topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/

»Sitz' i halt daham« | Sparmaßnahmen in der Lehrlingsausbildung

BERTRIEBSRAT UND ARBEITSWELT

Seit September 2000 gibt es keine Ausbildungsplätze für Lehrlinge bei Stiftungen mehr. Anstelle dieses Auffangnetzes traten zehnmonatige Berufslehrgänge, die Jugendlichen mit positivem Schulabschluss vorbehalten sind. Arbeit und Wirtschaft hat sich bei »Jugend am Werk« (JaW) umgehört, einer Einrichtung, die seit 1948 in der Lehrlingsausbildung tätig ist. Der Tenor: Viele Jugendliche, die Unterstützung bräuchten, bleiben durch diese »Sparmaßnahmen« jetzt ausgesperrt. Ihre Karriere als lebenslange Hilfsarbeiter scheint vorprogrammiert.

Wenn der gelernte Werkzeugmacher Wolfgang Linke von »de Buam und de Madln« spricht, den Lehrlingen also, kann er ganz schön in Fahrt kommen. Schließlich hat er selbst Anfang der 60er Jahre in der Lehrwerkstätte Lorenz-Müller-Gasse in Wien 20 bei »Jugend am Werk« gelernt und ist nach einigen Jahren in der Privatwirtschaft als Ausbilder zu JaW zurückgekehrt. Als nunmehriger Betriebsratsvorsitzender kennt er die Sorgen von beiden Seiten, von den Jugendlichen und von den Mitarbeitern. Und die sind zur Jahreswende groß.

Enttäuschung verbergen?

Nach Abschaffung des erfolgreichen Pilotprojektes »Initiative Lehrling« werden mit Ende Februar 2002 auch die »Arbeitserprobungskurse« eingestellt. Hier konnten Jugendliche, die keinen Schulabschluss und Defizite beim Lernen oder in der Sprache hatten, im Holz-, Metall-, Textil- und Kunststoffbereich Fertigkeiten erwerben. So manchem der Burschen und Mädchen ging in dem halbjährigen Kurs »der Knopf auf«, viele begannen eine reguläre Lehre mit JaW als »Lehrherrn«, andere konnten ein weiteres halbes Jahr bleiben. »Nun ist angeblich kein Bedarf mehr«, klagt Wolfgang Linke. »Was mit den Jugendlichen jetzt geschieht, weiß ich nicht. Schließlich haben schon die Probleme, die einen Hauptschulabschluss haben. Da wird ein großes Loch aufgerissen. Denn mit 15, 16 Jahren können sie nicht einmal als Hilfsarbeiter gehen.«

Ibrahim Yoldas (16) hobelt unter Anleitung eines Ausbilders im Tischlerkurs in der Lehrwerkstätte Brünner Straße. Seine Muttersprache ist Türkisch, nach einigen Monaten im Kurs unterscheidet sich sein Deutsch nicht mehr von dem seiner Kollegen. Erst vor kurzem haben die Jugendlichen erfahren, dass eine Verlängerung im Februar nicht mehr möglich ist. Obwohl gelacht und gescherzt wird, ist Resignation zu spüren. Ibrahim kann seine Enttäuschung kaum verbergen, auch wenn er versucht, lässig zu grinsen. Was er im Februar tun wird, wenn der Kurs zu Ende ist? »Sitz' i halt daham«, sagt er und hobelt weiter an seinem Werkstück.

Zwar startet JaW mit dem Kurs »Erprobung und Qualifizierung für Jugendliche« heuer eine neue Maßnahme, für Ibrahim kommt sie aber nicht in Frage. Zielgruppe werden Lehrlinge sein, die ihren Ausbildungsplatz verloren haben.

Mehrere Standbeine

Der Verein JaW hat mehrere Standbeine im Bereich der Jugendausbildung. Darunter ist die traditionelle Lehrlingsausbildung, die je nach Beruf nach drei oder dreieinhalb Jahren zur Facharbeiterprüfung führt, die zwischenbetriebliche Ausbildung, wo Partnerbetriebe das Angebot in Anspruch nehmen und ihre Lehrlinge und andere Mitarbeiter in Ausbildungsmodule zu JaW schicken, und die mobile Berufsausbildung. Neben der Qualifikation ist es deren Ziel, die Lehrlinge auf reguläre Lehrplätze zu vermitteln.

Besonders schmerzt die Mitarbeiter von JaW die Abschaffung der »Lehrlingsstiftungen«, die 1997 in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Wien und dem Arbeitsmarktservice von JaW gestartet wurde. Das Stiftungsmodell wurde zum Vorbild, Tausende Jugendliche, die auf dem regulären Arbeitsmarkt nicht untergekommen waren, konnten mit pädagogischer Betreuung bis zur Facharbeiterprüfung geführt werden. 1999 wurde die Stiftung Modell für ähnliche Maßnahmen im Rahmen des Nationalen Aktionsplanes zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Das Berufsförderungsinstitut bfi und das Wirtschaftsförderungsinstitut Wifi wurden zu Trägern von Berufslehrgängen, JaW führte das Stiftungsmodell weiter. »Die Ergänzung war optimal«, erinnert sich Reinhold Bauer, Bereichsleiter der Lehrwerkstätten von JaW, »Jugendliche, die in den Lehrgängen keine Lehrstelle gefunden hatten, konnten von uns in das Stiftungsmodell übernommen werden.«

Die Guten und die »Schlechten«

Für den gelernten Dreher Reinhold Bauer ist die Lage dramatisch. Die Berufslehrgänge, die anstelle der »Lehrlingsstiftungen« traten, dauern nur zehn Monate. Und sie sind nur für Jugendliche mit positivem Schulabschluss. Bauer: »An der Lehrlingsstiftung konnten auch Jugendliche mit negativem Schulabschluss teilnehmen. Wobei sich die Unterschiede binnen einem Jahr ausgeglichen haben. Am Ende gingen die meisten zur Facharbeiterprüfung, viele von den früher Schlechteren bestanden mit Auszeichnung.«

Die Auflage, 100 Prozent der Teilnehmer an den Berufslehrgängen vermitteln zu müssen, ist zwar »irreal« (Bauer), führt aber zu einer weiteren Selektion. In der so genannten Berufsorientierungs- und Clearingphase werden die künftigen Lehrgangsteilnehmer genauer unter die Lupe genommen. Im vergangenen Herbst wurden rund 800 Teilnehmer an die vier Träger JaW, bfi, Wifi und Waidinger & Partner überwiesen. 600 konnten schließlich im vergangenen November mit dem Berufslehrgang beginnen, 310 davon bei JaW.

Die Unsicherheit bei den Berufslehrgängen besteht jedoch weiter. Sie wurden zwar - einstweilen bis 2003 - verlängert, ungewiss ist aber noch deren Finanzierung.

Einsparen

Die Zeiten der Expansion von 1997, als JaW die neue Lehrwerkstätte in der Brünner Straße anmieten konnte, sind vorbei. Sparen ist angesagt. Walter Schaffraneck, Geschäftsführer der Einrichtung »Jugend am Werk«: »Das Arbeitsmarktservice hat uns für 2002 ein Sparziel von rund zehn Prozent gegenüber dem Budget 2001 vorgegeben.« Durch verschiedene Maßnahmen, wie die Auflösung einer »Expositur« - der Ausbildung von »JaW-Lehrlingen« bei der Firma Elin - der Bereinigung von »Overhead-Kosten« und die Kündigung eines Mitarbeiters konnte dieses Ziel mittlerweile erreicht werden. Das heißt: Zu Beginn der Lehrsaison im vergangenen November wurde die Zahl der Lehrlinge von JaW nicht reduziert. Allerdings, so Schaffraneck, »es wurden auch keine zusätzlichen Jugendlichen aufgenommen, wie früher, wo die natürliche Fluktuation - einige der Angemeldeten fallen immer aus - durch Neuaufnahmen ausgeglichen wurde«.

Optimale Flächennutzung

In der Lehrwerkstätte von »Jugend am Werk«, in der Brünner Straße 52 in Wien 21, wird derzeit umgebaut, um jeden Quadratmeter Fläche optimal zu nutzen. Von den Gängen her kann man die Jugendlichen durch Glasfenster bei der Arbeit beobachten. Die zweistöckige Großraumhalle ist in Kojen unterteilt, in einer hobeln künftige Tischler, in der anderen untersucht eine Gruppe Jungautomechaniker die Eingeweide eines ausrangierten BMW. Daneben stemmen künftige Installateure Rohrleitungen in eine Versuchswand aus richtigen Ziegeln. »Wenn die hin ist, betonieren wir eine neue«, erklärt Wolfgang Linke. »Früher war da nur eine Styroporwand. Bis die Unternehmer meinten, unsere Lehrlinge könnten nicht ordentlich stemmen.«

Wenn Linke »unsere Lehrlinge« sagt, so meint er ganz unterschiedliche Ausbildungsgänge. Da sind einerseits die mit »normaler« Berufsausbildung. Sie beginnt am 1. September und dauert - je nach Berufsbild - drei bis dreieinhalb Jahre. Die Entschädigung erfolgt laut Kollektivvertrag.

Taschengeld

Dann sind da die Lehrlinge der »Stiftung« in den Lehrwerkstätten und der Mobilen Berufsausbildung. Die bekommen ein »Taschengeld«. Die »Mobilen«, etwa Einzelhandelskaufmann, Köche oder Kellner, lernen bei Jugend am Werk, ergänzend wird ein Praktikum unter »Begleitung« der JaW-Ausbilder extern in Betrieben durchgeführt. Linke: »Das hat für die Jugendlichen den Vorteil, praxisgerechte Ausbildung in den Betrieben zu erhalten. Der Unternehmer hingegen muss sich nur um die Lehre kümmern, nicht aber um das Drumherum, wie Berufsschule oder Behördenwege. Bei Problemen fährt unser Ausbilder zur Firma, betreut die Jugendlichen und redet mit den Abteilungsleitern.« Die Buben und Mädchen werden immer wieder - zusätzlich zur Berufsschule - zu JaW zurückgeholt. Hier lernen sie in Übungsbüros und erwerben wichtige Zusatzqualifikationen wie Bewerbungen schreiben und verbessern ihre Deutsch- und Fremdsprachenkenntnisse.

Und schließlich sind da noch die Lehrlinge der Berufslehrgänge. Obwohl sie die Stiftung »Initiative Lehrling« keineswegs ersetzen können, sind die Erfahrungen des Vorjahres dennoch gut. Etwa 55 Prozent, rechnet Reinhold Bauer, konnten vermittelt werden. Wolfgang Linke: »Zeitweise sind uns die Lehrlinge in gewissen Berufen, etwa den Elektroinstallateuren, den Gas- und Wasserinstallateuren oder den Kfz-Mechanikern sogar ausgegangen. Die guten waren gleich weg.

Ein ›Guter‹ ist in dem Fall einer, der sich schon früher bei potentiellen Lehrherrn beworben hatte, von ihm aber abgewiesen wurde; vielleicht wegen der Berufsschule, des Geldes oder der Mühe wegen.« Trotzdem hängt immer ein unsichtbares Damoklesschwert über den Köpfen, meint Linke. Zehn Monate sind für viele zu kurz. Manche bleiben auf der Strecke. Nicht nur die Jugendlichen haben Probleme, auch die Ausbilder. Ihre Mindestqualifikation ist die Werkmeisterschule mit Ausbilderprüfung. Wolfgang Linke: »Die werfen sich voll in die Aufgabe, wissen aber von Jahr zu Jahr nicht, wie es weitergeht.

Resignation?

Diesmal haben wir bis zu Beginn der Berufslehrgänge Ende November nicht gewusst, ob sie zustande kommen.« Seit das Auffangnetz »Initiative Lehrling« abgeschafft wurde, ist die Stimmung auf dem Nullpunkt, berichtet Linke. Manche Jugendliche resignieren, eine umfassende Betreuung kommt nun zu kurz, gerade bei jenen, die sie bräuchten. Oft braucht es auch bloß etwas Zeit und Hilfe, bis die Jugendlichen wieder Selbstbewusstsein tanken. »Wir haben so manchen, der sich nicht auf einen vermittelten Lehrplatz hinzugehen traut. Weil er, bevor er zu uns gekommen ist, schon bei 20 oder 30 Unternehmen war und immer abgewiesen wurde«, sagt Wolfgang Linke. »So erleben wir immer wieder, dass unsere ›Job Finder‹ mit den Jugendlichen hinfahren müssen. Die brauchen wen, wo sie sich anlehnen können. Dann geht's schon.«

INFO

Auffangnetz für Lehrlinge

Die »Initiative Lehrling« war 1997 als Pilotprojekt zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit begonnen worden. Wegen der kritischen Lage auf dem Wiener Lehrstellenmarkt, suchten die AK Wien und der ÖGB jene Jugendlichen zu fördern, die auf dem regulären Ausbildungsmarkt nicht untergekommen waren. Das Konzept bestand darin, betriebliche Praxis mit schulischer Berufsausbildung zu kombinieren. Die (spielend erfüllte) Vorgabe: Mindestens ein Drittel der Teilnehmer sollte von »regulären Lehrherrn« übernommen werden. Alle anderen konnten bei der Trägerorganisation »Jugend am Werk« (JaW) die Lehre beenden. Durch eine Änderung des Jugendausbildungs-Sicherungsgesetzes (JASG) im Sommer 2000 wurden Lehrlingsstiftungen dieser Art gestrichen und durch zehnmonatige Berufslehrgänge ersetzt.

INFO

A&W zum Thema Lehrlinge

Zu »Jugend am Werk«: »A&W« 11/97 »Durchkommen mit der richtigen Einstellung« und »A&W« 12/97 »Initiative Lehrling: Ausbildung für alle«.

Zur »Lehrlingsausbildung, allgemein«: »A&W« 10/2000 »Sind Lehrjahre Kehrjahre?«, »A&W« 11/2000 »Verschleuderte Lehrlinge: Die Lehrlingspolitik der derzeitigen Bundesregierung« und »A&W« 7-8/2001 »Dauerproblem Lehrlingsausbildung: Die Situation der Jugendlichen ohne Lehrplatz«.

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum