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Der 11. September und die Folgen für die Weltwirtschaft

Die verheerenden Terroranschläge am 11. September waren nicht nur Anschläge auf Amerika, sondern auch Anschläge auf das westliche Gesellschafts- und Wirtschaftssystem insgesamt. Schließlich wurde deshalb auch das World Trade Center als Ziel ausgewählt, das als besonders (auch im wörtlichen Sinne) herausragendes Symbol für das finanzielle Nervenzentrum des Kapitalismus im Herzen New Yorks stand. Es ist klar, dass diese Katastrophe für Tausende von Menschen auch schwerwiegende wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen wird. Um diese jedoch in ihrer vollen Tragweite abschätzen zu können, ist es noch zu früh, denn zu viele Fragen sind derzeit noch nicht beantwortet.

Bis zu diesem Tag war noch vieles unklar. Am 7. Oktober begannen die USA mit Militärschlägen gegen Ziele in Afghanistan, doch es kann nicht vorausgeahnt werden, wie Politik und Militär weiter agieren werden, wann wer wo und in welchem Ausmaß Vergeltungsschläge durchführen wird, wie etwaige Gegenreaktionen darauf ausfallen werden usw. Davon hängen aber wiederum die Reaktionen der Märkte, der Börsen, der Investoren und der Konsumenten und schließlich auch weitere Maßnahmen der Wirtschaftspolitik ab.

Eine zusätzliche Schwierigkeit liegt darin, dass - wenn auch gewisse Vermutungen aus früheren Kriegen (Golfkrieg) oder Schocks (Erdölpreisschocks) abgeleitet werden können - historische Vorbilder fehlen, aus welchen auf etwaige zu erwartende Verhaltensmuster geschlossen werden könnte. Der wirtschaftlichen Analyse bleibt derzeit aufgrund der enorm gestiegenen Unsicherheiten also nichts anderes übrig, als auf Prognosen zu verzichten und bloß Vermutungen anzustellen. Sinnvollerweise wird dabei von einer »Normalvariante« ausgegangen, die keine politisch-militärische Eskalation unterstellt und von besonnenen Reaktionen aller Betroffenen ausgeht. Allerdings muss dabei bewusst gemacht werden, dass daneben sehr wohl auch eine »Negativ-Variante«, die Gefahr einer tiefen Rezession, also eines deutlichen Rückschlages der gesamten Weltwirtschaft, existiert.

Ausgangslage: Weltwirtschaft an der Kippe zur Rezession

Schon vor dem Terrorattentat war es um die Lage der Weltwirtschaft nicht besonders gut bestellt. Wegen des unerwartet abrupten und heftigen Konjunktureinbruches in den USA und wegen der Kaufkraftschwächung in den ölimportierenden Ländern nach den enormen Erdölpreissteigerungen mussten seit Jahresmitte 2000 die Prognosen laufend abwärts revidiert werden. Schon im Sommer 2001 stand die Wirtschaft der USA am Rande einer Rezession. Japan und einige Regionen in Südamerika und Südostasien befanden sich bereits mitten in einer tiefen Krise, und auch in der Europäischen Union kam das Wirtschaftswachstum, das im Jahr 2000 noch bei 3,4 Prozent lag, zur Jahresmitte 2001 praktisch zum Stillstand.

Während allerdings in anderen Weltregionen (USA, Japan) die Krise sehr wohl von der Wirtschaftspolitik registriert worden war und entsprechende Gegenmaßnahmen (wie Zinssenkungen oder kaufkraftbelebende Maßnahmen aus öffentlichen Haushalten) eingeleitet wurden, steckten die wesentlichen Verantwortlichen in Europa ihre Köpfe in den Sand. Von der Europäischen Kommission über die Europäische Zentralbank bis hin zur österreichischen Regierung wurde weiterhin Schönfärberei betrieben, und die Warnungen - wie etwa vom Wirtschaftsforschungsinstitut, das auf den Ernst der Lage aufmerksam machte - wurden als politisch motivierte, unverantwortliche Panikmache abgekanzelt.

»Heilig«

Die Ursache dieses Verhaltens, sowohl auf europäischer als auch auf österreichischer (Regierungs-)Ebene liegt auf der Hand: Bei einer deutlichen Konjunkturverschlechterung wäre das »heilige«, aber speziell in einer Konjunkturabschwächung unsinnige Ziel des Nulldefizits der öffentlichen Haushalte nicht mehr zu halten. Die Regierung müsste eingestehen, dieses ihr oberstes Ziel verfehlt zu haben, und sie müsste sich darüber hinaus noch den Vorwurf gefallen lassen, mit ihren eigenen Maßnahmen den Abschwung noch verstärkt zu haben. Denn die Erhöhung von Steuern und Gebühren, die Selbstbehalte und Studienbeiträge, die Kürzungen bei Sozialausgaben etc. verpassten der ohnehin schon schwachen Nachfrage noch zusätzliche Dämpfer, insbesondere auch dadurch, dass die niedrigen Einkommen durch die Budgetkonsolidierung überproportional betroffen waren.

Viele Institutionen, wie etwa OECD, Europäische Kommission, Europäische Zentralbank und Institut für Höhere Studien, die schon seit Monaten unrealistisch optimistische Prognosen produzierten, nahmen zumindest die Veränderung der Lage durch den 11. September als Vorwand, ihre Fehlprognosen nun auf ein realistischeres Maß zurückzunehmen. Die österreichische Bundesregierung dagegen betreibt weiterhin unverdrossen Realitätsverweigerung. So erklärte etwa Bundeskanzler Schüssel laut OTS-Presseaussendung am 12. September, also schon nach dem Terroranschlag (!), »bestgelaunt«: »... dass sich gute Indikatoren für die amerikanische Wirtschaft abzeichnen, die zu einem Aufschwung führen könnten, der mit Nachhaltigkeit auf Europa abfärbt. Die größte Gefahr geht jetzt von den selbst ernannten Katastrophenpropheten aus«. Weiters meint Schüssel in derselben Presseaussendung übrigens auch: »Die Weltwirtschaft befindet sich in einer stabilen Situation. Es ist nun Aufgabe der Politiker, das Vertrauen der Bevölkerung zu erhalten.« Ob das Vertrauen in die Politiker mit Aussagen wie der zuvor zitierten nachhaltig gestärkt werden kann, erscheint jedenfalls höchst zweifelhaft.

Unmittelbare Folgen

So makaber es klingen mag, aber es muss als positives Zeichen für die Stabilität der Wirtschaft gewertet werden, dass dem Terrorakt nicht der totale Zusammenbruch folgte. Denn wie die Financial Times schreibt: »In keinem anderen Gebäude der Welt wurde so viel Geld bewegt, kontrolliert und verdient wie im Herz des Kapitalismus.« Man muss sich vergegenwärtigen, dass ein großer Teil des Finanzzentrums der Welt - die Gebäude, die technische Infrastruktur, Hard- und Software, Kundendateien und vor allem Tausende von hoch qualifizierten Finanzexperten - mit einem Schlag ausradiert wurde. Natürlich musste der Börsenhandel an der Wall Street vorübergehend ausgesetzt werden. In Manhattan, wo die Wege des global zirkulierenden Geldes zusammenlaufen, herrschte plötzlich Vakuum. Eigentlich ist es erstaunlich, dass nicht ein Kollaps des Weltfinanzsystems folgte. Bis eine halbwegs zuverlässige Abschätzung der gigantischen finanziellen Schäden vorgenommen werden kann, werden wohl noch Monate vergehen. Allerdings können einige Bereiche identifiziert werden, welche durch die Ereignisse des 11. September unmittelbar in besonderem Ausmaß negativ betroffen wurden. Dazu zählen vorrangig Fluglinien und ganz allgemein die Tourismusbranche, Finanzinstitutionen und Versicherungen sowie die Betroffenen der unmittelbaren Reaktion der Börsen.

Verluste

Das Passagieraufkommen der amerikanischen Fluglinien sank noch im September um ein Drittel, gegenwärtig werden Gesamtverluste der amerikanischen Luftfahrt in der Höhe von 5 Milliarden Dollar erwartet. Flugzeugbestellungen wurden storniert, Flugzeugbauer wie Boeing und Zulieferer wie etwa der Motorenbauer General Electric Aircraft Engines reagieren mit Massenentlassungen. Einen Tag nach dem Attentat meldete die amerikanische Midway Airlines Konkurs an.

In Europa sorgte die Pleite der renommierten Swissair (bislang mit 9000 Jobverlusten) für Schlagzeilen. British Airways verlor täglich 140 Millionen Schilling durch Flugausfälle. Die spanische Fluglinie Iberia meldete Massenkündigungen an, von denen mehr als 6000 Personen betroffen sein könnten, und auch andere große Gesellschaften, wie etwa die niederländische KLM oder die belgische Sabena, mussten typische Notmaßnahmen ergreifen wie die Reduktion der Flugpläne und damit auch ihres Personals, Einführung von Kurzarbeit und Kürzung der Gehälter.

Insgesamt schätzt die internationale Flugorganisation IATA die Folgen der Attentate auf die Branche mit gut 300 Milliarden Schilling Verlust ein, zig Fluglinien würden Pleite gehen und weltweit etwa 100.000 Angestellte ihren Arbeitsplatz verlieren. Auch die Reisebürobranche ist stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Nachfrage nach Überseeflügen ist drastisch eingebrochen, und langwierige Sicherheitskontrollen und damit noch mehr Warterei macht Fernreisen immer unattraktiver und teurer.

Erstaunlich wenig angeschlagen dürfte dagegen die Versicherungsbranche dem Desaster entkommen. Zwar könnten die Katastrophenschäden in New York und Washington den Versicherungen bis zu 66 Milliarden Schilling kosten und damit zum größten Schadensfall in der Geschichte der Branche werden, doch das System der Rückversicherung, das die Risken der einzelnen Unternehmen weltweit streut, hält die direkte Belastung einzelner Institute in Grenzen. Größer dürfte die finanzielle Belastung der Versicherungen durch den Kursrückgang an den Börsen sein. Prämienerhöhungen erscheinen jedenfalls unvermeidlich. Und bei den Banken wird sich erst in den nächsten Wochen herausstellen, wie weit sie durch uneinbringlich gewordene Kredite belastet werden.

Die psychologische Wirkung: Ölpreis, Börse, Investoren und Konsumenten

Über diese unmittelbaren Schadensfolgen hinaus ergibt sich die Frage, wie der weitere Kurs der Wirtschaft durch diese Ereignisse beeinflusst wird. Dabei kann man drei Phasen unterscheiden: Phase 1 wird dominiert von den unmittelbaren Schadensfolgen, etwa bei Fluglinien und Versicherungen. Die Wirtschaft wird gedämpft, Arbeitskräfte entlassen. Nach einigen Wochen folgt Phase 2, und diese ist von den größten Unsicherheiten geprägt: Wie reagieren Militär, Wirtschaftspolitik, Börsen, Ölpreis, Investoren und Konsumenten? Dann, nach etwa einem dreiviertel bis ganzen Jahr, könnte Phase 3 folgen, nämlich die Gegenreaktion. Die Investitionen in den Wiederaufbau, in Sicherheitsmaßnahmen, in Rüstung usw. beginnen zu greifen. Sie beleben die Nachfrage und führen zu einem neuen Aufschwung. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass im 20. Jahrhundert nicht wenige amerikanische Wirtschaftsaufschwünge in der Folge militärischer Aktionen oder Kriege eintraten, welche mit kräftigen Staatsausgaben Hand in Hand gingen - zuletzt nach dem Golfkrieg zu Beginn der neunziger Jahre.

Die zentrale Frage liegt somit in der Entwicklung in Phase 2, in der entschieden wird, ob es sich nur um einen vorübergehenden Dämpfer handelt, und wenn ja, wie lange es dauert, bis dieser überstanden ist und eine Erholung eintritt. Maßgeblich dafür sind zuerst einmal das Verhalten der Politik, also die weiteren militärischen Schritte ebenso wie die wirtschaftspolitischen Reaktionen. Da es in diesem Beitrag um ökonomische Fragen geht, unterstellen wir einmal, dass es zu keiner stärkeren militärischen und terroristischen Eskalation kommt, und dass die amerikanische Wirtschaftspolitik weiterhin aktiv und entschlossen den negativen Folgen entgegenwirkt. Dann bleiben folgende Fragezeichen bestehen:

(a) Ölpreis?

Krisen im Nahen und Mittleren Osten bergen - ebenso wie militärische Konflikte allgemein - immer die Gefahr eines Erdölpreisanstieges in sich. Dies könnte etwa über ein Embargo oder durch den Ausfall eines Förderlandes eintreten. Dadurch würde die Kaufkraft in den Erdöl importierenden Ländern maßgeblich gedämpft. Bislang hat allerdings die OPEC erklärt, sie werde für ausreichenden Ölnachschub für die Weltwirtschaft sorgen. Tatsächlich sank der Ölpreis bis zum Redaktionsschluss auf ca. 20 Dollar pro Fass und lag damit sogar unter dem von der OPEC angepeilten Preisniveau von 22 bis 28 Dollar.

(b) Börsen?

Naturgemäß lassen sich die Entwicklungen an den Börsen nicht präzise vorhersagen (damit ließe sich viel Geld verdienen!). Logisch ist, dass zuerst einmal negativ betroffene Bereiche wie Luftlinien Kursverluste und positiv betroffene wie die Rüstungsindustrie oder die Telekommunikation Gewinne einfahren (makabres Detail am Rande: Die Geheimdienste gehen davon aus, dass die Terroristen, die diese Reaktionen ja rechtzeitig einkalkulieren konnten, mit Börsengeschäften daraus milliardenschwere Profite einfahren konnten). Doch die generelle Richtung ist nicht prognostizierbar. An der Börse kann ein und dasselbe Ereignis wie ein Krieg oder ein Attentat einmal zu einem Boom und ein anderes Mal zu einem Crash führen.

Im aktuellen Fall zeigten sich die Börsen erstaunlich gelassen. Nach der viertägigen Unterbrechung des Börsenhandels blieb der vielfach erwartete Totalabsturz aus. Es kam zwar zu deutlichen Kursverlusten, als unmittelbare Reaktion auf den großen internationalen Börsen um etwa 5 bis 8 Prozent (und damit weit weniger als etwa beim Börsenkrach im Jahre 1987, als die Kurse auf einen Schlag um mehr als 20 Prozent abstürzten), nach einigen Wochen insgesamt um ca. 20 Prozent. Danach entspannte sich die Situation etwas, doch was blieb, ist gestiegene Unsicherheit, Nervosität und Volatilität (starke und rasche Schwankungen).

Zwar verloren allein die dreißig im Dow-Jones-Index zusammengefassten Unternehmen in den Tagen nach dem Attentat mit unglaublichen 3000 Milliarden Schilling eine Summe, die etwa so groß ist wie das österreichische Bruttoinlandsprodukt eines Jahres, doch gemessen an der krassen Überbewertung der Aktienkurse der vorangegangenen Jahre können die aktuellen Kurse durchaus als realistische Bewertung in normalen Zeiten eingeschätzt werden. Denjenigen, die nun ihren Ruhestand antreten und durch die Verluste der Pensionskassen nun weniger Pension ausgezahlt bekommen, wird dies allerdings ein schwacher Trost sein. Es zeigt sich jedenfalls, wie krisenanfällig ein auf den Kapitalmarkt ausgerichtetes Pensionssystem (»Kapitaldeckungsverfahren«), dessen angeblich so segensreiche Wirkungen auch bei uns in vermehrtem Maße angepriesen werden, ist.

(c) Investoren?

Die allgemeine Verunsicherung führt dazu, dass Investitionsprojekte verschoben werden. Die USA könnten auch als Investitionsstandort für internationale Anleger an Attraktivität verlieren. Wenn eine Panik an den Börsen entsteht, dann fehlen den Unternehmen längerfristig die Möglichkeiten, Geld für ihre Investitionen aufzutreiben, und ihre Gewinne würden schrumpfen. Zinssenkungen können mithelfen, die Investitionsbereitschaft zu unterstützen.

(d) Konsumenten?

Bisher haben einzig die amerikanischen Verbraucher dafür gesorgt, dass es in den USA zu keiner Rezession kam. Wenn sich deren Verunsicherung nun allerdings, wie es in Krisenzeiten nicht ungewöhnlich ist, in Kaufzurückhaltung und vermehrtem Sparen niederschlägt, dann würde dieser verminderte Konsum die Gewinnerwartungen der Unternehmen schmälern und damit eine Kettenreaktion auslösen. Denn geringere Gewinne ziehen niedrigere Aktienkurse nach sich, und Aktien spielen in den Vermögen der amerikanischen Haushalte eine viel größere Rolle als in Kontinentaleuropa, insbesondere als Pensionsvorsorge. Und ein Dahinschmelzen der Pensionsvorsorge führt unweigerlich wieder zum »Angstsparen«.

Die Betroffenheit der österreichischen Wirtschaft

In Österreich werden sich - wenn nicht weitere Katastrophen eintreten - die wirtschaftlichen Folgen des Terrors in Grenzen halten. Unmittelbar besonders betroffen war die Austrian Airlines, die allein in den ersten Tagen nach den Attentaten rund 50 Millionen Schilling verlor und mit einem Nachfragerückgang von etwa 15 Prozent rechnet. Die AUA-Aktie stürzte um knapp 25 Prozent ab. In einem ersten Notpaket wurde unter anderem ein Abbau von ca. 10 Prozent der knapp 8000 Beschäftigten, die Streichung von Flügen und Flugzeugverkäufe beschlossen. Auch der Flughafen Wien-Schwechat zählt zu den unmittelbar geschädigten Unternehmen.

Die gedämpfte Reiselust betrifft einerseits österreichische Tourismusbetriebe, deren Kunden nun ausbleiben. Insbesondere Spitzenhotels, die fast ausschließlich von Touristen aus Übersee gelebt haben, registrierten beachtliche Einbußen. Andererseits wurde auch, wie die Reisebürobranche schmerzlich registriert, die Lust der Österreicher auf Auslandsreisen merklich gedämpft. Der Stornowelle gegenüber stehen allerdings die nun verbesserten Chancen für Österreich als sicheres Reiseland, etwa Autotouristen aus Deutschland anzulocken, die ansonsten in die Karibik geflogen wären.

Durch das erwähnte System der Rückversicherung werden österreichische Versicherungen nicht übergebührlich belastet werden. Eine Ölkrise würde die OMV und energieintensive Produktionen treffen. Die Exporteure von Luxusgütern in die USA leiden unter der dortigen Kaufzurückhaltung, und ein Anstieg des Euro gegenüber dem Dollar würde ganz allgemein die Exporte aus dem Euroraum verteuern.

Keynesianische Krisenbekämpfung in den USA

Die amerikanische Wirtschaftspolitik, die sich schon in den neunziger Jahren gegenüber der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung als sehr umsichtig und pragmatisch erwiesen hat, versucht nun mit aller Kraft, die Wirtschaft vor einer Rezession zu bewahren. Am 2. Oktober senkte die amerikanische Notenbank (»Fed«) die Leitzinsen zum zweiten Mal nach dem Attentat um einen halben Prozentpunkt und zum insgesamt neunten (!) Mal in diesem Jahr, was den Taggeldsatz mit 2,5 Prozent auf den tiefsten Stand seit Mai 1962 brachte. Er lag damit um 4 Prozentpunkte niedriger als zu Jahresbeginn 2001. Die Fed begründete diesen Schritt mit dem Risiko einer weiteren Konjunkturabschwächung und der gestiegenen Unsicherheit in der Wirtschaft. Eine Rezession sei schlimmer als ein Inflationsanstieg durch niedrige Zinsen, meinte die Fed.

Amerika ist auch fest entschlossen, ein Budgetdefizit in Kauf zu nehmen, wenn dadurch die Konjunkturlage stabilisiert werden kann. Unmittelbar nach den Anschlägen wurden Soforthilfemaßnahmen für den Wiederaufbau von New York und für die Terrorbekämpfung in der Höhe von 40 Milliarden Dollar und Unterstützungen für die Fluggesellschaften von 15 Milliarden Dollar beschlossen. Im Oktober wurde angekündigt, dass weitere 75 Milliarden Dollar in die Wirtschaft gepumpt werden, und zwar durch vorgezogene Steuersenkungen, Steuerbegünstigungen für Investitionen, Einmalzahlungen für Niedrigverdiener, Arbeitslosenunterstützung usw.

Bei den europäischen Stabilitätsfetischisten stößt diese geradezu keynesianische Politik der Nachfragestützung vielfach auf Skepsis. In der EU gilt offensichtlich nach wie vor das alte Glaubensbekenntnis: die öffentlichen Haushalte sollen zumindest ausgeglichen sein oder, noch besser, Überschüsse erzielen (auch wenn damit niemand geholfen wird - ein wahrlich seltsames Ziel der Wirtschaftspolitik!), die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) habe ausschließlich die Inflation zu bekämpfen und nicht etwa eine Wachstumsschwäche oder die Arbeitslosigkeit, und den Rest würden die Märkte schon selbst regeln.

Reaktion Europas

Dementsprechend fiel auch die Reaktion der europäischen Wirtschaftspolitik aus. Die EZB musste zwar die Zinssenkung der Fed von Mitte September mitmachen, um weltweite Geschlossenheit zu demonstrieren, aber das war auch schon alles. Insgesamt wurden die Zinsen von der EZB im heurigen Jahr nur um 1 Prozentpunkt gesenkt, womit sie nun auf dem Niveau vom Frühjahr 2000 liegen, und das, obwohl sich die Wachstumsaussichten für die europäische Wirtschaft seit damals dramatisch verschlechtert haben. Auch der Bereitschaft der US-Regierung, eine Rezession mit milliardenschweren Finanzspritzen zu verhindern und angeschlagenen Sektoren unter die Arme zu greifen, wird in Europa nur begrenzt Verständnis entgegengebracht. Geprägt vom Stabilitäts- und Wachstumspakt fällt es den Politikern schwer, sich über die von den einzelnen Ländern selbst gesetzten Budget(konsolidierungs)ziele hinwegzusetzen.

Nur wenige, wie etwa der französische Premierminister Lionel Jospin, hatten den Mut einzugestehen, dass es wohl doch besser wäre, zur Vermeidung eines drastischeren Wirtschaftsabschwunges und einer rapide ansteigenden Arbeitslosigkeit lieber doch gewisse Budgetdefizite in Kauf zu nehmen. Dagegen erklärten die Finanzminister der EU bei einer Sitzung im September, dass diejenigen Länder, die keine Budgetüberschüsse erwirtschaften, und die nun durch die schlechtere Konjunkturlage in ihren Konsolidierungsplänen beeinträchtigt würden, eben weitere Ausgabenkürzungen vornehmen oder Einnahmenerhöhungen anstreben müssten! Gerade die großen Länder Deutschland und Frankreich würden mit der strengen Einhaltung dieser Empfehlungen als (notwendige) Zugpferde für die europäische Wirtschaft ausfallen.

In Österreich verkündete die Regierung, durch verschlechterte Wirtschaftsdaten und steigende Arbeitslosigkeit genötigt, zwar ein so genanntes »Wirtschaftsbelebungsprogramm«, doch zeigte sich bei näherem Hinsehen, dass dies praktisch keine neuen, zusätzlichen, sondern nur schon längst im Null-Defizit-Budget festgelegte Maßnahmen enthielt. Und dieselben Budgetentwürfe enthalten auch die bekannten Konjunkturbremsen wie Steuer- und Gebührenerhöhungen. Man muss der Regierung somit durchaus ein konsequentes Handeln zugestehen: da sie ja keinen Konjunkturabschwung sieht, reicht ihr konsequenterweise auch ein »Schein«-Belebungspaket.

Was derzeit tatsächlich gefragt wäre, ist ein Gegensteuern mit einem zusätzlichen Maßnahmenpaket, wie es etwa bereits im September von AK-Präsident Tumpel präsentiert wurde. Dessen Vorschläge enthielten unter anderem die Beschleunigung von bereits geplanten Verkehrsinfrastrukturinvestitionen oder mehr aktive Arbeitsmarktpolitik anstatt des Ausräumens der AMS-Mittel, eine Qualifizierungsoffensive mit ausreichenden Plätzen für Lehrlinge und in Schulen etc. Und vor allem das sture Festhalten am Ziel des Nulldefizits ist in einer Phase, in der eine drohende Rezession bekämpft werden muss, ökonomisch völlig fehl am Platze.

Risken und Unsicherheiten gestiegen

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Terrorakte die Weltwirtschaft in einer äußerst labilen Konjunkturphase getroffen haben. Günstigerweise fielen erste Reaktionen der Finanzmärkte und auch der amerikanischen Wirtschaftspolitik mit Zinssenkungen und mit ihrem keynesianischen Konjunkturankurbelungsprogramm relativ elastisch aus. In der Eurozone verdüstert sich das Konjunkturbild parallel zur Entwicklung in den USA. Die Reaktionen der europäischen Wirtschaftspolitik erfolgten allerdings weitaus gedämpfter und zögerlicher. Im Gegensatz zu den USA hängt man in Europa weiterhin allzu sehr an Stabilitätsdogmen. Dies trifft in ganz besonderem Maße für die österreichische Wirtschaftspolitik zu. Die Regierung weigert sich, die deutliche Wachstumsverlagerung auf rund 1 Prozent zu Kenntnis zu nehmen. Durch diese Uneinsichtigkeit wird die Nachfrage zusätzlich gedämpft.

Insgesamt ist die Weltwirtschaft jedenfalls deutlich labiler geworden. Die Lage und die kurzfristigen Aussichten haben sich verschlechtert, die Unsicherheiten und Risken sind gestiegen. Schließlich ist auch eine weitere massive Verschlechterung nicht völlig auszuschließen, was jedoch primär von politisch-militärischen Entwicklungen abhängt. Vielleicht aber weiß der Leser im Zeitpunkt der Lektüre dieser Zeilen ohnedies schon mehr ...

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