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Durchschnittliches jährliches Wachstum des realen BIP in den Jahren 1995-200

EU-Osterweiterung und Arbeitsmarkt

Der Europäische Rat von Nizza im Dezember 2000 hat wichtige Voraussetzungen für die Osterweiterung der Europäischen Union geschaffen, und die schwedische Präsidentschaft hat sich sogar das Ziel gesetzt, bis Ende Juni bereits konkrete Daten für den Beitritt einzelner Länder aus dem Kreis der Beitrittskandidaten festzulegen. Auch wenn diese Absicht kaum realisierbar erscheint, kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die Verhandlungen über die Osterweiterung der EU in ein entscheidendes Stadium eingetreten sind. Es gibt dabei eine Vielzahl von Problemen zu lösen, von denen die Fragen der Agrarpolitik, der Finanzierung des EU-Haushalts und des Arbeitsmarktes als diejenigen angesehen werden können, deren Lösung die größten Schwierigkeiten bereitet und die daher ausschlaggebend für den weiteren Fortschritt bei der EU-Osterweiterung sein werden.

Die Betroffenheit der einzelnen derzeitigen Mitgliedsländer und der Beitrittsländer stellt sich dabei sehr unterschiedlich dar. Im Bereich des Arbeitsmarktes bzw. in der Frage der Freizügigkeit der Arbeitskräfte zeigen sich solche Unterschiede insofern besonders stark, als die unmittelbar an die Beitrittsländer angrenzenden Länder Deutschland und Österreich (Italien ist mit der Nachbarschaft zu Slowenien deutlich weniger betroffen) mit unvergleichlich größeren Auswirkungen rechnen müssen als die weiter entfernten Länder. Daher war es kein Zufall, dass Deutschland als erstes Land die Forderung nach einer siebenjährigen Übergangszeit ab dem Beitritt von mittel-osteuropäischen Ländern zur EU erhoben hat, während der Zugang zum Arbeitsmarkt gewissen, im einzelnen noch auszuarbeitenden Beschränkungen unterworfen werden soll. Österreich hat sich dieser Forderung angeschlossen. Offiziell haben die Beitrittswerber auf diese Forderung bisher ablehnend reagiert. Allerdings hätte das Bestehen auf sofortiger Freizügigkeit der Arbeitskräfte seitens der Beitrittsländer sicherlich eine Verzögerung des EU-Beitritts zur Folge, worauf der für die Erweiterung zuständige EU-Kommissar Verheugen hingewiesen hat. Informell haben daher die Beitrittsländer bereits die Möglichkeit eines Nachgebens in dieser Frage angedeutet, wozu sie umso mehr bereit sein dürften, als sie selbst Wünsche nach Übergangsregelungen in den verschiedensten Fragen (insgesamt derzeit 500) angemeldet haben. Die anderen EU-Mitgliedsländer haben die Forderung Deutschlands und Österreichs bisher kaum unterstützt, was aber aufgrund der deutlich geringeren Betroffenheit auch nicht sehr überraschen kann. Die EU-Kommission hat lange Zeit über das Problem hinweggesehen bzw. überhaupt zu negieren versucht, dass im Bereich des Arbeitsmarktes größere Auswirkungen zu erwarten sind. Zuletzt hat die EU-Kommission die Bedenken Deutschlands und Österreichs aufgenommen und gleichsam als Kompromiss eine Übergangszeit von fünf Jahren mit der Möglichkeit einer Verlängerung um zwei Jahre oder gegebenenfalls auch einer Verkürzung vorgeschlagen.

Die Debatte in Österreich schwankt seit längerem zwischen zwei Polen hin und her. Auf der einen Seite stehen die Befürworter einer sofortigen bedingungslosen Öffnung des österreichischen Arbeitsmarktes, die einerseits behaupten, dass ohnehin mit keiner nennenswerten Zuwanderung zu rechnen sei, andererseits aber auch darauf hinweisen, dass in absehbarer Zeit aufgrund der demographischen Entwicklung in Österreich eine Knappheit der Arbeitskräfte eintreten werde und diese Lücke durch Zuwanderung geschlossen werden sollte. Besonders die Vereinigung österreichischer Industrieller (IV) hat sich für diese Position stark gemacht.

Auf der anderen Seite stehen jene politischen Kräfte, die auf das Geschäft mit der Angst spekulieren und die Gefahr von in die Hunderttausende gehenden Einwanderungswellen heraufbeschwören, zum Teil, um auch gegen die Osterweiterung oder die EU selbst Stimmung zu machen. Zur Unterstützung der jeweiligen Position wird mit den verschiedensten Zahlen operiert. Eine große Zahl von Studien - die meisten davon durchaus von seriöser Art - wurde in Auftrag gegeben und präsentiert, mit der Folge, dass bei vielen Menschen, die als Nichtfachleute diese Diskussion verfolgen, der Eindruck entstehen muss, dass überhaupt keine einigermaßen plausiblen Aussagen getroffen werden könnten und daher alles mehr oder weniger der politischen Beliebigkeit unterworfen sei. In diesem Beitrag wird versucht, die wesentlichen Fakten klarzustellen und Einschätzungen über zukünftige Entwicklungen, die naturgemäß immer unsicher sind, zu referieren.

Es ist klar, dass jede Art von Prognose mit größerer oder geringerer Unsicherheit behaftet ist und in der Ökonomie auch mit noch so ausgefeilten Methoden keine Sicherheit hergestellt werden kann. Entscheidungen in der Wirtschaftspolitik werden jedoch immer unter Unsicherheit getroffen, und zwar auf einer Grundlage, die ein möglichst hohes Maß an Plausibilität hat. Genauso ist es in der Frage der wirtschaftlichen Integration von Ländern mit stark unterschiedlichen Einkommensniveaus und der Konsequenzen für den Arbeitsmarkt, wenn plötzlich Freizügigkeit hergestellt werden soll.

Tabelle 1:

Monatslöhne

Land in Euro in Prozent
zu Wechsel-kursen zu Kaufkraft-standards zu Wechsel-kursen zu Kaufkraft-standards
Tschechien 377 888 15,7 37,5
Ungarn 335 738 14,0 31,2
Polen 479 927 20,0 39,1
Slowenien 936 1421 39,1 60,0
Slowakei 265 709 11,1 29,9
Bulgarien 117 376 4,9 15,9
Rumänien 144 469 6,0 20,7
Österreich 2394 2368 100,0 100,0

Quelle: Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW)

Die Fakten 1: Einkommensgefälle

Nach den neuesten Daten für das Jahr 2000 besteht zwischen Österreich und den mittel-osteuropäischen Beitrittsländern ein anhaltend hohes Einkommensgefälle. Das Einkommensgefälle wird meist durch das BIP pro Einwohner gemessen. Für den Arbeitsmarkt sind primär die Lohnunterschiede von Bedeutung, wobei sich bei beiden Indikatoren ein sehr ähnliches Bild ergibt (siehe Tabelle 1: »Monatslöhne«).

Wenn in Österreich das durchschnittliche monatliche Bruttoeinkommen eines Arbeitnehmers auf Vollzeitbasis berechnet 12-mal im Jahr 2000 32.900 S oder 2400 Euro betrug, so erreichte keines der Beitrittsländer einen Wert von 1000 Euro. Am höchsten ist der Durchschnittslohn, zu Wechselkursen umgerechnet in Slowenien (936 Euro), gefolgt von Polen (479 Euro). In Prozent des österreichischen Wertes ausgedrückt ist der Abstand von Slowenien mit einem Lohnniveau in Höhe von 39,2 % des österreichischen am geringsten. Polen hat 20 % des österreichischen Niveaus, Ungarn und Tschechien 14 bis 16 %. In den Beitrittsländern der sogenannten zweiten Gruppe liegen die entsprechenden Werte noch tiefer: für die Slowakei bei 11 %, für Bulgarien und Rumänien nur 5 bzw. 6 %.

Die Umrechnungen zu »Kaufkraftstandards« (KKS) berücksichtigt das niedrigere Preisniveau in den östlichen Nachbarländern, sodass sich der Abstand nicht unwesentlich reduziert. Von Slowenien abgesehen erreicht aber das Lohnniveau in keinem der Beitrittsländer 40 % des österreichischen Wertes.

Österreich hat große Mühe, die besondere Situation, die sich aus der Geographie ergibt, den anderen weiter entfernten EU-Staaten vor Augen zu führen: Nämlich, dass sich die Möglichkeit, hohe Löhne mit niedrigen Preisen zu kombinieren, für Arbeitspendler aus den Beitrittsländern ergibt und in diesem Fall für die Abschätzung möglicher Pendlerströme die Höhe des Einkommensunterschiedes zu Wechselkursen und nicht zu Kaufkraftparitäten maßgeblich ist. Der Unterschied zwischen den beiden hat sich bisher nur im Falle Polens merklich reduziert.

Die Fakten 2: Aufholprozess

Von den Befürwortern einer sofortigen Freizügigkeit der Arbeitskräfte wird immer wieder behauptet, dass die Einschätzungen über die Geschwindigkeit des Aufholprozesses der mittel-osteuropäischen Länder (MOEL) viel zu pessimistisch seien und in Wirklichkeit die Konvergenz deutlich rascher vor sich gehen werde. In diesem Zusammenhang werden auch gezielt Nachrichten über günstige Wachstumsraten in den Beitrittsländern verbreitet.

Momentaufnahmen sagen in diesem Zusammenhang aber wenig aus. Nur durch ein Wachstum des realen BIP, welches im Durchschnitt über einem Zeitraum von einem bis mehreren Jahrzehnten über dem Wirtschaftswachstum in Österreich bzw. im EU-Raum liegt, kann eine wesentliche Verringerung des Wohlstands- und Produktivitätsgefälles erreicht werden.

Ohne Frage ist aus österreichischer Sicht ein möglichst rasches Aufholen unserer östlichen Nachbarländer vorbehaltlos zu wünschen, weil es hoch an der Zeit ist, dass nach der politischen Befreiung 1989 die dortige Bevölkerung auch wirtschaftlich und sozial die Früchte des Systemwechsels ernten kann. Die Fakten zeigen, dass dieser Aufholprozess in der Mehrzahl der Länder in Gang gekommen ist. Sie zeigen auch, dass der Prozess nicht ohne Rückschläge vor sich geht und dass er bisher in jenen Bahnen verläuft, die in den »Konvergenzszenarien« beschrieben werden, die häufig als Prognosen missverstanden werden.

Es handelt sich bei diesen Szenarien ausdrücklich nicht um Prognosen, sondern um bloße Fortschreibungen über längere Zeiträume aufgrund von Annahmen, dass das Wachstum in den Beitrittsländern pro Jahr z. B. um 0,5 %, 1 %, 1,5 % oder 2 % höher ist als in der EU bzw. in Österreich. Dabei werden immer mehrere Varianten berechnet, um nicht den Anschein zu erwecken, dass es sich um eine Prognose handelt.

In einer vor über drei Jahren im Auftrag der Arbeiterkammer durchgeführten Studie errechnete das Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) zwei solche Szenarien mit je nach Land und Szenario um 0,5 % bis 3,5 % höherem Wachstum als in Österreich. Das Resultat ist in Tabelle 2 zusammengestellt und mit einem neuen Szenario des WIIW,1) das die tatsächliche Entwicklung der letzten drei Jahre berücksichtigt, verglichen (siehe Tabelle 2: »Konvergenzszenarien MOEL - Österreich«). Diese Tabelle zeigt, dass sich zwar die relative Einschätzung der einzelnen MOEL-Länder geändert hat, dass aber die Zeiträume, in denen heute mit einem fühlbaren Aufholen gerechnet werden kann, im Wesentlichen die gleichen sind wie vor drei Jahren. Bis 2010 könnte Slowenien 80 % des österreichischen BIP-Pro-Kopf-Niveaus erreichen, die anderen Länder liegen dann zwischen 44 % (Polen) und 64 % (Tschechien). Die Annahme, welche dem WIIW-Szenario zu Grunde liegt, besteht in einer um 2 Prozentpunkte höheren Wachstumsrate (für alle MOEL) als in Österreich (4 % gegenüber 2 %). Grosso modo beruht diese Annahme auf den Erfahrungswerten für die letzten sechs Jahre beim BIP Wachstum (siehe Grafik: »Durchschnittliches jährliches Wachstum des realen BIP«).

Ein rascherer Aufholprozess, so wünschenswert er auch wäre, ist aus heutiger Sicht nicht realistisch. Auch für das Jahr 2015 muss außer für Slowenien mit einem 30- bis 50 %igen Einkommensgefälle gerechnet werden, und das zu Kaufkraftstandards. »Zu Wechselkursen« (dann wohl zu verstehen als »in EURO«) wird es sich zweifellos noch höher darstellen. Dies scheint bei den bisher in den Verhandlungen diskutierten Übergangsfristen nicht ausreichend berücksichtigt.

Tabelle 2:

Konvergenzszenarien MOEL - Österreich
BIP pro Einwohner zu KKS in Prozent von Österreich

Land Wifo 1998 WIIW 2001

2000
Ist

»schwaches« »starkes« 2010 2015
Wachstum bis 2010

Tschechien

53,2 60 67 64 70
Slowakei 43,6 50 55 53 58
Ungarn 47,3 44 45 59 65
Polen 36,6 40 45 44 49
Slowenien 65,0 61 68 80 88
Österreich 100,0 100 100 100 100

Quelle: WIFO; WIIW

Tabelle 3:

Reales BIP-Wachstum

Einschätzung der Wanderungsströme durch verschiedene Studien

AK und ÖGB haben in betont sachlicher Form schon früh auf mögliche Arbeitsmarktauswirkungen der EU-Osterweiterung hingewiesen. Eine im Auftrag der AK erstellte Studie des WIFO2) hat den möglichen jährlichen Zustrom an Arbeitskräften nach Österreich bei einem für 2005 angenommenen EU-Beitritt von Tschechien, Slowakei, Ungarn, Polen und Slowenien ab 2005 mit 41.800, davon 23.800 Pendler, beziffert, wobei dieser Wert innerhalb von zehn Jahren um gut 10.000 abnimmt. Diese Werte sind von verschiedener Seite großteils wenig sachlich als überhöht, pessimistisch und angstmacherisch kritisiert worden.

Dabei erhebt diese Studie nicht den Anspruch, derartige Wanderungsströme exakt zu prognostizieren, wohl aber, Größenordnungen möglicher Zuwanderung anzugeben, um die Dimensionen des Problems zu bestimmen. In dieser Hinsicht ist die WIFO-Studie durch zwei Studien deutscher Institute inzwischen bestätigt worden. Im Falle der Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW, Berlin)3), die im Auftrag der EU-Kommission erstellt wurde, entsprach das Ergebnis wohl kaum der Intention des Auftraggebers. Die andere umfassende Studie stammt vom ifo-Institut für Wirtschaftsforschung (München)4) und wurde im Auftrag des deutschen Arbeits- und Sozialministeriums erstellt. Die Studien der deutschen Institute und des WIFO sind nicht unmittelbar miteinander vergleichbar, die Vergleichbarkeit kann aber durch verschiedene Umrechnungen einigermaßen hergestellt werden. Für die gesamte EU beziffert die DIW-Studie die Netto-Einwanderung im ersten Jahr (angenommen 2002) mit 335.000 Personen, diese Zahl geht innerhalb von zehn Jahren auf etwa 120.000 zurück.

Auf Österreich entfallen geschätzte 13 % des Zustroms. Über den Gesamtzeitraum von zehn Jahren nach Beitritt ergibt sich unter der Annahme, dass Rumänien und Bulgarien an der Osterweiterung in den nächsten zehn Jahren nicht teilnehmen, für Österreich ein Zustrom von ca. 110.000. Diese Zahl unterscheidet sich nur geringfügig von der WIFO-Schätzung, die auf rund 125.000 Einwanderer für denselben Zeitraum kommt. Das ifo-Institut kommt zu etwas höheren Werten als das DIW. Die deutschen Studien beinhalten allerdings nicht eine Schätzung der Pendler, die nur aus der WIFO-Studie entnommen werden kann. Immerhin hat die EU-Kommission anerkannt, dass für die Anrainerländer gerade diese Gruppe das größere Arbeitsmarktproblem darstellen wird.

Für den EU-Arbeitsmarkt in seiner Gesamtheit gesehen bedeutet eine jährliche Zuwanderung in der Größenordnung von 335.000 nicht viel, wohl aber für die an die Beitrittsländer angrenzenden EU-Staaten Deutschland und Österreich. Auf diese werden geschätzte 13 % und 65 % dieses Zustroms entfallen, was für Österreich relativ noch deutlich mehr ist als für Deutschland. Daher konnte auch die EU-Kommission letztlich nicht umhin festzustellen, »dass ernsthafte Störungen nationaler Arbeitsmärkte nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden können und dass mit hoher Wahrscheinlichkeit in Grenzregionen ein ernsthaftes Problem durch die starke Zunahme von Berufspendlern entstehen wird«5).

Fazit

Es ist ein offensichtlicher Widerspruch in sich, wenn zugleich vehement gegen Beschränkungen der Freizügigkeit der Arbeitskräfte bei der EU-Osterweiterung plädiert und behauptet wird, es werde zu keinen Arbeitskräfte-Wanderungen kommen. Denn wenn niemand oder nur wenige migrieren wollen, dann bilden Beschränkungen für diese wenigen auch keine Barriere, denn die erlaubte Zuwanderung wird nicht mit null festgesetzt werden. Die Industriellenvereinigung, die sich so sehr für die sofortige Freizügigkeit stark macht, führt immer einen angeblichen Arbeitskräftemangel als Argument an, rechnet also mit einem durchaus nennenswerten Zustrom, der das Angebot erhöhen und den Preis, das heißt, den Lohn reduzieren würde. Das wäre allerdings der allzu bequeme Weg zur Kostensenkung, der sich auch auf die gesamtwirtschaftliche Binnennachfrage vor allem nach Dienstleistungen negativ auswirken würde.

Daher sehen die Gewerbetreibenden und Selbständigen in ihrer Mehrzahl durchaus den Sinn von Einschränkungen der Freizügigkeit und verlangen auch Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit für die Übergangsperiode. Solche Beschränkungen sind sogar eine notwendige Ergänzung der Übergangsbestimmungen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die durch Leistungserbringung über die Grenze und durch scheinselbständige Tätigkeit unterlaufen werden könnten.

Aus österreichischer Sicht ist die von der EU-Kommission für die Arbeitsmärkte als Kompromiss vorgeschlagene Vorgangsweise nicht akzeptabel. Fünf Jahre Übergangsfrist sind selbst dann, wenn - unwahrscheinlicherweise - in den MOEL-Ländern ein anhaltender Wirtschaftsboom ausbricht, zu kurz, um eine fühlbare Annäherung der Einkommen zu ermöglichen. Die Entscheidung über eine Verlängerung auf sieben Jahre würde zudem bei der EU-Kommission liegen, ohne Mitentscheidungsrecht Österreichs. Der Umgang der EU-Kommission mit der Arbeitsmarktproblematik bei der Osterweiterung hat bisher gezeigt, dass Österreichs und Deutschlands Probleme mit zu erwartenden Pendlerströmen nicht ausreichend verstanden werden und dass eine gesamteuropäisch-verallgemeinernde Perspektive auf die unmittelbaren Nachbarländer nicht anwendbar ist: 335.000 Zuwanderer sind nur 0,2 % der gesamten EU-Beschäftigung, für Österreich liegen die entsprechenden Werte zwischen 1 und 1,5 % möglichem jährlichem Angebotszuwachs, von dem man nicht annehmen kann, dass sich die Beschäftigung im gleichen Ausmaß zusätzlich erhöht. Wenn andere, geographisch weiter entfernte EU-Staaten den sofortigen Zugang zu ihrem Arbeitsmarkt ermöglichen wollen, so sollte dies zulässig sein. Gleichzeitig müssen aber die Anrainerstaaten über die effektive Einführung der Freizügigkeit mitentscheiden können, da hier die Auswirkungen ungleich stärker sein werden.

Es ist aus heutiger Sicht auch nicht wirklich abschätzbar, wie sich die Lage in sieben oder zehn Jahren nach der Erweiterung, also etwa 2010/13 darstellen wird, wie die Konvergenz bis dahin vorankommt und wie die Arbeitsmarktentwicklung in den Beitrittsländern verlaufen wird. In allen Ländern wird die demographische Entwicklung bis dahin zu einer Verringerung des Arbeitskräfteangebots führen, deren Wirkungen aber ebenfalls heute nicht ausreichend beurteilt werden können. Daher sollten die Instrumente zu einer schrittweisen Integration der Arbeitsmärkte möglichst flexibel gestaltet werden. Sieben Jahre als Übergangszeit erscheinen aus heutiger Sicht extrem kurz bemessen, die Verlängerungsoption und eine Schutzklausel sind aus österreichischer Sicht unverzichtbar. Wenn sich bis dahin zeigt, dass die Wanderungsbereitschaft gering ist, wäre auch eine raschere Lockerung der Beschränkungen möglich - aber dies jetzt schon festzulegen, erscheint zumindest verfrüht. Die Ausschöpfung oder Nichtausschöpfung der im Rahmen der Übergangsregelungen zulässigen Migration wird zeigen, wie stark die Migrationsneigung tatsächlich ist.

Die Übergangszeit muss darüber hinaus intensiv genutzt werden, um durch Förderungs- und Entwicklungsprogramme, die gemeinsam von der EU und Österreich (Bund, Länder, Sozialpartner) getragen und finanziert werden, die Voraussetzungen für die Integration der Arbeitsmärkte in den Grenzregionen - und das ist im Falle Österreichs ein Großteil des Bundesgebiets - zu verbessern. Solche Programme sind kein Ersatz für eine Regulierung des Arbeitsmarktzugangs, aber sie fördern die Konvergenz. Durch einen so umfassenden Ansatz kann die EU-Osterweiterung als »soziales Projekt« gestaltet werden - ein Ziel, das sich die EU-Kommission selbst gesetzt hat und das voll unterstützt werden kann.

1) Forschungsbericht Nr. 275 des WIIW, Februar 2001.

2) E. Walterskirchen, R. Dietz, Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf den österreichischen Arbeitsmarkt. Wifo-Studie, April 1998. Siehe dazu den Artikel in dieser Zeitschrift von G. Chaloupek, Wifo-Studie zur EU-Osterweiterung, Heft 7-8/1998 von Arbeit und Wirtschaft.

3) Die Ergebnisse der DIW-Studie sind in Kurzform veröffentlicht im Wochenbericht 21/2000 des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

4) EU-Erweiterung und Arbeitsmigration: Wege zu einer schrittweisen Annäherung der Arbeitsmärkte. ifo- Institut für Wirtschaftsforschung, München, Dezember 2000.

5) Zitat aus einer Rede von EU-Kommissar Günter Verheugen, Die Erweiterung der Europäischen Union - Strategien für die Bewältigung der erweiterungsbedingten Herausforderungen (Berlin, 3. April 2001).

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