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Flexomania | Wie man sich mit ideologischen Scheuklappen den Arbeitsmarkt vermiest

Seit nunmehr ca. 20 Jahren geht ein Stehsatz durch politische Programme (leider auch sozialdemokratische) und Wirtschaftskommentare, der nicht durch seine Richtigkeit, sondern durch die ständige Wiederholung inzwischen als allgemeine Wahrheit gilt. Dieser lautet (in unterschiedlichen Formulierungen): Die Probleme unserer Gesellschaft können nur durch mehr Flexibilität gelöst werden.

Im Folgenden wird auf den Teilbereich des Arbeitsmarkts eingegangen. Wobei die drei größten Irrtümer in der Diskussion um die Flexibilität des Arbeitsmarkts beseitigt werden sollen.

  1. Je flexibler die Arbeitszeiten, umso besser.
  2. Je flexibler die Kündigungsbestimmungen, umso besser.
  3. Je flexibler die Lohnabschlüsse von Betrieb zu Betrieb erfolgen, umso besser.

Dem marktgläubigen Zeitgeist folgend soll zunächst festgestellt werden, was auf dem Arbeitsmarkt gehandelt wird:

Was wird auf dem Arbeitmarkt gehandelt?

Auf dem Arbeitsmarkt sind die Arbeitnehmer die Anbieter, im Gegensatz zum umgangssprachlichen Gebrauch. Sie bieten an, ihre Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Die Arbeitgeber sind die Nachfrager auf dem Arbeitsmarkt und sie kaufen gegen einen gewissen Lohn die angebotene Arbeitskraft.
Der Grundregel eines Marktes folgend sollte auch klar sein, dass von Anbietern nur dann erwartet werden kann, dass sie etwas verkaufen, wenn sie im Gegenzug etwas dafür bekommen. Obwohl es aus vielfältigen Gründen wichtig ist, dass alle Menschen, die arbeiten wollen, auch eine Arbeit finden, so darf doch nicht übersehen werden, dass es sich dabei um ausreichend bezahlte Arbeit handeln muss. Denn unbezahlte Arbeit gibt es genug, nur eigenständig erhalten kann man sich davon nicht (wie viele Frauen tagtäglich feststellen).
Gleichzeitig sollte man auch beachten, dass Firmen nur dann Leute einstellen (also Arbeitskraft kaufen), wenn sie damit rechnen, mit den von diesen Arbeitskräften produzierten Gütern und Dienstleistungen Gewinne erzielen zu können. Menschen Arbeit zu geben ist in einer Marktwirtschaft keine Frage der Gnade, sondern eine Frage der Gewinnaussichten bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen.
Im Gegensatz zu allen anderen Waren müssen wir aber festhalten, dass Arbeitskraft eine ganz besondere Ware ist. Diese Erkenntnis ist zwar so alt wie die ökonomische Wissenschaft, aber es scheint, als würde sie aufgrund ihres Alters zeitweise in Vergessenheit geraten.

Arbeitszeit ist Lebenszeit

Das wesentlichste Merkmal der Arbeitskraft im Gegensatz zu anderen Gütern ist die Unmöglichkeit, seine Arbeitskraft zu verkaufen, ohne damit auch gleichzeitig die Verwendung der eigenen Lebenszeit festzulegen. Kapital kann man, so man welches besitzt, durchaus verleihen, verpachten oder vermieten, Zinsen dafür bekommen und gleichzeitig die Freizeit genießen, Arbeitskraft nicht.

Auch Humankapital klebt am Eigner

Die Verwendbarkeit der eigenen Arbeitskraft ist praktisch immer davon abhängig, ob man etwas gelernt hat bzw. etwas kann, moderner ausgedrückt, vom Humankapital einer Person.
Leider hat aber auch Humankapital im Gegensatz zu Sach- oder Finanzkapital die unangenehme Eigenschaft der Arbeitskraft, praktisch am Menschen zu kleben. Man kann sein Humankapital nicht verwerten, ohne dabei seine eigene Zeit zu verbrauchen. Auch die beste Ausbildung kann man nicht verpachten und sich aufs Ruhekissen legen.

Die meisten Menschen müssen arbeiten!

Bedenkt man nun, dass der Verkauf der eigenen Arbeitskraft für die meisten Menschen die einzige Möglichkeit ist, überhaupt ein Einkommen zu erzielen, so ist es nicht weit bis zur Erkenntnis, dass die Lebenszeit des Großteils der Bevölkerung darauf verwendet werden muss, um gegen Lohn zu arbeiten.
Nachdem klar ist, was auf dem Arbeitsmarkt verkauft wird, soll nun an die Beseitigung der flexomanischen Irrtümer herangegangen werden.

»Die Arbeitszeiten sind zu unflexibel«

In Diskussionen mit Wirtschaftsforschern (häufig Universitätsprofessoren) und Wirtschaftskommentatoren über den österreichischen Arbeitsmarkt ist die Klage über die Unflexibilität der Arbeitszeiten und insbesondere der Ladenöffnungszeiten ein fixer Bestandteil. Meist untermalt von der Standarderzählung: »Als ich letztens in (wahlweise London, New York) war (hier folgt meist eine Erläuterung über die Wichtigkeit der Reise), ging ich um zehn am Abend noch einkaufen.« Da sich üblicherweise keiner der Anwesenden als Provinzkleber outen will, folgt dann meist zustimmendes Nicken, eventuell noch ein, zwei weitere, im Wesentlichen gleiche Erzählungen, um abschließend festzustellen, dass eines der großen Probleme des österreichischen Arbeitsmarkts die Tatsache ist, dass Institutsleiter und Chefredakteure ihre Einkäufe nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit tätigen können.

Wessen Flexibilität?

Wird allerdings das weiter oben zu den Besonderheiten der Arbeitskraft Gesagte berücksichtigt, so kann man ­ und als Ökonom muss man sogar ­ eine etwas differenziertere Sicht der Dinge einnehmen. Da man zu seinen Arbeitszeiten nicht auch gleichzeitig schlafen, Hausarbeit erledigen oder mit den Kindern spielen kann, hat die Festlegung der Arbeitszeit den unangenehmen Nebeneffekt, dass mit ihr die Zeit für alle sonstigen Aktivitäten ebenso, quasi als Restzeit, festgelegt wird.
Sobald von flexiblen Arbeitszeiten geredet wird, drängt sich daher die Frage auf: Flexibel für wen? Heißt eine flexible Arbeitszeit, dass sich die Beschäftigten aussuchen können, wann sie ihre Zeit mit Arbeiten verbringen oder heißt es, dass die Firma kurzfristig festlegt, wann gearbeitet wird und wann nicht? Während Ersteres einen Gewinn an Lebensqualität für die Beschäftigten darstellt, den sich nicht wenige über geringere Löhne erkaufen (»Ich verdiene zwar weniger, aber dafür haben wir Gleitzeit« oder »mehr Urlaub«), stellt letztere Variante einen Gewinn für die Betriebe dar. Er kann dann das Risiko der Auslastungsschwankungen auf die Arbeitnehmer abwälzen. Firmenbestimmte flexible Arbeitszeiten stellen eine Einschränkung der Lebensqualität für die Beschäftigten dar.
Bei Kapitalanlagen hat sich inzwischen herumgesprochen, dass Anleger, welche ein höheres Risiko tragen, üblicherweise dafür auch höhere Zinsen erhalten. Schließlich kann es ihnen ja passieren, dass derjenige, dem sie ihr Geld anvertrauen, zahlungsunfähig wird und sie fast gar nichts bekommen (darum werden z. B. von Entwicklungsländern höhere Zinsen verlangt als von Industriestaaten).
Auf dem Arbeitsmarkt hieße das, dass Firmen, die den Arbeitnehmern zur Einschränkung der Lebensqualität auch noch das Risiko aufbürden, zu manchen Zeiten gar kein Einkommen zu haben, dafür höhere Löhne zahlen müssten. Wenn der Arbeitsmarkt nicht gerade rosig aussieht, braucht es aber keine höheren Löhne, um den Arbeitnehmern solche Bedingungen aufzubürden. Denn es reicht der Druck, Einkommen zu erzielen, der auf fast allen Unselbständigen liegt.

Machtungleichgewicht

Nun argumentieren viele Firmen, es sei doch vernünftig, die Beschäftigten dann arbeiten zu lassen, wenn viel zu tun ist, und die Freizeit dann konsumieren zu lassen, wenn gerade nichts los ist.
Sofern diese Vereinbarung für beide Seiten Vorteile hat, ist nichts dagegen einzuwenden, allerdings liegt eben genau hier der springende Punkt, denn in der Regel haben die Beschäftigten gegenüber ihrem Arbeitgeber eine schwächere Position. Die berühmte Frage: »Sie wollen doch eh noch länger bleiben?«, vom Chef um 18 Uhr gestellt, ist kein ausreichendes Mittel, um beiderseitiges Einverständnis festzustellen.
Eine faire Aufteilung von Risiko und Erträgen ist zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern nur dann möglich, wenn die rechtliche Situation der Arbeitnehmer ausreichend gesichert ist!
Wer als Arbeitnehmer beliebig austauschbar ist, kann nicht verhandeln, sondern nur zustimmen oder gehen.
Es ist notwendig, bei derartig gravierenden Eingriffen in die Lebensplanung der Beschäftigten, wie es die Festlegung der Arbeitszeit ist, nachvollziehbare und verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen.
Ein fixer Zeitraster, wie die berühmten freien Wochenenden, hat darüber hinaus für die Gesellschaft und auch für die Unternehmen Vorteile. Damit ist es einfacher, gemeinsame Aktivitäten zu koordinieren. Bei voller Flexibilität der Arbeits- und Betriebszeiten wird es fast unmöglich, gemeinsame Aktivitäten zu koordinieren (Verwandtenbesuche, freiwillige Feuerwehr, Musikkapellen etc.), die im Interesse der Gesellschaft liegen. Wer jemals versucht hat, mit fünf halbwegs ausgelasteten freien Mitarbeitern einen gemeinsamen Termin zu vereinbaren, weiß, was damit gemeint ist.

Kündigungsbestimmungen

Je nach Art der Beschäftigung und nach Dauer des Beschäftigungsverhältnisses gibt es gewisse, in Österreich übrigens sehr moderate Beschränkungen, unter welchen diese vom Arbeitgeber aufgelöst werden können. Die übliche Klage ist, dass jede Firma bei einer Neueinstellung mit der Angst lebt, die Leute nicht mehr los zu werden, und daher weniger Leute einstellt.

Lernen für die Firma

Dabei wird übersehen, dass die Firma viele Vorteile hat, wenn sie den Beschäftigten verspricht, sie oder ihn nicht nach Belieben wieder auf die Straße zu setzen. Beschäftigte sind erst unter diesen Umständen bereit und in der Lage, sich Wissen und Fähigkeiten anzueignen, die für diese Firma wichtig sind, für andere Firmen aber keinen Wert haben.
Die Zeit, die gebraucht wird, um sich solches Wissen anzueignen, ist schlecht angelegt, wenn man beim ersten Rückgang der Gewinne wieder gekündigt wird und bei der Arbeitssuche wieder mit Null beginnen muss. Kündigungsschutzbestimmungen haben also für die Firmen den großen Vorteil, dass sie glaubhafte und einklagbare Versprechen an ihre Beschäftigten machen können und diese daher nicht gezwungen sind, sich stets darauf zu konzentrieren, im Zweifelsfall auch in anderen Betrieben wieder eine Beschäftigung finden zu können.

Sicherheit gegen Lohnhöhe

In Zeiten der Hochkonjunktur ist den Firmen auch durchaus bewusst, dass sie vom besseren Kündigungsschutz profitieren. Viele Arbeitgeber versprechen in diesen Zeiten als Kompensation für niedrigere Löhne einen sicheren Arbeitsplatz. Wenn in Zeiten einer weniger guten Konjunktur versucht wird, diese Versprechen zu brechen, so wird sich das durch geringere Firmentreue und höherer Lohnforderungen in besseren Zeiten rächen.
Auch hier geht es wieder darum, wer die Risiken der Auslastungsschwankungen und betrieblicher Fehlentscheidungen trägt. Gerade in einer Phase, in der sich die Arbeitsmarktlage langsam entspannt, tun die Befürworter einer Lockerung der Vertrauensbasis, die in Kündigungsschutzbestimmungen steckt, den Firmen einen Bärendienst.

Die Lohnfestlegung

Als dritten und im Moment zunehmend bedrohlichen flexomanischen Irrtum soll noch etwas zur Lohnfestsetzung gesagt werden.
Das häufig geäußerte Argument, wenn es einer Firma gut geht, sollen die Löhne höher sein, und wenn es der Firma schlecht geht, soll es auch möglich sein, geringere Löhne zu zahlen, hat in seiner schlichten Einfachheit eine gewisse Attraktivität. Allerdings liegt die Attraktivität vor allem in der Schlichtheit.

Risiko auf Arbeitnehmer abwälzen

Wie schon bei der Arbeitszeit und dem Kündigungsschutz, geht es auch hier wieder um die Frage, wer das Risiko von Auslastungsschwankungen oder betrieblichen Fehlentscheidungen (4 von 5 Pleiten sind laut KSV selbstverschuldet) trägt. Ob es einem Betrieb gut oder schlecht geht, hängt wesentlich von der Qualität der unternehmerischen Entscheidungen ab. Da Chefsachen aber nun mal Chefsachen sind und Arbeitnehmer nur sehr wenig oder gar keinen Einfluss auf diese Entscheidungen haben, ist es nicht vernünftig, ihre Entlohnung vom Erfolg dieser Entscheidungen abhängig zu machen. Eine Verlagerung der allgemeinen Lohnsetzung auf die betriebliche Ebene würde aber bedeuten, dass Arbeitnehmer die Konsequenzen dieser Fehlentscheidungen voll mittragen müssten. Und zwar nicht nur im Extremfall der Insolvenz, wo die Arbeitnehmer auch jetzt schon die Hauptleidtragenden sind, sondern auch dann, wenn das Unternehmen aufgrund von Managementfehlern einmal weniger Gewinne macht. Diese Regelung würde dazu führen, dass Unternehmen wesentlich riskanter agieren, da sie, wenn etwas danebengeht, ohnehin die Löhne kürzen könnten.
Dass umgekehrt auch im Erfolgsfall die Löhne steigen würden, gleicht zwar im statistischen Durchschnitt die Verluste der Arbeitnehmer wieder etwas aus. Allerdings ist es eine schlechte Kompensation, in einem Jahr mehr zu verdienen, wenn man stets befürchten muss, im nächsten Jahr die fixen Ausgaben wie Wohnungskosten usw. nicht mehr bestreiten zu können. Ökonomisch formuliert macht es wenig Sinn, Risiko auf Personen abzuwälzen, die keinen Einfluss auf die relevanten Entscheidungen haben, kein ausreichendes Vermögen besitzen, um in schlechten Zeiten davon leben zu können und ihre Einkommensquellen nicht diversifizieren können. Während ein Aktionär Aktien von vielen Unternehmen halten kann, und wenn es einer Firma schlecht geht, darauf hoffen kann, dass es den anderen besser geht, können Arbeitnehmer ihre Arbeitskraft in aller Regel nur einer Firma verkaufen und sind damit dieser auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Die Lohnhöhe ist nicht nur ein individuelles Problem

Gerade Firmenvertreter tendieren dazu, die Frage der Lohnkosten nur aus betrieblicher Sicht zu betrachten. Sie gehen also von der irrigen Annahme aus, dass ihr Betrieb von Änderungen der Lohnkosten nur über die Lohnzahlungen an die eigene Belegschaft betroffen ist. Dabei übersehen sie, dass sowohl die Kosten für ihre Vorprodukte als auch die Einnahmen für ihre Güterverkäufe ganz wesentlich von der Lohnentwicklung insgesamt abhängen. Werden diese beiden Tatsachen berücksichtigt, so entsteht bei einer Verlagerung der Lohnfestsetzung auf die betriebliche Ebene das Problem, dass eine Firma, die gerade eine schwierige Phase durchmacht, zwar ihre eigenen Lohnkosten niedrig halten kann, dieser Vorteil allerdings über die Steigerungen bei einem Zulieferer wieder zunichte gemacht werden kann. Andererseits kann eine Firma Probleme bekommen, wenn die Arbeitgeber ihrer Kunden beginnen, die Löhne zu senken und damit ihre Umsätze zurückgehen. Ersteres ist als Teil des Problems der Lohn-Preis-Spiralen bekannt, Letzteres ist als Problem des Nachfragemangels in die ökonomische Literatur eingegangen.
Bei einer betrieblichen Lohnpolitik kann von den Arbeitnehmern nicht verlangt werden, zur Vermeidung von Lohn-Preis-Spiralen in guten Zeiten Lohnzurückhaltung zu üben. Schließlich sind hohe Lohnsteigerungen in Zeiten, in denen es dem Betrieb gut geht, die einzige Möglichkeit für diese Arbeitnehmer, die Einkommensverluste in schlechten Zeiten zu kompensieren. Ebenso wenig kann von ihnen verlangt werden, auf die Entwicklung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit sowie der Preisstabilität Rücksicht zu nehmen. Als kleine betriebliche Einheit sind sie stets der Gefahr ausgesetzt, dass andere Betriebe sich nicht an dieser moderaten Lohnpolitik beteiligen und damit ihre eigenen Bemühungen nur zu geringeren Reallöhnen für sie selbst führen und keine positiven Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft haben.

Nicht alles, was für einen Betrieb gut ist, ist gut für die Gesamtwirtschaft

Sobald man sich also von der irrigen Ansicht verabschiedet, dass alles, was gut für die Unternehmen ist, auch gut für die gesamte Wirtschaft ist, erkennt man, dass es vernünftig ist, die Lohnfestsetzung nicht ausschließlich an die Bedürfnisse des jeweiligen Unternehmens anzupassen, sondern an die Erfordernisse der Gesamtwirtschaft.
Dass dies nicht nur theoretische Überlegungen sind, zeigt der Vergleich der österreichischen Wirtschaftsentwicklung mit jener in Großbritannien, wo eine weitere Dezentralisierung der Lohnpolitik keineswegs zu stabileren Preisen und höherer Beschäftigung geführt hat, sondern zu wesentlich stärkeren Schwankungen in den Lohnkosten und zu einem Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Die häufig zitierten »Erfolgsmodelle« europäischer Beschäftigungspolitik wie Dänemark, Holland oder Irland begannen ihre positive Entwicklung jeweils mit einem Sozialpartnerabkommen zur überbetrieblichen Koordination der Lohnpolitik.
Die im EU-Vergleich extrem niedrige österreichische Arbeitslosenrate ist eine Folge der an den Erfordernissen der Gesamtwirtschaft ausgerichteten Lohnpolitik.
Bei Lohnverhandlungen nehmen die Gewerkschaften auf die gesamte wirtschaftliche Entwicklung der jeweiligen Branchen Rücksicht. Der KV-Lohn nimmt Rücksicht auf die Entwicklung der schwächeren Betriebe in der Branche ­ die gut gehenden Betriebe können ja dann noch beim Ist-Lohn nachbessern. Nur so kommen die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nicht zu kurz, weder bei den Branchen-Schlusslichtern (der KV sichert ihnen ja eine Lohnerhöhung) noch bei den Branchenführern.
Es ist bei genauerer Überlegung logisch, dass eine Lohnpolitik, welche die Interessen der Gesamtwirtschaft im Auge hat, langfristig erfolgreicher ist als eine, die von den Ereignissen in jedem einzelnen Betrieb dominiert wird.

Zusammenfassung

Hinter den Forderungen nach mehr Flexibilität auf Seiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steht in allererster Linie das Bedürfnis der Unternehmen und des Managements, die Konsequenzen von Auslastungsschwankungen und betrieblichen Fehlentscheidungen unmittelbar auf die Arbeitnehmer abzuwälzen. Da Arbeitnehmer weder Einfluss auf diese Entscheidungen haben noch über die Möglichkeit verfügen, ihre Arbeitskraft an mehrere Unternehmen gleichzeitig zu verkaufen, müssen sie in diesem Fall Risiken tragen, die sie nicht beeinflussen können und gegen die sie sich auch nicht absichern können. Aus menschlicher, aber auch aus ökonomischer Sicht ist dies unsinnig.
Für die internationale Wettbewerbsfähigkeit, die Stabilität der Preise und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist ein System, das nur die Situation der einzelnen Betriebe im Auge hat und die Zusammenhänge auf der Seite der Vorprodukte und auf der Seite der Nachfrage nicht einbezieht, in jedem Fall schlechter als ein System, das die Interessen der Gesamtwirtschaft verfolgen kann.
Die Bemühungen, das derzeitige österreichische Lohnsetzungssystem durch ein System nach dem Vorbild des nicht übermäßig erfolgreichen Großbritannien umzubauen, die von der derzeitigen Regierung unternommen werden, dürften viel mehr ideologische als rationale Gründe haben.
Möglicherweise brauchen die »jungen Wilden« in der Vereinigung der Österreichischen Industrie ähnlich wie in Holland eine Phase von Streiks, instabilen Lohnabschlüssen und abnehmender internationaler Wettbewerbsfähigkeit, um nach einigen Jahren die Sozialpartnerschaft und koordinierte Lohnverhandlungen wieder neu zu erfinden. Wenn die neue Regierung und ihre Lobbyisten aus der Industrie diese Lektion jedoch aus den Erfahrungen anderer Länder lernen könnten, bliebe Österreich ein hohes Lehrgeld erspart.

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