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Tabelle 1: Wege in die Pension, 1998 (nach einer Stichprobe des BMAGS)
Bundesbeiträge zu den Pensionen

Pension - der unfinanzierbare Moloch? | Übersicht über die aktuelle Entwicklung unseres Pensionsrechts und Diskussion der Argumente

Wer beim sozialpolitischen Hauptthema mitreden will, sollte diesen Beitrag lesen. Alle sollten gut informiert sein. Schließlich wird es wenige geben, die nicht betroffen sind, und hier werden komplizierte Zusammenhänge verständlich erklärt.

Seit einigen Jahren läuft fast nonstop eine Diskussion um unser Pensionssystem ab, deren Aussagen gebetsmühlenhaft wiederkehren: Die Menschen werden zu alt, bald müsse jeder Aktive mindestens einen Pensionisten erhalten (was er bei privaten Pensionen übrigens immer muss) und spätestens in dreißig Jahren werde unser Pensionssystem unfinanzierbar sein, die heute Jungen werden daher im Alter unversorgt sein, obwohl sie heute immer stärker zur Kasse gebeten werden, um die Pensionen der heute Alten zu zahlen. Die Generationensolidarität erfordere daher, erstens bei den heute Alten zu sparen und zweitens die heute Jungen langsam in ein neues System überzuführen.
Bevor wir uns der aktuellen Entwicklung um unser Pensionsrecht und der Diskussion dieser Argumente zuwenden, sei ein kurzer Blick in die Vergangenheit gestattet. Denn die Diskussion, dass unser Pensionssystem nicht zu »finanzieren« sei, ist fast so alt wie das Pensionssystem selbst. Das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) war seit seiner Beschlussfassung von ­ allesamt unbegründeten ­ Ängsten um Verarmung begleitet: So haben am Tag der Beschlussfassung des Stammgesetzes im Jahr 1955 die österreichischen Ärzte am Ring demonstriert, weil sie der Überzeugung waren, durch das neue System zu den Verlierern zu gehören und rasch zu verarmen. Heute wissen wir, dass das Gegenteil eingetreten ist. Aber auch den ­ jeweils zukünftigen ­ Pensionistinnen und Pensionisten ist immer wieder gesagt worden, dass sie dieses System an den Bettelstab bringen werde. So lesen wir etwa in den sechziger Jahren in einigen Zeitungen, die österreichischen Pensionisten werden spätestens um 1980 alle auf die Sozialhilfe angewiesen sein, weil die Pensionen da nicht mehr reichen werden (wir wissen, das Gegenteil ist eingetreten).

Totgesagte leben länger

1978, als mit dem Sozialversicherungs-Änderungsgesetz die ersten Umschichtungsmaßnahmen beschlossen worden sind, wurde das »rasche Ende« des Pensionssystems genauso prophezeit wie in den Jahren 1984 und 1987, wo mit der 40. und 44. ASVG-Novelle große Änderungen eingeleitet worden sind. Dieselbe Diskussion haben wir 1991 erlebt, als es um die Netto-Anpassung gegangen ist, und 1997, als im Ergebnis des (für das österreichische System keineswegs ­ wie heute gerne kolportiert ­ vernichtende) Rürup-Gutachtens die Pensionsreform 2000 verabschiedet worden ist. Offensichtlich gilt auch für Pensionssysteme der alte Spruch: Totgesagte leben länger. Und wie, möchte man anfügen, wenn man sich das älteste auf dem Umlagesystem basierende Pensionssystem Österreichs, die Angestelltenpension ansieht: 1905 wurde die Angestelltenpension beschlossen, im Jänner 1909 wurden die ersten Pensionen ausgezahlt, und seit diesem Monat konnte in jedem Monat die Angestelltenpension ausgezahlt werden ­ trotz zweier vernichtender Weltkriege, trotz 12 Jahren Diktatur und einer zehnjährigen Besatzung, trotz vieler Wirtschaftskrisen, Inflationsperioden und Regierungswechsels, trotz mehrmaliger Währungsumstellungen (von der Krone auf den Schilling, dann auf die Reichsmark, wieder auf den Schilling und nun auf den Euro). Keine private Pension kann in Österreich auf eine ähnlich beeindruckende Leistungsgeschichte verweisen!
Wenn es auch nicht das zentrale Problem ist, sollte man daher in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass es bei der Pensionsdebatte in Vergangenheit und Gegenwart immer einen stillen Gewinner gibt: die Anbieter privater Pensionsmodelle. Immer dann, wenn die Menschen glauben, ihre staatliche Pension sei in Gefahr, nehmen die Abschlüsse privater Pensionsverträge sprunghaft zu. Und die Versicherungswirtschaft nutzt diesen Effekt ihrerseits durch massive und gezielte Werbung aus. Von vielen speziellen Angeboten ist da die Rede, maßgeschneidert und richtig »geschweizert«, und das Pensionsgeschäft boomt, besonders wichtig in einer Zeit, wo weder im Kfz-Versicherungsgeschäft noch bei den privaten Krankenzusatzversicherungen das große Geld zu machen ist.
Damit kein Missverständnis entsteht: Das ist kein Vorwurf an die Versicherungsgesellschaften, denn sie müssen (bei Strafe ihres ökonomischen Untergangs) so handeln, sie tragen Verantwortung für ihre Beschäftigten und ihre Aktionäre. Aber es soll als Mahnung an jene verstanden werden, die leichtfertig und um kurzfristige politische Ziele zu erreichen, dazu beitragen, dass die Menschen das Grundvertrauen in ihre gesetzliche Alterssicherung verlieren.

Die Pensionsreform des Kabinetts Schüssel

Aktueller Auslöser der Pensionsdebatte ist die Pensionsreform des Kabinetts Schüssel, die dieser Tage entgegen den Mahnungen der Fachleute und der Interessenvertretungen und trotz des Widerstands der parlamentarischen Opposition mit hoher Geschwindigkeit beschlossen wird, und zwar einige Monate, nachdem die 1997 gemeinsam von Regierung und Sozialpartnern erarbeitete Pensionsreform überhaupt erst am 1. Jänner 2000 zu wirken begonnen hat und man naturgemäß noch gar nicht sagen kann, welche positiven Effekte sich bereits aus dieser alten Reform für unser Pensionssystem tatsächlich ergeben. Aber darum geht es dieser Bundesregierung nicht.
Im Zentrum ihrer Bemühungen stehen vielmehr zwei Ziele: Erstens soll die Kraft der Gewerkschaften und der gestaltende, auf Kompromiss der Interessen von Dienstnehmern und Dienstgebern gerichtete Einfluss der Sozialpartner gebrochen werden. Und zweitens sollen aus dem Pensionssystem rasch mehr als zehn Milliarden Schilling und noch einmal fünf Milliarden aus der Alterssicherung des öffentlichen Dienstes für das Budget abgezweigt werden, um die Wahlversprechen der neuen Regierung an Familien und an Betriebe finanzieren zu können.
Eine rechtzeitig geschürte Angst in der Bevölkerung, die Pensionen seien nicht sicher, hilft ungemein, diese Ziele zu erreichen. Und man will ja schließlich nicht mit leeren Händen dastehen bei der nächsten Wahl.
Die Pensionspläne der Regierung, wie sie auch im Koalitionsabkommen festgelegt sind, bestehen aus kurzfristigen und aus langfristigen Zielen. Derzeit stehen vor allem die kurzfristigen Ziele im Mittelpunkt der Diskussion, sollen sie ja schon am ersten Oktober dieses Jahres in Kraft treten.

Säulen und Weichen

Aber auch die langfristigen Ziele verdienen eine entsprechende Beachtung, plant doch die neue Bundesregierung nichts anderes als die Ersetzung unseres bisherigen staatlichen Pensionssystems durch eine »3-Säulen-Versorgung«. Dabei soll die staatliche Pension zu einer »1. Säule« degenerieren und nur noch eine minimale Grundversorgung garantieren, während der Einkommensersatz durch eine als »2. Säule" bezeichnete verpflichtende Firmenpension und als »3. Säule« durch freiwilliges, steuerbegünstigtes Sparen auf dem Kapitalmarkt abgesichert werden soll. Die Weichen wurden schon gestellt, erstens mit der Steuerreform 2000, wo sich die ÖVP gegenüber der SPÖ mit einer großzügigen Steuererleichterung für Privatpensionen durchsetzen hat können, und zweitens mit der »Abfertigung neu«, jenem Rucksackmodell, das die Grundlage einer später auszubauenden kapitalgedeckten Firmenpension bilden soll.
Die Pensionsgesetze dieses Jahres haben jedoch nur ein vorrangiges Ziel: Entlastung des Bundeshaushalts, um die Budgetgeschenke der Regierung an ihre Klientel (Unternehmer, Bauern, Familien) auch finanzieren zu können. Wie gesagt sollen innerhalb von 3 Jahren rund 15 Milliarden Schilling eingespart werden, davon 10 Milliarden aus der Sozialversicherung ­ durch ein Anheben des Anfallsalters für vorzeitige Alterspensionen um 1,5 Jahre in raschen Schritten ab 1. Oktober, durch eine deutliche Erhöhung der Abschlagszahlen bei diesen Pensionen und durch einen sofortigen Wegfall der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsminderung.
Die zukünftigen Hinterbliebenenpensionen sollen bei einem eigenen Einkommen der Witwe (des Witwers) ab einer gewissen Grenze wegfallen. Auf der anderen Seite sollen Alterspensionistinnen und Pensionisten (also Männer ab 65 und Frauen ab 60 Jahre) unbeschränkt zur Pension dazuverdienen dürfen, schließlich wird der Berufsschutz im Gewerbe und bei den Bauern deutlich verbessert.
Auch im öffentlichen Dienst soll das Pensionsanfallsalter um 1,5 Jahre erhöht werden, was der Regierung (und den Beamten) besondere Probleme bringt. Denn im öffentlichen Dienst bedeutet ein erhöhtes Pensionsantrittsalter im Gegensatz zum ASVG keine Verbilligung, sondern eine Verteuerung! Denn bei Beamten wird nicht nur der Ruhegenuss (in der Regel 80 Prozent vom Verdienst), sondern logischerweise auch der Verdienst vom Bund getragen. Im Falle eines erhöhten Anfallsalters bedeutet das, dass nunmehr der volle Gehalt eineinhalb Jahre länger zu zahlen ist, eventuell sogar noch eine weitere Vorrückung. Daher wäre es für den Bund gewiss billiger, wenn das Anfallsalter im öffentlichen Dienst nicht erhöht würde. Das aber, so meint die Regierung, könne man den ASVG-Versicherten nicht zumuten. Um daher die Kosten für das erhöhte Pensionsalter der Beamten und die geforderten 5 Milliarden für das Budget zu bekommen, wird hier doppelt belastet werden.

Die Auswirkungen dieser Pensionsreform

Neben dem bereits Gesagten sind zwei wesentliche Probleme zu benennen: Die negativen Auswirkungen auf das Vertrauen der Bevölkerung und auf den Arbeitsmarkt. Wir erwarten einen Anstieg der Arbeitslosigkeit, trotz der versprochenen Verbesserungen für Ältere auf dem Arbeitsmarkt. Die Größe des zu erwartenden Problems wird deutlich, wenn man sich ansieht, woher die Menschen kommen, die eine vorzeitige Alterspension in Anspruch nehmen. Nur die Hälfte wechselt aus dem Erwerb in die Pension (siehe Tabelle 1: »Wege in die Pension«).
Wird das Pensionsantrittsalter um eineinhalb Jahre erhöht, verlängert sich der Bezug in diesen Transfersystemen. Da aber das Krankengeld mit 52 Wochen befristet ist (oder bald sein wird), bedeutet das für kranke Menschen vor Pensionsantritt unter Umständen, einige Monate auf die Sozialhilfe angewiesen zu sein.
Die kurzfristige Anhebung des Pensionsalters ist schließlich auch ein unvertretbarer Eingriff in die Lebensplanung der Betroffenen und daher auch wahrscheinlich nicht einmal verfassungskonform. Besonders hart sind jedoch jene Menschen betroffen, die bereits in den Monaten vor Bekanntwerden der Pläne dieser Bundesregierung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind und jetzt im Arbeitslosengeldbezug mit einer (in der Regel bis zum bisherigen Pensionsalter befristeten) betrieblichen Zusatzleistung versehen auf die Pension warten. Jetzt wird diese Wartezeit länger, auch wenn die Firma (verständlicherweise) nicht länger zahlt. Wen wundert es dann, wenn diese Menschen verbittert zu uns in die Rechtsberatung kommen und sagen: »Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich im letzten Herbst sicher nicht unterschrieben, um einem Jüngeren Platz zu machen.« Eine Regierung, die so mit dem Vertrauen der Menschen umgeht, ist sicher nicht geeignet, die langfristige Stabilität der Alterssicherung glaubwürdig zu garantieren.

Das österreichische Pensionssystem

Bevor nunmehr die Frage nach der Zukunftssicherheit des österreichischen Pensionssystems und möglichen Alternativen zur Pensionspolitik der Bundesregierung nachgegangen werden soll, einige prinzipielle Worte zum österreichischen Pensionssystem.
Auch das österreichische Pensionssystem der Arbeiter und Angestellten, wie es 1955 im ASVG festgelegt wurde, kennt drei Säulen. Denn es steht gleichgewichtig auf den drei Beitragssäulen der Dienstnehmer, der Dienstgeber und des Bundes. Bis Ende der siebziger Jahre wurden die tatsächlichen Kosten der Pensionen auch tatsächlich zu je einem Drittel durch Beiträge der Dienstnehmer, der Dienstgeber und des Bundes getragen. Seitdem wurde (als Ergebnis einiger Pensionsreformen) der Anteil des Bundes kontinuierlich gesenkt und macht beim ASVG gegenwärtig gerade mal 15 Prozent aus. Wir dürfen aber nicht vergessen: Beim Bundesbeitrag handelt es sich um keine »Defizitabgeltung« des Bundes für ein System, das sich selbst nicht finanzieren könnte. Im Gegenteil, der Bundesbeitrag dient dazu, jene Pensionsleistungen abzudecken, die durch Beiträge nicht gedeckt, also von der Politik quasi »bestellt« worden sind. Mit dem Bundesbeitrag werden die Ersatzzeiten für Bundesheer/Zivildienst, für Krankengeldbezug, Arbeitslosigkeit und Kindererziehung finanziert; weil es den Bundesbeitrag gibt, werden diese Zeiten für die Pensionsbemessung wie Beitragszeiten herangezogen. Würde man die Ersatzzeiten abschaffen bzw. anderweitig finanzieren, wäre im ASVG gar kein Bundesbeitrag nötig.
Anders in den Pensionssystemen der Selbständigen. Gewerbetreibende (GSVG) und Bauern (BSVG) zahlen etwa den halben Beitragssatz, erhalten aber die gleichen Pensionsleistungen wie im ASVG.
Dadurch kommt ein deutlich höherer Bundesbeitrag in diesen Systemen zustande, wie Tabelle 2 (»Bundesbeiträge an den Pensionen«) zeigt.
Da es bei Selbständigen und Bauern keinen Dienstgeber gibt, hat der Gesetzgeber ursprünglich einen »fiktiven Dienstgeberbeitrag« in Form spezieller Steuern für diese Gruppen erfunden. Die Bauern zahlen nach wie vor eine landwirtschaftliche Abgabe, deren Ertrag als fiktiver Dienstgeberbeitrag vom reinen Bundesbeitrag abzuziehen wäre. Bei den Gewerbetreibenden hatte die Gewerbesteuer diese Funktion. Seit deren Abschaffung wird auch der fiktive Dienstgeberbeitrag aus dem allgemeinen Steueraufkommen (zu dem bekanntlich Arbeiter und Angestellte am meisten beitragen) finanziert. So wird eine durchschnittliche ASVG-Pension vom Steuerzahler mit 1677,21 Schilling oder 17 Prozent bezuschusst, während eine durchschnittliche Bauernpension im Monat 4545,93 Schilling oder 79,9 Prozent und eine durchschnittliche Gewerbepension im Schnitt monatlich 6275,79 Schilling oder 60,8 Prozent aus dem Bundesbudget erhält.
Um Missverständnissen vorzubeugen, es geht hier nicht darum, einzelne Personengruppen gegeneinander auszuspielen und Neid zu erzeugen, aber es müsste einmal klargelegt werden: Es kann nicht angehen, dass eine Reform, deren hauptsächlichstes Ziel die Reduktion der Bundesmittel ist, schwerpunktmäßig die ASVG-Pensionen belastet, während es im GSVG und im BSVG teilweise Verbesserungen (Berufsschutz) gibt.

Unser System ist leistungsfähig

Dass das österreichische Pensionssystem durchaus leistungsfähig ist und über viele Reserven für zukünftige höhere Anforderungen verfügt, kann an folgender Gegenüberstellung (für den ASVG-Bereich) gezeigt werden:

  • Im ASVG wurden die Leistungen seit 1978 deutlich ausgebaut: Die Pensionsanpassung erfolgte in den achtziger Jahren mehrmals höher als die Inflation, die Ausgleichszulagenrichtsätze wurden deutlich stärker erhöht, was nahezu zu einem Verschwinden der Altersarmut geführt hat, die Witwerpension wurde eingeführt und die Anrechnung von Kindererziehungszeiten und schließlich wurde 1993 das modernste Pflegegeldsystem der Welt geschaffen.
  • Gleichzeitig ist die Lastquote der ASVG-Versicherungen deutlich gestiegen: Kamen 1978 noch 469 Pensionisten auf je 1000 Aktive, so waren es im Jahr 1999 bereits 593.
  • Trotzdem konnte die Eigenfinanzierungsquote im ASVG deutlich verbessert werden: Der Bundesbeitrag zu den Pensionen betrug im Jahr 1978 im ASVG noch 25 Prozent, während er im Jahr 1999 nur noch 17 Prozent ausmachte. Ein System, das es in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit und langsamer Wirtschaftsentwicklung zuwege bringt, trotz ausgebauter Leistungen und steigender Lastquote dennoch die Eigenfinanzierung von 75 auf 83 Prozent zu erhöhen, verdient es nicht, krankgeredet zu werden. Von niemandem! Kein privates Pensionssystem kann mit ähnlichen Bilanzen aufwarten.

Die Probleme des Pensionssystems

Das Hauptproblem des Pensionssystems ist die demographische Entwicklung. Während derzeit rund 20 Prozent der ÖsterreicherInnen älter als 60 Jahre sind, werden es im Jahr 2010 rund 23 Prozent und im Jahr 2030 bereits 33 Prozent sein; der Anteil der Jugendlichen (unter 15 Jahre) geht im selben Zeitraum von gegenwärtig 17 Prozent auf 15 Prozent und dann 14 Prozent zurück. Ursache für diese Entwicklung sind die geburtenstarken Jahrgänge der sechziger und siebziger Jahre. Erst nach dem Jahr 2050 wird der Anteil älterer Menschen wieder zurückgehen, wenn nunmehr die geburtenschwachen Jahrgänge der achtziger und neunziger Jahre ins Seniorenalter treten werden.
Ob sich diese unzweifelhaft vorhandene demographische Verschiebung in der gleichen Dramatik auf das Pensionssystem auswirken wird, ist aber noch lange nicht ausgemacht. Denn erstens kann diese Entwicklung durch eine veränderte Wanderbewegung von Arbeitskräften, etwa im Zuge der bevorstehenden EU-Ostöffnung verringert werden. Es könnte auf dem ostösterreichischen Arbeitsmarkt durchaus ein Effekt eintreten, wie wir ihn in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts in der Habsburger Monarchie erlebt haben. Wenn man berücksichtigt, dass sich diese demographische Entwicklung (Ausscheiden einer großen Zahl von Menschen aus dem Erwerbsleben) auch auf dem Arbeitsmarkt auswirkt und wir daher bereits um das Jahr 2010 mit einem Arbeitskräftemangel in Österreich rechnen müssen, scheint es nicht unrealistisch, eine stärkere Zuwanderung anzunehmen.
Schließlich darf nicht vergessen werden, dass eine demographische Betrachtung nur die Entwicklung der erwerbsfähigen zur älteren Bevölkerung vergleicht, also nur Jahrgangsgruppen. Entscheidend für die Finanzierung eines Pensionssystems ist jedoch die Frage, wie viele von den Erwerbsfähigen tatsächlich einem Erwerb nachgehen. Dabei muss man bedenken, dass in Österreich bei nahezu gleicher Einwohnerzahl im Jahr 1970 nur 2 Millionen Menschen unselbständig erwerbstätig waren, während es heute bereits 3,2 Millionen sind, und weiters muss man berücksichtigen, dass wir nach wie vor eine geringe Frauenerwerbsquote, aber eine relativ hohe Teilzeitquote haben. Den erwarteten Arbeitskräftemangel im Auge kann durchaus davon ausgegangen werden, dass in den kommenden Jahrzehnten die Erwerbsquote weiter steigen wird. Dann wird aber die tatsächliche Belastung des Pensionssystems weit weniger dramatisch steigen als die vorerst demographisch vermutete.
Überdies ist zu berücksichtigen, dass die Finanzierung des Pensionssystems nicht nur von der Zahl der Aktiven, bezogen auf die Pensionisten, abhängig ist, sondern auch von ihrer Leistungsfähigkeit. Wenn die Produktivität der Wirtschaft weiter in vergleichbarem Ausmaß steigt wie bisher (und damit ist angesichts einer sinkenden Arbeitslosigkeit zu rechnen), so kann ein Teil der demographisch bedingten Finanzierungsschwierigkeiten der Pensionen durch die gestiegene Wertschöpfung abgedeckt werden. Die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe zur Pensionsfinanzierung könnte diesen Zusammenhang fördern und würde überdies zur Senkung der Lohnnebenkosten beitragen.
In einer ökonomischen Denkweise darf nicht vergessen werden, dass Zahlungen an Pensionisten nicht als »verlorene Kosten« zu bewerten sind, sondern reale, meist im Inland nachfragewirksame Kaufkraft verursachen und somit die Wirtschaft stimulieren. Umgekehrt kann ein sinkendes Leistungsniveau der Altersversorgung gerade in einer Zeit, in der auch die Aktivbevölkerung zurückgeht, zu ersten Kaufkraftverlusten und damit zu Nachteilen für die heimische Wirtschaft führen.
Überdies muss berücksichtigt werden, dass es sich bei den demographischen Problemen, die heute als das Übel schlechthin beschworen werden, um ein vorübergehendes Problem handelt. Denn aufgrund des Ausscheidens der geburtenstarken Jahrgänge und des Eintritts der geburtenschwachen Jahrgänge der letzten beiden Jahrzehnte in das Pensionsalter wird die demographische Belastung in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts zurückgehen. Wenn die Dauer der Belastungsspitze aber absehbar ist (und wahrscheinlich nicht länger als drei Jahrzehnte dauern wird), so kann man sich bereits heute durch das Bilden von Rücklagen bei den Pensionsversicherungsträgern darauf vorbereiten bzw. einen Teil der Mehrkosten über Kredite in den siebziger und achtziger Jahren des 21. Jahrhunderts, wenn der Anteil der Aktiven wieder höher ist, zurückzahlen.

Auch kapitalgedeckte Pensionen sind demographieabhängig

In jeder Volkswirtschaft kann nur das Produkt des laufenden Monats oder Jahres umverteilt werden, sei es über ein Umlagesystem, wie es unserer Pension zugrunde liegt (die Beiträge des laufenden Monats werden als laufende Pensionen ausgezahlt) oder über das Kapitaldeckungssystem der privaten Pensionskassen (Beiträge werden individuell veranlagt und in der Pension ausgezahlt). Wer uns weismachen will, das Kapitaldeckungssystem privater Pensionen sei im Gegensatz zu unserem gesetzlichen Pensionssystem demographieunabhängig, der kennt sich entweder nicht wirklich aus oder verfolgt andere Ziele.
In einem kapitalgedeckten Pensionssystem werden die Beiträge der Aktiven individuell veranlagt. Es werden Fonds gebildet, die Beiträge werden in Wertpapieren, Aktien, Grundstücken, Immobilien usw. angelegt. Nach dem Pensionsantritt werden diese individuellen Fonds wieder aufgelöst, die Aktien, Wertpapiere, Immobilien und so weiter stückweise wieder verkauft, um mit deren Erlös die Pensionen zu finanzieren. So weit, so gut. Aber wenn die demographische Entwicklung tatsächlich dazu führt, dass um das Jahr 2030 weitaus mehr Menschen in die Pension gehen, also den Verkauf ihrer Anlagen zur Finanzierung ihrer Pension erwarten, als dann neu ins Erwerbsleben eintreten und daher neu anlegen werden, dann passiert dasselbe wie auf allen Märkten: Ein Gut, das im Überfluss vorhanden ist, verliert an Preis. Wenn mehr Menschen ihre Fondsanteile verkaufen wollen als es Nachfrage gibt, sinkt der Erlös. Das bedeutet: Aus demographischen Gründen wird die kapitalgedeckte Pension deutlich niedriger sein als ursprünglich erwartet.

Notwendige Fragen stellen

Hohe Zahlungen und später eine niedrige Pension ­ das sagt man auch unserem gesetzlichen System nach. Wo ist also der Unterschied? Während ein (möglicher) Wertverlust eines staatlichen Pensionssystems immer ein politisches Problem bleibt und sich in diesem Fall der Gesetzgeber daher darum kümmern wird, dass die Pensionisten nicht verarmen, ist der Wertverlust privater Anlagen und Ersparnisse zum privaten Problem geworden. So ist eben der Markt und da ist niemand verantwortlich außer dem Marktteilnehmer. Der Umstieg von einem gesetzlichen zu einem privaten Pensionssystem bringt daher keine höhere Sicherheit, im Gegenteil, er privatisiert das Risiko. Nicht mehr der Staat ist für die soziale Sicherheit verantwortlich, sondern jeder Einzelne selbst. Und da wollen wir wirklich hin?
Übrigens sollten sich jene, die darüber klagen, dass in dreißig Jahren »bald ein Pensionist auf jeden Beitragszahler« kommen werde und wir uns das nicht mehr leisten könnten, weswegen wir rasch auf das »sichere« Kapitaldeckungssystem umsteigen müssen, vor Augen halten, was sie da eigentlich empfehlen: Denn im Kapitaldeckungsverfahren kommt immer und per Definition ein Beitragszahler auf einen Versicherten. Denn jeder zahlt sich ja seine Pension selbst. Und hier soll gehen, was das andere System zum Zusammenbruch bringen wird? Wenn, dann nur mit vergleichbar höheren Beiträgen oder mit deutlich niedrigeren Leistungen.

Alterssicherung braucht Vertrauen

Die Probleme unseres Pensionssystems sind möglich. Wir stehen ja auch nicht in einer »Stunde null«, es haben vielmehr die bisherigen Regierungen bereits in hoher Verantwortlichkeit viele Maßnahmen gesetzt, die oft erst in zehn oder zwanzig Jahren (dann, wenn sie notwendig sein werden) ihre Wirkung entfalten werden, etwa die 1991 beschlossene Nettoanpassung oder die 1997 beschlossene Pensionsreform. Aber es sind auch in der Zukunft weitere Maßnamen nötig.
So muss etwa rasch das Problem angegangen werden, dass Budgetpolitik auf Kosten der Pensionen gemacht werden kann. Daher sollte der jetzige allgemeine Bundesbeitrag auf eine personenbezogene Finanzierung konkreter Ersatzzeiten umgestellt werden. Dann müssten die Ersatzzeiten für den Heeresdienst aus dem Heeresbudget, für den Zivildienst aus dem Innenbudget, für die Kindererziehungszeiten aus dem Familienbudget usw. gezahlt werden und die Begehrlichkeit des Finanzministers, vom großen Einzelbetrag »Bundeszuschuss zu den Pensionen« ein Kuchenstück abzuschneiden, würde sinken.
Es müsste aber auch endlich dem Prinzip »Gleiche Leistungen nur bei gleichen Beitragssätzen« zum Durchbruch verholfen werden. Insbesondere im Bereich neuer Beschäftigungen ist das nötig. Denn heute kann die gleiche Beschäftigung (etwa eine Beratungstätigkeit) im ASVG angemeldet mit 22,8 Prozent Pensionsbeitrag versehen sein; oder es handelt sich um eine »Neue Selbständigkeit«, dann werden 16 Prozent fällig; unterliegt diese Tätigkeit aber dem FSVG, sind es 20 Prozent. Hat der/die Betreffende aber einen Gewerbeschein, sind für diese Tätigkeit nur 14,5 Prozent Pensionsversicherungsbeiträge abzuführen. Die Pensionsleistungen sind in allen Fällen in etwa gleich. Mit diesem Unfug muss Schluss gemacht werden, freilich ohne die kleinen Gewerbetreibenden oder neuen Selbständigen über Gebühr zu belasten. Hier ist (wieder) eine Umverteilung innerhalb der Selbständigen nötig, um endlich Beitragsgerechtigkeit zu erreichen.
Auch die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe könnte einen wesentlichen Beitrag zu einer langfristigen Stabilisierung der Pensionsversicherung leisten und würde gleichzeitig die Lohnnebenkosten senken, also die österreichische Wirtschaft wettbewerbsfähiger machen.
Aber eines muss uns klar sein: Das gesetzliche Pensionssystem, das auf dem ideellen Vertrag der beitragszahlenden mit der leistungsbeziehenden Generation aufgebaut ist, kann nicht bestehen, wenn es sein wertvollstes Gut verliert: das Vertrauen!
Unser gesetzliches Pensionssystem kann letztlich ökonomisch und demographisch noch so stabil sein, wenn eine ernst zu nehmende Zahl von Menschen das Vertrauen verliert, selbst jemals eine Pension zu erhalten, die in einem vertretbaren Verhältnis zu den geleisteten Beiträgen steht, werden sich die Menschen scharenweise aus dieser Solidargemeinschaft verabschieden und letztlich jene politische Option unterstützen, die ihnen eine Alternative verspricht.
Wer diese Zerstörung unseres leistungsfähigen, sicheren und guten Systems nicht will, muss dieser Vertrauensgefährdung wirkungsvoll Einhalt gebieten und dazu beitragen, das Vertrauen der Menschen in das gesetzliche Pensionssystem zu erhalten und zu verbessern. Diese Aufforderung gilt auch für Bundesregierungen.

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