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Mythos Nulldefizit | Hauptfragen der aktuellen Budgetdebatte

Muss das österreichische Budgetdefizit auf null gebracht werden? Nein. Weder verlangt das die EU noch ist es wirtschaftlich notwendig.

  • Auch die sehr restriktiven EU-Kriterien erlauben ein Budgetdefizit von ein bis zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr. Wer ein Nulldefizit anstrebt, will sich als Musterschüler profilieren - zum Schaden der eigenen Volkswirtschaft.
  • Ein Staat muss kein ausgeglichenes Budget haben. Wichtig ist, was der Staat mit dem Budget macht - von wem er Einnahmen nimmt und wofür er Ausgaben tätigt. Ob der Saldo aus Einnahmen und Ausgaben positiv, negativ oder ausgeglichen ist, ist dabei weniger wichtig, solange die richtigen Maßnahmen für Bevölkerung und Wirtschaft gesetzt werden.

Staatsschulden sind ökonomisch nicht automatisch schlecht, sondern oft notwendig: Wenn die Privaten zu wenig ausgeben, muss der Staat einspringen. Investitionen sind Voraussetzung zukünftigen Wohlstands. Mit den derzeitigen Staatsschulden wurde Österreich zu einem der reichsten Länder der Welt. Mit dem geborgten Geld wurde gearbeitet - Bildung, Wohnbau, Verkehrsinfrastruktur und vieles andere finanziert.

Deshalb sollte die Rückzahlung auch von denen mitgetragen werden, die diese Vorteile in 20, 30 Jahren nutzen - indem man heute Schulden aufnimmt, deren Bedienung von zukünftigen Generationen übernommen wird, legt man auch den Grundstein des Wohlstandes für künftige Generationen.

Steht der Staat vor dem Bankrott?

Das österreichische Budgetdefizit ist so niedrig wie seit Jahren nicht. Das Defizit und der Gesamtschuldenstand sind im internationalen Vergleich alles andere als dramatisch. Der Staat genießt nach wie vor die höchste Kreditwürdigkeit, und es gibt keine Anzeichen, dass diese in Gefahr wäre.

Muss der Staat sparen wie jeder private Haushalt?

Die Analogie zu privater Haushaltsführung ist verführerisch, aber falsch. Es gibt zwei wesentliche Unterschiede:

  1. Der Staatshaushalt soll nicht wie Haushalte oder Unternehmen Gewinne machen, sondern hat öffentliche Aufgaben zu erfüllen - Wohlfahrt, Verteilung, Infrastruktur etc. Nur daran ist er zu messen - ein Nulldefizit ist kein Qualitätsmerkmal. Gute Budgetpolitik kann hohe Defizite bedeuten, und ein ausgeglichenes Budget kann Ergebnis einer desaströsen Budgetpolitik sein. Auf die aktuelle österreichische Regierung trifft Letzteres zu. Wer beim Staatshaushalten nur auf den Saldenausgleich schaut, macht schlechte Budgetpolitik, weil er die Hauptaufgabe - gesamtwirtschaftliche Lenkung mittels Einnahmen und Ausgaben - vernachlässigt.
  2. Für die Übernahme öffentlicher Aufgaben und die daraus oft entstehende Notwendigkeit, sich zu verschulden, ist der Staat bestens gerüstet. Anders als ein Privater muss der Staat seine Schulden de facto nie zurückzahlen - denn er hat »ewiges Leben«. Er muss nur die laufenden Zinsen auf Staatsschulden zahlen, die Kreditsumme kann er immer wieder durch neue Kredite abdecken. Das ist ohne Probleme möglich, solange die Zinsen und die jährliche Neuverschuldung nicht schneller wachsen als die Steuereinnahmen.

Steht durch die Staatsverschuldung jeder
Österreicher mit Millionen in der Kreide?

Der österreichische Staat ist zu mehr als 50 Prozent im Inland verschuldet. Das heißt, mehr als die Hälfte seiner Verbindlichkeiten schuldet der Staat österreichischen Banken, Versicherungen, Fonds und privaten Vermögensbesitzern. Wenn man die Staatsverschuldung schon auf die Gesamtbevölkerung aufteilt, sollte man fairerweise dazu sagen, dass diesen zugeschriebenen Schulden noch weit höhere private Finanzvermögen gegenüberstehen.

Was heißt »gerecht sparen«?

Die österreichische Regierung ist dafür, vor allem bei den Ausgaben zu sparen. Die Aussage »der Staat spart bei sich selbst« ist aber irreführend. Denn jede Änderung von Einnahmen und Ausgaben trifft (Teile der) Bevölkerung. Die Einnahmen des Staates (die Steuern) sind Ausgaben für die Bürger, umgekehrt sind die Ausgaben des Staates Einnahmen der Bürger.

Die Anhebung von Einkommensteuer und Vermögensteuer etc. (also »einnahmenseitig sparen«) trifft eher Besserverdienende, weil die Einkommensteuertarife mit höherem Einkommen steigen und nur Wohlhabendere Vermögen besitzen. Staatsausgaben kommen eher unteren Einkommensschichten zugute, »ausgabenseitig sparen« (Kürzung von Sozialausgaben, Abbau des öffentlichen Dienstes etc.) trifft daher vor allem Ärmere. Die VP-FP-Budgetpolitik hat untere Einkommensschichten bislang stark belastet. Sie nützt die Budgetkonsolidierung, um nach oben umzuverteilen.

Ist das Defizit das Budgetproblem Nr. 1?

Im österreichischen Staatshaushalt gibt es viele Probleme, die weitaus gravierender sind als der negative Budgetsaldo. Es sind Defizite, die die Hauptaufgaben der Budgetpolitik betreffen:

  • Es wird sehr wenig umverteilt, im Sozialbereich gibt es enorme Versorgungslücken;
  • es wird kaum auf geschlechtsspezifische Problemlagen Rücksicht genommen;
  • die niedrige Vermögens- und Kapitalbesteuerung macht Österreich zu einem Steuerparadies für Unternehmen und Vermögen;
  • die Budgetprozesse sind sehr intransparent.

Die Maßnahmen der FP-VP-Regierung, die mit der Losung »Nulldefizit« gerechtfertigt werden, decken diese Probleme zu und verschärfen sie noch. Die Hauptaufgaben der Budgetpolitik werden zurzeit aufs Gröblichste zugunsten der Nebenbedingung Nulldefizit und Klientelpolitik vernachlässigt.

Warum ist der Regierung das Nulldefizit so wichtig?

Für die neue Bundesregierung ist das Nulldefizit das zentrale Vehikel, um ihre gesellschaftspolitischen Vorstellungen umzusetzen. Hinter der Forderung nach Beseitigung des Defizits steht der Wunsch der Regierung, bestimmte staatliche Aufgaben zu privatisieren oder überhaupt zu eliminieren.

Statt sozialer Rechte sollen alle und alles nur nach dem marktwirtschaftlichen Konkurrenzprinzip funktionieren. Wer sich auf dem Markt nicht durchsetzen kann, soll nicht mehr vom Sozialstaat aufgefangen werden. Die Funktion des Sozialstaats soll wieder von der Familie übernommen werden. Mit der Aufwertung von Familienaufgaben wird unausgesprochen auf vermehrte unbezahlte Frauenarbeit gesetzt.

Alternative Budgetpolitik

Budgetpolitik ist Gesellschaftspolitik. Ihre Aufgabe ist gesamtgesellschaftliche Lenkung mittels Einnahmen und Ausgaben.

Ausgabenseite: Ausgaben sollen sich auf die Verbesserung der Lebens- und Entwicklungschancen breiter gesellschaftlicher Gruppen konzentrieren, insbesondere jener, die durch andere Finanzierungsquellen (Arbeits- und Vermögenseinkommen) vernachlässigt werden.

Einnahmenseite: Die Finanzierung von gesellschaftlichen Freiräumen und öffentliche Abfederung der Folgen privaten Wirtschaftens sind vermehrt von jenen zu tragen, die von Letzterem profitieren. Daraus folgt eine Erhöhung der Besteuerung von Ressourcenverbrauch, Besitz und Kapitaleinkommen.

Budgetprozess: Öffentliche Aufgaben wie Budgetpolitik grundsätzlich und die Verwaltung einzelner Aufgabengebiete (insbesondere der Sozialbereich) müssen demokratisiert werden. Alle budgetpolitischen Maßnahmen sind einer gesellschaftlichen und geschlechtsspezifischen Folgenabschätzung zu unterwerfen.

EU: Auf EU-Ebene muss gegen die ständige Verschärfung der Budgetkriterien eingetreten werden.

Anstelle eines Leitartikels drucken wir diesmal einen Text der BEIGEWUM ab, der hoffentlich endgültig mit den Fehlinformationen zum Budget aufräumt. Der Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen (BEIGEWUM) ist ein Verein von österreichischen Sozialwissenschaftern aus unterschiedlichen Disziplinen, der das Ziel verfolgt, Ergebnisse kritischer Forschungstätigkeit in die laufende politische Debatte einzubringen.

Anfang Oktober erscheint zum Thema »Budget« ein Taschenbuch. Bestelladresse: BEIGEWUM, Postfach 162, A-1015 Wien oder beigewum@iname.com

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