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Das Schreckgespenst Globalisierung - und wie man es bewältigen kann

KOMMENTAR

Die zunehmende Integration der einzelnen Volkswirtschaften ist ein wesentlicher Motor der wirtschaftlichen Entwicklung seit Beginn der industriellen Revolution. Insbesondere die deutsche Wirtschaft hat in den letzten fünf Jahrzehnten davon enorm profitiert. Ohne die verstärkte internationale Arbeitsteilung würde das durchschnittliche Einkommensniveau in Deutschland heute sicherlich nicht das real Fünffache von 1937 betragen. Auch der politische Aspekt der intensiveren gegenseitigen wirtschaftlichen Verflechtung ist nicht weniger bedeutend: Sie bildet das Fundament von stabilen und friedlichen internationalen Beziehungen - am deutlichsten erkennbar am Beispiel der Europäischen Union.

Marghret Thatchers Devise

Und dennoch hat der Begriff »Globalisierung« in den 90er Jahren einen negativen Beigeschmack erhalten. Der Zusammenbruch des sozialistischen Systems in Mittel- und Osteuropa führte von einem politisch definierten Systemwettbewerb (zwischen Marktwirtschaft und Sozialismus) zu einem ökonomisch definierten Standortwettbewerb der verschiedenen Volkswirtschaften. Daraus wird die These abgeleitet, in diesem globalen Wettbewerb müsse sich ein Standard viel intensiver als zuvor um das mobile Kapital bemühen. Margaret Thatchers Devise aus den 80er Jahren »Es gibt keine Alternative« wurde zum Mainstream der ökonomischen Schule und der Wirtschaftspolitik. Es besteht der feste Glaube, dass die Früchte der Strukturreformen in allen Branchen und Volkswirtschaften dann zum Tragen kommen, wenn die Marktkräfte voll wirken können und alle Sektoren für den internationalen Handel und Wettbewerb geöffnet werden. Die politische Ökonomie im Vereinigten Königreich war bis 1997 sehr erfolgreich in der Argumentation, dass die Standortpolitik Großbritanniens sich an der Wettbewerbsfähigkeit von Billiglohnländern wie z. B. Südostasien orientieren müsse. Zur selben Zeit argumentierte allerdings auch der südkoreanische Staatschef Kim Young Sam, Südkorea müsse seine Arbeitsregelungen lockern, um im Standortwettbewerb gegen Schottland oder South Wales bestehen zu können.

Risse im Standbild der freien Marktwirtschaft

Die ersten Risse bekam das Standbild der freien Marktwirtschaft jedoch, als die vormaligen Musterschüler Südostasiens durch die Finanzkrise erschüttert wurden. So kamen selbst die Ökonomen des Internationalen Währungsfonds (IWF) ins Grübeln, als plötzlich selbst Länder, die den Empfehlungen des IWF gefolgt waren, in den Sog von Währungskrisen gerieten. Der Strategiewechsel folgte auf dem Fuße. So diagnostizierte Stanley Fischer 1998 richtigerweise, dass eine zu schnelle Öffnung für ausländischen Wettbewerb zu Konkursen inländischer Banken führen kann und die Anreize zunehmen, risikoreiche Kredite zu vergeben. In diesem Fall ist es durchaus sinnvoll, den Kapitalverkehr erst dann umfassend zu liberalisieren, wenn das inländische Finanzsystem hinreichend gestärkt, sprich reguliert, worden ist.

Dasselbe gilt für das internationale Handelssystem: Die Verbindung zwischen Handel und sozialer Entwicklung war nach dem Zweiten Weltkrieg ein wichtiger Bestandteil der Außenbeziehungen. Dies wurde in der Havanna-Charta der internationalen Handelsorganisation als Grundsatz verankert. Das Zoll- und Handelsabkommen von 1948 (GATT) setzte den Schwerpunkt dann jedoch hauptsächlich auf die Liberalisierung des Handels als Instrument zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung. Während jedoch die Entwicklungsländer aufgrund internationaler Kredit- und Handelsverpflichtungen ihre Märkte öffneten, existieren in den Handelsverträgen der Industrieländer immer noch Bestimmungen, die den freien Handel behindern: zum Beispiel Subventionen in der Landwirtschaft, die Möglichkeit von Antidumpingverfahren oder der Schutz von Patenten. Trotz aller hehren Ziele von WTO und GATT hat die Liberalisierung des Güter- und Dienstleistungshandels sowie des Kapitalverkehrs die Ungleichheit der Verteilung zwischen Arm und Reich nicht gemildert, sondern möglicherweise sogar verstärkt. Die Zahlen von UNCTAD und ILO belegen dies: Betrug das Pro-Kopf-Einkommen der 20 reichsten Länder der Welt 1960 noch das 18fache der ärmsten Staaten, nahm 1995 dieser Wert bis auf das 37fache zu. An dieser Tendenz hat sich bislang nichts geändert.

Fühlbare Einschnitte im sozialen Netz

Doch nicht nur zwischen Entwicklungs- und Industrieländern hat die Einkommensspreizung zugenommen. Auch in den Industrieländern werden mit dem Argument eines verstärkten internationalen Wettbewerbs die Güter- und Arbeitsmärkte dereguliert und insbesondere den Einkommensschwächeren fühlbare Einschnitte ins soziale Netz auferlegt. Die Regierungen betonen dabei immer wieder, gegenüber dem Globalisierungsdruck machtlos zu sein. Viele Menschen haben deshalb heute das Gefühl, die Globalisierung sei ein Prozess, der für sie weder beeinflussbar noch transparent ist, und lehnen eine weitere Integration der Weltwirtschaft ab. Hinterfragt man die Gründe für die ablehnende Haltung, wird aber deutlich, dass das eigentliche Schreckgespenst nicht der Prozess der Globalisierung selbst ist, sondern der Unwille oder die Unfähigkeit der Regierungen, den ökonomischen Prozess der Globalisierung durch einen demokratisch legitimierten politischen Prozess zu begleiten.

Diese Abstinenz der Politik ist nicht unproblematisch. Ist das Gefühl in der Bevölkerung verbreitet, die Regierung vertritt nicht mehr ihre Interessen, sehen sich die Wähler nach Alternativen um. Diese finden sie vor allem an den beiden Enden des politischen Spektrums. Veränderungen im europäischen Wählerverhalten sind bereits zu beobachten. Und auch die kritische Globalisierungsbewegung ist nichts anderes als die Antwort auf das Fehlen an globaler politischer Verantwortung. Oder, wie Pierre Bourdieu, Vordenker der Bewegung, meint: »Es handelt sich um eine Gegenreformation ... Man sehnt sich nach wahrer Politik - so wie damals nach wahrer Religion« (Spiegel 29/2001).

Die Konsequenzen dieser Politik sind täglich an den Protestbewegungen auf Weltwirtschaftsgipfeln, einer vereinzelt aufkommenden antieuropäischen Grundstimmung und dem Rückfall in Protektionismus abzulesen. Doch all dies geht in die falsche Richtung: Es gilt nicht der Globalisierung zu entkommen, sondern sie politisch zu gestalten.

Die Antwort der deutschen Gewerkschaften ist einfach, viel einfacher, als man es sich von Gewerkschaften erwarten würde: »Globale Märkte müssen auf globalen Regeln und Institutionen beruhen, die eine menschenwürdige Entwicklung und das Allgemeinwohl über die Interessen von Unternehmen und nationalen Vorteilen stellen.« Die Prinzipien und Institutionen der sozialen Marktwirtschaft sind das Vorbild einer globalen Weltwirtschaftsordnung, da sie versucht, Marktversagen und Informationsdefizite auszubalancieren. In diesem Sinne sind soziale Mindeststandards internationale Handelsregeln, die das Verhalten von Regierungen und Unternehmen steuern. Es gibt somit eine Alternative. Man muss sie nur wollen.

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