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Soziale Gerechtigkeit

In diesen Tagen feiern die Christen die Geburt ihres Heilands, jenes Mannes, der vor dem römischen Statthalter Pontius Pilatus gestanden war und zugegeben hatte, ein König zu sein: »Ich bin geboren und in diese Welt gekommen, um Zeugnis zu geben für die Wahrheit«, sagte er. Worauf Pilatus fragte: »Was ist Wahrheit?« Der skeptische Römer erwartete sich offenbar keine Antwort auf diese Frage, und der Heilige gab auch keine.

Nach der Interpretation von Hans Kelsen, dem »Vater der österreichischen Verfassung«1), war Zeugnis zu geben für die Wahrheit nicht das Wesentliche an der Sendung des Jesus von Nazaret als Messianischer König. »Er war geboren, Zeugnis abzugeben für die Gerechtigkeit, jene Gerechtigkeit, die er in dem Königreich Gottes verwirklichen wollte. Und für diese Gerechtigkeit ist er auf dem Kreuze gestorben.

So erhebt sich, hinter der Frage des Pilatus: Was ist Wahrheit?, aus dem Blute des Gekreuzigten eine andere, eine noch viel gewaltigere Frage, die ewige Frage der Menschheit: Was ist Gerechtigkeit?«

In diesen heiligen vorweihnachtlichen Zeiten mag so manche Pensionistin, so mancher Pensionist sich eine ähnliche Frage gestellt haben beim betrübten Blick in die Brieftasche und bei der gar nicht frohen Botschaft über die Pensionserhöhung: ein Komma ein Prozent - und das bei einer Inflationsrate von fast drei Prozent.

Gerechtigkeitslücke

Da mag es wohl kein Trost sein, wenn man darauf hinweist, dass eine »Gerechtigkeitslücke« bestehe. Tatsachen sind aber:

  • Wir haben eine hohe Arbeitslosigkeit.
  • Wir haben einen Rückgang der Lohnquote bei gleichzeitiger Steigerung der Sozialabgaben und Steuern. Und:
  • Wir haben eine anhaltende Begünstigung der Unternehmereinkommen, Vermögenserträge und höheren Arbeitseinkommen, die durch die Ausgestaltung des Steuersystems noch verstärkt wurde.

Was nützt es da, wenn wir unseren Müttern und Großmüttern, unseren Vätern und Großvätern sagen: »Mach dir nichts draus, du hast zwar eine reale Kürzung deiner Pension, aber den Arbeitslosen und Kranken geht's auch nicht besser, sie bekommen auch weniger.«

In unserer Gesellschaft gibt es Strömungen, die »Gerechtigkeitsideale überdenken« und sie »an den Realitäten der neuen Weltwirtschaft« messen wollen.

Im vorigen Jahrhundert hatte man sich noch darauf orientiert, dass soziale Gerechtigkeit auf eine Reduktion der real existierenden Ungleichheit in der Einkommens- und Vermögensverteilung hinauslaufe und damit in eine staatliche Intervention in die Wertschöpfung und die Bewegung der Märkte. Unter den neuen Bedingungen einer »globalisierten Ökonomie« lasse sich die Orientierung des 20. Jahrhunderts auf diese Art von Gerechtigkeit nicht aufrechterhalten. Keynes und der Keynesianismus seien endgültig überholt und damit auch Regulierungs- und Steuerungssysteme, die ein gewisses Maß an sozialer Gleichheit und an sozialpartnerschaftlicher Ausgewogenheit von Lohnarbeit und Kapital garantieren könnten.

Da gibt es z. B. den österreichischen Ökonomen Friedrich von Hayek, einer der Gurus der Neoliberalen. Für ihn ist die Idee der sozialen Gerechtigkeit inhaltsleer, weil die Gesellschaft kein verantwortungsvoll handelnder Akteur ist, der gerechte oder ungerechte Verteilungen vornehmen kann. In modernen Gesellschaften erfolgt die Zuteilung von Gütern allein nach Marktgesetzmäßigkeiten, deren Effizienz am Ende auch den Armen nützt.

»Ja ja, die Neoliberalen«, werden sie vielleicht seufzen, »ja ja, die Globalisierung.«

Die Diskussionen dazu füllen viele, viele Bände, und ich will nichts weniger versuchen, als sie auf den Punkt zu bringen. Ich benütze das Internet, und dort konnte ich mir kürzlich einen Vortrag eines amerikanischen Universitätsprofessors zur Globalisierung »herunterladen«2). Er zitierte folgendes Sprüchlein:


»The poor complain
they always do,
but that's just idle chatter,
our system brings rewards to all,
at least to all that matter.«


Auf Deutsch in etwa:


»Die Armen beschweren sich,
das machen sie ständig,
aber das ist nur leeres Geschwätz,
unser System lohnt sich für alle,
zumindest für alle, die wichtig sind.«


Also: Hat es sich für Sie nicht gelohnt? Dann sind Sie nicht wichtig.

Religion

Eigentlich wären ja wir, die sich beschweren, in der Mehrheit. Und in der Demokratie entscheidet nun einmal die Mehrheit. Aber »die anderen« haben die Macht, die Ressourcen, das Geld. Und sie arbeiten daran, uns zu kontrollieren, unser Denken zu beeinflussen. Bis wir freudig sagen: »Ja, nehmt uns noch mehr weg - Hauptsache, der Markt ist frei!«

Nein, Sie sagen das nicht? Glauben Sie auch, dass »Globalisierung« zum Kampfbegriff für die Durchsetzung on Unternehmensinteressen geworden ist? Sind Sie auch für eine sozial zumindest abgefederte Wirtschaftspolitik? Ja dann - könnten Sie an das Christkind schreiben, damit sich was ändert. Wenn Sie nicht mehr an das Christkind glauben, können Sie auch selber etwas tun. Den »Evangelisten des Marktes« müssen wir entschiedener entgegentreten. Gemeinsam!

Sie glauben nicht, dass das mit Religion zu tun hat? Dann zitiere ich für Sie zum Abschluss Claude Julien aus »Le Monde diplomatique«:

»Der Graben zwischen Nord und Süd wird immer tiefer, hier wie dort bereichert sich eine mehr oder weniger große Oberschicht, und Arbeitslosigkeit, Unsicherheit und Elend nehmen mittlerweile auch im Norden immer mehr zu. Hinter der geheuchelten Fürsorge der >Eliten<, die brillant mit den Phrasen des Kapitalismus um sich werfen, verbirgt sich die Religion des Profits um jeden Preis.«

1) Hans Kelsen: »Was ist Gerechtigkeit?«, Reclams Universal-Bibliothek Nr. 18076, Stuttgart 2000.

2) Der amerikanische Universitätsprofessor heißt Noam Chomsky, und sein »Audiovortrag« zur Globalisierung ist zu finden auf der Internetseite »www.zmag.org«.

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