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Welcher vernunftbegabte Kaufmann würde ein erfolgreiches Unternehmen verschleudern, wie es die FPÖVP-Koalition vorhat?
Arbeitsmarkt im Juli 2000 & Verbraucherpreisindex

ÖIAG: Rausverkauf - der letzte Akt? | Hintergründe und Alternativen

Als eine der ersten Maßnahmen der neuen blau-schwarzen Regierung wurde bereits im April 2000 das neue »ÖIAG-Gesetz« beschlossen. In diesem Gesetz ist die Verschmelzung der PTBG (Post- und Telekom-Beteiligungsverwaltungsgesellschaft)1) in die ÖIAG (Österreichische Industrieholding Aktiengesellschaft) festgelegt. Erklärtes Ziel: Endgültiger Abbau der Schulden durch umfassende Privatisierungen. Notwendigkeit oder Vorwand?

Mit 122.571 Beschäftigten, einem Umsatz von 326 Milliarden Schilling (ohne PSK), einem Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit (EGT) von 16,8 Milliarden Schilling sowie einem ÖIAG-Börsenindex, der in den letzten Jahren im Schnitt 20 Punkte über dem ATX lag, nimmt die ÖIAG eine wichtige und erfolgreiche Position in der österreichischen Wirtschaft ein.2)

Wollt ihr die totale Privatisierung?

Was bedeutet nun die von der FPÖVP-Koalition letztlich geplante Totalprivatisierung der in der ÖIAG zusammengefassten Staatsbetriebe und der ehemaligen Verstaatlichten Industrie?

Zunächst stellt sich die Frage, warum überhaupt weiter privatisieren, wenn die Betriebe - wie ersichtlich - erfolgreich wirtschaften?

So lag im Geschäftsjahr 1999/2000 z. B. des VOEST-ALPINE (VA) Stahl Konzerns der Betriebserfolg vor Abschreibungen bezogen auf den Umsatz (EBITD-Marge) bei 13,1 Prozent. Damit war die VA Stahl im vergangenen Jahr der beste europäische Stahlkonzern. Zum Vergleich: Der deutsche Stahlkonzern Thyssen-Krupp erreichte nur eine EBITD-Marge von 10 Prozent. Was die Privatisierungsdebatte der neuen Regierung bisher angerichtet hat und was beim Privatisieren konkret herauskommen könnte, sei wieder am Beispiel der VA Stahl veranschaulicht: Obwohl zur Zeit wirtschaftlichstes Stahlwerk Europas, betrug Ende März dieses Jahres ihr Börsenwert 14,531 Milliarden Schilling und lag damit um 5,146 Milliarden niedrieger als ihr Eigenkapital in Höhe von 19,677 Milliarden Schilling.3) Allein diese - schon bei einem Betrieb anfallende - Differenz von 5,146 Milliarden Schilling wäre ein enormer Privatisierungsverlust, Veräußerung von Volksvermögen weit unter seinem Wert.

Darüber hinaus gehen dem Staat bei jedem Verkauf seines Eigentums an Private die laufenden Erlöse (Dividendenzahlungen) verloren. Und schließlich bedeutet Privatisierung in Österreich letztlich auch Ausverkauf ans Ausland, weil so viel inländisches Privatkapital nicht vorhanden ist.

»Wir haben in Österreich, anders als in fast allen anderen europäischen Ländern, keine anderen strategischen Investoren als den Staat«, weiß auch der frühere ÖVP-Finanzstaatssekretär und Wirtschaftsminister sowie nunmehriger ÖIAG-Finanzvorstand Johannes Ditz.4)

Genau diese von Ditz angesprochene Problematik stand eigentlich auch schon Pate für die - politisch halbherzige - Zustimmung der ÖVP zur von SPÖ und ÖGB forcierten Verstaatlichung im Jahr 1946. Kein Privater hätte das Kapital für den Wiederaufbau solch gewaltiger Wirtschaftszweige aufbringen können.

Zukunftskonzept für die ÖIAG

Auszug aus der Resolution des ÖGB-Bundesvorstands vom 8. Juni 2000

Der ÖGB fordert:

- Die dauerhafte Kernaktionärsrolle der ÖIAG mit einem Mindestanteil von 25 Prozent plus einer Aktie.

Damit wird die Voraussetzung geschaffen, dass die wesentlichen Entscheidungen über Investitionsprogramme, Forschung und Entwicklung, den Ausbau industrienaher Dienstleistungen und von Aus- und Weiterbildungsprogrammen weiterhin in Österreich zu Gunsten der österreichischen Standorte getroffen werden. Dies gewährleistet in weiterer Folge den Ausbau der Wertschöpfung und die Schaffung neuer bzw. die Sicherung bestehender hochwertiger Arbeitsplätze in unserem Land.

Das Privatisierungsprogramm der Bundesregierung führt dagegen zu einem Ausverkauf von strategisch bedeutenden österreichischen Unternehmen ans Ausland. Das neue ÖIAG-Gesetz gefährdet Tausende Arbeitsplätze. Darüber hinaus drohen deutliche Verschlechterungen bei den betrieblichen und überbetrieblichen Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

In deutschen Händen ...

Doch nicht nur die Kapitalschwäche der einzelnen österreichischen Industriellen war die Triebkraft dafür, dass Österreichs Schlüsselindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg verstaatlicht wurde: Da Österreichs Großindustrie zwischen 1938 und 1945 beinahe zur Gänze in deutsche Hände gelangt war, fast vollständig unter der Leitung nazideutscher Direktoren und Ingenieure bzw. in der Rüstungsindustrie unter militärischer Aufsicht stand, waren viele ihrer Betriebe mit Ende des Kriegs »herrenlos« geworden.5) Zum anderen drohte Österreich bei einer großzügigen Auslegung des Begriffs »Deutsches Eigentum« durch die Alliierten die Beschlagnahme zu Reparationszwecken, das heißt, der Verlust eines Großteils seines Wirtschaftspotentials.6)

Als Lieferant von Rohmaterial und halbfertigen Waren für die weiterverarbeitende Industrie haben die verstaatlichten Betriebe dem Wiederaufbau der Privatwirtschaft einen schätzenswerten Dienst geleistet, stellte der ehemalige ÖVP-Bundeskanzler Alfons Gorbach fest. Tatsächlich haben die Preisnachlässe der Verstaatlichten für die österreichischen Privatunternehmer von 1946 bis 1955 8,4 Milliarden Schilling ausgemacht.7)

Trotzdem entwickelte sich die Verstaatlichte in der Nachkriegszeit im Rahmen der Gemeinwirtschaft zum Motor der österreichischen Wirtschaft. So führte sie zwischen 1956 und 1982 allein rund 157 Milliarden Schilling an Steuern ab und investierte im gleichen Zeitraum 131,1 Milliarden Schilling.8)

Doch mit dem weltwirtschaftlichen Konjunktureinbruch Mitte der 70er Jahre bekam die Verstaatlichte die ihr aufgebürdeten Lasten der Vergangenheit zu spüren.

So war es der Verstaatlichten bis in die 70er Jahre hinein untersagt, in die Finalproduktion einzusteigen, um für die Privatunternehmen keine Konkurrenz zu werden. Die Verstaatlichte hat so jahrzehntelang die Privatwirtschaft subventioniert, wodurch ihr kein Geld für eigene Investitionen blieb. Als sie dieses aufgrund der konjunkturellen Schwankungen benötigte, selbst dann gewährte der Eigentümer Staat der ÖIAG keine nennenswerten Zuschüsse. Während der Stahlkrise wurde beispielsweise die EG-Stahlindustrie mit 750 Schilling je Tonne Stahl, die österreichische Stahlin-dustrie hingegen nur mit 60 Schilling je Tonne Stahl subventioniert.9) Aber nicht nur das. Zusätzlich führte die Art und Weise der Mittelzuführung dazu, dass die ÖIAG unverschuldet zum »Verlustunternehmen« gemacht wurde.
Anfang der siebziger Jahre: Erzeugnisse der VOEST gingen in alle Welt. Hier wird einer der beiden größten LD-Tiegel mit einer Kapazität von 300 Tonnen für ein Hüttenwerk in Toronto montiert

Wer ist schuld an den Schulden?

Per Ende Juli 2000 betrugen die Schulden der »ÖIAG-neu« etwa 74,5 Milliarden Schilling, davon entfallen rund 30 Milliarden Kredite auf die nunmehr mit der ÖIAG verschmolzene PTBG. Bis heute brachten diese beiden Privatisierungswellen von ÖIAG-Tochtergesellschaften (1987-1993, 1994- 2000) Erlöse von 27,70 und 75,83 Milliarden Schilling, also insgesamt 103,53 Milliarden Schilling.10)

Während in allen anderen Ländern die in Bedrängnis geratenen Firmen Direktzahlungen aus dem Budget erhielten, hat die österreichische Regierung der ÖIAG bloß genehmigt, Kredite aufzunehmen. Der Bund ist nur eine Refundierungsverpflichtung und eine Haftung eingegangen, bedient hat er diese Kredite aber nicht. Das hat nicht nur dazu geführt, dass die Kredite, sondern auch teure Kreditzinsen zurückgezahlt werden mussten, die bei Direktsubventionierung aus dem Budget bei der ÖIAG nicht angefallen wären.11)

Für jede aufgenommene Milliarde musste so fast eine zweite an Zinsen zurückgezahlt werden. Das heißt, die »Verluste« der Betriebe und die Opfer, die die Beschäftigten in Form von Lohn- und Gehaltskürzungen sowie Arbeitsplatzverlust zu erbringen hatten, waren und sind die Gewinne der in- und ausländischen Banken.

Überdies erfolgte bei der ÖIAG - entgegen der üblichen Usancen für den öffentlichen Bereich - eine Doppelzählung der Finanzierungen. Während etwa bei der CA, bei der Landwirtschaft oder auch bei General Motors nur der gegebene Betrag als Förderung gezählt wird, werden bei der ÖIAG die Zinsen mit einberechnet, was die »Subventionierung« der Verstaatlichten im österreichischen Vergleich natürlich horrend aussehen lässt. Komplettiert wurde diese verquere Darstellung dadurch, dass die so berechneten »Verluste« mit den damals tatsächlich entstandenen Verlusten aus Spekulationsgeschäften (Intertrading-Ölgeschäfte) in einen Topf geworfen wurden.12) Obendrein machten die Medien die »privilegierten Arbeiter«, die zu teuer, zu viele und zu langsam seien, von der VOEST in Linz bis zur VOEST-Alpine im steirischen Donawitz für die »Verluste« verantwortlich. Man mobilisierte die »Steuerzahler-Öffentlichkeit«, die doch ein Recht darauf hätte, dass die »Verluste« der »defizitären Arbeiter« ein Ende haben müssten. So wurde von den Massenmedien in Wirklichkeit eine Öffentlichkeit für die Zinsgewinne der Banken, denn nichts anderes war die Großzahl der »Verluste«, und eine Stimmung gegen die Verstaatlichte geschaffen.13)

Massiver Arbeitsplatzabbau So kamen - bei tatsächlich 61 Milliarden aufgenommenen Mitteln - die bis heute kolportierten 100 Milliarden ÖIAG-»Schulden« zustande. Diese dienten dann als Vorwand für den massiven Arbeitsplatzabbau von Zehntausenden in der Verstaatlichten Beschäftigten und auch zur Auflösung der »Austrian Industries« (AI) als einheitlicher Industriekonzern und sollten die Privatisierung von Teilen der Verstaatlichten auch über die 50-Prozent-Grenze hinweg legitimieren (ÖIAG-Gesetz 1993).

Dass die ÖIAG-Betriebe hochprofitabel sind und weder dem Steuerzahler noch dem Budget auf der Tasche liegen, zeigt die Dividendenleistung für das Jahr 1998 14): So werfen allein die noch verbliebenen Bundesbeteiligungen, welche die ÖIAG an den Firmen hält, Dividenden in der Gesamthöhe von 6,2 Milliarden Schilling ab, davon allein die noch zu 75 Prozent im Besitz der ÖIAG stehende Telekom Austria 4,6 Milliarden. Wären alle im Jahr 1998 Dividenden ausschüttenden Firmen noch zu 100 Prozent im Besitz der ÖIAG, hätte die Dividendenleistung 10 Milliarden Schilling betragen. Nach dem geplanten Totalverkauf von Austria Tabak, PSK und Telekom wird die Dividendenleistung mehr als halbiert. Einmalerlösen aus den Verkäufen stehen langfristige Einnahmeausfälle gegenüber. Abgesehen von den negativen Auswirkungen bei Abwandern der Konzernzentralen im Falle eines Ausverkaufs für Arbeitsplätze, Forschung, Entwicklung, Infrastruktur oder Bildung, die volkswirtschaftliche Milliardenverluste nach sich ziehen.

Notabene: Vergleiche

Zum Vergleich die Landwirtschaft: Hier betrug allein für das Jahr 1998 das Ausmaß der Agrarförderung von Bund, Ländern und EU fast 25,5 Milliarden Schilling (ohne Zinsen).15) Das heißt, die Landwirtschaft bekommt bloß in einem Jahr eine so hohe Summe an Förderungen wie ein Viertel der Gesamtschulden der ÖIAG ausmacht.

Zum weiteren Vergleich das der breiteren Öffentlichkeit völlig unbekannte »Ausfuhrförderungs-Ausfuhrfinanzierungsgesetz«, mit dem die Exportkredite der Wirtschaft garantiert, dass die Ausfallshaftungen vom Staat übernommen und im Zweifelsfall auch bezahlt werden, wie das ja schon öfter in der Vergangenheit (z. B. Ostkredite) der Fall war. Der aktuelle Haftungsrahmen beträgt 481,9 Milliarden Schilling16), also das Fünffache der ÖIAG-Schulden. Einmal ganz abgesehen von den vielen inländischen Kredit- und Zinsstützungsaktionen für die gewerbliche Wirtschaft (ERP, Bürges usw.). Motto: Verstaatlichte Wirtschaftspolitik pfui, staatlich subventionierte Privatwirtschaft hui!

Ein-, Aus- und Umgliederungen

In zwei weiteren die Entwicklung prägenden Spannungsfeldern hatte sich die verstaatlichte Industrie zu bewegen. Einmal im innerösterreichischen politischen Kräfteverhältnis, zum anderen auf dem internationalen Markt, insbesondere in der EWG/EG/EU-Integration.

1946 wurde das nazideutsche Eigentum verstaatlicht. Die Firmen unterstehen dem Ministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung (ÖVP, Krauland). 1949, nach dem Wahlsieg der SPÖ, werden die Betriebe dem Bundesministerium für Verkehr und verstaatlichte Betriebe unterstellt. 1956 gliedert die ÖVP die Unternehmen in die Holding IBV (Industriebeteiligungsverwaltung) aus. 1959, nach dem SPÖ-Wahlsieg werden die Firmen der Sektion IV des Bundeskanzleramtes einverleibt. 1966 gründet der Wahlsieger ÖVP die Industrieverwaltungsgesellschaft (ÖIG), deren Chef Josef Taus wird. 1970, mit dem Wahlsieg der SPÖ, wird aus der ÖIG die Österreichische Industrieaktiengesellschaft (ÖIAG). 1989 werden nach dem Intertrading-Skandal von 1985/86 die Gewinn bringenden Unternehmen in die Austrian Industries AG (AI) ausgegliedert. Nachdem der geplante Börsengang scheitert, werden 1993 die AI aufgelöst und die ÖIAG als Holding mit einem gesetzlichen Privatisierungsauftrag über 50 Prozent beauftragt. Tochtergesellschaften werden kräftigst »privatisiert«, sprich in der Regel ans Auslandskapital verkauft. Im Jahr 2000 wird vom FP-Finanzminister Grasser der alte Aufsichtsrat entlassen, und mit dem ÖIAG-Gesetz 2000 und einen neuen, sich fortan selbst erneuernden Aufsichtsrat die Totalprivatisierung angestrebt.17)

Missbrauchte Melkkuh?

Vom österreichischen Privatkapital - wie bereits gezeigt - als Melkkuh missbraucht, kam die Verstaatlichte mit dem 1974 in Kraft getretenen Freihandelsvertrag mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) vom Regen in die Traufe. Am Inlandsmarkt ausgelaugt, damit veraltet und unterkapitalisiert, wurde die Verstaatlichte nun den großen Stahlmonopolen in der EG ausgesetzt, vor allem denen Deutschlands. Das Abkommen bedeutete zwar die Aufhebung der Preisnachlässe für die österreichische Privatwirtschaft, aber damit auch den Entfall von bisher sicheren Kunden. Stattdessen wurden aber von der EG Mindestpreise für Massenstahl festgesetzt, die nicht unterboten werden durften. Weiters wurden maximale Produktionsmengen (Kontingentierungen) sowie die schrittweise Abschaffung der staatlichen Preisstützungen und der staatlichen Beihilfen für »Umstrukturierungen« (EG-Stahlmarktordnung) festgelegt.18) Damit wurde vor allem die österreichische Stahlindustrie in ein Korsett gepresst, an das sie sich selbst penibel hielt, während sich die großen EG-Stahlkonzerne aber nie daran hielten.19) Aber vielleicht war das kein Zufall, denn die deutsche Konkurrenz saß ja mitten im ÖIAG-Aufsichtsrat, so wie heute auch,20) und konnte so ihre Interessen von innen heraus platzieren. Die seit 20 Jahren laufenden Zusperr- und Ausverkaufskonzepte haben vor allem der deutschen Konkurrenz genützt. So ist z. B. die österreichische Stahlindustrie nach der Ostöffnung (1998/89) und dem EU-Beitritt (1994) zum Großteil nur mehr nach Westeuropa orientiert und Zulieferer für deutsche Automobilkonzerne, also in einer einseitigen Abhängigkeit.

Gefundenes Fressen für die Multis ...

Die bisherige Verstaatlichtenpolitik hat Zehntausenden Menschen in diesem Bereich und im Umfeld ihren Arbeitsplatz gekostet und brachte für einige Standorte das Aus. Die nunmehrige Totalprivatisierung gefährdet direkt und indirekt 120.000 Arbeitsplätze und bedeutet, die »Verstaatlichte zu einem gefundenen Fressen für die Multis zu machen«, wie es einer, der es wissen muss, OMV-Generaldirektor Richard Schenz, unlängst ausdrückte.21)

Gegen die zahlreichen Schließungs- und Umstrukturierungspläne in der Verstaatlichten haben in der Vergangenheit die Arbeiter und Angestellten der Betriebe gemeinsam mit den Menschen der Standorte schon in der Vergangenheit oft demonstriert und gekämpft. In Erinnerung ist sicherlich die Demonstration der 60.000 Beschäftigten in Linz und in der Obersteiermark im Jänner 1986. Dort wo sie sich nicht auf Versprechungen von Firmenleitung oder Politikern verließen, sondern selbst die Sache in die Hand nahmen und sich die Unterstützung von Gewerkschaften und ÖGB sicherten, waren sie erfolgreich, konnten Abbaupläne vereiteln oder Schlimmeres verhindern.

Oft folgten aber den Protesten trotzdem die Abbau- oder Zusperrprogramme, so dass heute viele noch in den ÖIAG-Betrieben Beschäftigte entmutigt sind.

Klare Position

Gegenüber dem neuen ÖIAG-Gesetz 2000 ist die Position von ÖGB und AK klar und findet sich auch in der Stellungnahme der Betriebsräte der ARGE ÖIAG-Gruppe wider: Der Ausverkauf von Kernunternehmungen wird abgelehnt, weil damit der Abverkauf der österreichischen Unternehmen, Arbeitsplatzabbau und durch die schnelle Privatisierung ein Preisverfall befürchtet wird. Kritisiert wird weiters der Verlust des strategischen Einflusses auf österreichische Unternehmen und der Verkauf von wichtigen Infrastrukturunternehmen ins Ausland (z. B. Telekom Austria). Schließlich wird von der Regierung verlangt, die ÖIAG von einer reinen Privatisierungsagentur in eine Beteiligungsgesellschaft des Bundes umzuwandeln.22)

Am Beispiel Semperit lässt sich eindringlich nachvollziehen, wohin die Aufgabe einer strategischen Eigentümerfunktion (Kernaktionär) führt: dortselbst, aber auch in den Zulieferbetrieben sind insbesondere hoch qualifizierte Arbeitsplätze vernichtet worden.23)

Ausverkauf bis hin zur völligen Auslandsdominanz über die österreichischen Schlüsselindustrien und Massenarbeitslosigkeit bildeten in der Ersten Republik die Machtbasis des Faschismus.

Die Verstaatlichung wurde zu Beginn der Zweiten Republik von SPÖ und Gewerkschaften gegen den Widerstand von ÖVP und Unternehmern berechtigt auch damit begründet, dass durch eine Industrie in österreichischem Eigentum einer neuerlichen Rechtsentwicklung vorweg der Nährboden entzogen werden soll.

Stimmung

Abschließend möchte ich noch jene Stimmung wiedergeben, die ich zwischen März und Juli 2000 bei meinen Recherchen und Gesprächen zum Thema mit Betriebsräten aus Wien, Oberösterreich, der Steiermark und Vorarlberg, vor allem in noch oder ehemals verstaatlichten Betrieben oder der Gemeinwirtschaft feststellen konnte:

Die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, dass das Nachgeben gegenüber den Begehrlichkeiten des in- und ausländischen Privatkapitals nur der Arbeitnehmerseite geschadet hat: Arbeitsplatzverlust, Lohn- und Gehaltseinbußen, Verlust von Volksvermögen, wirtschaftlicher Eigenständigkeit und politischer Unabhängigkeit. Bei Wahlen drückte sich das Ergebnis dieser Politik dann auch in Zugewinnen bei den Rechtsparteien aus.

Die Analyse der Gründergeneration der Zweiten Republik hat sich bewahrheitet, nur die sozialdemokratische Politik hat sich nicht an die eigenen Analysen gehalten, während die ÖVP, die FPÖ und die Unternehmerseite nie von ihren Plänen ließen. Die Ergebnisse dieser Politik liegen vor, die Ursachen sind einsehbar, einen neuen Weg zu beschreiten scheint unumgänglich oder die Selbstaufgabe ist der Preis. Zum Schaden aller arbeitenden Menschen, zum Schaden Österreichs.

Die jüngsten AK-Wahlen haben gezeigt, dass die arbeitenden Menschen eine Politik in ihrem Interesse gutheißen. Diesen Vertrauensvorschuss für die Zukunft zu nutzen und in Taten umzusetzen ist die neue Chance, aber auch eine Bringschuld der Arbeitnehmervertretungen AK und Gewerkschaften.

1) Die PTBG war die Holding der Telekom Austria, der Post AG und der PSK, die nunmehr Tochtergesellschaften der ÖIAG sind. Über die Auswirkungen dieser Neuordnung wurde in der Nummer 5/2000 von »Arbeit & Wirtschaft« berichtet: Wilfried Leisch: »Ab die Post? Der Ausverkauf geht weiter: im Namen der Steuerzahler gegen Beschäftigte und Konsumenten ...«
2) ÖIAG-Geschäftsbericht 2000, S. 5 u. 21.
3) Daten von und Gespräch mit ÖIAG-Gen.-Dir. Rudolf Streicher am 1. 8. 2000.
4) Profil, 28. Juni 1999, S. 75.
5) Fritz Klenner: Die Österreichischen Gewerkschaften; Eine Monographie, Wien 1974, S. 154.
6) Otto Klambauer: Die Frage des Deutschen Eigentums in Österreich, Jahrbuch für Zeitgeschichte 1978, S. 143.
7) JG in der SPÖ: Verstaatlichte Industrie, o. J., S. 9.
8) Vgl. Industrie, Nr. 6, 23. 3. 2000
9) Vgl. Herbert Tieber/Rudolf Spitzer: Verstaatlichte Industrie zwischen gestern und morgen, Wien 1983.
10) lt. ÖIAG-Generaldirektion
11) Gespräch mit ÖIAG-Generaldirektor Rudolf Streicher am 1. 8. 2000
12) Gespräch mit Dr. Oskar Grünwald, langjähriger Mitarbeiter der ÖIAG in führenden Funktionen.
13) Vergleiche z. B. »Kronen-Zeitung« der letzten Monate 1985 und der ersten Monate 1986.
14) Vergleiche Bundesvoranschlag, Teilheft 1999, Ansatz 2/54214; 2/54219.Anfang der siebziger Jahre: Erzeugnisse der VOEST gingen in alle Welt. Hier wird einer der beiden größten LD-Tiegel mit einer Kapazität von 300 Tonnen für ein Hüttenwerk in Toronto montiert
15) Quelle: Grüner Bericht 1998; vgl. auch: Matthias Schneider, Wifo, Land- und Forstwirtschaft: Entwicklung 1999/2000 und mittelfristige Tendenzen
16) Österreichische Kontrollbank, OeKB, Juni 2000. 60.000 Beschäftigte der Verstaatlichten demonstrierten im Jänner 1986 gegen Schließungspläne in der Verstaatlichten in Linz und Donawitz
17) Siehe diverse Geschäftsberichte der ÖIAG, Wien.
18) Österreichisches Solidaritätskomitee: Österreich braucht die Verstaatlichte Industrie, Wien 1989, S 14 f.
19) Wochenpresse, 31. 5. 1983
20) Siehe Format, Nr. 15/2000, S 70 f.
21) Presse, 14. 4. 2000.
22) Siehe Resolution der Arge ÖIAG-Gruppe, 9. 3. 2000.
23) Volkswirtschaftliches Referat im ÖGB: Stellungnahme zum ÖIAG-Gesetz 2000, 3. 4. 2000, Wien, S. 3.

Unser Katechismus ist das Aktienrecht

Interview mit ÖIAG-Generaldirektor Rudolf Streicher

A&W: Was ist neu an dem ÖIAG-Gesetz 2000?
Rudolf Streicher: Weder das Privatisieren noch das Entpolitisieren ist wirklich neu. Von 1986 bis 1993 hat es schon Privatisierungen im Ausmaß von 27,7 Milliarden Schilling gegeben. 1993 ist der gesetzliche Privatisierungsauftrag gekommen, alle verstaatlichen Unternehmungen zu mehr als 50 Prozent zu privatisieren - das ist mit weiteren 75,8 Milliarden übererfüllt worden.

Was bringt das neue ÖIAG-Gesetz?
Im Wesentlichen ist es das Instrument für die weitere Privatisierung und legt die Rolle der ÖIAG dabei fest. Dieses Gesetz 2000 ist ziemlich wortgleich mit dem, was auch schon mit Finanzminister Edlinger und mit Minister Molterer ausgemacht war. Der spezifische Privatisierungsauftrag wird allerdings von der Regierung nur einmal in der Regierungsperiode festgelegt. Das ist für diese Periode die 100-Prozent-Privatisierung von Telekom, PSK, Austria Tabak, Flughafen Wien, Dorotheum, Staatsdruckerei, Print Media AG. Es ist allerdings zu prüfen, ob auch andere Privatisierungen sinnvoll und möglich sind. In diesem Punkt hat sich der Eigentümervertreter, der Finanzminister, dahingehend festgelegt, dass dies erst in der nächsten Regierungsperiode der Fall sein wird.

Bei den Belegschaften geht trotzdem die Angst des Totalausverkaufs um.
Bei der ÖIAG ist es völlig klar. Man hat sich festgelegt, dass man sich zu 100 Prozent von den vorgegebenen Bereichen trennt. Ansonsten bin ich ein Verfechter der Kernaktionärsidee. Weil aus meiner Erfahrung dort, wo der betriebliche Leistungsprozess einer Firma gesteuert wird, auch die attraktiven Aufgaben der Unternehmensführung bis hin zur Forschung, Entwicklung oder Einkauf zu finden sind und die ganze Infrastruktur und damit Arbeitsplätze und Wertschöpfung dranhängen. Ob sich diese Idee, die im Übrigen keine partei-, sondern eine wirtschaftspolitische ist, sich schließlich durchsetzen wird, kann ich nicht sagen.

Wie kommen Sie als passionierter Dirigent mit dem neuen »Aufsichtsrats- Orchester« aus?
Damit habe ich überhaupt kein Problem. Bitte, da sind Profis unter sich.

Was halten Sie von der Entpolitisierung des Aufsichtsrats?
Die ist schon im ÖIAG-Gesetz von 1986 gestanden. Nach dem Motto: Das Eigentum ist für den Eigentümer da. Die Republik Österreich ist der Eigentümer der ÖIAG, nicht die einzelnen Betriebe. Der Finanzminister ist der Eigentümervertreter. Dieser wiederum bestellt den Aufsichtsrat, das einzige Organ, auf das er bisher Einfluss hatte, jetzt nicht mehr, weil sich dieser in Zukunft selbst erneuert. In diesem Sinne kann man sagen, ist es eine weiter gehende Entpolitisierung als früher. Allerdings hat auf die Einzelfirmen seit 1986 kein Politiker mehr Einflussmöglichkeit. Unser Katechismus ist das Aktienrecht, das ja ohnehin jeder Gesellschaft eine Unternehmensführung unter Berücksichtigung des sozialen Umfeldes vorschreibt. Allerdings kommt es immer auf die handelnden Personen an.

Die Zeit des Redens ist fast abgelaufen

Interview mit Helmut Oberchristl, Vorsitzender des Zentralbetriebsrats der VOEST-ALPINE STAHL LINZ GmbH, Vorsitzender der Konzernvertretung der VOEST-ALPINE STAHL AG, Vorsitzender der ARGE ÖIAG-Gruppe (Betriebsräte der ÖIAG-Betriebe)


A&W: Kollege Oberchristl, wie ist die Stimmung in den Betrieben?
Helmut Oberchristl: Die Beschäftigten haben Sorge um ihre Arbeitsplätze. Sie haben immer für die Erhaltung der Betriebe gearbeitet und Opfer gebracht und mussten erleben, dass seit Jahren jeder Versprechung immer nur weitere Belastungen folgten.

Was sagt ihr dazu?
Unsere Position ist klar und basiert auf dem Grundsatzpapier zwischen ÖGB, AK und ARGE ÖIAG. Wir waren und sind gegen den Ausverkauf unserer Betriebe. Ist einmal alles verkauft, sind wir nicht mehr Herr im eigenen Haus. Was bleibt, wären einige mittlere Betriebe in Österreich. Das hat fatale Folgen für die Arbeitsplätze und den Standort Österreich. Von den jetzigen Plänen sind direkt und indirekt 120.000 Menschen betroffen.

Worum geht es?
Nicht um Privatisierung oder Nicht-Privatisierung, denn die Mehrheiten unserer Unternehmen sind längst privatisiert. Schon in den letzten Jahren hat es immer wieder Privatisierungen gegeben. Die neue Regierung macht's nur schneller und totaler. Es geht uns um die Erhaltung des strategischen Einflusses in Österreich durch die Absicherung einer Kernaktionärsrolle durch die ÖIAG. Das heißt, dass zumindest 25 Prozent und eine Aktie der jeweiligen Unternehmen in österreichischer Hand bleiben sollen. Die ÖIAG sollte das Mittel dazu sein und nicht eine bloße Ausverkaufsagentur. Wandern die Mehrheiten ins Ausland, gehen hier z. B. auch die Wertschöpfung, die Forschung und Entwicklung, die Firmenzentralen und vor allem Arbeitsplätze ans Ausland verloren. Man kann nicht ans Ausland verkaufen und dann sagen, dass alles erhalten und trotzdem in österreichischem Einfluss bleibt. Das ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit, wie gerade beim Verkauf der Bank Austria.
Der Staat darf nicht zum Nachtwächterstaat werden. Er hat eine soziale Verpflichtung. Besonders in Österreich, wo es keinen großen privaten Kapitalgeber im Inland gibt. Für die Industrievertreter ist die EU zwar kein Ausland. Aber dass das Privatisierungsprogramm negative Auswirkungen auf die »EU-Region Österreich« hat, konnte uns bisher keiner widerlegen: weder Finanzminister Grasser noch die politischen Vertreter der Länder noch der neue Aufsichtsrat der ÖIAG von der Wirtschaftskammer.
Es geht um die Absicherung der Arbeitsplätze. Wer gibt uns Sicherheiten? Es ist doch absurd, jetzt alles zu verkaufen, wo doch derzeit das Eigenkapital in den Firmen oft höher ist als der Börsenwert. Und außerdem: Warum sollen eigentlich gut gehende Betriebe, wie z. B. VA Stahl, VA Tech, OMV usw., verkauft werden und dem Staat gehen dann noch die Einnahmen verloren?

Aber geschehen muss doch etwas, die Schulden sind doch da?
Auch wir wollen einen modernen Industriestandort und damit sichere Arbeitsplätze. Aber das mit den Schulden ist die größte Sauerei. So hat z. B. Österreichs Stahlindustrie in Europa am wenigsten Zuschüsse erhalten. Das ist erwiesen. Von den ÖIAG-Schulden wird andauernd geredet, aber nicht davon, dass gleichzeitig die Landwirtschaft jährlich viel höher und nicht rückzahlbar subventioniert wird oder das private Gewerbe und die Industrie jährlich Zinsstützungen und Förderungen erhalten. Die ÖIAG-Schulden werden auch etwa dadurch mehr, dass die Regierung lieber das Geld für die Erfüllung der EU-Kriterien (Maastricht) ausgibt und die ÖIAG-Schulden stehen lässt, was zirka drei Milliarden Schilling jährlich mehr an Zinsen bedeutet.
Trotzdem haben wir überlebt - die VA-Stahl-Linz ist z. B. eines der modernsten und wirtschaftlichsten Stahlwerke Europas - während z. B. in der BRD und in Frankreich ganze Stahlwerke zugesperrt wurden.

Ist der Zug bereits abgefahren?
Bei der Privatisierung hat sich schon in der Vergangenheit herausgestellt, dass entscheidende Kernbereiche zu billigem Geld die Eigentümer wechselten, während »Ladenhüter« beim Staat verblieben. Damit das in Zukunft nicht geschieht, ist ein strategischer Kernaktionär notwendig. Wir könnten uns dabei auch vorstellen, dass eine bessere Absicherung österreichischen Eigentums über Mitarbeiter-Management-Beteiligungsmodelle usw. erfolgt, so dass ein Aktionärsblock entstehen könnte, der wirksam eingreifen kann. Viele Details sind dabei aber noch zu klären.

Ihr habt immer gesagt, wenn so etwas kommt, was die jetzige Regierung umsetzen will, dann ... Was geschieht jetzt?
Ja. Die Zeit des Redens ist fast abgelaufen. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind sehr verunsichert. Sie fragen: Was tun wir? Man hat uns informiert, aber was kommt jetzt? Unsere Strategie ist, das Vorgehen der Betriebsräte mit AK, ÖGB und Gewerkschaften zu koordinieren. Jeder Betrieb muss für sich definieren, wie er sich für den Fall des Falles entscheidet. Dann weiß jeder woran er ist und wir können und werden dann gemeinsam und abgestimmt vorgehen, wenn es den ersten Betrieb trifft.

WIRTSCHAFT KURZ

Voest Alpine Industrieanlagenbau

Großauftrag aus Brasilien

Die Voest Alpine Industrieanlagenbau, eine Tochterfirma der VA Tech, hat von einem brasilianischen Unternehmen den Auftrag erhalten, ein LD-Stahlwerk zu errichten. Das Auftragsvolumen beträgt 2,8 Milliarden Schilling, wovon 1,7 Milliarden auf Österreich entfallen. Erstmals hat die VAI auch die gesamte Finanzierung übernommen, wobei der Kredit durch die Erlöse zurückgezahlt werden wird, die aus dem Export der Stahlbrammen entstehen werden. Die Rückfinanzierung holt sich die VAI bei den österreichischen Banken P.S.K., Bank Austria und Raiffeisen.

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