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Fetisch Nulldefizit | Mythen und andere irrationale Vorstellungen rund ums Budget

Vieles lässt sich geschwollen sagen und weniger geschwollen. Der Autor, ehemaliger Direktor der Oesterreichischen Nationalbank (OENB), lässt die Luft raus aus den volkswirtschaftlichen Mythen und Märchen. Hier versteht auch der Laie, worum es geht: um den allgemeinen Wohlstand, um unsere Arbeitsplätze, um unsere Zukunft - und um die Fetischisten, die unsere Geschicke lenken. Wenn wir sie lassen.

Laut Lexikon ist ein Fetisch ein mit magischen Kräften versehener Gegenstand, dem Übel abwehrende Kräfte zugeschrieben werden. Viele Religionen kennen solche Fetische. Offensichtlich kennt sie auch die Politik. Denn so ein Fetisch hat für Politiker einen gewaltigen Vorteil: Seine Wirksamkeit muss nicht erklärt oder begründet werden. Es genügt, daran zu glauben.

Einer der vielen politischen Fetische ist der Glaube, dass ein zu jeder Zeit und in jeder Situation ausgeglichenes Budget stets im Interesse jedes Landes und seiner Volkswirtschaft liegt. Der Glaube an das Nulldefizit. Diesem Fetisch hängen in Österreich auch manche Politiker und sogar vereinzelte Universitätsprofessoren (die es eigentlich besser wissen müssten) an.

Ohne Zweifel spricht alles dafür, das Budget mittelfristig im Wesentlichen auszugleichen - und zwar mit langfristig haltbaren Maßnahmen. Denn Defizite müssen finanziert werden. Für die Finanzierung muss man Zinsen zahlen. Diese Zinsen kommen letzten Endes aus den Steuereinnahmen. Dann fehlt im Budget das Geld für andere, wichtigere Aufgaben.

Der Staat soll daher bestrebt sein, den Stand seiner Schulden so gering wie möglich zu halten. Defizite sollen eher die Ausnahme sein, wenn es die Konjunktursituation erfordert.

Allerdings, wenn die Gefahr einer Rezession droht, wird sich der Staat rechtzeitig bemühen müssen, die Nachfrage wieder zu beleben. Dafür gibt es verschiedene Wege. Unterschiedliche Instrumente sollten daher gleichzeitig eingesetzt werden. Aber alle diese Maßnahmen werden unvermeidlich zu größeren Budgetdefiziten führen.

»Dürfen s' denn des?«

Da fragt man sich: »Dürfen s' denn des?« Sind nicht die Regierungen der Euroländer an den Stabilitätspakt gebunden? Und schreibt dieser nicht ein Nulldefizit vor? Nun, der Stabilitätspakt wurde von »Nulldefizitfetischisten« - allen voran der damalige deutsche Finanzminister Theo Weigel - ausgeheckt. Die hätten gerne sofortige Strafen für jedes Land gehabt, das ein Defizit zulässt. Doch in dieser drakonischen Form taten die Vertreter der anderen Euroländer nicht mit (und mussten sich dafür von Weigel und den seinen beschimpfen lassen).

Der Stabilitätspakt, wie er schließlich beschlossen wurde, verlangt lediglich das Nulldefizit als allgemeines Ziel und damit einen mittelfristig, also über mehrere Jahre, ausgeglichenen Staatshaushalt. Er gestattet durchaus im Einzeljahr Defizite bis zu 3 Prozent des Bruttonationalprodukts. Im eher unwahrscheinlichen Fall einer sehr starken Rezession darf es sogar noch mehr sein.

Der Stabilitätspakt verpflichtet aber auch jedes Land, vor Beginn jedes Kalenderjahres sein geplantes Defizit dem Rat der Finanzminister vorzulegen, der es absegnet oder Änderungen fordert. An die danach beschlossenen Vorgaben sind die einzelnen Länder dann ebenfalls gebunden. Wenn ein Land gegen den Stabilitätspakt verstößt und größere Defizite macht, wird es erst abgemahnt und aufgefordert, das Budget »in Ordnung« zu bringen. Wenn das dennoch nicht gelingt, drohen drakonische Geldstrafen, die das Erreichen der Defizitziele allerdings nur umso schwerer machen würden. Ob diese Vorgangsweise sinnvoll ist, war von Anbeginn an umstritten. Sie entspricht der vor Jahrhunderten geübten Methode, Schuldner so lange in den Schuldturm zu sperren, bis sie ihre Schulden zahlen. Dennoch wurde der Stabilitätspakt so beschlossen und von allen Euroländern akzeptiert. Ob er so tatsächlich angewendet werden kann, ist eine andere Frage.

Achtung: Gewinnwarnung!

Immerhin lässt also selbst der Stabilitätspakt Spielraum für die Berücksichtigung der Konjunktursituation. Wie ist diese nun derzeit? Seit Beginn des Jahres 2001 geht die Konjunktur sowohl in den USA als auch in Europa zurück. Laufend geben auch große Konzerne Gewinnwarnungen heraus, das heißt, sie warnen ihre Aktionäre, dass der Gewinn kleiner als erwartet ausfallen wird oder dass sogar mit einem Verlust zu rechnen ist, und kündigen die Entlassung von Tausenden, ja sogar Zehntausenden Mitarbeitern an.

Die Unternehmen halten sich bei Investitionen stark zurück. Darunter leidet der ganze Investitionsgütersektor, vor allem der Sektor der elektronischen Produkte, die nach Meinung mancher selbst ernannter Experten einer »neuen Ökonomie« angehören, für welche die bisherigen wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten nicht gelten. (Dieser Irrglaube ist inzwischen wieder in der Versenkung verschwunden.)

Obwohl zumindest die Konsumnachfrage noch bis August international kaum geringer geworden ist, gingen die Aktienkurse, wenn auch mit Schwankungen, seit Monaten zurück. Für diejenigen, vor allem für viele Pensionisten in den USA, deren Vermögen und Pensionshöhe von diesen Aktienkursen abhängen, weil sie »privat« für ihr Alter vorgesorgt haben, bedeutet dies einen spürbaren Einkommensverlust.

Angesichts der vielen Wirtschaftsprobleme nahmen die Wachstumsraten der Volkswirtschaften der Industrieländer im Jahr 2001 von Quartal zu Quartal ab. Auch in Österreich mussten die Wirtschaftsforscher bei jeder Prognoserevision ihre Erwartungen für das Wirtschaftswachstum in unserem Land senken.

Nachfragebelebend

Was wird dagegen getan? Die amerikanische Notenbank, die »Fed«, wie sie abgekürzt genannt wird, hat im Laufe dieses Jahres schon neunmal ihre Zin-sen zum Teil kräftig gesenkt. Damit wird das Geld billiger und die Notenbanker hoffen, dass das die Nachfrage beleben wird. Die Europäische Zentralbank war allerdings bei den Zinsen wesentlich zurückhaltender. Ihr im Vertrag von Maastricht unter deutschem Druck festgelegtes einziges Ziel ist die Bekämpfung der Inflation. Die Notenbanker in Frankfurt meinten, die Gefahr der Inflation sei für kräftige Zinssenkungen (und damit wirtschaftsbelebende Maßnahmen) noch zu groß. Doch selbst in Frankfurt konnte man nicht ewig die Augen vor der Realität verschließen, und am 11. Mai kam es zu einer ersten, am 31. August zu einer weiteren zögernden Zinssenkung.

Doch mit diesen Zinssenkungen wären die Konjunkturprobleme noch lange nicht zu lösen gewesen. Mit Recht weisen die Notenbanker darauf hin, dass man mit Zinspolitik allein (und ein anderes Instrument steht ihnen nicht zur Verfügung) Konjunktureinbrüche nicht verhindern kann. Dazu bedarf es sicherlich zusätzlicher, nachfragebelebender Maßnahmen. Diese können nur von den Regierungen ergriffen werden, selbst wenn die Budgetdefizite dadurch steigen.

In den USA hat man schon Anfang des Jahres (wenn auch eher aus politischen als aus konjunkturellen Gründen) die Steuern gesenkt. Allerdings hatte man dafür budgetpolitischen Spielraum, weil das Bundesbudget angesichts der langen Konjunktur und der Kürzung vieler Sozialleistungen einen erheblichen Überschuss auswies. Immerhin hat die Steuersenkung die Nettoeinkommen der Haushalte erhöht, was theoretisch die Konsumlust steigern sollte. In Europa glaubte (oder hoffte) man, dass es nicht so schlimm werden würde, und tat vorerst wenig, außer bei konjunkturell sinkenden Staatseinnahmen wenigstens die Ausgaben nicht weiter zu kürzen.

Tragödie: Menschlich, politisch, wirtschaftlich

Immerhin, bis zum 11. September hätte man wahrscheinlich darüber streiten können, ob in den USA und Europa zusätzliche wirtschaftsbelebende Maßnahmen notwendig sind. Seither hat sich die Lage aber dramatisch verschärft. Der Anschlag auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington ist nicht nur eine menschliche und politische Tragödie, er hat auch wesentliche wirtschaftliche Auswirkungen, deren Ausmaß erst langsam offenkundig wird.

Die ohnedies schon das ganze Jahr mit Frequenzrückgängen gerade bei den gut zahlenden Geschäftsreisenden kämpfenden Fluglinien mussten in den USA, aber auch im Verkehr von und nach den USA, mit einem tagelangen völligen Flugverbot fertig werden. Der Schaden ging in die Hunderte Millionen Euro. Doch damit war es noch nicht geschehen. Seit der Wiederaufnahme des Flugverkehrs sind die Passagierzahlen noch viel drastischer zurückgegangen, als es der bisherige Jahresverlauf befürchten hätte lassen. Die Menschen haben eine (hoffentlich unnötige) Angst vorm Fliegen.

Neben den Umsatzausfällen kommen aber auch wesentliche Kostenerhöhungen auf die Fluglinien zu. Die Versicherung der Flugzeuge wird drastisch teurer und für die Sicherheitskontrollen muss viel mehr ausgegeben werden. Große und renommierte Fluglinien standen (und stehen vielleicht noch immer) vor dem Konkurs. In dieser Situation haben die Regierungen zwar mit massiven Finanzhilfen eingegriffen, aber dennoch glauben die Fluggesellschaften, kräftigst Personal abbauen zu müssen, weil sie den geringer gewordenen Flugverkehr mit weniger Mitarbeitern abwickeln können und ihnen angesichts der betriebswirtschaftlichen Lage wohl auch wenig Alternativen bleiben. Mit den Fluglinien leiden aber auch alle Branchen, die ihnen zuliefern, allen voran die Flugzeugbauer.

Geschwollen und weniger geschwollen

Es trifft aber nicht nur die Fluglinien und ihre Zulieferer. Die gesamte Fremdenverkehrsbranche ist von erheblichen Ausfällen betroffen. Urlaubsreisen werden abgesagt, ebenso viele Konferenzen und Kongresse. Selbst bei Geschäftsreisen sind die Firmen weit zurückhaltender als bisher. Die Folgen sind klar: Reisebüros haben - wenn überhaupt - vor allem mit Stornierungen zu tun, Hotels stehen halb leer, Restaurants leiden an Gästeschwund, die Mietwagenunternehmen haben volle Parkplätze, Reisebusflotten stehen still, kurz, allen Betrieben im Fremdenverkehr geht es schlecht. Überall muss an eine Rücknahme der »Kapazitäten« (weniger geschwollen ausgedrückt: an Personalkündigungen) gedacht werden.

Betroffen sind aber auch die Versicherungen. Das ganze Ausmaß der Schadenzahlungen wird sich noch lange nicht feststellen lassen, um Milliarden Euro wird es sich aber jedenfalls handeln. Durch das übliche System, große Risken im Wege der Rückversicherung auf möglichst viele Gesellschaften zu verteilen, dürfte es wohl kaum irgendeine größere Versicherungsgesellschaft auf der Welt geben, die nicht für den einen oder anderen der vielen aufgetretenen Schäden mitzahlen wird müssen.

Dazu kommt als Belastung für die Versicherungen der Rückgang der Aktienkurse: Vor allem in der Lebensversicherung ist viel Kapital in Aktien angelegt, um jene Gewinne zu erzielen, die den Gesellschaften die Erfüllung ihrer an die Versicherten gegebenen (verbindlichen oder unverbindlichen) Zusagen ermöglichen. Kein Wunder, wenn auch bei den Versicherungen nach Sparmöglichkeiten gesucht wird.

Die Banken klagen, dass die sinkenden Aktienkurse sie nicht nur bei den eigenen Veranlagungen belasten, sondern auch (was bei vielen Banken noch stärker ins Gewicht fallen dürfte), weil weniger mit Wertpapieren gehandelt wird und dementsprechend weniger Provisionen kassiert werden. In dieser Marktlage gelingen kaum neue Aktienemissionen, weshalb den Banken die Einnahmen aus diesem besonders gewinnbringenden Geschäftszweig fehlen. Der Sektor hatte ohnedies viele Fusionen mit dem erklärten Ziel einer Verringerung der Personalkosten zu verkraften. Nun kommen die neuen Schwierigkeiten dazu. Kein Wunder, dass man in den großen Finanzzentren (allen voran New York und London) vor weiteren große Kündigungswellen zittert.

Kündigungswellen

Aber die Probleme betreffen nicht nur vereinzelte Branchen. Es zeichnet sich schon deutlich ab, dass die Konsumenten sich in nächster Zeit (hoffentlich nicht sogar für längere Zeit) bei ihren Einkäufen stark zurückhalten werden. Diese Konsumschwäche wird natürlich am stärksten jene Branchen treffen, die Güter des gehobenen Bedarfs (wieder weniger geschwollen: Luxusgüter) erzeugen, die man nicht unbedingt und schon gar nicht unbedingt jetzt haben muss. Aber auch bei weniger ausgefallenen, aber doch höherpreisigen Artikeln - vom Auto über Haushaltsgeräte bis zum Computer und zum Handy - spüren die Erzeuger und Händler schon die Kaufzurückhaltung. Überall wird von Personalabbau gesprochen und leider - nicht nur gesprochen. Die Arbeitslosenzahlen steigen wieder. Und jeder zusätzliche Arbeitslose bedeutet einen zusätzlichen Kaufkraftausfall.

Auch Österreich hatte sogar schon seit der ersten Jahreshälfte einen Konsumrückgang zu verzeichnen. Das war aber weniger auf die internationalen Entwicklungen als auf »hausgemachte« Ursachen zurückzuführen. Im Bemühen um die Erfüllung des versprochenen Nulldefizits wurden die Preise für öffentliche Leistungen angehoben und Gebühren und Steuern erhöht. Damit wurde die Kaufkraft der Konsumenten verringert und wir dürfen uns daher nicht wundern, wenn sie sich bei Ausgaben zurückhalten. Das könnte sich nun noch weiter verschärfen.

Widerwillige Zinssenkung

Da stellt sich natürlich die Frage, ob zur Bekämpfung der offenkundig drohenden längeren Rezession genug getan wurde und wird. Die amerikanische Notenbank hat sofort nach dem 11. September die Zinsen abermals gesenkt. Die meisten anderen Notenbanken - sogar, wenn auch nur widerwillig, die Europäische Zentralbank in Frankfurt - sind ihr gefolgt. Überdies haben die Notenbanken der Wirtschaft zusätzliche Geldmittel zur Verfügung gestellt. Doch mit Zinssenkungen und Liquidität allein werden sich die jetzigen Probleme sicherlich nicht lösen lassen. Wenn die Nachfrage so drastisch zurückgeht wie sie es jetzt tut, muss die Wirtschaftspolitik für zusätzliche Nachfrage sorgen. Und noch dazu möglichst rasch. In den USA wird an entsprechenden Programmen schon gearbeitet, obwohl damit die ohnedies radikal kleiner gewordenen Budgetüberschüsse völlig aufgebraucht werden dürften.

Auch in Europa muss man sich überlegen, ob nicht jetzt eine Situation entstanden ist, in der man wirtschaftsbelebende Maßnahmen ergreifen sollte, selbst auf die Gefahr hin, an die Obergrenze der nach dem Stabilitätspakt zulässigen Defizite zu stoßen. Diese Frage ist eigentlich nicht schwer zu beantworten, wenn man nicht ein Nulldefizitfetischist ist oder zu jenen ewigen Optimisten gehört, die wie unser derzeitiger Finanzminister ohne Rücksicht auf die tatsächliche Situation immer meinen, es werde schon alles gut gehen.

Steuern erhöhen, Ausgaben senken

Man wird in nächster Zeit nicht alle staatlichen Maßnahmen nur aus dem Blickwinkel der Erreichung des Nulldefizits sehen können. Denn wollte man eine solche Politik konsequent betreiben, müsste ja der Staat bei den nunmehr unausbleiblich sinkenden Steuereinnahmen entweder die Steuern (egal unter welchem »Namen«) noch weiter erhöhen oder Ausgaben senken. Das eine wie das andere würde aber die Nachfrage nicht nur nicht beleben, sondern sogar weiter schwächen.

Auf alle diese Zusammenhänge hat schon der große englische Nationalökonom Keynes vor mehr als einem halben Jahrhundert hingewiesen. Seine Empfehlungen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg für viele Regierungen zur Richtschnur für ihre Wirtschaftspolitik. Der Erfolg war vorerst augenscheinlich.

Aber die Politiker haben Keynes in manchem missverstanden (oder missverstehen wollen). Keynes hat für den Fall einer Rezession, also wenn die Wirtschaftsleistung des Landes wegen zu geringer Nachfrage zurückgeht, nachfragebelebende Maßnahmen empfohlen, auch wenn dies zu Budgetdefiziten führt. Die Folgen einer Rezession sind nämlich steigende Arbeitslosigkeit, damit noch geringere Nachfrage und damit weitere »Sparmaßnahmen« der Unternehmen und der öffentlichen Hand. Das führt leicht in eine Abwärtsspirale, die nur sehr schwer zu durchbrechen ist. Das war die Ursache für die Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Aber auch in der Gegenwart kann Japan ein Lied davon singen, wie schwer es ist, aus einer Abwärtsspirale wieder herauszukommen.

Keynes hat aber sehr klar gesagt, dass in konjunkturell besseren Zeiten zum Ausgleich für die Defizite in schlechten Jahren im öffentlichen Bereich gespart werden müsse, womöglich sogar Budgetüberschüsse erzielt werden sollten.

Der missbrauchte Keynes

Manche Politiker haben die richtigen Gedanken von Keynes dennoch dafür missbraucht, eine Politik zu rechtfertigen, bei der man in der Rezession sehr große Budgetdefizite baute, in der Hochkonjunktur aber auch nicht gerade kleine. Das Resultat war vorhersehbar: Die Staatsschulden wuchsen sprunghaft an, die Zinsen für die Staatsschuld verschlangen einen immer größer werdenden Teil der Staatseinnahmen und andere Staatsausgaben - vor allem jene, die den Arbeitnehmern am Herzen liegen - mussten zurückgenommen werden.

Die konservativen Ökonomen und die mit ihnen verbündeten Politiker erkannten ihre Chance: Sie behaupteten, die wirtschaftspolitischen Rezepte von Keynes hätten auf der ganzen Linie versagt und forderten die Rückkehr zu einer »soliden« Budgetpolitik. Der Fetisch vom Nulldefizit war geboren.

In seinem Namen wurden staatliche Ausgaben gekürzt oder die jeweiligen Aufgaben sogar der »Privatwirtschaft« übertragen, selbst wenn sie sich im öffentlichen Bereich eher besser, aber vor allem sozial gerechter erfüllen lassen.

Als Beispiele angeführt seien das Schulwesen oder der Übergang von der Pflichtversicherung zur Versicherungspflicht: Die Versicherten können sich ihre Versicherung aussuchen, und die Versicherungen suchen sich aus, wen sie zu versichern bereit sind.

Resultat: Die Reichen und Gesunden machen sich ihre »eigene«, noch dazu billige Versicherung, und die Armen, Kranken und Alten müssen mit wirtschaftlich schwächeren Versicherungen, die noch dazu laufend ihre Leistungen verschlechtern, vorlieb nehmen. Solidarität wird zum Fremdwort, die Mehrklassenmedizin feiert fröhliche Urständ.

Blanker Unsinn

Im Namen des Nulldefizits wurde aber auch möglichst viel Staatsvermögen verkauft. Das kann im Einzelfall sinnvoll und zweckentsprechend sein - der Staat muss nicht alles machen. In vielen anderen Fällen ist es jedoch blanker Unsinn.

Dies hat sich zum Beispiel bei den britischen Eisenbahnen gezeigt, die heute nach ihrer Privatisierung fast zusammengebrochen sind. Nicht nur betriebswirtschaftlich unsinnig, sondern volkswirtschaftlich sogar extrem gefährlich ist es aber, wenn man die grundlegenden Ressourcen eines Landes wie die Wälder oder das Wasser privatisiert. Nicht einmal in den kapitalistischen USA ist das bisher geschehen, aber kleinkarierte österreichische »Wirtschaftsfachleute« wollen uns eine solche Politik einreden.

Während die Konservativen in Österreich weiterhin bemüht sind, den »Keynesianismus« zu Grabe zu tragen, hat man in den meisten anderen Industriestaaten schon längst wieder eine Kehrtwendung vollzogen. Selbst in Deutschland, dessen Wirtschaftsprofessoren vielfach (warum wohl?) bemüht sind, der Industrie und den so genannten Finanzkreisen nach dem Mund zu reden, nimmt das Interesse an Keynes und seinen Rezepten wieder zu.

Es werden immer mehr Zweifel am Nulldefizit laut und an dem Euro-Stabilitätspakt, der dieses durchsetzen sollte. Offensichtlich gibt es doch Situationen, in denen der Fetisch Nulldefizit keinen Sinn macht und in denen der Staat bereit sein sollte, die Nachfrage auch dann anzuregen, wenn es dabei zu gewissen (allerdings nicht übergroßen) Budgetdefiziten kommt.

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Gut. Aber wann ist eine solche Situation gegeben? Das wird sich wahrscheinlich theoretisch nur schwer definieren lassen. Es wird bei jeder Definition Grenzfälle geben. Aber konkret und auf unsere jetzige Lage angewendet: Wenn nicht jetzt, wann dann?

Jetzt ist die Zeit, wo man auf europäischer und nationaler Ebene auf die Belebung der Nachfrage hinarbeiten muss und die Erreichung von Nulldefiziten etwas zurückstellen sollte. Tatsächlich haben sich die EU-Finanzminister schon dazu durchgerungen, auf die Einhaltung der ursprünglich geplanten Budgetdefizite durch die einzelnen Länder zu verzichten. Sie sollten einen Schritt weitergehen und auf die Einhaltung der Defizitobergrenzen des Stabilitätspaktes vorübergehend überhaupt verzichten.

Für Österreich, dessen Steuerbelastung in diesem Jahr neue Rekordwerte erreicht hat, obwohl der Staat nur noch wenig investiert, bieten sich zur Wirtschaftsbelebung vor allem zusätzliche öffentliche Investitionen an. Bedarf dafür gibt es mehr als genug.

Unsere Verkehrswege sollten - auch im Hinblick auf die EU-Osterweiterung - ausgebaut werden. Unsere Schulen und Universitäten gehören modernisiert. In vielen Orten fehlen noch Kindergärten. Das Gesundheitswesen wird leider immer kostspieliger, aber wir sollten unser wahrlich bewährtes System der Krankenvorsorge notfalls auch mit höheren Ausgaben zu erhalten versuchen. Die Liste kann man fast beliebig fortsetzen.

Schnapsideen und bequeme Ausreden

Natürlich soll man dennoch, wo das sinnvoll und sozial verträglich ist, weiterhin sparen. Es geht ja nicht darum, Geld um jeden Preis beim Fenster hinauszuwerfen. Der Vorschlag von Keynes, zur Not Löcher graben zu lassen und sie wieder zuzuschütten, war nie ernst gemeint. Zum Sparen bleibt uns genügend Spielraum:

Es fragt sich, ob wir wirklich Abfangjäger brauchen. Die Verwaltung kann man vereinfachen, wenn man nur will. War und ist es wirklich notwendig, Frauen, die es sich auf Grund des guten Einkommens ihrer Männer leisten konnten, nie arbeiten zu gehen, auf Kosten der Allgemeinheit Kindergeld zu gewähren (und das noch als große Sozialleistung auszugeben)? Auf die Schnapsidee des FP-Klubobmannes, allen Österreichern Fingerabdrücke abzunehmen, sollte man, nicht nur weil das extrem teuer wäre, ganz verzichten. Auch diese Liste kann man lange fortsetzen.

Auf allen diesen Gebieten kann man ruhigen Gewissens sparen. Zugleich soll man aber sinnvolle zusätzliche Ausgaben auch dann tätigen, wenn das Defizit dadurch ein bisschen größer wird. Damit soll nicht dem Finanzminister eine bequeme Ausrede dafür gegeben werden, dass er seine selbst gesteckten Budgetziele nicht erreicht.

Es wird ihm nach Meinung der Wirtschaftsforscher ohnedies 2002 nicht gelingen, sein großspurig angekündigtes Nulldefizit zu verwirklichen. Aber es muss verhindert werden, dass der Glaube konservativer Ökonomen und des Finanzministers an die Wunderkraft des Fetischs Nulldefizit Tausende Österreicher um ihren Arbeitsplatz bringt und unser Land in eine - zumindest in dieser Schärfe - unnötige Rezession gestürzt wird.

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(C) AK und ÖGB

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