßer Ankündigungen sei. Doch genau diese »geflügelten Worte« erlangten bald eine andere Bedeutung und brachten sehr deutlich die demokratiepolitischen und methodischen Schwächen der Arbeitsweise der blauschwarzen Regierung zum Ausdruck. Gesetze wurden oft ohne ein Begutachtungsverfahren im Eilzugstempo beschlossen, und die Regierung »stolperte« nicht selten über eigene Fehler infolge der überhasteten Beschlussfassung. Kritik von Seiten der Medien konzentriert sich meist auf diesen Dilettantismus, weniger aber auf die Grundlinien, die sich hinter den Maßnahmen verbergen. Letztere sind der Haupteinwand der Gewerkschaften.

Verfassungsgerichtshof

So wurden die Pensionsreform und die Ambulanzgebühren wegen Formalfehlern vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) aufgehoben und mussten neuerlich beschlossen werden. Auch die Kampagne zu meiner Enthebung als Hauptverbandspräsident wurde von der Vizekanzlerin relativ unvorbereitet auf einer FPÖ-Wahlkampfveranstaltung vom Zaun gebrochen. Es stellte sich heraus, dass die Regierung eigentlich über keine legistischen Mittel verfügt, in der Sozialversicherung unerwünschte Funktionäre aus dem Weg zu räumen. Dieses Ziel wurde erst nach einem halben Jahr erreicht, indem für den Hauptverband der Sozialversicherungsträger eine völlig neue Struktur geschaffen wurde.

Der jüngste, aber sicherlich nicht letzte diesbezügliche Fall eines nicht haltbaren Gesetzes war die rückwirkende Abschaffung der Pension wegen geminderter Erwerbs- bzw. Arbeitsfähigkeit. Der Oberste Gerichtshof hat Ende Jänner wieder festgestellt, dass die überfallsartige und rückwirkende Abschaffung dieser Pensionsart dem EU-Recht widerspricht.

Es stehen noch weitere, höchst brisante VfGH-Urteile im Sozialversicherungsbereich bevor: die Unfallrentenbesteuerung und die kurzfristige Anhebung des Pensionsantrittsalters.

Diese neue Methodik im Umgang mit sozialrechtlichen Änderungen, die durch kurzfristige Eingriffe das Vertrauen der Versicherten in das Sozialsystem untergräbt, lässt sich nicht auf das Stopfen von Budgetlöchern, im Dienste des zum Dogma erhobenen Nulldefizits, reduzieren. In der Vielzahl an legistischen Neuerungen kann man zwar kein ausgereiftes Konzept erkennen, es lassen sich aber sehr wohl Grundlinien und eine eindeutige Entwicklungsrichtung festmachen:

Einerseits bestehen deutliche Tendenzen hin zu einem Systemumbau der sozialen Sicherung und andererseits findet eine Verschiebung bei den Akteuren, die die Sozialpolitik gestalten, zu Lasten der Interessenvertretungen der Arbeitnehmer statt.

Systemumbau

Die Änderung der materiellen Regelungen hinsichtlich des Leistungsniveaus des Sozialsystems trifft alle drei Bereiche der Sozialversicherung. In der Pensionsversicherung steht die Umstellung auf das 3-Säulen-Modell zur Diskussion und in Teilumsetzung, bei der Krankenversicherung droht eine Reduktion des Leistungsspektrums und damit eine größere Rolle der privaten Versicherung, und der Unfallversicherung steht durch die geplante Senkung des Beitragssatzes eine Leistungsverschlechterung ins Haus.

Auch wenn die Umsetzung des Systemumbaus bislang nicht dezidiert in Angriff genommen wurde, weisen viele Maßnahmen deutlich in diese Richtung. Teilweise wurden sie auch im Regierungsprogramm angekündigt. In diesem findet sich neben dem Bekenntnis zum 3-Säulen-System in der Pensionsversicherung auch die Ankündigung, dass im Bereich der Krankenversicherung eine Umstellung von der Pflichtversicherung zur Versicherungspflicht überlegt werden soll. Diesem Ansinnen wurde nun der Wind aus den Segeln genommen, weil die zur Klärung der möglichen Vorteile dieser Systemumstellung eingesetzte Expertenkommission unter der Leitung von Univ.-Prof. Walter Schrammel empfohlen hat, das Pflichtversicherungsmodell grundsätzlich beizubehalten. Auch bei den Arbeitgebern gibt es derzeit keine Intentionen, den Grundsatz der Pflichtversicherung aufzugeben, nachdem sich die Wirtschaftskammer mit den negativen Auswirkungen der freien Versicherungswahl und der Risikoselektion anhand der konkreten Entwicklung in Deutschland auseinander gesetzt hat.

Keine Entwarnung

Trotzdem wäre es meiner Meinung nach fehl am Platze, diesbezüglich Entwarnung zu geben, weil von einer Absicherung der solidarischen Krankenversicherung nur dann die Rede sein kann, wenn man sie mit den dazu notwendigen finanziellen Grundlagen ausstattet. Davon kann aber derzeit leider nicht die Rede sein. Die Entwicklung läuft vielmehr darauf hinaus, vorerst an der Pflichtversicherung festzuhalten, aber den Grundsatz der Solidarischen Krankenversicherung insofern auszuhöhlen, als das Leistungsniveau in Frage gestellt wird und immer höhere Eigenleistungen bei Inanspruchnahme des Gesundheitssystems zu erbringen sind. Über kurz oder lang ist dann eine umfassende medizinische Versorgung nur in Kombination mit einer privaten Krankenversicherung oder persönlicher Zuzahlung gewährleistet.

Wenn man diese Entwicklung hintanhalten will, so darf man nicht unentwegt Beitragssatzerhöhungen kategorisch ablehnen. Ich bin weder ein Mensch, der sich über Beitragserhöhungen freut, noch halte ich sie für das einzige Mittel, um die Finanzierung der Sozialversicherung zu gewährleisten. Eine Zweckwidmung von Teilen der Alkohol- und Tabakabgaben, eine wertschöpfungsbezogene Beitragsgrundlage oder ein Zuschlag zur Kapitalertragsteuer für die Sozialversicherung stellen diskussionswürdige alternative einnahmenseitige Maßnahmen dar. Selbstverständlich muss die Struktur des Gesundheitssystems so ausgerichtet werden, dass keine Ressourcen durch mangelnde Koordination (Doppelbefundungen, Mehrfachuntersuchungen und Ähnliches) suboptimal eingesetzt bzw. verschwendet werden.

Das Grundproblem der Krankenversicherung
Letztlich besteht aber das Grundproblem der Krankenversicherung darin, dass die Einnahmen langsamer als die Ausgaben steigen. Dieses ist auch durch effizientere Strukturen nicht aus der Welt zu schaffen.

Während die Versicherungsleistungen der Krankenversicherung von 1993 bis 2000 um 32,3% gestiegen sind, wuchs das BIP um 30,5%, während die Beitragseinnahmen der Krankenversicherung nur um 26,3% zugenommen haben.

Auch der Generalsekretär der Wirtschaftskammer, Reinhold Mitterlehner, wies unlängst auf einer Enquete der BWK auf diese Zusammenhänge hin:

»99% der Bevölkerung sind in Österreich durch Krankenversicherung geschützt und das mit nur rund 60 Euro im Monat. Die Gesamtkosten des Gesundheitssystems entsprechen 8,3% des BIP, womit wir unter dem europäischen Schnitt von 8,7% liegen.« Gleichzeitig liegen allerdings die Einnahmensteigerungen deutlich unter den Ausgabensteigerungen.1)

Somit konzentriert sich die Problematik auf die Fragestellung, ob man die allgemeinen Einnahmen der Krankenversicherung dynamisiert oder auf Selbstbehalte und Leistungskürzungen setzt. Ich halte in einer solidarischen Krankenversicherung nur die erste Alternative für gangbar und bin mit dieser Meinung nicht allein.

Was ist solidarisch?

Die dem solidarischen Grundsatz der Sozialversicherung widersprechende Belastung jener Versicherten, die auf die Leistungen des Gesundheitssystems angewiesen sind, findet bezeichnenderweise keine Zustimmung in der Bevölkerung. In einer Umfrage der Wiener Ärztekammer sprachen sich 86% der Befragten gegen Leistungskürzungen aus, 68% können sich auch höhere Beiträge vorstellen. Abgelehnt werden hingegen die höheren Eigenleistungen von Kranken.2) Demgegenüber hat der zuständige Staatssekretär Waneck eine äußerst seltsame Auffassung von Solidarität. So verkündete er: »Unsolidarische Maßnahmen wie Beitragserhöhungen werden abgelehnt.« Was das für die Versorgungsqualität des Gesundheitssystems bedeutet, hat er bewusst ausgeklammert.

Mittlerweile hat sich aber auch beim Staatssekretär die Überzeugung durchgesetzt, dass das Gesundheitswesen zusätzliche Mittel benötigt. Am 11. 1. 2002 verkündete er, dass eine Anhebung der Höchstbeitragsgrundlage oder eine höhere Steuer auf Tabakprodukte und die volle Mehrwertsteuerabgeltung diskussionswürdig sei, was aber vom Sozialminister abgelehnt wurde.3)

Aufgrund der angespannten Finanzsituation müssen mehrere Krankenkassen bereits auf dem Kapitalmarkt Kredite aufnehmen, um die Ausgaben finanzieren zu können.

Die Bundesregierung hat hier durch zahlreiche Maßnahmen nicht ent-, sondern verschärfend gewirkt. Zu diesen verschärfenden Maßnahmen zählen, dass die Kassen die Mehrwertsteuer auf Medikamente nur teilweise abgegolten bekommen, die Senkung der Dienstgeberbeiträge für Arbeiter, geringere Mittel seitens der Arbeitslosenversicherung, die Senkung der Beitragsgrundlage für Zivildiener und ein Zinsverlust von 7.267.830 Euro (100 Millionen Schilling) jährlich durch die Verlängerung der Zahlungsfrist für Dienstgeberbeiträge. Damit wird deutlich, dass das Defizit maßgeblich auch dadurch verursacht wird, dass der Krankenversicherung gezielt Mittel vorenthalten werden.

Aufklärung der Versicherten per Gesetz verhindert

Um zu verhindern, dass die Versicherten von ihren Sozialversicherungsträgern über diese Hintergründe aufgeklärt werden, hat die Regierung im Zuge der 59. ASVG-Novelle eine Gesetzesänderung geschaffen, die bewirkt, dass Informationen der Träger an die Versicherten zukünftig nur nach Genehmigung durch den Sozialminister ausgesandt werden dürfen. Anlass dafür war das enorme Unverständnis vieler Patienten über die Einführung der Ambulanzgebühren und die Besteuerung der Unfallrenten. In beiden Fällen wurden die Versicherten vom jeweiligen Träger darüber informiert, dass diese Maßnahmen keine Entscheidungen sind, die die Sozialversicherung getroffen hat, sondern von den Regierungsparteien beschlossen wurden. Klarstellungen wie diese können künftig seitens des Ministers unterbunden werden. Dies stellt eine gravierende Untergrabung und Verletzung der Prinzipien der Selbstverwaltung dar und darf keinesfalls hingenommen werden.

Resümierend ziehe ich die Bilanz, dass die Regierung im ersten Jahr ihres Bestehens eine Vielzahl von Leistungsverschlechterungen in die Wege geleitet hat. Dazu zählen die Anhebung des Pensionsantrittsalters und die Erhöhung der Abschläge, die Abschaffung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, die Streichung der beitragsfreien Mitversicherung für Kinderlose, die Einführung der Ambulanzgebühren, die Besteuerung der Unfallrenten und die Kürzung von satzungsmäßigen Mehrleistungen in der Krankenversicherung (verlängerter Krankengeldbezug).

In ihrem 2. Arbeitsjahr hat die Regierung die Schwerpunktsetzung geändert. Nun ging sie daran, die Sozialversicherung im Sinne ihrer Parteien umzufärben und neu zu strukturieren.

Neugewichtung der Akteure

Bereits durch die Neuordnung der Ministerien hat neben dem Sozialminister und dem Gesundheitsstaatssekretär vor allem auch der Wirtschaftsminister bei der Frage des Arbeits- und Sozialrechts eine maßgebliche Rolle erlangt.

Die Einbindung von Interessenvertretungen der Arbeitnehmer wurde hingegen weitgehend beendet bzw. neu definiert. Diesbezüglich wurden nicht einmal formale Begutachtungsrechte berücksichtigt, zumal zu allen wesentlichen Entscheidungen Initiativanträge eingebracht wurden, die vorher in keinem Begutachtungsverfahren bewertet und diskutiert werden konnten.

Auf Einwände seitens der Arbeiterkammer oder Gewerkschaft gegen geplante Maßnahmen wurde bisweilen mit deren Verschärfung reagiert. Das war bei der Pensionsreform der Fall, die mit der beschlossenen Letztversion ein um 3 Milliarden Schilling (rund 220 Millionen Euro) höheres Einsparvolumen als ursprünglich vorgesehen zur Folge hat.

Ich bin nicht gewillt, die Zeiten vor der blauschwarzen Wende in einem verklärten Licht darzustellen, zumal die Gewerkschaften schon mit dem Procedere und dem Erstentwurf der Pensionsreform 1997 nicht glücklich waren. Damals verkündete Kanzler Klima Anfang Juni kurzfristigst die Umsetzung einer grundlegenden Pensionsreform. Der ÖGB hat dem diesbezüglichen Vorschlag eine deutliche Absage erteilt. Der prinzipielle Unterschied liegt daran, dass die damalige Regierung im Gegensatz zur derzeitigen bereit war, in Verhandlungen einen für die Gewerkschaften letztlich tragbaren Kompromiss einzugehen.

Umfärbung der Sozialversicherung

Entgegen den Ankündigungen der Entpolitisierung und »Objektivierung der Postenvergabe« in staatsnahen Bereichen hatten die beiden Regierungsparteien nur eine - oft brutale - Umfärbung der Führungsgremien im Auge. Nach den Vorständen der ÖIAG-Betriebe war die Sozialversicherung an der Reihe. Doch die Initiatorin dieser Kampagne, die Vizekanzlerin, musste bald feststellen, dass sie hier nicht so ein leichtes Spiel hat wie in den Industriebetrieben. Die Gremien der Sozialversicherung werden nämlich entsprechend der Kammerwahlergebnisse beschickt.

Und da das Ergebnis der Arbeiterkammerwahl keine Mehrheit für die Koalitionsparteien brachte und das Hauptverbandspräsidium gerade bis 2005 eingesetzt wurde, war hier für die Umfärbung ein monatelanger Kampf erforderlich, der in einer plumpen Anlassgesetzgebung endete. Die Umfärbung in der Selbstverwaltung der Sozialversicherung, die an meiner Person aufgehängt wurde, endete in einer von der Wirtschaftskammer mitgetragenen Neuordnung des Hauptverbandes, in der sich die beiden Regierungsparteien die Mehrheit in den maßgeblichen Gremien konstruiert haben und der Einfluss der Arbeitnehmervertreter eklatant zurückgedrängt wurde.

Dieses Vorgehen hat die Sozialpartnerschaft auf eine schwere Belastungsprobe gestellt, weil die Wirtschaftskammer nicht der selbst miterstellten Sozialpartnereinigung zur Hauptverbandsreform, sondern dem Regierungsentwurf die Zustimmung erteilte.

Nicht »entpolitisiert«, sondern »umgefärbt«

Die Sozialversicherung wurde durch diese Reform nicht entpolitisiert und in die Hände von unpolitischen Managern gegeben, sondern sie wurde umgefärbt. Eine Entpolitisierung einer Sozialversicherung, deren Gremien durch Wahlen beschickt werden, ist meines Erachtens auch wesensfremd. Die Entscheidungen, die zu treffen sind, sind politischer Natur. Das Ergebnis dieser Wahlen wurde nun aber dadurch hintertrieben, dass die große Mehrheit der Versicherten, die unselbständig Erwerbstätigen, kein höheres Gewicht haben als die Dienstgeberseite.

Die neue Führung des Hauptverbandes kostet die Versicherten übrigens mehr als das Doppelte. Die zustehenden »Gehälter« der Geschäftsführung wurden drastisch angehoben und die Zahl der Gremien aufgebläht.

Lügen

Damit straft die Regierung ihre eigenen Ankündigungen Lügen, wonach sie in der Verwaltung sparen will. Das gilt ganz offensichtlich nicht für die eigenen Funktionäre, da man diese in Spitzenpositionen hievt.

Obwohl die FPÖ mit dieser Säuberung letztlich erfolgreich war, muss ich doch auch zu bedenken geben, dass die Gewerkschaften diesen Affront nicht widerstandslos hingenommen haben, sondern binnen weniger Tage 50.000 Kollegen sowie zahlreiche Sympathisanten am 5. Juli 2001 zu einer eindrucksvollen Demonstration mobilisieren konnten. Das war die größte Demonstration in der Geschichte des ÖGB. Auch die daraufhin in die Wege geleitete Urabstimmung mit mehr als 807.000 Teilnehmern, die ein eindeutiges Zeichen für das soziale Netz und für dessen Verteidigung gesetzt haben, zeigte deutlich, dass die Gewerkschaftsbewegung einen sehr lebendigen und relevanten Faktor in der österreichischen Gesellschaft darstellt.

Bauern, Gewerbetreibende, Freiberufler vergessen?

Doch mit der Hauptverbandsreform war die Umordnung keineswegs zu Ende. Mit der 59. ASVG-Novelle werden die Pensionsversicherungsanstalten der Arbeiter und der Angestellten fusioniert. Ich bin allerdings kein Befürworter dieses Zusammenschlusses zu einem für österreichische Verhältnisse Super-Sozialversicherungsträger. Es ist aber legitim und notwendig, bestehende Strukturen und Institutionen daraufhin zu überprüfen, ob sie noch zeitgemäß sind bzw. ob mit ihnen die Herausforderungen der Zukunft optimal bewältigt werden können. Die Notwendigkeit von organisatorischen Veränderungen haben auch die Gewerkschaften erkannt und dementsprechend Schritte in Richtung einer Neustrukturierung gesetzt.

Was an dieser ASVG-Novelle auffällt ist, dass nur die Pensionsversicherungsanstalten der Arbeiter und Angestellten fusioniert werden, während bei den Sozialversicherungsträgern der Bauern, Gewerbetreibenden und Freiberuflern eine derartige Entscheidung nicht einmal in Erwägung gezogen wurde. Fusionen sollten sorgsam vorbereitet werden. Von einer seriös erstellten Reform erwarte ich mir, dass mögliche Synergien bei allen Trägern ausgelotet werden und dass dann ein Gesamtkonzept vorgestellt wird.

Ausblick

Resümierend stelle ich fest, dass die Politik in der ersten Halbzeit dieser Regierung in Angelegenheiten der Sozialversicherung von Entsolidarisierung, Belastungen und Untergrabung der Selbstverwaltung geprägt war. Die Gewerkschaften haben darauf im Jahr 2000 mit Aktionstagen sowie der Menschenkette um das Parlament und im Jahr 2001 mit einer Großdemonstration und der Urabstimmung reagiert. Diese Mobilisierungen waren sehr wichtig, um aufzuzeigen, dass wir eine Politik gegen die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht apathisch zur Kenntnis nehmen. Nicht zuletzt durch diese öffentlichkeitswirksamen Aktionen haben wir erreicht, dass die Mehrheit der Österreicher einer Entsolidarisierung ablehnend gegenüberstehen.

Volksbegehren Sozialstaat

Gegenwärtig gibt es die Initiative, die Österreichische Verfassung um das Prinzip der Sozialstaatlichkeit zu erweitern. Österreich soll in der Verfassung als Sozialstaat definiert werden, um diese Wertigkeit gegen die neoliberalen Angriffe zu stärken.

Dazu wird Anfang April (3. bis 10. 4.) ein Volksbegehren stattfinden. Eine möglichst breite Beteiligung an diesem Volksbegehren wäre ein wichtiges Zeichen gegen die neoliberale Politik. Dadurch können unsoziale Gesetze zwar nicht verhindert werden, aber je mehr Menschen dieses Anliegen unterstützen, desto schwieriger ist es, die unsoziale Politik weiterzuführen.

1) APA, 9. 2. 2001

2) Presse, 4. 1. 2002

3) APA, 11. 1. 2002

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