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LEITARTIKEL | Angst und Mut, Trägheit der Herzen und die Hoffnung

Inzwischen muss es ja auch dem naivsten Menschen klar sein, dass der ÖGB und seine Gewerkschaften den Leuten dort oben auf der Regierungsbank ein Dorn im Auge sind. Konsequente Interessenvertretung der Arbeitnehmer findet keine Anerkennung bei jenen, denen diese Interessen lästig sind und die am liebsten eine Arbeiterschaft hätten, die ihnen rechtlos ausgeliefert ist. Zumindest arbeiten sie sehr systematisch am Abbau dieser Rechte.

»Seit dem 11. September ist unsere Welt nicht mehr, was sie einmal war«, heißt einer der Standardsätze unserer Kommentatoren. In der Tat könnte man dieses Datum und die an diesem Tage begangenen verabscheuungswürdigen Verbrechen als eine Art Zäsur in der Entwicklung unserer westlichen Demokratien betrachten.

Bei aller Erschütterung und Betroffenheit und all diesen furchtbaren Bildern, die wir im Fernsehen gesehen haben - Hollywood-Alptraum wird Wirklichkeit -, sollten wir eines nicht vergessen: Es geht jetzt auch um unsere demokratischen Grundwerte. Genial zusammengefasst habe ich das in einer Karikatur von Haderer gesehen: Man sieht den Globus. Auf der einen Seite die rauchenden Türme des World Trade Centers, und irgendwo weiter unten ein kleines Etwas, von dem eine Sprechblase kommt. Offensichtlich ein Stoßgebet: »... und schütze uns vor dem Bösen und vor der Rache des Guten. Amen!«

Wir trauern um die Toten, wir fühlen mit den Hinterbliebenen. Der Schmerz der Witwen und Waisen, der Brüder und Schwestern, der Mütter und Väter kann durch unsere Anteilnahme nicht gelindert werden. Wir müssen jetzt selber Angst haben. Dieselbe Angst, die auch jene Mütter und Väter, jene Kinder, jene Menschen haben müssen, die durch eine Fügung des Zufalls oder der »Vorsehung« dort zur Welt gekommen sind und dort leben, wo - die »Bösen« zu Hause sein oder sich verstecken sollen. Aus dieser durchaus realen Angst heraus sind bereits Millionen geflüchtet.

Es gibt sie, die sensationsgeilen Medien, die stündlich und täglich über den Gegenschlag spekulieren, es gibt die perversen Voyeure, die am liebsten wieder vom Fernsehsessel aus Raketenangriffe und das Bombardement einer Stadt, eines Landes beobachten möchten. Ich sage wieder, denn das haben wir alles schon gehabt.

Der größte Teil der zivilisierten Menschheit weigert sich, die aktuellen schwarz-weißen Freund-Feind-Bilder zu übernehmen, eine Weltreligion oder eine Weltregion als Hort des Bösen zu verdammen oder gar alle Menschen einer bestimmten Herkunft zu verdächtigen und zu verfolgen.

Es wäre in der Tat eine fatale Trägheit des Herzens, wollten wir einstimmen in den Chor jener, die einfach nur »zurückschlagen« wollen. Die Mörder und vor allem die Schreibtischmörder vom 11. September müssen mit allen Mitteln einer gerechten Bestrafung zugeführt werden - aber gerecht heißt: Ein rechtsstaatliches Verfahren, an dessen Ende ein Urteil steht. Bestrafung ist nun einmal ein wesentliches Mittel gegen die Ausbreitung der Barbarei.

Dieselbe Vehemenz ...

Zwischen Barbarei und Zivilisation steht allerdings nur ein schmaler Grat, und die Terroristen hätten gewonnen, wenn sie uns auf ihre Seite hinüberziehen könnten. Der Kampf gegen den Terror kann nur dann von nachhaltiger Wirkung sein, wenn mit derselben Vehemenz auch Hunger und Elend bekämpft werden.

Die Tausenden von Kindern, die täglich sterben, weil sie nichts zu essen haben, weil Medikamente und ärztliche Behandlung fehlen, weil sie und ihre Eltern auf der Flucht sind - sie sollten uns genauso ein Ansporn sein wie die Bedrohung durch den Terror.

Wir verurteilen die soziale Unordnung und die Missachtung der Gerechtigkeit, welche Bürger an den Rand drängt, die Armut, die Lebenschancen erstickt, die wirtschaftlichen Ungleichheiten, die so viele Familien mit Ruin bedrohen.

Wir sind ein Teil des Ganzen. Jeder von uns hängt vom Wohlergehen des Ganzen ab. Das Ganze ist nicht nur unsere Familie, unser Betrieb, unsere Gemeinde, unsere Gesellschaft, unser Land. Das Ganze ist weit mehr, denn wir leben in einer globalen Gemeinschaft, es gibt nur diese eine Welt. Es gibt die Hoffnung, dass wir von der Vergangenheit wirklich lernen können.

Es gibt die Hoffnung, dass der Hass und die Erinnerung des Hasses uns nicht zu Gefangenen machen können. Wir wollen eine Kultur der Solidarität und der gegenseitigen Verbundenheit. Wir wollen Menschenrechte verwirklicht sehen und auch unsere eigenen Menschenpflichten verwirklichen.

Ich kann die Stimmen der Spötter hören, die sagen: »Welch hehre Ideale - die Wirklichkeit ist ganz anders!« Trotzdem, ich bestehe darauf, wir brauchen Hoffnungen, Ziele, Ideale, Maßstäbe. Diese Visionen sind uns im Eifer der Tagesgeschäfte abhanden gekommen oder werden gar als üble Krankheit, als zu kurierende Entartung der Phantasie angesehen. Aber gerade jetzt muss man doch an die Vision eines friedlichen Zusammenlebens der Völker, der ethnischen und ethischen Gruppierungen und der Religionen in gemeinsamer Verantwortung erinnern. Die Menschheit besäße heute genügend wirtschaftliche, kulturelle und geistige Ressourcen, um eine bessere Weltordnung herbeizuführen. Heute ...

Der Dichter Jura Soyfer wurde von den Nazis ermordet. Er hat ein Stück geschrieben, ein Fragment, das heißt »Weltuntergang«. Dort tritt ein Komet namens Konrad auf, der eigentlich die Erde hätte zerstören sollen - ähnlich wie uns das Hollywood in den diversen Katastrophenfilmen vorexerziert. Er bremst aber 2000 Kilometer vor seinem Ziel ab, und als ihn die andern Planeten, Sonne, Venus und Mars, zur Rede stellen, macht er ein Geständnis. Er hätte sich verliebt - in die Erde ...

»Denn näher, viel näher als ihr es begreift, Hab' ich die Erde gesehen. Ich sah sie von goldenen Saaten umreift, Vom Schatten des Bombenflugzeugs gestreift Und erfüllt von Maschinengedröhn. Ich sah sie von Radiosendern bespickt; Die warfen Wellen von Lüge und Hass. Ich sah sie verlaust, verarmt und beglückt Mit Reichtum ohne Maß.

Voll Hunger und voll Brot ist diese Erde, Voll Leben und voll Tod ist diese Erde, In Armut und in Reichtum grenzenlos. Gesegnet und verdammt ist diese Erde, Von Schönheit hell umflammt ist diese Erde, Und ihre Zukunft ist herrlich und groß.

Denn nahe, viel näher als ihr es begreift, Steht diese Zukunft bevor, Ich sah, wie sie zwischen den Saaten schon reift, Die Schatten vom Antlitz der Erde schon streift Und greift zu den Sternen empor. Und weiß, dass von Sender zu Sender bald fliegt Die Nachricht vom Tag, da die Erde genas. Dann schwelgt diese Erde, erlöst und beglückt, In Reichtum ohne Maß.

Voll Hunger und voll Brot ist diese Erde ...«

Ich höre die Zyniker, die sagen, jetzt kommt er uns mit so einem Gedichterl, trotzdem will ich ganz eigensinnig die Hoffnung und die Liebe des Planeten Konrad oder des Jura Soyfer teilen. Wie steht's mit Ihnen? Haben wir trotz allem noch Hoffnung?

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