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McJobs: Geringfügig dabei | Aus dem Leben der 3977-Schilling-Menschen

Sabine Ulrich hat heute Nacht »nichts geschlafen«, so fertig war sie. Vorstellen soll sie sich gehen und die Stempel vorweisen, sagt sie und zeigt den Zettel mit dem Rundsiegel zweier Firmen, eines Gasthauses und einer Eisenhandlung. Das Vorstellen ist kein Problem, Stempel kriegen auch nicht, Arbeit bekommen schon eher. Dabei hat sie eine, die ihr sogar Freude macht.

Zwei Begriffe lasten auf ihr, »Notstandshilfe« der eine, »geringfügige Beschäftigung« der zweite. Zu Ersterem haben sie ihr »gestern am Arbeitsamt« gesagt, dass es so nicht weitergeht, »auf Kosten der Allgemeinheit zu leben«. Beim nächsten Termin heißt es guten Willen zeigen. Der Stempel steht fürs Werk, sozusagen, aber Frau Ulrich will nicht mehr ins Gastgewerbe. Und vor allem: Wer nimmt eine 40-jährige Kellnerin mit Wirbelsäulenschaden?
Der zweite Begriff, die »Geringfügige«, macht ihr weniger zu schaffen. Den alten Damen, die sie einmal pro Woche besucht, ist es auch egal, wie Ulrichs Beschäftigungsverhältnis heißt. Hauptsache, jemand kommt vorbei und hört zu.

Ein Heer von rund 200.000

Frau Ulrich ist eine von über 197.000 geringfügig Beschäftigten in Österreich, sozusagen von der Bodentruppe des »atypisch Beschäftigten«-Heeres, das sich um Zuwachs nicht zu sorgen braucht. »McJob«, diese Bezeichnung drängt sich auf: Billiglohn für prestigefreien, flexiblen Einsatz ohne Sozial- und Arbeitsrechtsschutz. Der typische McJobber ist weiblich, zwischen 25 und 40, hat Kinder, oft keinen Partner und meist keine marktgerechten Qualifikationen. Er hetzt auf Abruf zur Stunde der verlängerten Ladenöffnungszeit hinter die Supermarktkassen, putzt vor Eintreffen des Stammpersonals Büroräume, ersetzt Vollzeitsozialarbeiter oder kredenzt zu Spitzenzeiten Frühstück aufs Zimmer.
In anderen Worten: Handel, Reinigung, Dienstleistung und Gastgewerbe sind die Kernbranchen der geringfügig Beschäftigten.

Arbeitsrecht

Sozial- und arbeitsrechtlich gesehen gibt es den McJob in Österreich aber gar nicht. Wer geringfügig beschäftigt ist (das erlaubte Einkommensmaximum beträgt 3977 Schilling monatlich), ist seinen Voll- und Teilzeitkollegen - vom Arbeitsrecht her - völlig gleichgestellt. Einzige Ausnahme: Auf Arbeitslosenentschädigung besteht kein Anspruch. Würden alle (rechtlichen) Spielregeln eingehalten, so entstünden dem Dienstgeber somit die gleichen Kosten wie für Vollentgoltene, weiß Tom Schmid, Grundlagenforscher der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA).
Sie hätten sogar, ginge alles mit rechten Dingen zu, mehr Aufwand, die Mini-Jobber zu verwalten. Deren Urlaubskonten etwa oder Ansprüche aus dem Kollektivvertrag wie Entgeltfortzahlung oder Mindesteinkommensbestimmungen. Zudem können - je nach Kollektivvertrag - verwehrte Rechte bis zu drei Jahren rückwirkend eingeklagt werden.

Selbst versichern!

Bereits seit 1. Jänner 1998 können sich die »Geringfügigen« selbst kranken- und pensionsversichern. Kosten: 561 Schilling. Bis dahin waren sie nur unfallversichert. »Die Altersarmut bei Frauen war sozusagen vorprogrammiert«, meint Elisabeth Rolzhauser, Referatsleiterin für Sozialkontakte, in deren Bereich auch die geringfügig Beschäftigten fallen. Dennoch: Manche Frauen müssen auch bei diesem Preis überlegen, ob sie sich absichern oder Windeln für das Kind kaufen.
Wer ist das, dessen Einkommen im Monat nicht mehr als 3977 Schilling beträgt:
a) Verheiratete, die aus der Abhängigkeit vom Partner ins Erwerbsleben zurück wollen;
b) Personen, die Arbeitslose oder Notstandshilfe beziehen;
c) die studieren;
d) die einen »festen Job« haben und geringfügig nebenbei arbeiten.
Für rund 90.000 Personen, vor allem Frauen, ist der McJob das einzige Einkommen. »Hier sollte die Sozialpolitik ansetzen,« meint GPA-Grundlagenforscher Tom Schmid. »Wenige wissen von der Optingin-Möglichkeit in die Sozialversicherung. Betriebsräte müssten als Verbündete gewonnen werden.«
Denn was den Dienstgeber schmerzen sollte: Die »Geringfügigen« spielen bei der Wahlzahl für Betriebsräte eine Rolle. »Für den Unternehmer, der das erkannt hat«, sagt Schmid, »ist die Geringfügige kein Ersatz mehr für Voll- oder Teilzeit.«

Nicht viel, was nicht zumutbar ist...

Frau Ulrich darf zwar 3977 Schilling pro Monat dazuverdienen, muss aber der Arbeitsvermittlung voll zur Verfügung stehen. Findet man für sie eine zumutbare Voll- oder Teilzeitbeschäftigung, so die Rechtsauskunft der AK-Arbeitslosenberatung, ist diese anzunehmen. »Es gibt heute nicht viel, was nicht zumutbar ist«, meint Wolfgang Panhölzl, der zuständige Experte der AK. Von der preisgünstigen Selbstversicherung hört Ulrich zum ersten Mal. »Da könnte ich mir ja das Bauchweh am Arbeitsamt sparen und drei, vier ,Geringfügige' zusammenstoppeln. Ob ich mich das trauen soll? Aber wo kriege ich die Jobs her?«
Herta Kovac (52) ist seit 1993 arbeitslos und seit drei Jahren als Heimhilfe beim Sozialdienst »Sozial Global«. Auch für sie ist der Besuchsdienst mehr als ein Zusatzverdienst. Sie liebt diese Arbeit. Gern würde sie ihr mehr Zeit widmen, aber das Risiko ist groß. Denn »mit Teilzeit würde ich den Anspruch auf 10.000 Schilling verlieren. Und wer traut sich in meinem Alter schon, etwas Neues zu riskieren? Abgesehen davon: Im Sozialbereich ist es derzeit ziemlich aussichtslos.«
Aus der Arbeitslosigkeit auszubrechen ist nicht nur wegen der fehlenden Arbeitsplätze schwer. Komplizierte Rechenmethoden und die Schwierigkeit, zwischen den Beschäftigungsverhältnissen klare Grenzen zu erkennen, entmutigen potentielle Arbeitnehmer. »Die Unterscheidung zwischen regelmäßiger, vorübergehender und geringfügiger Beschäftigung ist oft nicht nachvollziehbar«, meint AK-Experte Panhölzl. Vom Finanziellen her sei es für den »arbeitslosen« Arbeitnehmer am günstigsten, unter der Grenze von 3977 Schilling zu bleiben. Wer vorübergehend tätig ist, erhält nämlich trotz besserer Entlohnung »unter dem Strich« weniger.

Lebensplanung?

Wer als Arbeitsloser eine vorübergehende Beschäftigung annimmt, sollte zwecks unmittelbarer Lebensplanung den Taschenrechner nehmen: Sein Arbeitslosengeld errechnet sich aus den Kalendertagen des jeweiligen Monats abzüglich der Tage, an denen er beschäftigt war. Die restlichen Tage werden mit dem täglichen Grundbetrag laut Lohnklassentabelle multipliziert. Bei Frauen zwischen 25 und 40 steigt die geringfügige Beschäftigung kontinuierlich. Von den im März 2000 gemeldeten 197.336 geringfügig Beschäftigten sind 140.997 weiblich. Die Broschüre »Mittendrin und trotzdem draußen« des ÖGB-Frauensekretariats wurde, mit veränderten Zahlen, neu aufgelegt. Viele rufen im Referat für Sozialkontakte an, das nunmehr auch für die geringfügig Beschäftigten zuständig ist.
»Haben ,Geringfügige' Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld?« ist eine der häufigsten Fragen. »Ja«, ist dann die Antwort, »allerdings ist der Kollektivvertrag zu prüfen.« Unter den rund 550 Kollektivverträgen hat Elisabeth Rolzhauser bisher »zwei oder drei« gefunden, die dieses Recht ausschließen. Taxilenker etwa haben keinen Anspruch.

Arbeit in Dumping-Funktion

Entlohnung und Ansehen der geringfügigen Beschäftigung sind gering. Auch Betriebsräte neigen zu einer Differenzierung zwischen Kernbelegschaft und geringfügig Beschäftigten, meint der Experte für Sozialpolitik, Tom Schmid. Sie gilt generell als McJob, als Arbeit in Dumping-Funktionen. Wer wenig präsent ist, so das Vorurteil, hat wenig Identität mit Betrieb und Gewerkschaft. Und: Meist kennen Betriebsrat und Jobber einander gar nicht. Bei Handelsketten zum Beispiel, die Samstag Nachmittag ihre »Flexiblen« holen. Allerdings konstatiert Schmid eine weitere Fehlentwicklung der Arbeitsmarktpolitik: Die Ladenöffnung hat zwar mehr Arbeitszeit gebracht, aber nicht mehr Arbeitsplätze.
Handelsketten bevorzugen pensionierte Filialleiter für den Dienst am Samstagnachmittag. Sie kennt man, ihnen kann man Schlüssel und Kasse anvertrauen.
Tom Schmid will die Kritik nicht als generelle Verdammung von McJobs verstanden wissen. Solange es keine bedarfsorientierte Mindestsicherung gibt, »kommen wir nicht umhin, die geringfügige Beschäftigung zuzulassen. Mini-Jobs sollten aber dort eingesetzt werden, wo sie wirklich Sinn machen, nicht nur weil sie billiger sind.« Die Dumping-Funktion der billigen Jobs ist besonders in der Gastronomie ein Problem. Hier ist der Status der Geringfügigen oft ein Scharnier zur Schwarzarbeit, das durch die Deckung der Interessen von Arbeitgebern und -nehmern fleißig geölt wird. Kellner oder Stubenmädchen etwa werden als geringfügig Beschäftigte angemeldet (damit sie bei Unfällen im Register aufscheinen). Der Rest ihres Lohns wird schwarz oder als Trinkgeld ausgezahlt. Beim raschen Geldverdienen stört die Gewerkschaft nur, und wer denkt mit 20 schon an die Pension?

Kompliziert

Die Sache ist noch komplizierter. In der Gastronomie kommt weniger die »Geringfügige« als die Kurzarbeit zum Tragen. Der »Kurzarbeitsparagraph« (Paragraph 5) besagt, dass Aushilfskräfte, die etwa bei Banketten oder zu Spitzenzeiten eingesetzt sind, für mindestens vier Stunden entlohnt werden müssen (selbst wenn sie nur einen Teil davon zu arbeiten haben). Eine Regelung, die Unternehmen lieber gestern als heute beseitigt haben wollen. Der Jobber auf Abruf wäre fix. Die Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe, Persönlicher Dienst (HGPD) will den Paragraph 5 im Kollektivvertrag beibehalten. »Nicht unter vier Stunden lautet die Devise, denn sonst fällt der Versicherungsschutz. Einen Nachteil haben die Teilzeitarbeiter im Hotel- und Gastgewerbe schon jetzt gegenüber den Geringfügigen anderer Branchen: Sie sind arbeitsrechtlich nicht gleichgestellt. So gibt es etwa keinen Anspruch auf Urlaubs- oder andere Sonderzahlungen. Besonders in der Dienstleistungsbranche sind Leute um 3977 Schilling zunehmend begehrt. Sie sind billig und flexibel zugleich. Flexibel zeigen sich auch viele Unternehmen, die arbeitsrechtlichen Ansprüche der »Geringfügigen« zu umgehen. Den Anspruch auf Abfertigung etwa, der nach drei Jahren ununterbrochenem Dienstverhältnis entsteht. Gründe für eine Kündigung nach zwei Jahren und sieben Monaten etwa sind leicht zu finden. Viele wissen auch nicht um ihre Rechte Bescheid. Und wer froh ist, einen Job zu haben, pocht kaum auf Pflegefreistellung, wenn etwa das Kind krank ist. Ein Schlupfloch finden Dienstgeber auch in der Regelung der Beitragspflicht. Diese lautet: »Wenn das Einkommen der geringfügig Beschäftigten monatlich die eineinhalbfache Geringfügigkeitsgrenze übersteigt, hat er seinen Pauschalbetrag zur Kranken- und Pensionsversicherung zu leisten.« Elisabeth Rolzhauser: »Wer als Unternehmer oder Verein nur einen Geringfügigen beschäftigt, kommt billig, nämlich mit 1,4 Prozent für die Unfallkasse, davon. Dienstgeber könnten ihre 3977-Schilling-Mitarbeiter auf verschiedene Bereiche aufteilen, um die Leistung der Pauschale zu umgehen.«

Ein Schritt vor, zwei zurück

Ein Wunsch nicht nur der ÖGB-Frauen wäre, dass es »letztendlich keine geringfügige Beschäftigung gibt. Zu viele Lücken im System und Regelungen, die nicht wirklich ausgereift sind, gehen zu Lasten der Arbeitnehmer.« Die Utopie: »Dass jedes Einkommen, wie gering auch immer, ein reguläres Dienstverhältnis mit sich bringt. Alle Beiträge, die verdient werden, müssten pflichtversichert sein, der Dienstgeber sollte die Beiträge zahlen«, wünscht sich Rolzhauser. Denn der Arbeitgeber kommt bei den Geringfügigen immer noch günstiger weg, erspart er sich doch die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Die Forderung, dass Arbeitgeber - gerade im flexiblen Bereich - beide Anteile begleichen, würde »aber zu einem Bruch des Systems führen. Besser also kleineres Übel als gar nichts«, sagt Rolzhauser. Der nächste Schritt nach der preisgünstigen Sozialversicherung wäre, dass Geringfügige auch arbeitslosenversichert sind. Die Gefahr, einen Schritt nach vorne, zwei zurück, ist jetzt Regierungsprogramm. Rolzhauser: »Wirklich kritisch wird es für die Geringfügigen in der Pension. Wovon leben die dann, wenn wirklich die Lebensdurchrechnungszeiten gelten?«

Information zum Thema

* »Mittendrin und trotzdem draußen: eine Information für geringfügig Beschäftigte.« Zu beziehen bei Elisabeth Rolzhauser, ÖGB, Referat für Sozialkontakte, Hohenstaufengasse 10-12, 1011 Wien.
Telefon: 534 44-509
* »Überblick über die wesentlichen sozialpolitischen Werte 1999« (Sozialversicherung, Sozialhilfe), Stand 1. 1. 1999. Zu beziehen bei Frau Friedl, Büro des Vorsitzenden der GPA,
Telefon: 01/313 93-218, oder http://www.gpa.at/default/htm

Geringfügige Beschäftigung
Änderungen ab 1. Jänner 2000

* Neue Geringfügigkeitsgrenze täglich bis zu 305 Schilling oder pro Monat 3977 Schilling.

Auswirkung beim Dienstgeber:
Die Dienstgeber werden für alle geringfügig Beschäftigten in ihrem Betrieb beitragspflichtig, wenn die Lohn-/Gehaltssumme dieser Beschäftigten den Betrag von 5965,50 Schilling übersteigt.

Auswirkungen beim Dienstnehmer:
Um die Selbstversicherung in Anspruch nehmen zu können, darf das Gesamteinkommen nicht über 3977 Schilling liegen. Der Wohnsitz muss im Inland sein. Sie kostet (für Arbeiter und Angestellte) 561 Schilling im Monat.

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(C) AK und ÖGB

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