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Die Zukunft der sozialen Sicherheit

BERTRIEBSRAT UND ARBEITSWELT

Der ÖGB startete im Herbst seine Veranstaltungsserie »Startschuss Zukunft - Konferenzen zur Zukunft der Arbeitswelt«. Die erste der insgesamt acht Konferenzen, der mittlerweile Veranstaltungen in Laa an der Thaya zum Thema EU-Erweiterung und in Salzburg zum Thema Bildung folgten, fand in Villach zum Thema »Zukunft der sozialen Sicherheit« statt. Zu wichtigen sozialpolitischen Themen wurden Herausforderungen beschrieben, Ziele festgelegt und Forderungen aufgestellt.

In einem insgesamt 35 Seiten umfassenden Positionspapier nahm der ÖGB zu den Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte und zu den zentralen Zielen des ÖGB in der Sozialpolitik Stellung. Ebenso wurden die Forderungen des ÖGB zu Arbeitsmarkt, Arbeitsrecht, Pensionen und Gesundheitspolitik formuliert. Bei der Zukunftskonferenz in Villach standen auch Referate von Alois Guger (Wifo) und Peter Gerlich (Universität Wien) zur »Zukunft der sozialen Sicherheit« zur Diskussion. Im Folgenden eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte als »Hintergrundservice« zum Bereich Sozialpolitik.

In atemberaubender Geschwindigkeit vollzieht sich ein Wandel in unserer Gesellschaft, wie ihn die Geschichte bisher noch nicht kannte. Geld, Technologien, Informationen und Waren überschreiten Grenzen mit einer noch nie da gewesenen Leichtigkeit. Allein in den vergangenen zehn Jahren wurde so viel Information geschaffen wie in den vergangenen 300.000 Jahren zusammen.

Die Arbeitswelt ist durch einen rasanten Wandel gekennzeichnet. Diese Umbruchprozesse führen vielfach zu Unsicherheit, Unübersichtlichkeit und zur Gefahr der Entsolidarisierung. Die gemeinschaftlichen Anliegen und Bedürfnisse werden zunehmend von der Vielfalt der Lebens- und Arbeitsformen überdeckt. Vorrangige Ziele sind daher, allen erwerbsfähigen Personen die Möglichkeit zu bieten, über eigenes Erwerbseinkommen eine eigenständige Existenz zu sichern, arbeits- und sozialrechtlichen Schutz für unselbständige Erwerbsarbeit und die sozialrechtliche Absicherung verstärkt am Leitprinzip eigenständiger Absicherung auszurichten. Darüber hinaus müssen Maßnahmen zur Humanisierung der Arbeitswelt durch Arbeitsbedingungen vollzogen werden, die den verschiedenen Bedürfnislagen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entsprechen.

Weiters ist eine umfassende Mindestsicherung für die gesamte Bevölkerung überall dort erforderlich, wo erwerbsbezogene Sicherungssysteme nicht ausreichen. Die Selbstverwaltung als Herzstück sozialstaatlicher Gesellschaftspolitik muss gestärkt werden und die Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern muss vorangetrieben werden. Um dies zu erreichen, hat der ÖGB einen Forderungskatalog erstellt.

Förderung des Zugangs zur Erwerbsarbeit

Erwerbsarbeit ist für die Sicherung der Existenz der überwiegenden Mehrheit der Menschen in Österreich ein zentrales Thema. Es gibt aber nach wie vor eine Reihe von Hemmnissen im Zugang zur Erwerbsarbeit. Vor allem Frauen wird es sehr schwer gemacht, in die Arbeitswelt einzutreten und sich dort entwickeln zu können. Personen mit keinen oder unzeitgemäßen Bildungsabschlüssen werden auf dem Arbeitsmarkt auf schlecht bezahlte Arbeitsplätze ohne Entwicklungschancen verwiesen. Schließlich liegt es am Grad des Ausbaus verschiedener Infrastrukturbestandteile, wieweit sozial und/oder räumlich benachteiligte Menschen auf dem Weg zur Erwerbsarbeit Unterstützung finden.

Forderungen des ÖGB:

  • In Bildung investieren.
  • Beruf und Familie sollen für Eltern gleichermaßen wichtig sein.
  • Infrastruktur zur Förderung des Erwerbszugangs (Verkehrsmittel, Kurse etc.) schaffen.
  • Erhöhung der Qualität der Arbeitsplätze.
  • Absicherung im Fall der Arbeitslosigkeit (Existenzsicherung).
  • Bekämpfung der organisierten Schwarzarbeit.
  • Mitwirkung der Arbeitnehmer-Interessenvertretungen an der Gestaltung der Arbeitsmarktpolitik.

Arbeitsrecht

Durch die Globalisierung der Wirtschaft verschärft sich der Wettbewerbsdruck. Viele Unternehmen versuchen darauf mit einer Senkung der Arbeitskosten zu reagieren: Neben dem Bemühen, für die Arbeitnehmer günstige vertragliche Vereinbarungen im Verhandlungswege - oft unter Zuhilfenahme einer Kündigungsdrohung - abzubauen, wird immer häufiger versucht, gesetzlich und kollektivvertraglich gesicherte Ansprüche zu umgehen. Will das Arbeitsrecht weiter seinem Ziel gerecht werden, den unselbständig Beschäftigten einen gerechten Anteil am erwirtschafteten Wohlstand zu sichern und sie vor Übervorteilung und Ausbeutung zu schützen, muss diesen Tendenzen wirksam begegnet werden.

Forderungen des ÖGB:

  • Flucht aus dem Arbeitsrecht stoppen.
  • Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten.
  • Abfertigung allen Arbeitnehmern zugänglich machen.
  • Schutz vor unfairen Vertragsklauseln.
  • Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen durchsetzen.

Alterssicherung

Österreich kann auf ein gut ausgebautes System der Alterssicherung stolz sein. Der klare Schwerpunkt liegt bei der gesetzlichen Alterssicherung (»1. Säule«). Der ÖGB tritt vehement dafür ein, dass dieses System in seiner Grundstruktur erhalten bleibt und den Erfordernissen entsprechend weiterentwickelt wird. Eine Entsolidarisierung wie ein Ausspielen von Jung und Alt oder ein Ausschluss neuer Arbeitsformen wird in der Alterssicherung ebenso abgelehnt wie in anderen Bereichen.

Der ÖGB fordert zur Sicherung der ökonomischen Basis der Alterssicherung und zur Eindämmung des Anstiegs der Pensionsquote die dringende Erarbeitung eines Gesamtkonzepts, das - neben der Weiterentwicklung des Pensionsrechts - vor allem folgende Punkte umfasst:

Forderungen des ÖGB:

  • Gezielte Wachstumspolitik.
  • Sicherung/Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit (»employability«) der Erwerbsbevölkerung (zukunftsorientierte Erstausbildung, berufsbegleitendes Lernen, Gesundheitsschutz, Vereinbarkeit Beruf/Familie etc.).
  • Mobilisierung des vorhandenen Arbeitskräftepotentials (Abbau der Arbeitslosigkeit, Verbesserung der Erwerbschancen von Frauen, Älteren etc.).
  • Schaffung altersgerechter Arbeitsplätze.

Solidarische Alterssicherung auch in Zukunft unverzichtbar

Die Ausbreitung atypischer Arbeitsformen, die Individualisierung der Lebensformen und der Anstieg des Altenanteils erfordern gezieltes politisches Handeln, wenn der soziale Zusammenhalt in unserer Gesellschaft auch in Zukunft gewahrt werden soll.

Im Bereich der Alterssicherung wird von manchen »Sozialexperten« eine Zurücknahme der Leistungen der gesetzlichen Pensionsversicherung bei gleichzeitiger Forcierung von Betriebspensionen (»2. Säule«) und privaten Rentenverträgen (»3. Säule«) verlangt. Der ÖGB hält diese Antworten für verfehlt.

Wer beispielsweise in Anbetracht einer Arbeitswelt, in der immer mehr Arbeit in atypischen Erwerbsformen geleistet wird, Arbeitgeberwechsel immer häufiger werden und Berufsunterbrechungen (Exlternkarenz, Bildungskarenzen etc.) zunehmen, eine Verlagerung hin zu Betriebspensionen fordert, der nimmt damit - bewusst oder unbewusst - für eine erhebliche Zahl von Erwerbstätigen eine massive Einschränkung der Alterssicherung in Kauf.

Dazu kommt, dass bei Betriebspensionen Solidarelemente, wie z. B. die Anrechnung von Kindererziehungszeiten oder die Anrechnung anderer Ersatzzeiten, von vornherein wegfallen. Die neuen Herausforderungen erfordern keine Abkehr von der gesetzlichen Pensionsversicherung. Im Gegenteil: Sie erfordern ein klares Bekenntnis zu einer solidarischen Alterssicherung.

Betriebspensionen können eine sinnvolle Ergänzung bieten, als Ersatz für Leistungen aus der gesetzlichen Pensionsversicherung sind sie aber nicht tauglich. Ähnliches gilt für private Rentenverträge. Unter der genannten Einschränkung wird der Auf- und Ausbau betrieblicher Pensionsregelungen vom ÖGB aber selbstverständlich unterstützt.

Forderungen des ÖGB:

  • Leistungsrecht in der gesetzlichen Alterssicherung weiterentwickeln.
  • Mehr Transparenz und Ausgewogenheit im Leistungsrecht.
  • Ausbau der eigenständigen Alterssicherung der Frauen.
  • Bedarfsorientierte Mindestsicherung.
  • Durchschnittliches Pensionsalter an die gesetzlichen Altersgrenzen heranführen.
  • Wertsicherung der Pensionen.
  • Finanzierung der Pensionen langfristig sichern.
  • Gleiche Leistungen erfordern gleiche Beiträge (Angleichung der Beitragssätze von Selbständigen und Unselbständigen).
  • Kostendeckende Finanzierung der Ersatzzeiten (Kindererziehungszeiten, Zeiten des Arbeitslosengeld- oder Notstandshilfebezugs, Krankenstandszeiten, Bundesheer- und Zivildienstzeiten).
  • Umlagefinanzierung bei gesetzlicher Altersversorgung/Kapitaldeckung bei Betriebspensionen und privaten Renten.

Gesundheitspolitik

Wichtigstes Ziel staatlicher Gesundheitspolitik ist der freie und gleiche Zugang zu allen erforderlichen Dienstleistungen der Medizin. Der Weg dazu kann nur über die Pflichtversicherung führen: Nur sie gewährleistet, dass sich die Behandlung jeweils nach dem persönlichen Bedarf und die Finanzierung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Einzelnen richtet.

Der ÖGB spricht sich auch gegen neue Selbstbehalte und für eine Überprüfung bestehender Selbstbehaltsysteme aus. Umso wichtiger ist es, endlich strukturelle Reformen in Angriff zu nehmen, die vor allem die Bereiche Prävention, Steuerung, Leistungsqualität und Schnittstellen im Gesundheitswesen betreffen. Hier sind - zumindest mittelfristig - nicht unbeträchtliche Einsparungen möglich.

Forderungen des ÖGB:

  • Zukunftsorientierte Weiterentwicklung des Leistungsspektrums.
  • Verstärkung der Prävention.
  • Langfristig wirksame Lenkungsmaßnahmen.
  • Aufbau von Kompetenz- und Dienstleistungszentren.

Finanzierung des Gesundheitssystems

Die Beitragsfinanzierung in der sozialen Krankenversicherung sollte zumindest im Bereich der »versicherungsfremden Leistungen« durch Steuerfinanzierung ergänzt werden. Die »Familienleistungen« (zum Teil das Wochengeld, Mitversicherung etc.) in der gesetzlichen Krankenversicherung haben eine Größenordnung von über 25 Milliarden Schilling, für die keine Bundesabgeltung gewährt wird. Darüber hinaus könnten gewisse Steuerkategorien (Alkohol- und Tabaksteuer) nach dem Verursacherprinzip zur Finanzierung der Krankenversicherung herangezogen werden.

Die vom ÖGB geforderte Wertschöpfungsabgabe sollte nicht nur als Finanzierungsinstrument betrachtet werden; sie ist arbeitsmarktpolitisch unverzichtbar, wie überhaupt (zusätzliche) Beschäftigung (vor allem älterer Arbeitnehmer) insofern einen positiven finanziellen »Doppeleffekt« aufweist, als nicht nur den einzelnen Sozialtöpfen und dem Staat Mehreinnahmen (Beiträge, Steuern) zufließen, sondern dem Pensionssystem oder der Arbeitslosenversicherung Aufwendungen erspart werden.

Beitragserhöhungen sind in diesem Zusammenhang daher bei weitem nicht die einzige Möglichkeit, höhere Einnahmen zu erzielen. Auch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlagen kann eine Alternative darstellen. Alle diese Maßnahmen könnten - moderat eingesetzt - eine beachtliche kumulative Wirkung entfalten, die höhere Selbstbehalte entbehrlich machen würde.

Medikamente:

Senkung der Spannen auf EU-Niveau, Prüfung alternativer Preis- und Entgeltsysteme, Verschreibung von Generika, zusätzliche Bindung der Krankenanstalten an das Heilmittelverzeichnis und an die Richtlinien für ökonomische Verschreibweise.

Spitäler:

Fortsetzung der Strukturmaßnahmen durch den Bundesminister und die Länder: Der für die Krankenversicherung festgelegte finanzielle Beitrag müsste durch Gesetzgebung gesenkt werden.

Ärztliche Hilfe:

Erarbeitung von umsetzbaren Zielvereinbarungen bezüglich Qualität und Ökonomie mit den Leistungsanbietern zur Begrenzung der Ausgaben für Medikamente und ärztliche Hilfe. Ausbau des Vertragspartnercontrollings. Beseitigung der Honorarautomatik, Aussetzung der automatischen Tarifanpassung bei Zahnärzten.

Ausgleich bzw. Rücknahme aller gesetzlichen Maßnahmen, welche die Beitragserosion der Krankenversicherung verschärft haben (Beitragssenkung zugunsten der Arbeitgeber, Beitragssenkung zugunsten des FLAF, Umschichtungen hin zur bäuerlichen Krankenkassa usw.). An die Politik richtet sich die Verpflichtung, bei durch sie veranlassten zusätzlichen Aufgaben oder Einnahmenkürzungen für finanzielle Deckung zu sorgen.

Voller Mehrwertsteuerausgleich:

Anstelle einer Pauschalabgeltung soll der Entfall der Umsatzsteuerbefreiung vollständig ausgeglichen werden (zirka 1 Milliarde Schilling im Jahr 2001).

Reduktion der Beitragsschulden der Arbeitgeber:

Dazu zählen Maßnahmen wie zeitgemäße Erhöhung der Verzugszinsen; Ermöglichung der Verrechnung von - in der Privatwirtschaft immer schon üblichen - Mahngebühren als Ersatz für die zusätzlichen Verwaltungsaufwendungen; Verbesserung der Betriebsnachfolgehaftung; Schutz vor Anfechtungen im Konkursverfahren; Effektuierung des Exekutionsvollzugs; gewerberechtliche Konsequenzen bei Konkursabweisungen mangels Vermögen, gleiche exekutive Rechte wie die Finanzbehörden.

Sozialhilfe

Sozialleistungen müssen im Risikofall eine menschenwürdige Existenz garantieren. Die Sozialhilfe als zweites soziales Netz muss dann helfen, wenn andere Sicherungssysteme nicht oder nur unzureichend greifen, ohne dass durch bürokratische Hürden oder moralische Abwertungen Hilfesuchende abgewiesen werden können. Dies erfordert eine bundeseinheitliche Regelung der Sozialhilfe, verbunden mit existenzsichernder Ausgestaltung.

  • Umwandlung der Sozialhilfe in ein System der bedarfsorientierten Mindestsicherung: Dazu gehören der Aufbau einer bundeseinheitlichen existenzsichernden Richtsatzhöhe und Regressregelungen, bundeseinheitliche Regelungen der Vermögensanrechnung mit dem Ziel, Hilfeempfänger wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
  • Weiters ein Rechtsanspruch auf soziale und aktivierende Hilfen im Bereich der Sach- und Dienstleistungen zur (Wieder-)Integration ins Erwerbsleben beispielsweise durch Zugang zur Aus- und Weiterbildung, zu Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik, zu beruflicher und medizinischer Rehabilitation, zu Therapieplätzen und Kinderbetreuungsplätzen.
  • Materielle Existenzsicherung für völlig erwerbsunfähige Personen im Rahmen der bedarfsorientierten Mindestsicherung.

Selbstverwaltung

Die Sozialversicherung war in Österreich von Beginn an überwiegend von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern organisiert. Das war den konservativen Regierungen immer ein Dorn im Auge. In einer viele Jahrzehnte währenden, zähen politischen Auseinandersetzung haben die Arbeitnehmer ihren demokratischen Willen auf Selbstverwaltung ihrer sozialen Absicherung durchgesetzt. Als 1876 aus den Vereinskrankenkassen der erste Krankenkassenverband gegründet wurde, gehörten ihm 16 Kassen mit rund 30.000 Mitgliedern an. Heute vereinigen sich unter dem Dach des Hauptverbandes 27 Versicherungsträger, die acht Millionen Menschen bzw. 99 Prozent der Bevölkerung Sozialversicherungsschutz auf hohem Niveau bieten.

Während der Aufbauarbeit nach 1945 war es ein Hauptanliegen der Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Sozialversicherungsträger, voreilige Weichenstellungen zu vermeiden. In einer mehrjährigen Diskussionsphase wurde auf der Basis eines breiten politischen Konsenses das bestehende System der Sozialversicherungsträger erarbeitet.

Es ist gelungen, die unterschiedlichen Interessenlagen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern innerhalb der Sozialversicherung auszubalancieren. Soziale Absicherung aller Österreicherinnen und Österreicher wurde damit zum gemeinsamen Ziel einer breiten politischen Basis.

Die Vorteile der Selbstverwaltung:

  • Unabhängigkeit bei der Besorgung eigener Angelegenheiten gegenüber dem Staat.
  • Grenzen der Staatsaufsicht.
  • Demokratische Wahl der Organe.
  • Sozialer Friede.
  • Lebensnahe Sachkompetenz.

Der ÖGB lehnt Angriffe auf bewährte sozialstaatliche Institutionen entschieden ab und betont neuerlich sein deutliches Bekenntnis zum Prinzip der Selbstverwaltung. Die 58. ASVG-Novelle, die zu einer wesentlichen Schwächung des Selbstverwaltungsprinzipes im Hauptverband der Sozialversicherungsträger führte, ist daher rückgängig zu machen.

Der ÖGB erteilt in diesem Zusammenhang auch allen jenen »wohlgemeinten« Reformvorschlägen, die auf eine Zerschlagung der gesetzlichen Sozialversicherung als Herzstück des bewährten Systems der sozialen Sicherheit in Österreich hinauslaufen, eine klare Absage. Die in Selbstverwaltung geführte österreichische Sozialversicherung gewährt seit Jahrzehnten in hohem Maß den gesamtgesellschaftlichen Ausgleich sozialer Risiken zwischen Jung und Alt, Arm und Reich sowie Krank und Gesund.

Reform und Modernisierungen dürfen zu keiner Zerschlagung, sondern müssen zu einer Weiterentwicklung der Handlungsfähigkeit und Problemlösungskompetenz der Organisationen der Sozialversicherung im Interesse der Versicherten führen.

Angriff auf Sozialpartnerschaft ist machtpolitisch motiviert

Der Politikwissenschafter Peter Gerlich bezeichnete die österreichische Sozialpartnerschaft als unbestrittene Errungenschaft und effizientes System zur Lösung gesellschaftspolitischer Konflikte. »In einer Zeit, in der die Regierung aus machtpolitischen Überlegungen dieses System in Frage stellt, kommen auf die Sozialpartnerschaft besonders hohe Herausforderungen zu«, betonte Gerlich.

Die zentralistischen Strukturen der Sozialpartnerorganisationen seien zu hinterfragen, die Basis müsste verstärkt in Entscheidungsfindungen einbezogen werden. Die ÖGB-Urabstimmung sei ein wichtiger Schritt in diese Richtung, sagte Gerlich, der auch dafür plädierte, die Sozialpartnerschaft dadurch zu stärken, dass sie nach niederländischem Vorbild institutionalisiert bzw. gesetzlich abgesichert wird und neue Bündnispartner wie NGOs beigezogen werden.

Aus Sicht des Politikwissenschafters müsse die Akzeptanz der Sozialpartnerschaft, die bisher schon allein auf Grund der Erfolge sehr hoch war, in Zukunft auch durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit weiter gehoben werden. Es sei wichtig, so Gerlich, dass die Sozialpartnerorganisationen in der derzeitigen Situation Konfliktbereitschaft an den Tag legen.

Vollbeschäftigung muss übergeordnetes Ziel sein

»Der europäische Wohlfahrtsstaat steht mit der neuen globalisierten Wirtschaft und dem demographischen Alterungsprozess vor zwei großen Herausforderungen«, sagte Alois Guger vom Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) zur »Zukunft der sozialen Sicherheit«. Laut Guger beruhe das mitteleuropäische Wohlfahrtsmodell auf den beiden Säulen eines funktionierenden Arbeitsmarktes und stabiler Partnerbeziehungen. Wer es im Erwerbsleben geschafft hat oder in einer dauerhaften Beziehung lebt, sei gut abgesichert. Mit der Ausbreitung der »neuen globalisierten Wirtschaft«, die der Wirtschaft größere Flexibilität und den Arbeitnehmern größere Anpassungsfähigkeit abverlangt, dem demographischen Alterungsprozess, der die Bevölkerung im Erwerbsalter reduziert und die Kosten der Gesundheits- und Alterssicherung stark erhöht sowie dem Zerfall der Ehen seien diese Säulen aber brüchig geworden.

Diese Entwicklung kann und darf nicht den anonymen Kräften des Marktes überlassen werden. Guger: »Die Politik muss den Menschen und der Wirtschaft helfen, sich an die Bedingungen der ›neuen globalisierten Wirtschaft‹ anzupassen, um ein hohes Beschäftigungsniveau und Prosperität mit einer solidarischen Gesellschaft zu vereinbaren.« Um sich diesen Herausforderungen erfolgreich stellen zu können, seien flexible Rahmenbedingungen für die Wirtschaft erforderlich. Dazu zählten Erleichterungen bei Firmengründung und beim Zugang zum Kapitalmarkt auch für kleinere Betriebe, führte der WIFO-Experte aus.

Weltklasse-Ausbildung für Arbeitnehmer

Es müsse aber auch die Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer gefördert werden. Dies sei nur durch eine »Weltklasse-Ausbildung«, gekoppelt mit lebenslangem Lernen, möglich, damit die Menschen den sich rasch ändernden Qualifikationsanforderungen der Arbeitswelt gewachsen sind. Guger: »Nur durch ständige Höherqualifizierung können hohe Einkommen und Sozialstandards erhalten bleiben. Dazu kommt die Intensivierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik, um den Jobwechsel und die Integration auf dem Arbeitsmarkt zu erleichtern.«

Ausbau der Mindestsicherungen

Der starke Rückgang der Bevölkerung im Erwerbsalter wird ab Mitte des kommenden Jahrzehnts Verknappungen auf dem Arbeitsmarkt auslösen, die den Wachstumsprozess begrenzen, wenn es nicht gelingt, die Erwerbsbeteiligung älterer Menschen und Frauen zu steigern.

Die Bedeutung der Arbeitsmarktentwicklung für das Pensionssystem wurde vom WIFO auf Basis der neuesten demographischen Prognosen simuliert. Wenn für die Zukunft von einem ähnlichen Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum ausgegangen wird wie in den vergangenen 25 Jahren - plus 2,4 Prozent bzw. plus 0,4 Prozent pro Jahr -, so müsste die Erwerbsquote von heute 67,6 Prozent auf 79,9 Prozent im Jahr 2030 steigen, was dem heutigen Niveau skandinavischer Länder entspricht.

Vor diesem Hintergrund erscheint das Problem der Pensionsfinanzierung in den nächsten Jahrzehnten in einem vollkommen anderen Licht, als noch zum Beispiel nach der Rürup-Studie angenommen.

Vollbeschäftigung als übergeordnetes Ziel

Guger verwies auch auf die Empfehlung des Europäischen Rates, die ebenso die Bedeutung der Beschäftigungspolitik für die Finanzierung der sozialen Sicherheit hervorhebt: »Dieser empfiehlt, Vollbeschäftigung zu einem übergeordneten wirtschafts- und sozialpolitischen Ziel zu erklären und konkrete Anhebungen der Beschäftigungsquoten vorzugeben. Demnach sollten die EU-Länder in den nächsten zehn Jahren ihre Erwerbsquoten um zehn Prozentpunkte anheben.«

Die zentralen Ziele der Sozialpolitik der Zukunft

Der Wohlfahrtsstaat österreichischer Ausprägung ist ein international anerkanntes Erfolgsmodell: Über Jahrzehnte hinweg war es möglich und auch politisch gewollt, den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft zu sichern und immer mehr Menschen am gesellschaftlichen Reichtum teilhaben zu lassen. Soll der Sozialstaat auch künftig funktionieren, muss er auf neue Herausforderungen rechtzeitig reagieren. Um den sozialen Ausgleich herzustellen, muss er die Teilhabechancen der gesamten Bevölkerung am gesellschaftlichen Reichtum auf demokratische Weise fördern und soziale Sicherheit dauerhaft sicherstellen. Die drei wichtigsten Herausforderungen der nächsten Jahr(zehnt)e sind daher, Lösungen, wie sie besprochen wurden, für den im Umbruch befindlichen Arbeitsmarkt und die Arbeitswelt, die Alterung der Gesellschaft und für den Wandel im Zusammenleben zu finden.

INFO

ÖGB: Neue Wege zur Willensbildung

Im Vorjahr startete der ÖGB die Veranstaltungsserie »Startschuss Zukunft - Konferenzen zur Zukunft der Arbeitswelt«.

Dabei können Interessierte unter Verwendung neuer Kommunikationstechnologien die Zukunft der Arbeitswelt aktiv mitgestalten.

Jede Woche stellt der ÖGB eine Frage per SMS und zeitgleich auch im Internet. Per »News-Letter« werden die User auf die aktuelle Frage aufmerksam gemacht bzw. über das Ergebnis der Umfrage informiert.

Näheres zu den Zukunftskonferenzen gibt es unter: http://www.startschuss-zukunft.at

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