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Einsparungen und Sozialabbau | »Soziale Treffsicherheit« als Geldregen für den Finanzminister

Die Regierung hat ihr am 19. September im Ministerrat beschlossenes Maßnahmenpaket mit den Worten »Erste Schritte zur Hebung der sozialen Treffsicherheit« übertitelt. Abgesehen von der wenig versteckten Drohung, dass »ersten« Schritten ja meist auch noch weitere folgen, stellt sich vor allem die Frage, was denn diese, in den letzten Monaten so vielbeschworene »soziale Treffsicherheit« sein könnte.

Es wird nämlich so getan, als wäre das allen bewusst. Es wird vorausgesetzt, dass alle die sozialen Ziele, die hier »sicher getroffen« werden sollen, nicht nur kennen, sondern sich auch darüber einig sind. Denn nirgends definiert die Regierung, was sie eigentlich damit erreichen will.

Aber vielleicht kann man ja anhand der Maßnahmen Rückschlüsse auf die zu treffenden Ziele ziehen.

Förderung der Mutterschaft?

Gehen wir sie also im Einzelnen durch. Da wäre zunächst die Streichung der beitragsfreien Mitversicherung für Ehepartner ohne Kinder, wobei das Vorhandensein von erwachsenen Kindern ausreicht (also das »Kinder gehabt haben«), um den Anspruch auf Mitversicherung nicht zu verlieren. Wie nicht anders zu erwarten, bestätigt die Statistik, dass der Großteil der Mitversicherten Frauen sind. Mütter sind ausgenommen, während andere Frauen, unabhängig von Arbeitsmarktchancen und Familieneinkommen, von heute auf morgen die Leistung verlieren sollen. Das »soziale Ziel« könnte hier heißen: »Förderung der Mutterschaft ohne Berücksichtigung anderer Faktoren.« Dieses Ziel ist jedenfalls nicht unumstritten. Arbeiterkammer und Gewerkschaft formulieren hier beispielsweise ein anderes Ziel: »Familie und Beruf dürfen kein Widerspruch sein.« Ein adäquates Mittel, dieses Ziel durchzusetzen, wäre unter anderem natürlich auch ein Überdenken der Mitversicherung, da die Mitversicherung die Anreize senkt, selbst erwerbstätig zu sein. Aber: Um dieses Ziel »sozial treffsicher« zu erreichen, bräuchte es einerseits längere Übergangsfristen, da man nicht erwarten kann, dass Frauen über vierzig oder gar fünfzig so ohne weiteres Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Andererseits müsste man für Jüngere das Anrecht auf Mitversicherung viel stärker an zeitaufwendige Pflegetätigkeiten koppeln. Das Vorhandensein von Kindern schränkt ohne Zweifel zumindest für ein Elternteil die zeitliche Verfügbarkeit auf dem Arbeitsmarkt ein. Es sind aber nur wenige Jahre (wenn überhaupt), wo gar keine Erwerbstätigkeit möglich ist.

Analog zur Sondernotstandshilfe könnte man zum Beispiel die Mitversicherung gewähren, wenn nachweisbar kein zumutbarer Teilzeitarbeitsplatz zu finden ist (dies nur als laut gedachter Diskussionsvorschlag). Tatsache bleibt, dass die derzeit beschlossene Maßnahme, soll sie nicht dem Ziel »Mütterförderung« dienen, einzig und allein dem Ziel dient, leere Kassen zu füllen. »Sozial treffsicher«?

»Invalidensteuer«

Nächstes Beispiel: Die Besteuerung von Unfallrenten. Als Argument wird vorgebracht, dass Unfallrenten steuerlich gleichzubehandeln wären wie Invaliditätspensionen. Das ist noch kein Ziel. Tatsache ist, dass Unfallrenten relativ niedrig sind (die durchschnittliche Höhe beträgt 3669 Schilling). Ein Grund, warum diese Sozialleistungen so niedrig angesetzt sind, ist, dass sie eben bislang nicht besteuert wurden.

Da Unfallrenten in den allermeisten Fällen zu einem anderen Einkommen (sei es aus Erwerbstätigkeit oder öfter noch aus Pension) hinzukommen, würden sie sehr hohen Grenzsteuersätzen unterworfen. So wäre es keine Ausnahme, würden mehr als 40 Prozent wegbesteuert (dies gilt bereits in den unteren Einkommensbereichen). Das sind enorme Einbußen für die Betroffenen. Was könnte also das Ziel sein? Da nicht angenommen werden soll, dass die Regierung behaupten will, Invalide erhielten zu viel Geld vom Staat, kann als Motiv abermals nur die leere Kasse des Finanzministers gesehen werden. »Sozial treffsicher«?

Alle Arbeitslosen sind potentielle »Sozialschmarotzer«?

Maßnahme Nummer 3 ist die Kürzung der Familienzuschläge in der Arbeitslosenversicherung. Statt bislang 670 Schilling im Monat gibt es nur mehr 400 Schilling. Eine Regierung, die sich eigentlich als Ziel die besondere Förderung der Familien gesetzt hat, muss in Erklärungsnotstand kommen, will sie die »soziale Treffsicherheit« dieser Maßnahme erklären. Je geringer das Arbeitslosengeld ist, umso stärker kommt diese Kürzung des Einkommens zum Tragen: Man stelle sich beispielsweise eine Frau vor, die mit Teilzeitarbeit 6000 Schilling nach Hause brachte und zwei Kinder zu versorgen hat, die arbeitslos wird. Sie verliert aufgrund der Regelung über 11 Prozent ihres Arbeitslosengeldes. Die Begründung, dass es hier zu einer Vereinheitlichung mit den Kinderzuschüssen für Pensionistinnen und Pensionisten käme, ist mehr als fadenscheinig: Erstens sind es nicht so viele Pensionisten, die Kinderzuschüsse beziehen und zweitens sind die Durchschnittspensionen um einiges höher als das durchschnittliche Arbeitslosengeld.

Gepaart mit den weiteren, bislang noch gar nicht so publiken Sparvorstellungen im Bereich der Arbeitslosenversicherung, wird hier massiver Sozialabbau betrieben. Diesen Maßnahmen kann nur die Vorstellung zugrunde liegen, dass alle Arbeitslosen potentielle Sozialschmarotzer sind. Durch geschickte Manipulation werden Anwartschaftzeiten erworben und dann der Sozialstaat nach Strich und Faden ausgenützt - das ist das Bild, das die Regierung von den österreichischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zeichnet (die Formulierung, dass Beschäftigungsverhältnisse oftmals bloß zur Erlangung oder zum Erhalt von Anwartschaftzeiten eingegangen werden, findet sich auch im so genannten Mazal-Bericht, dem Expertenbericht, der den Regierungsbeschlüssen zugrunde lag). Da mag es natürlich sozial treffsicher wirken, dieser Gruppe harte Einschnitte zuzumuten. Geht man aber von der Realität aus, so ist man von sozialer Treffsicherheit weit entfernt.

Es soll hier keineswegs bestritten werden, dass auch im Bereich der Arbeitslosenversicherung Reformen dringend notwendig sind. Im Gegensatz zur Regierung wird aber hier behauptet, dass Reformen nicht gleichzusetzen sind mit Mittelkürzungen. Reformen können auch etwas kosten. Beispielsweise könnte die Aktivierungsschiene noch verbessert werden (Schulungen, Wiedereinstiegsprogramme...) oder die Forderung nach einem Mindestarbeitslosengeld aufgestellt werden. Die Ziele hinter solchen Maßnahmen wären klar und könnten auch als »sozial treffsicher« bezeichnet werden, nämlich Abbau von Armut und rasche (Re-)Integration auf dem Arbeitsmarkt. Eine undifferenzierte Kürzung der Familienzuschläge hingegen bringt nur dem Finanzminister Geld. »Sozial treffsicher«?

Leicht durchschaubar...

Maßnahme Nummer vier ist die Krankenversicherungsbeitragspflicht für Zusatzpensionen aus rechnungshofgeprüften Institutionen. Auch wenn über eine Beitragspflicht für Zusatzpensionen sicher grundsätzlich diskutiert werden kann, stellt sich doch die Frage, welches Ziel wohl hier hinter der Forderung steht, dass nur rechnungshofgeprüfte Institutionen betroffen sind. Ist das gar ein wenig versteckter Hieb auf die Kammern? Es gibt nämlich keinen offensichtlichen, sozial gerechtfertigten Grund, warum Zusatzpensionen in anderen Unternehmen nicht ebenfalls beitragspflichtig werden sollten. Auch derart leicht durchschaubare Manöver haben als Nebeneffekt noch eine Füllung der leeren Kassen. »Sozial treffsicher«?

Zwei Monate ohne Lohn und ohne Arbeitslosengeld

Bei Maßnahme Nummer 5 (der Ausdehnung der Wartezeiten auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung auch bei einvernehmlicher Lösung oder Ablauf eines befristeten Beschäftigungsverhältnisses) protestieren selbst einfache FP-Parteimitglieder. Geplant ist, Arbeitnehmern die ersten vier Wochen ihrer Arbeitslosigkeit kein Arbeitslosengeld zu zahlen, auch wenn sie nicht selbst gekündigt haben. Hiervon sind natürlich Arbeitnehmer in saisonabhängigen Branchen viel stärker betroffen. Ihnen kann es passieren, dass sie zweimal im Jahr freigesetzt werden und daher zwei Monate pro Jahr ohne Lohn und ohne Arbeitslosengeld dastehen.

Nun mag es stimmen, dass es in der Fremdenverkehrs- und der Baubranche ein Missverhältnis zwischen Beitragsaufkommen und Leistungsvolumen gibt. Aber ist das die Schuld der dort Beschäftigten? Und wo bleibt der Solidarausgleich zwischen bedrohteren und weniger bedrohten Gruppen, der schließlich Grundprinzip der Pflichtversicherung ist? Ist es sozial treffsicher, diese Personen, die meist ohnehin eher unterdurchschnittlich verdienen, dafür zahlen zu lassen?

Ein anderer Vorschlag wäre das auch im Expertenbericht vorgeschlagene »experience rating«, mit dem auch in den USA gute Erfahrungen gemacht wurden - hier geht es darum, dass Arbeitgeber, deren Einfluss auf die Beschäftigungsdauer schließlich um einiges höher ist, Beiträge für ihre Arbeitnehmer in Abhängigkeit von der Beschäftigungsdauer zahlen müssen. Wer es schafft, Arbeitnehmer durchgängig zu beschäftigen, zahlt niedrigere Beiträge als jemand, der befristet einstellt und dazwischen die Leute freisetzt.

Das Modell ist nicht ganz unumstritten, vor allem wegen des Verwaltungsaufwandes, wäre aber als sozial treffsicherer zu bezeichnen, wenn das Ziel wäre, Arbeitnehmer kontinuierlicher am Arbeitsmarkt zu halten. Fürs Budget bringt es aber weniger. Daher hat die Regierung den Weg der Bestrafung der Arbeitnehmer gewählt. Diese können sich kaum wehren und durch die Leistungskürzung werden die Kassen gefüllt. »Sozial treffsicher«?

»Zurück zur Eliteuniversität«

Und schließlich bleibt noch Maßnahme Nummer 6: die Einführung von Studiengebühren. Ohne dass das Angebot an den Universitäten besser geworden wäre (im Gegenteil, es wird ja auch beim Mittelbau, also bei den Assistenten, die den Großteil der Lehre bestreiten, erheblich gekürzt), werden von allen Studierenden 10.000 Schilling im Jahr eingehoben. Die angekündigte Ausweitung der Stipendien kann sich finanziell kaum ausgehen, daher ist davon auszugehen, dass diese Maßnahme vor allem Studierende trifft, die entweder neben dem Studium erwerbstätig sind und daher länger studieren müssen, oder die von den Eltern finanziert werden, wo sich diese die zusätzlichen Kosten nicht mehr leisten können. In beiden Fällen handelt es sich nicht um die Kinder aus wohlhabenden Familien. Es wirkt daher so, als ob das Ziel hier laute »Zurück zur Eliteuniversität«, oder sind es doch wieder die zusätzlichen Milliarden fürs Budget, die locken? »Sozial treffsicher«?

Etikettenschwindel und Sparwahn

Bei allen sechs Maßnahmen konnte also die soziale Treffsicherheit klar in Frage gestellt werden. Im Mindesten kann der Regierung daher Etikettenschwindel vorgeworfen werden, wenn mit den Begriffen »Reformen« und »soziale Treffsicherheit« einfach nur Einsparungen und Sozialabbau gemeint sind. Des Weiteren sollte dieser Beitrag aber auch gezeigt haben, dass die Maßnahmen nicht nur nicht sozial treffsicher sind, sondern in vielen Fällen wirklich die Falschen treffen und Leistungen dort gekürzt werden, wo sie dringend benötigt würden.

Die Regierung will uns in ihrem Sparwahn glauben machen, dass der österreichische Sozialstaat durch eine generelle Überversorgung gekennzeichnet wäre, wahr ist aber, dass es in vielen Bereichen deutliche Unterversorgungen gibt (was auch im Mazal-Bericht dargelegt wird). Hier müssen Ziele formuliert werden, wie mit diesen Problembereichen umgegangen werden soll, und dann kann im Zuge einer neuen »Treffsicherheitsdebatte« über Strukturänderungen diskutiert werden: Wo Leistungen obsolet geworden sind oder zu Überversorgungen führen, muss man selbstverständlich über Einschränkungen reden, wo Leistungen aber ungenügend sind, muss es im Gegenzug zu Ausweitungen kommen.

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