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Interview mit dem Vorsitzenden der CUT, Luis Eduardo »Lucho« Garzon

A&W: Was ist das größere Problem für die Existenz der CUT: die Liberalisierung und Privatisierung oder die Gewalt gegen ihre Mitglieder?

Garzon: Liberalisierung und Strukturanpassung haben wir gemein mit allen Entwicklungsländern. Doch was Kolumbien unterscheidet, ist die komplexe Situation verschiedener Kriege zur gleichen Zeit: die Einmischung der USA, die Dimension des Drogenhandels, die geopolitische Bedeutung, aus sozialen Kämpfen gespeiste Aufstände und die traditionelle Intoleranz in unserem Land. Ich möchte betonen, dass unsere Gewerkschaft sich als autonome Kraft versteht, auch - anders beispielsweise als die Gewerkschaften in El Salvador - unabhängig von der Guerilla. Wir sind nicht deren Anhängsel, was die Situation manchmal noch mehr komplizieren kann.

A&W: Was sehen Sie angesichts dieser schwierigen Situation als die größten Erfolge der CUT in den vergangenen Jahren?

Garzon: So schlecht steht die Gewerkschaftsbewegung nicht da. Wir leisten einen wichtigen Beitrag des Widerstandes gegen das weltweit dominante wirtschaftliche Modell des Neoliberalismus. Wir sind ein wichtiger Bezugspunkt der öffentlichen Meinung zu anderen Themen wie den laufenden Friedensverhandlungen oder der Gesundheitspolitik. International haben wir große Anerkennung. In den anderen Staaten der Andenregion sind die Gewerkschaften fast verschwunden, nur in Kolumbien gibt es noch eine starke gewerkschaftliche Bewegung.

A&W: Doch auch in Kolumbien haben die Gewerkschaften an Einfluss und Mitgliedern verloren.

Garzon: In einer Wirtschaft, in der die Hälfte der Menschen ohne Arbeit ist, in der 65 Prozent aller Arbeitsplätze der informelle Sektor stellt, sind die Spielräume für gewerkschaftliche Organisationen eingeschränkt.

A&W: Welches sind Ihre Prioritäten gewerkschaftlicher Politik für die nächsten Jahre?

Garzon: Ich denke, die Gewerkschaftsbewegung, nicht nur in Kolumbien, muss mit anderen sozialen Bewegungen gegen diese Art der Globalisierung angehen, die nur den Finanzspekulanten, aber nicht den arbeitenden Menschen zugute kommt. Konkret muss in Kolumbien etwas gegen die hohe Arbeitslosigkeit getan werden. Zum Zweiten muss der Mindestlohn erhöht werden, der kein menschenwürdiges Überleben ermöglicht. Drittens dürfen das Gesundheits- und Bildungswesen keinesfalls privatisiert werden. Und zentral ist natürlich die Frage der Straflosigkeit. Es ist nicht damit getan, uns ab und zu einen Leibwächter zur Verfügung zu stellen. Die Gewerkschaftsbewegung hat aus den letzten 15 Jahren mehr als 3000 Tote zu beklagen, nicht einer der Täter ist bestraft worden. Der Staat muss für Recht und Gerechtigkeit sorgen.

A&W: Welche Rolle spielt die internationale Solidarität für die kolumbianische Gewerkschaftsbewegung?

Garzon: Die CUT hat international immer sehr viel Solidarität erfahren. Trotzdem beunruhigt mich, wie sich diese Welt entwickelt, auch die der Gewerkschaften. Wenn ich nach Europa komme, habe ich oft den Eindruck, wir brächten ihnen mehr Solidarität entgegen als die europäischen Gewerkschaften uns. Es ist eine Welt der formalen Abkommen, doch die Komponente der internationalen Solidarität hat sich etwas verloren. Mit den gravierenden sozialen Problemen in aller Welt angesichts der Globalisierung schauen alle stark auf ihre eigenen Probleme, bestenfalls auf die einer Region. Doch wem sagt in Europa schon Kolumbien etwas? Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Die Solidarität der europäischen Gewerkschaften mit der CUT war einmalig, aber sie ist stark assistenzialistisch, sie unterstützen unsere Exilierten, doch im politischen Sinne passiert eher wenig.

A&W: Zum Schluss die Frage nach den politischen Perspektiven dieses Landes. Sie selbst werden als zukünftiger Präsidentschaftskandidat gehandelt.

Garzon: Das ist noch nicht entschieden. Doch wird grundsätzlich über eine alternative Kandidatur im Rahmen eines breiten Bündnisses nachgedacht. Hier gibt es bei Wahlen keine demokratische linke Alternative. Wir können immer nur für das kleinere Übel, nie für etwas Besseres votieren. Da bleibt als einzige Option für viele Linke die Guerilla. Und was machen die, die nicht für diesen Weg sind? Es gibt viele politische Erfolge in Kolumbien, trotz aller Repression. Man denke nur an die starke Frauenbewegung, die Indios, die Jugend, die Gewerkschaften. Ohne Zweifel ist die Zeit reif für eine Alternative. Das gilt nicht nur für die Arbeiter und Bauern, sondern auch für die Mittelschichten, die von der Krise extrem betroffen sind. Also, es wird über eine Kandidatur debattiert, das wäre entscheidend, nicht meine Person.

A&W: Macht es angesichts der historischen Erfahrung und des gegenwärtigen Klimas der Straflosigkeit und des Paramilitarismus Sinn, dass eine demokratische linke Bewegung an politischen Wahlen teilnimmt?

Garzon: In unserer Geschichte wurden alternative Bewegungen entweder kooptiert, wie im Fall der demilitarisierten Guerilla M-19, oder abgeschlachtet, wie im Fall der Union Patriotica. Doch wir glauben, dass es eine Alternative zum Zweiparteiensystem der herrschenden Elite geben muss. Wenn du als politischer Mensch nicht zur Guerilla willst und nicht ins Exil, dann muss man für eine politische Alternative sein. Natürlich ist die gegenwärtige Situation nicht ideal. Doch wenn man in Kolumbien nicht politisch agieren kann, kann man letztlich auch nicht gewerkschaftlich agieren.

Das Gespräch mit Kollegen Garzon führte Frank Braßel im Frühjahr in Bogotá

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