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KOMMENTAR | Sozialpartnerschaft - Reform oder Demontage

Über die Zukunft der Sozialpartnerschaft wurde auch vor dem Februar 2000 schon diskutiert. Mit der schwarzblauen Koalition ist die Debatte aber deutlich schärfer geworden. Knapp zwei Jahre nach Regierungsantritt zieht Ferdinand Karlhofer eine vorläufige Bilanz.

Die legistischen Maßnahmen der Regierung haben eine zweifache Stoßrichtung: sie setzen zum einen bei der arbeits- und sozialrechtlichen Regelung der Arbeitsbeziehungen, zum anderen bei der »Architektur« der Sozialpartnerschaft selbst an. Leitlinie für die Eingriffe in das Arbeitsrecht ist der Grundsatz, dass alle Bestimmungen, die eine »unverhältnismäßig große Belastung für die Betriebe« darstellen, zu beseitigen sind. Praktisch alle bisher vom Parlament verabschiedeten Gesetzesnovellen in diesem Bereich waren das Ergebnis von Kampfabstimmungen zwischen den Parteien von Regierung und Opposition. Kompromisslösungen auf der Grundlage von Parteienverhandlungen kamen nicht zustande oder wurden erst gar nicht gesucht. Auf die alte Usance, in sozialpolitischen Fragen zunächst die Sozialpartner einen Konsens suchen zu lassen und anschließend deren Vorschläge im Parlament zu behandeln, wurde überhaupt verzichtet.

Aber nicht nur von der freiwilligen Einbindung der Verbände hat man Abstand genommen, es wurden auch die gesetzlichen Grundlagen für ihre Mitwirkung am politischen Prozess geändert. Mit den Umstrukturierungen bei Arbeitsmarktservice und Sozialversicherungsträgern sind weitreichende Einschnitte in das bislang geltende Prinzip der sozialen Selbstverwaltung vorgenommen worden. Weitere Eingriffe sind bei den Mitbestimmungsrechten von Betriebsräten und der Rolle der Gewerkschaft auf Betriebsebene zu erwarten.

Systematische Ungleichbehandlung

Dass die Sozialpartnerschaft ein wichtiges Wendeobjekt der Mitte-rechts-Koalition sein würde, war von Anfang an abzusehen. Ihr Einfluss ist insgesamt drastisch eingeschränkt worden, ihre Autorität als bewährter Konfliktregelungsmechanismus wird gerade in den Beziehungen zwischen Regierung und Verbänden nicht mehr anerkannt. Eine wichtige Unterscheidung ist allerdings angebracht: Einige der Regierungsmaßnahmen schmälern den Einfluss der Arbeitgeberverbände - ausnahmslos alle aber schmälern den Einfluss der Arbeitnehmerseite.

Die systematische Ungleichbehandlung der Verbände durch die Regierung hat weit über die Sozialpartnerschaft hinausreichende Auswirkungen. Das österreichische System der Arbeitsbeziehungen gründet sich - so wie in den übrigen europäischen Demokratien - in seiner rechtlichen Rahmensetzung wie auch in seiner praktischen Ausgestaltung auf den Grundsatz der Parität. Dieser Paritätsgedanke geht nicht unbedingt von einer gleichen Stärke, wohl aber von einer Gleichwertigkeit der beteiligten Akteure aus. Und keineswegs liegt diesem Gedanken die Annahme zugrunde, dass es keinen grundlegenden Interessengegensatz zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gebe. Das Gegenteil ist der Fall: Der wechselseitige Respekt und die Akzeptanz der Parität machen eine geregelte Austragung von Gegensätzen auf niedriger Konfliktstufe überhaupt erst möglich.

Zum ersten Mal ignoriert wurde der Paritätsgedanke mit der Zusammenlegung der Ressorts Wirtschaft und Arbeit in einem gemeinsamen Ministerium. Dem Amtsverständnis des Ministers zufolge wollte man damit »das Klischee überwinden, dass es einen Gegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gibt«*). Bis dahin war man davon ausgegangen, dass mit der Trennung der beiden Ressorts eine wenn nicht grundsätzlich gegensätzliche, so doch unterschiedliche Rollenzuweisung für die zuständigen Minister verbunden ist. Seit Februar 2000 aber ist Österreich das einzige kontinentaleuropäische Land, das eine Trennung der Ressorts für verzichtbar hält. Sichtbarster Ausdruck der neuen Logik war die Umwidmung des Arbeitsinspektorats von einem Kontroll- in ein Dienstleistungsinstrument.

Gemeinsame »Triebkraft«

Die Regierungspraxis der vergangenen zwei Jahre bietet zahlreiche Beispiele für die Missachtung der Parität, herausragend die Umstrukturierung des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger. Die beiden Regierungsparteien haben teilweise gleiche, teilweise auch unterschiedliche Gründe für ihre problematische Beziehung zu Arbeiterkammer und Gewerkschaft. Gemeinsame Triebkraft ist wohl, wie der Fall Sallmutter zeigte, der Wunsch, »die Sozialisten« loszuwerden, vor allem deren Gewerkschafter.

In scharfem Kontrast mit der für die Zweite Republik so charakteristischen Konsensorientierung, ist die Härte, mit welcher der Konflikt ausgetragen wird, ungewohnt und irritierend. Demokratiepolitisch problematisch ist aber weniger der aggressive Ton als die Zielrichtung der Attacken. Eine Sondersitzung des Nationalrats mit dem Thema »Missstände und Privilegien im ÖGB« anzuberaumen, heißt bewusst eine Zuständigkeit zu suggerieren, die rechtlich nicht gegeben ist. Ebenso wenig ist der Gesetzgeber zuständig, dem ÖGB als freiem Verein eine Direktwahl seines Präsidenten zu verordnen oder Unvereinbarkeitsregeln für Gewerkschaftsfunktion und Abgeordnetenmandat festzulegen. Das eine würde eine grundlegende Änderung von Koalitionsfreiheit und Vereinsrecht bedingen, also auch den Alpenverein oder das Rote Kreuz tangieren; das andere wäre ein verfassungsrechtlich unzulässiger Eingriff in das passive Wahlrecht.

Interessenausgleich

Seitens der Sozialpartner ist eine gemeinsame Stellungnahme zur notorischen Infragestellung des Paritätsprinzips durch die Regierungsparteien bislang ausgeblieben. Grund dafür mag zum einen sein, dass das Interesse der Arbeitgeberseite am sozialpartnerschaftlichen Verhandlungsmuster markant gesunken ist; zum anderen bleibt der Solidarisierungseffekt wohl auch deshalb aus, weil die Wirtschaft durch ihre Verflechtungen mit der ÖVP weiter über einen privilegierten Zugang zur Regierung verfügt. Allerdings ist hier näher zu differenzieren: Der Industriellenvereinigung erschließt sich der Nutzen der Sozialpartnerschaft nur noch in einem begrenzten Maße; mit der Transformation Österreichs von einer nationalen Volkswirtschaft zu einem international exponierten Wirtschaftsstandort geht eine beschleunigte Abkoppelung ökonomischer Interessen von sozialen Gestaltungsinteressen einher. Anders bei der Wirtschaftskammer mit ihrer sehr viel heterogeneren Mitgliederstruktur. Sie ist stärker auf den Interessenausgleich und damit bei der Realisierung ihrer Verbandsziele auf Partner angewiesen. Nicht zufällig kommt das bislang klarste Bekenntnis zum Paritätsprinzip von dieser Seite.*)

Als Forum für die tripartistische Interessenkonzertierung von Regierung und Verbänden hat die Sozialpartnerschaft unter der aktuellen Koalition kaum Aussichten auf eine Wiederbelebung. Die ÖVP steht zwar schon allein durch ihre bündische Gliederung und damit ihre Verflechtung mit den Kammern - hier allerdings besonders den Selbständigen-Kammern - in einem besonderen Verhältnis zur Sozialpartnerschaft. Wirtschafts-, Bauern- sowie Arbeiter- und Angestelltenbund sind zugleich Fraktionen in den Kammern und Teilorganisationen der ÖVP. Die damit in der Parteistruktur festgelegte Verschränkung von verbandlicher mit politischer Ausrichtung macht die ÖVP zu einer nachgerade genuinen sozialpartnerschaftlichen Partei, so dass eine Rückkehr zum Tripartismus - wenn auch unter veränderten Vorzeichen - hier vorstellbar ist.

Miteinander oder gegeneinander?

Gänzlich anders verhält es sich aber bei der FPÖ. Angetreten als »Partei des kleinen Mannes«, hat sie in den Arbeitnehmerverbänden nicht in jenem Maße an Gewicht zulegen können, wie ihr das in der politischen Arena gelungen ist. Bei AK-Wahlen ist sie mit großem Abstand drittstärkste Fraktion, bei Betriebsratswahlen liegt sie meist näher bei der KPÖ als bei der nächstgrößeren Fraktion. Das macht die Selbstzuschreibung der FPÖ als »neue Arbeiterpartei« unvollständig und widersprüchlich. Durch ihre Randrolle in den Arbeitnehmerverbänden sind die Möglichkeiten einer prägenden innerverbandlichen Einflussnahme sowie einer substanziellen Mitgestaltung im sozialpartnerschaftlichen Verhandlungssystem für die FPÖ gering. Entsprechend groß ist daher ihr Interesse an einer Auflösung der bestehenden Strukturen und Beziehungsmuster.

Sozialpartnerschaft ist ohne Frage kein Wert an sich. Sie ist ganz nüchtern betrachtet ein freiwillig gebildetes Arrangement mit dem Vorsatz, miteinander mehr zu erreichen als gegeneinander. Eine kluge Regierung kann sich dieses »soziale Kapital« nutzbar machen, ohne sich davon vereinnahmen zu lassen. Und sie ist auch angehalten, die Regeln zu ändern, wo Anpassungsbedarf besteht. Bei der aktuellen Parteienkonstellation lassen die Aktivitäten der Regierung jedoch keine konstruktive Zielrichtung erkennen. Zumindest Teilen der Regierung geht es offensichtlich weniger um eine Reform als um die Demontage dieser langjährigen Konstante des politischen Systems.

Das »österreichische Modell« - Ende oder Neubeginn?

6. Franz-Senghofer-Symposium

Montag, 26. (14.00 Uhr), bis
Dienstag, 27. November 2001 (mittags)
ÖGB-Bildungszentrum Strudlhof, Wien


Über Jahrzehnte hat die Sozialpartnerschaft zu den stabilen Verhältnissen in Österreich beigetragen. Es gab nahezu keine Streiks, die Wirtschaft florierte. Ein Erfolgsmodell, um das uns in der Vergangenheit viele Länder beneideten.

In den letzten Jahren wird dieser für die Zweite Republik so charakteristische »Klassenkampf am grünen Tisch« zunehmend in Frage gestellt. Für die einen steht die Sozialpartnerschaft an einem Wendepunkt. Andere haben gar einen Schlussstrich unter die Sozialpartnerschaft gezogen. Steht das »Modell Österreich« vor dem endgültigen Aus oder vor einem Neubeginn?

Am 6. Franz-Senghofer-Symposium werden diese Problemlagen eingeschätzt. Aus Sicht der politischen Parteien, der Sozialpartner und der Wissenschaft werden die Funktionsfähigkeit, der Reformbedarf sowie zukünftige Reformschritte der Sozialpartnerschaft zur Diskussion gestellt. Es wirken u. a. mit:

Fritz Verzetnitsch, ÖGB
Christoph Leitl, Wirtschaftskammer
Johann Kalliauer, AK Oberösterreich
Lorenz Fritz, Industriellenvereinigung
Ferdinand Karlhofer, Universität Innsbruck
Jörg Flecker, Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA)
Emmerich Talos, Universität Wien
Stephan Schulmeister, WIFO
Andreas Khol, ÖVP
Reinhart Gaugg, FPÖ
Josef Cap, SPÖ
Alexander Van der Bellen, Die Grünen

Nähere Informationen zum Senghofer-Symposium:
Kollege Michael Vlastos (ÖGB-Bildungsreferat, Tel. 01/534 44-441)

Anmeldung:
Kollegin Margarita Skalla (Tel. 01/534 44-444)

*) »Die Sozialpartnerschaft ist die Basis einer funktionierenden Wirtschaft in Österreich, und ich werde keinen Versuch akzeptieren, diese Basis zu zerstören (...) Wenn man einen der Sozialpartner abschießen will, dann gibt es keine Sozialpartnerschaft mehr.« (Wirtschaftskammerpräsident Leitl, zitiert nach Salzburger Nachrichten vom 15. September 2001).

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