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Integration: Mehr als ein Schlagwort

In der Diskussion um die Integration von Ausländern hat die Gesellschaft eine Chance, die Fundamente neu zu prüfen, auf denen sie stehen will. Statt neue Freund-Feind-Bilder zu produzieren, wäre es Zeit, die Politik einer Entwicklung anzupassen, aus der es keine Umkehr gibt: Einer Reise in das unbekannte Land, in dem Menschen unterschiedlicher Herkunft leben.

Es ist keine unbeschwerte Touristentour, mit Multikultitrubel oder gönnerhafter Freundlichkeit dem Fremden gegenüber. Konkretes leistet hier das »Unterstützungskomitee zur Integration von AusländerInnen« (UKI). »Die Landessprache und arbeiten können«, lautet das Motto des Vereins, »sind Grundvoraussetzungen für das Zusammenleben.«

Kluge Freunde hegen Grenzen, um sich nicht selbst aufzugeben, sagt der deutsche Politikwissenschafter Ulrich von Alemann. Grenzen müssen sein, zur Einfriedung von Identitäten und dem Entstehen eines Wir-Gefühls. Hier hat die Wirklichkeit die dumpfe Politik künstlicher Ein- und Ausgrenzung lange schon eingeholt. Bekanntlich sind auch die Menschen mobil geworden, nicht nur Waren und Dienstleistungen. Kinder aus zwei oder noch mehr Kulturen, die auch Wiener Dialekt sprechen, sind keine Seltenheit mehr. Da gibt es die Herzeigbaren, die Globalisierungsgewinner, die Arabella Kiesbauers zum Beispiel, die Gebildeten, die mit dem Scooter die Strecke von der U1 zur UNO-City flitzen, die Reichen, die ohnehin überall willkommen sind.

Die anderen Fremden: Sie sind nicht unbedingt das Gegenteil der Schönen und Klugen, sondern entsprechen eher der Realität. Es sind Menschen unterschiedlichster Herkunft und mit verschlungenen Biographien, die nicht immer einfach und oft tragisch waren, mit der Gemeinsamkeit, nun in Österreich zu leben. Der gemeinnützige Verein UKI, »Unterstützungskomitee zur Integration von AusländerInnen« in der Wiener Felbigerstraße, leistet hier einen wichtigen Beitrag zur sozialen Integration von Zuwanderern. Deutschkurse und Berufsorientierung sind die beiden Schwerpunkte. Für Jugendliche gibt es zudem die Möglichkeit, ihre Hauptschulabschlussprüfung nachzuholen.

Damoklesschwert Finanzierung

Das breite Angebot, darunter auch die berufliche Orientierung und Deutsch für behinderte Migranten, wird auf einem etwas komplizierten Subventionsweg finanziert, der die Mitarbeiter alljährlich vor neue Probleme stellt (siehe Kasten). Der Leiter des Unterstützungskomitees, Nasser Alizadeh: »Wir wissen nie, ob wir im kommenden Jahr noch existieren. Jedes Jahr sage ich dem Vermieter unserer Räumlichkeiten, dass wir nur um ein weiteres den Vertrag verlängern.«

Auch für die Kursleiter ist die Arbeit im Verein nicht leicht, was ihr Engagement keineswegs schmälert. Was es heißt, in einer so genannten NPO, Non-Profit-Organisation, tätig zu sein, weiß Judith Nana-Schönherr, die den Berufsorientierungskurs für behinderte Migranten leitet. Obwohl die Nachfrage das Angebot übersteigt, ist sie nie sicher, ob und wann ein Kurs stattfindet. Wie auch ihre Kollegen legt Nana-Schönherr daher »öfter eine Zwangspause« ein, in der sie selbst auf die Arbeitslose zurückgreifen muss.

Durch budgetäre Einsparungen wird künstliche Konkurrenz zu anderen Organisationen geschaffen, die ebenfalls Deutschkurse anbieten. Wo politische Richtlinien fehlen, helfen gute Verbindungen. Eine Mitarbeiterin: »Persönliche Kontakte können es ermöglichen, einen Kurs auf die Beine zu stellen. Andererseits: Wenn die Chemie nicht stimmt, ist oft einer ganzen Institution der Weg versperrt. Und eigentlich sollte man nicht bitten und betteln müssen, um Arbeitnehmer beruflich zu orientieren und Sprachkenntnisse zu vermitteln.«

Angst

»Deutsch ist der Schlüssel zur Integration«, meint Susanne Empacher, die sowohl die Kursteilnehmer als auch die Öffentlichkeitsarbeit betreut. UKI-Leiter Nasser Alizadeh lebt seit 30 Jahren hier, spricht Deutsch und Wiener Dialekt, wenn es sein muss. »Vor dem Fremden haben die Österreicher Angst. Wenn ich Dialekt spreche, akzeptieren mich die Leute besser. Sie haben das Gefühl, das ist einer von uns, der versteht mich, die Angst geht weg.« Ein Umgang ohne gemeinsame Sprache schafft Angst und Missverständnisse auf beiden Seiten. Viele Kursteilnehmer fürchten die Vorstellungsgespräche bei künftigen Arbeitgebern, weil sie nicht genügend Deutsch können.

Nana-Schönherr: »Es ist nicht immer gleich Rassismus, wenn Firmen keine Ausländer nehmen. Oft haben Arbeitgeber schlechte Erfahrungen gemacht, weil die Leute sprachlich so schwach sind. Sie selbst einzuschulen wäre eine kostspielige Sache.« In vielen Branchen sind Sprachkenntnisse unwichtig. Küchenhilfen brauchen nicht zu sprechen beim Karottenschneiden. So manch einer, der jahrelang als »integrierter« Arbeiter lebt, taucht etwa bei Schließung der Firma plötzlich an die Oberfläche. So wie Hassan, der 24 Jahre ausschließlich mit Landsleuten am Bau beschäftigt war.

Gabi Gfader, die im Auftrag des »Arbeitsmarktservice NÖ« die Deutsch- und EDV-Kurse für Teilnehmer von Korneuburg bis Melk abhält: »Plötzlich hat sich herausgestellt, dass der überhaupt kein Wort Deutsch konnte.« Obwohl fehlende Sprachkenntnisse die größte Hürde bei der Integration sind, sind die Kurse nicht immer voll ausgelastet. Denn für eine Teilnahme ist die Zuweisung vom Arbeitsmarkt oder der Status als Konventionsflüchtling nötig.

»Dulden« und »mögen«

Dem Unterstützungskomitee geht es nicht allein darum, den Teilnehmern die Nennform auszutreiben, »ich kommen morgen und machen« oder Küchenhilfen zu vermitteln. Mit anderen Organisationen, die zwar bei den Subventionsvergaben Konkurrenten, aber sonst Mitstreiter sind, wird reger Austausch gepflegt. Die Diskussion um Integration, etwa bei der Integrationskonferenz, die im Mai in Wien stattfand, ist keine rhetorische Fragestellung, keine Trockenübung in Diskursen, sondern muss immer neu an die freie Bewegung der Menschen angepasst werden. Wie sind Widersprüche zu versöhnen: hier gesellschaftliche Integration, da kulturelle Verschiedenartigkeit? Wie viel Differenz erträgt eine Gesellschaft? Vielfalt würde eigentlich weniger Toleranz brauchen (ein Wort, das bekanntlich »dulden« heißt und nicht »mögen«), sondern eher, Konflikte offen zu benennen. Wie kommt auch einer dazu, dass ihm jemand verbal auf die Schulter klopft, nur weil er nicht im selben Land geboren ist?

Geheime Ängste vor Unbekannten sind auch nicht gleich rassistisch: Vielleicht stehe ich vor einem besonders krassen Exemplar, einem jener Importeure balkanischer Macho-Kultur, der seine Frau daheim einsperrt, während er seinen Raki im Beisl kippt. Vielleicht ist die Frau, die da im Kursraum von einem Wort zum anderen über die mühsamen Hürden deutscher Sätze springt, eine jener »Duckmäuse«, die uns im Kampf um Gleichberechtigung um Lichtjahre zurückwirft?

Die Frage der Toleranz stellt sich neu, wie vor allem die Diskussionen im religiösen Bereich zeigen, die die Einwanderungsländer der Europäischen Union seit langem führen.

Um Lichtjahre in einer erhellenden Diskussion um Toleranz und Integration wirft uns dumpfe Panikmache zurück. Wie kommt eine Gesellschaft etwa dazu, dass jeder Schwarze durch infame Kampagnen der FPÖ (die auch in der bürgerlichen Presse als Werbeeinschaltung veröffentlicht wurden), als potentieller Drogenhändler betrachtet werden könnte?

Kluge Freunde hegen Grenzen, um sich nicht aufzugeben. Grenzziehungen können auch neurotisch werden und eine lebendige Kultur der Abgrenzung, die auf Kommunikation beruht, verhindern. »Die soziale Integration ohne die politische ist eine karitative Maßnahme«, meint Nasser Alizadeh. »Wie alle Menschen wollen auch Einwanderer die Zukunft mitgestalten. Viele haben am Aufbau dieses Landes mitgearbeitet und werden nun als Schmarotzer dargestellt. Österreich ist das einzige Land in der Europäischen Union, wo das passive Wahlrecht auf Kommunalebene nicht üblich ist. Es fehlt auch an Information, wie viel Österreich von den Einwohnern profitiert.«

Demokratische Weiterbildung

Integration bedeutet für den Verein UKI auch, den jungen Menschen eine Chance zu geben. Jugendliche zwischen 15 und 19, Österreicher mit Lernschwierigkeiten, Kinder der zweiten Generation oder Neuankömmlinge können ihren fehlenden Hauptschulabschluss nachholen. In zehn Monaten werden sie in den Hauptgegenständen blockweise unterrichtet und zwei Monate nachbetreut. Firmen werden kontaktiert, wo die Jugendlichen, betreut von Sozialarbeiter Michael Hoffmann, 27, schnuppern können, was sie »überhaupt wollen«.

Was passiert, wenn junge Serben, Kosovoalbaner, Chinesen, Österreicher und Tunesier zusammen in einem Raum sind? Nichts, es hat tadellos funktioniert. Michael Hoffmann: »Auf der Schiene Mensch zu Mensch. Jede einzelne Gruppe ist schon ein Beispiel für gelungene Integration. In der Vorbereitungsphase ist ein Therapeut präsent: Nicht die Nationalitäten sind das Problem, sondern die erlebte Geschichte: Kriegstraumata, familiäre Probleme, Drogen und Gewalt. Denn wer den Hauptschulabschluss nicht schafft, hat meist eine krisengeschüttelte Vorgeschichte.«

Integration ist für Sozialarbeiter Hoffmann auch demokratische Weiterbildung. Einige Jugendliche in den Kursen dürfen bereits wählen. Nach den vergangenen Wahlen verspürten die Betreuer Angst unter den Jugendlichen, »aus Österreich raus zu müssen. Eine Angst, die nicht von allein entsteht. Es ist schwer für viele, hier eine Heimat zu finden. Da hilft selbst die Staatsbürgerschaft nichts, sie allein ist noch kein Zeichen für Integration«.

Die Nachfrage nach dem Vorbereitungskurs für den Hauptschulabschluss ist größer als das Angebot: Aus 80 Bewerbungen können nur etwa 20 Jugendliche aufgenommen werden. Die Voraussetzungen zur Teilnahme sind genügend Deutschkenntnisse, um den Unterricht zu verstehen, und die finanzielle Situation. Hoffmann: »Wer es sich leisten kann, wird anderswohin geschickt.«

Im Kellergeschoss der Volkshochschule Rudolfsheim, wo das UKI einen Kursraum angemietet hat, sitzt eine Gruppe Jugendlicher. Christian, mit Gel-Igelhaarfrisur, ist der Einzige hier geborene Österreicher. Die Gruppe erinnert an die Prognosen, die Soziologen ausführlich in den Feuilletons westeuropäischer Zeitungen beschreiben: An die kommende Ära multipler Identitäten und mobiler Menschen. Piz, der mollige Tunesier, der sich gegen Fragen mit seinem Walkman schützt, Milan, der Fesche, mit der Frisur eines Pulli-Models auf H&M-Plakaten, Zia Wong, die zierliche Chinesin, die ihre Geschichten mit deftigen Dialektwörtern unterlegt.

Ferrari?

Bestimmte Fragen dürften die Kids bereits ziemlich nerven. Milan, der Spaßvogel, zeigt, was er von der ewigen Leier von verständnisvoll-mitfühlenden Fragen hält. Wie es damals gewesen sei, als er nach Österreich gekommen ist? »Also«, sagt Milan, »es war so: schon die alten Ägypter ...«

Was er werden will? »Drogenhändler«, sagt er und lacht. »Nein, Spaß: Einfach Geld verdienen, irgendetwas, wo man sich nicht schmutzig macht. Ein Auto haben. Einen Ferrari, einen neuen.«

Das ist sein Traum, sagt Ermine aus der Türkei. Sie sieht aus, wie eben viele Österreicher heute ausschauen: türkisch. In der Begegnung mit den »anderen« Österreichern schwingt oft die unausgesprochene Frage mit, wie das ist, mit der »Zerissenheit der Seelen zwischen zwei Kulturen«. Ermine braucht man diese Frage gar nicht erst zu stellen. »Meine Eltern sind auch Meles, eine Mischung. Sie kommen aus zwei verschiedenen Städten in der Türkei. Da sind die Unterschiede genauso groß.«

Dusan, 16, hat seine blaue Kappe tief ins Gesicht gezogen. Bisweilen quetscht er unter dem Kappenschirm hervor eine Bemerkung auf Serbisch in Richtung Milans Ohr, der dann breit und offen grinst. »Für mich«, sagt Dusan, »Österreicher und Ausländer sind alle gleich. Besch...« Dusan spricht ein wenig, als würde er boxen: Der erste Satz ist wie ein patziger Schlag in Richtung Zuhörer, mit dem nächsten schwächt er die Wirkung ab. »Ich bin ein Mensch, der nicht arbeiten will.« Dusans Eltern leben seit 25 Jahren hier, er selbst musste noch nie arbeiten. »Mein Vater hat gesagt, das ist nicht nötig. Er kommt von der Baustelle am Abend, mit kaputtem Rücken und kaputten Knien.«

Grüne Grenze

Zia Wong, 19, hat in China die Mittelschule gemacht. »Hier muss ich Einzelhandelskauffrau werden. Ein blöder Job. Aber soll ich noch weiter lernen? Dann bin ich 40 und eine alte Frau.« Bei ihrer Ankunft in Österreich war sie »gleich in die Hauptschule gekommen. Das Deutsch war ein Problem«. Jetzt ist es keines mehr, und Zia erzählt ihre Geschichte wie einen Film, den sie vor kurzem gesehen hat. »Meine Mutter war fleißig, die hatte drei Jobs und viel Geld. Aber der Vater hat nichts gemacht, der ist immer nur im Bett gelegen. Eine Scheidung dauert in China sechs Jahre, meine Mutter war schon 37, als sie nach Österreich ging.«

Zia Wong, die Zierliche, wirkt diszipliniert, fast ein wenig hart. Was hält sie eigentlich von den Österreichern, die hier geboren sind? »Urpenner«, meint sie, »so viele sind besoffen in der U-Bahn. So viele Arbeitslose, die wollen gar nicht arbeiten.«»Die können nicht«, meint Ermine.

»Politiker sind alle Abzocker«, schießt es unter Dusans Kappe hervor. Wen er wählen würde? »SPÖ, weil die haben nie etwas gegen Ausländer gesagt. Die Grünen können nicht viel machen, die haben zu wenig Stimmen.« Dusan liest keine Zeitung, denn Politik interessiert ihn nicht. Eine vage Meinung hat er trotzdem: »Haider wird nie Bundeskanzler.«

Die Kosovarin Gjeljane, 19, hört nur zu. Ihr Deutsch ist noch nicht sehr gut. Der Vater ist vor einem Jahr gestorben, die Mutter lebt im Kosovo. Sie blickt mit ihren großen Augen aufmerksam und traurig zugleich in die Runde. »Sie ist über die grüne Grenze gekommen«, erklärt Ermine für sie. Grenzen sind das Ende einer Sache, die hier aufhört. Aber dahinter beginnt immer das Unbekannte neu.

Kursangebot des Vereins UKI in Wien

  • Vorbereitungslehrgang für den Hauptschulabschluss für Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren. Gefördert vom Bundesministerium für Unterricht und Kunst.
  • Berufsorganisationskurse für Migranten aus Niederösterreich, Schwerpunkte Deutsch und EDV, gefördert vom AMS/NÖ.
  • Deutschkurse im Rahmen der Sprachoffensive im Auftrag des Wiener Integrationsfonds.
  • Berufsorganisation, Deutsch und EDV für behinderte, erwerbslose Zuwanderer und anerkannte Konventionsflüchtlinge. Gefördert vom Bundessozialamt und dem Europäischen Sozialfonds. Voraussetzung: Ein Behinderungsgrad von mindestens 50 Prozent bei Arbeitslosen. Bei Konventionsflüchtlingen sind bloß 30 Prozent für die Teilnahme erforderlich.
  • In Vorbereitung: Kurse für sprachbehinderte und gehörlose Migranten.

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